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Antifaschistische Intervention

Antifaschistische Aktion Berlin
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Moderation: Hier ist die Arbeitsgruppe "Antifaschistische Intervention". Es referieren Julia und Martin von der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB). Die Gruppe muß ich nicht weiter vorstellen. Die zentralen Punkte sowohl im Vortrag als auch - wie wir hoffen - dann in der Diskussion werden in Bezug auf antifaschistische Intervention sein: Was ist eigentlich das Interventionsfeld? Oder anders gefragt: Welches Problem ist es eigentlich, das uns gerade dazu bewegt, handeln zu müssen? Und - das ist in gewisser Weise jetzt schon eine Vorentscheidung - die Frage, die sich daran anschließen wird: Linksradikale Politik - Wie funktioniert so was? Wie kann sie sich vermitteln? Auf welchen Ebenen setzt sie an? Zuerst wird jetzt Martin sprechen.

Referat “Antifaschistische Intervention”

Martin: Liebe Anwesende! Das offizielle Motto der AG ist "Antifaschistische Intervention". Das inoffizielle Motto, da wir ja immer sehr viel Wert auf Geschichtsbezug und auf die Größen der kommunistischen Geschichte legen, haben wir Mao entnommen: "Die Probleme Chinas sind kompliziert, und unser Gehirn muß deswegen auch ein wenig kompliziert arbeiten." In der AG wird zu folgenden Punkten geredet: der Erste, wer denn interveniert und unter welchen Umständen interveniert wird. Danach wird Julia dazu reden, warum wird interveniert; dann mach ich einen kurzen Diskurs zu den Naziaufmärschen auf, der auch in der Antifa in den letzten Jahren gelaufen ist und Julia wird dann noch einmal dazu referieren, welche Konsequenzen wir denn aus diesen Annahmen ziehen. Das Ganze wird ein kurzer Vortrag und danach gibt es hoffentlich eine Diskussion.

Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen

Als wir neulich einen Blick auf Deutschland geworfen haben, sind uns einige Sachen aufgefallen. Deutschland ist eine kapitalistische Demokratie. Deutschland teilt die Menschen in In- und Ausländer. In Deutschland gibt es Menschen, die mit diesem Staat unzufrieden sind. Aber wir sagen es gleich, das sind nicht viele und noch weniger sind es, die deswegen dagegen Politik machen. Und die gegen diesen Staat Politik machen, teilen sich dann auch noch in Rechte und Linke.
Gut, ich nehme an, es gibt schon hier kritische Stimmen aus dem Publikum, die behaupten würden, das wäre nichts richtig neues, das wüßte man schon. Aber zentral sollte sein, welche Konsequenzen man aus diesen Annahmen für sein Bewußtsein zieht.
Wir gehen nämlich davon aus, daß es im gesamtgesellschaftlichen Rahmen eine relative Bedeutungslosigkeit der Neonazis gibt. Daß sie zwar hier und da ganz schön Ärger machen, aber doch auf das tatsächliche gesellschaftliche Geschehen kaum einen Einfluß haben. Wir gehen vielmehr davon aus, daß wir in dieser Gesellschaft hier ein Demokratenproblem haben. Wir glauben, der Rassismus und der Nationalismus wird nicht von den Nazis vorgegeben, sondern das liegt ganz klar in der Hand der Demokraten mit ihrem Kapitalismus. Ich denke, wir sollten an die Menschen denken, die bei Abschiebungen ums Leben kommen, wir sollten an die Jugoslawen denken, die im letzten Krieg ihr Menschenrecht durch deutsche Bomber verwirklicht bekommen haben, um klar zu machen, welche Dimensionen und welche Gewaltmittel hier andere Kräfte in der Gesellschaft einsetzen können.
Also um eins klar zu stellen: Nazis sind natürlich Schweine und die bringen auch Menschen um. Das ist auch keine Lappalie. Und es gibt hier bestimmt Orte in Deutschland, wo man als Linker schon genug damit zu tun hat, sich die vom Hals zu halten. Aber eine solche lokale Besonderheit sollte nicht darüber hinweg täuschen, daß die Gewalt in Deutschland 1999 nicht in der Hand der Nazis liegt, daß wir es hier nicht mit einem faschistischen Staat zu tun haben, sondern daß das die Demokraten wollen. Und die Demokraten werden von der Bevölkerung gestützt.
Es ist zwar so, daß die Nazis immer probieren, ihren Einfluß in der Gesellschaft zu vergrößern, aber in der letzten Zeit sind sie damit kläglich gescheitert. Den einzigen Erfolg, den die Basisdemokraten von rechts leisten konnten, war die Abschaffung des Art. 16 des Grundgesetzes 1992, seitdem sieht es relativ mau aus.
Eine weitere Sache wird auch klar: Wer sein Engagement gegen Rassismus und Nationalismus ernst meint, der wird nicht an der Kritik am Kapitalismus und seinen Demokraten herumkommen. Denn es ist heute nicht die Zeit der Volksfront wider den Faschisten. Jede Zusammenarbeit mit Demokraten muß aus linksradikaler Sicht eine taktische sein, die dem Ziel der linksradikalen Sache dient. Das ist der Gesichtspunkt unter dem wir sie bewerten.
Da jetzt feststeht, daß es eine viel größere Macht gibt als einen deutschen, ausgewachsenen Skinhead der uns bedroht, möchte ich Euch mit dieser neu entstandenen Angst nicht alleine lassen. Deswegen noch mal der Zugriff auf unser beschränktes Geschichtsverhältnis. Mao: "Wir dürfen uns von dem Getöse, das die Reaktionäre machen, nicht einschüchtern lassen."

Intervention - Warum?

Julia: Wir haben die gesellschaftliche Beschreibung vorweggeschickt, weil wir finden, daß jede ernsthafte politische Überlegung an den gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen ansetzen muß. Das heißt nicht an den Bedingungen in einer Stadt oder in einer Gruppe oder im Osten oder im Westen, sondern die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen sind wichtig. Das heißt für uns Antifas, daß man dran bleiben muß am gesellschaftlichen Geschehen, daß man Zeitungen lesen muß, überhaupt lesen muß, analysieren und einordnen und das jeden Tag. Weil wir als Linke darauf angewiesen sind, zeitgemäß zu sein.
Damit wären wir auch schon beim Thema, was zeitgemäße Antifapolitik eigentlich ist. Aus dem Gesagten ist klar geworden, daß wir den Nazis eine relativ geringe Rolle zumessen. Wir finden zwar, daß sie Vertreter von reaktionärem Gedankengut und auch eine tatsächliche Bedrohung auf der Straße sind. Im Endeffekt aber sind sie nur Randerscheinungen einer funktionierenden Demokratie. Sie sind nur Ausdruck von gesellschaftlichen Entwicklungen, Rechtsentwicklungen, aber nicht deren Ursache. Genau deswegen finden wir, daß eine Linke sie bekämpfen und sich in Konfrontation zu ihnen stellen muß. Nicht mehr und nicht weniger.
Bleibt natürlich die Frage, warum wir, wenn wir Nazis gar nicht so wichtig finden, uns eigentlich Antifa nennen. Das hat mehrere Gründe. Zum einen, weil wir glauben, daß man einen Ansatzpunkt braucht, um an die Leute überhaupt ran zu kommen. Daß man einen Ansatzpunkt braucht, wo eine klare Positionierung möglich ist, wo es eine klare Frontenstellung geben kann und vor allem, wo sich daraus ein direktes, praktisches Eingreifen ergibt. Denn wir denken praktisches Engagement und die Konfrontation, die sich daraus ergibt, ist das, was die Leute politisiert und zum Nachdenken bringt.
Zum anderen hat es etwas mit der nationalsozialistischen deutschen Geschichte zu tun und der sich daraus ergebenden Bedeutung, die die Auseinandersetzungen um Antifaschismus und Faschismus in der BRD immer noch haben. Da wäre die Walser-Debatte ein Beispiel oder die Begründung für den Jugoslawienkrieg bzw. das Bombenwerfen durch den Außenminister Fischer, nämlich um Auschwitz zu verhindern und genau aus einer historischen Verantwortung heraus. Das gibt für uns Möglichkeiten weiterhin dort anzuknüpfen oder einzugreifen.
Das dritte ist die immer größere Bedeutung der Totalitarismustheorie. Dadurch gerät immer mehr in den Hintergrund, daß es uns um politische Konflikte geht und nicht um soziale. Die Auseinandersetzung mit den Nazis hat aber immer politische Bedeutung und keine soziale.
Der nächste Punkt ist, daß unsere Perspektive unabhängig ist von der direkten Stärke oder der momentanen gesellschaftlichen Bedeutung der Nazis. Unsere Perspektive ist eine andere, weil wir es gefährlich finden, die Nazis überzubewerten. Wer nur daraus sein praktisches Engagement ableitet, überschätzt die Bedeutung der Nazis. Man recherchiert und dokumentiert jeden Schritt der Nazis und bekommt dann eine falsche gesellschaftliche Sicht darauf.
Wir finden also, daß Anti-Nazi-Politik zwar ein richtiger Ansatz ist, es aber weniger um den Ansatz geht, sondern um die Fragen, die sich aus so einem Ansatz ergeben. Die Fragen nach den gesellschaftlichen Hintergründen, nach der persönlichen Weiterentwicklung der Leute, nach der Radikalisierung, die sich anhand eines solchen Ansatzes ergeben kann. Wir finden also, daß es unsere Aufgabe ist, linke Überzeugungsarbeit zu leisten. Das heißt vermitteln, werben, erklären - immer wieder von neuem und immer wieder das gleiche. Es kann sein, daß einige Leute es ziemlich stumpf finden, immer wieder das gleiche zu erzählen. Aber obwohl natürlich spezialisierte Diskussionen horizonterweiternd für einige wirken, geht es bei der momentanen Aufklärungsarbeit gar nicht darum. Es mangelt weder an Informationen, noch an interessanten Ideen. Was den Leuten fehlt, ist ein linkes Koordinatensystem, anhand dessen sie die Welt ordnen können: Wo liegen Ursachen von gesellschaftlichen Entwicklungen? Was ist nur Gelaber? Was sind Nebenschauplätze? Was ist das Wesentliche?
Uns geht es darum, Orientierungen zu vermitteln. Damit meinen wir die Verdeutlichung einer bestimmten inneren Logik. Eines Zusammenhanges, der es möglich macht, die eigene Lebensrealität nach bestimmten Sachverhalten zu reduzieren, auf die Entscheidung selber einzugreifen, also Subjekt werden zu wollen und politisch handeln zu können. Wir finden, daß es mit einer groben linken Orientierung und der Weigerung, sich in das momentan Bestehende einzugliedern, bei den meisten Leuten anfängt. Unsere Zuständigkeit ist es, daß es weiter geht mit der Verinnerlichung eines linken Gesellschaftsbildes, mit aktivem Eingreifen und politischem Handeln. Das heißt, mit einer tiefer gehenden linken Politisierung. Wir finden, daß dies das beste Engagement ist, das es gegen rechts geben kann.
Das Problem ist, daß die gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen momentan nicht besonders günstig sind und nicht rosig aussehen. Der Kapitalismus wird als die letzte, die historische Wahrheit propagiert. Alle Lebensbereiche sind durch Warenverhältnisse durchdrungen. Das gesellschaftliche Engagement ist für die meisten Leute ein Hobby geworden bzw. wird so bewertet, daß man es ablegen kann, wenn es uninteressant geworden ist. Es gibt keine verbindlichen Ideen mehr, an denen sich die Leute orientieren. Im Sozialen gilt das Gleiche. Jede verbindliche Beziehung wird als Belastung und Einschränkung für Beruf und Karriere empfunden. Superindividualismus und Entsolidarisierung herrschen vor. Jeder Verbindlichkeit wird aus dem Weg gegangen.
Demgegenüber steht eine gesellschaftlich relativ bedeutungslose Linke. Das bedeutet, daß die Vorstellung einer Alternative, einer anderen Möglichkeit die Lebensbedingungen zu organisieren, die es geben kann, fast vollständig aus der Diskussion verschwunden ist. Das heißt, daß die Linke außerhalb der Antifa fast vollständig zerbrochen ist. Das macht es für uns natürlich nicht gerade einfach. Gleichzeitig ist unsere Verantwortung dadurch erhöht, daß die Antifa die letzte Bastion der Linksradikalen ist. Früher ist aus verschiedenen Teilbereichsbewegungen versucht worden, Perspektiven linksradikaler Politik zu vermitteln. Heute ist die Antifa die einzige im Ansatz noch handlungsfähige Bewegung. Das erhöht unsere Verantwortung, für jede politische Aktion eine Vorgabe zu machen, daß linksradikale Kritik sichtbar werden muß und wir für etwas gründlich anderes zum gegenwärtig Bestehenden werben.
Den organisatorischen Schritt zu gehen, für die Leute, die sich engagieren wollen, Strukturen zur Verfügung zu stellen, sehen wir eher als Selbstverständlichkeit an. Das wird immer als eine Art Lieblingsidee der BO dargestellt, die an allen mehr oder weniger geeigneten Punkten eingebracht wird. Wir meinen aber, daß es tatsächlich für Linke eine Aufgabe ist, dauerhafte Strukturen zu schaffen, weil man nur so deutlich machen kann, daß es einem tatsächlich ernst ist, daß man tatsächlich bereit ist, verbindliche Entscheidungen zu treffen, daß Linkssein nicht nur bedeutet, sich einfach treiben zu lassen und Opfer von dem zu sein, was man hier momentan vorfindet, sondern daß man aktiv eingreifen will, gemeinsame Schlüsse ziehen und das in das eigenen Handeln mit einbeziehen will.
Es geht nicht nur um das persönliche Durchhalten als Linker in einer mehr oder weniger guten Nische. Es geht nicht um nur individuell gangbare Wege mit irgendwelchen Qualifikationen, die sich meistens nur aus dem politischen Alltag, den die Leute hatten, ergeben haben. Sondern wir finden, daß Politik machen heißt, gesellschaftlich einzugreifen, auch über das persönliche Umfeld hinaus. Wie und wo das passieren soll, sollte eigentlich Inhalt dieses Kongresses sein, aber es ist auf jeden Fall so, daß wenn die Linke jemals wieder an Einfluß gewinnen sollte, dann wird sie organisiert sein.

Wir wollen die Vorgaben die wir gemacht haben noch einmal an zwei Diskussionskomplexen genauer erläutern, die es in den letzten Jahren gab. Das eine sind die Diskussionen um die Naziaufmärsche bzw. die dortige Schwerpunktsetzung. Das andere ist die Diskussion um den 1. Mai.

Naziaufmärsche

Martin: Also zum Konkreten: Zentral für die Antifapraxis in den letzten Jahren war die Mobilisierung gegen Naziaufmärsche. Sie bot die Möglichkeit für direkte Konfrontation. Der Erfolg wurde oft an der Schädigung des konkreten faschistischen Interesses gemessen. Das eine oder andere Naziauto ging in Flammen auf. Die Antifaarbeit bereitete den Faschisten Kopfschmerzen. Es wurde erreicht, hin und wieder einen Aufmarsch zum Fiasko für die Betreiber zu machen.
Diese Situation hat sich mittlerweile entscheidend verändert. Es gibt im Gegensatz zu früher, eine unübersehbare Anzahl von Naziaufmärschen, von Veranstaltungen, von sonstigen Versammlungen Rechtsradikaler. Die Empörung, die vor noch zehn Jahren im liberalen Bürgertum, aber auch in der linken Subkultur vorgeherrscht hat, ist mittlerweile weitgehend verschwunden. Das Undenkbare für die damaligen Verhältnisse ist mittlerweile zum Alltäglichen geworden.
In Folge unserer Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse ist unser Kriterium für Erfolg nicht die Schädigung des konkreten faschistischen Interesses. Als unser Kriterium für Erfolg steht das Erreichen und Prägen von Leuten. Wir sind aber mit dem Problem konfrontiert, daß immer weniger Menschen sich gegen Naziaufmärsche mobilisieren lassen und eine Wahrnehmung der dort stattfindenden Konfrontation meist nicht mehr die dort direkt Teilnehmenden verläßt und somit keine Signalwirkung an Außenstehende vermittelt.
Als Schlußfolgerung ziehen wir daraus: Es hat eine Berechtigung dafür gegeben, gegen Naziaufmärsche vorzugehen, aber wenn gegen einen Naziaufmarsch mobilisiert wird, muß dies mehreren Kriterien genügen.
Es muß sich auf ein Ereignis konzentriert werden. Bei diesem Ereignis muß exemplarisch gehandelt werden. Die Antifa muß aus einer Position der Überlegenheit agieren. Die direkte Konfrontation muß angestrebt werden, um eine Vereinnahmung durch bürgerliche Kräfte zu verhindern. Die Aktion muß so angelegt sein, daß die Leute, die dorthin kommen, auch in Zukunft wieder an so etwas teilnehmen werden und nicht vollkommen frustriert irgendwo rumvegetieren. Das wichtigste ist natürlich, die Aktion muß politisch mehr vermitteln, als daß man gegen Nazis ist, daß man ein Teil, der bewaffnete Arm des liberalen Bürgertums ist. Man muß die grundlegende Kritik am Staat und den gesellschaftlichen Verhältnissen, der Ökonomie stets vermitteln. Es muß immer eine Agitation nach innen und nach außen geben, an die beteiligten Antifaschisten und auch an die bürgerliche Gesellschaft.

1.Mai

Julia: Die zweite Diskussion zum 1. Mai. Es wird von vielen gefragt, ob das überhaupt noch links ist, sich auf den Arbeiterkampftag zu beziehen, auf ein Symbol der Arbeiterbewegung, die doch so kläglich gescheitert sei und nur eine Arbeiterrechtsbewegung war. Es wäre doch vielmehr super, wenn man ganz neu mit der Besetzung von Symbolen anfangen könnte.
Wir finden es schlimm, daß sich keine linke Bewegung dauerhaft durchgesetzt hat. Deswegen ist es ja auch so einfach, die immer wieder zu kritisieren. Trotzdem ist es notwendig, um das Bestehende nicht als natürlich anzuerkennen oder zu akzeptieren, es als historisch Entwickeltes zu sehen. Eine Entwicklung, in die man eingreifen kann und zu deren Verständnis man die Geschichte auch bemühen muß. Geschichtsbewußtsein heißt für uns, sich darüber im Klaren zu sein, daß niemand von uns, die wir hier sitzen, egal ob kritisch oder noch so kritisch, hier wäre, wenn es nicht schon eine Linke vor uns gegeben hätte und das keine Diskussion ohne historische Verweise stattfindet. Das heißt für uns Geschichtsbezug. Das bedeutet nicht, daß wir eine historische Bestätigung von unserem Ansatz suchen oder Analysen und Widerstandsformen eins-zu-eins übertragen wollen. Dann würden wir zu einer beängstigenden Sekte werden. Trotzdem finden wir es wichtig, daß wir uns nicht nur aus dem hier und heute definieren, weil wir Bezugspunkte und gesellschaftlich etablierte Begriffe und Symbole brauchen. Die kommen nun mal aus der Geschichte.
Jede gesellschaftliche Kommunikation und Auseinandersetzung läuft über die Verwendung und Besetzung von Symbolen und Begriffen. Wenn wir gesellschaftlich eingreifen wollen, dann müssen wir uns dieses Handwerkszeugs, nämlich der Symbole und Begriffe, bedienen. Der 1. Mai lebt von genau dieser Symbolkraft, daß er einer der wenigen Tage ist, die noch links besetzt sind und auch mit so einer Grundaussage in die Öffentlichkeit dringt. In Berlin ist er seit zehn Jahren mit einer militanten Gegenwehr verbunden. Weil wir - das war auch schon bei Nazikultur - Diebstahl linker Codes Thema - die momentan nicht die Stärke besitzen, Symbole neu zu besetzen, müssen wir wohl oder übel, daß was wir vorfinden erhalten und versuchen es weiter zu entwickeln und weiter zu prägen.
Natürlich nimmt man mit einer einzelnen Demonstration nur ganz begrenzt direkt Einfluß, aber es wird zumindest die Möglichkeit symbolisiert, sich links zu positionieren oder zu orientieren. Außerdem wird die Unvereinbarkeit von linksradikaler Politik mit dem bestehenden System dokumentiert. Dafür lohnt es sich für uns den 1. Mai aufrecht zu erhalten.
Ein weiterer Kritikpunkt zum 1. Mai ist die Frage, ob noch links ist, was am gleichen Tag stattfindet. Zehntausend Jugendliche, die bei Sonnenschein hinter einem Siebzehntonner mit ohrenbetäubender Musik herlaufen. Wo die Musik auch noch Mainstreammusik ist, bei der es ein Showteam gibt und eine Band auf dem Lautsprecherwagen. Die Frage, die dann gestellt wird, ist, wo ist denn da der Unterschied zur Love Parade?
Einen Unterschied habe ich schon genannt, daß die 1. Mai Demo nicht für Love & Peace und Beliebigkeit steht, sondern für Systemopposition. Sie wird vor allem als bewußt politisch wahrgenommen. Dazu kommt noch folgende Überlegung, daß wir, wenn wir festlegen wollen, wo wir eingreifen können, wir uns darüber im Klaren sein müssen, wo wir uns als Linke überhaupt befinden. Das ist der kulturelle Bereich, weil die Linke momentan keine gesellschaftliche Macht besitzt. Das heißt überall dort, wo es möglich ist auf der Ebene von Ideen einzugreifen: in Bildung, Wissenschaft und Medienwelt. Deswegen sind wir auch darauf angewiesen, immer interessant zu sein, den Leuten eine persönliche Bereicherung oder Weiterentwicklung zu versprechen oder Amüsement zu bieten. Dafür ist die Lebensrealität von den Leuten, die wir erreichen können, entscheidend. Und das Bewußtsein ist der Maßstab dafür. Für viele sind die Kriterium nach denen sie sich entscheiden, Qualität, Quantität und Outfit.
Um überhaupt irgendwie gesellschaftlich durchdringen zu können, glauben wir, daß wir Staub aufwirbeln müssen, daß wir polarisieren müssen und Symboldaten und Symbolfiguren mit einbeziehen müssen. Die Ausstrahlungskraft, die damit verbunden wird, müssen wir nutzen. Das heißt aber nicht, daß das poppige Auftreten der Inhalt wird. Das ist nach wie vor nur die Form, wie wir versuchen, linke Politik attraktiv zu halten. Wir finden es sogar gefährlich, wenn man das, was beispielsweise bei einer 1. Mai Demonstration stattfindet, als subkulturellen Ersatz für linke Ideen ansieht. Denn wenn man Politik durch Kultur ersetzt, unterliegt man derselben Schnellebigkeit und Beliebigkeit wie der Zeitgeist, den man versucht, mit einzubeziehen. Deswegen ist es notwendig neben der Schaffung eines subkulturellen Umfelds darauf zu achten, daß man damit eine politische Bewegung aufbaut.
Weigert man sich allerdings bei der Vermittlung linker Ideen verständliche Kommunikationsformen zu benutzen bzw. sich an den Bewußtseinsformen der Menschen zu orientieren, dann nimmt man die Verbreitung linker Ideen nicht mehr ernst und damit die Ideen selbst auch nicht mehr. Wir finden es notwendig aktuelle Ausdrucksformen für die Linke zu finden, weil diese sonst tatsächlich irgendwann auf dem Müllhaufen der Geschichte landen wird. Der 1. Mai ist für uns ein Schritt in die richtige Richtung und das wichtigste Popereignis, das es in Berlin gibt.
Die letzte Kritik schließt an das an, was Martin gesagt hat, nur noch einmal nachgewiesen am 1. Mai: Es ist eine Strategie der Nazis linke Symbole und Daten zu besetzen. Das ist nicht erst seit den neunziger Jahren so. Beim 1. Mai ist es aber aktuell so, daß sie den Tag als "Tag der Arbeit" zurückzuerobern versuchen und das öffentliche Bild durch ihr Auftreten bestimmen wollen.
Die Kritik an uns war immer, daß wir weiterhin zu einer revolutionären 1.Mai Demonstration mobilisiert haben, obwohl die Nazis in Bremen, Leipzig oder sonst irgendwo waren, und wir damit die Glaubwürdigkeit unseres Antifaanspruchs verlieren. Wir finden, daß das ein konstruierter Widerspruch ist, weil unser Anliegen nicht ist, immer möglichst nah an den Nazis dran zu sein. Allein die körperliche Anwesenheit von Linken oder Antifas macht noch nicht die Glaubwürdigkeit von linkem Engagement aus. Das ist je nach Anlaß und Möglichkeit abzuwägen.
Wir finden es richtig, daß man sieht auf welcher Ebene die Auseinandersetzung hier stattfindet. Das hat die unmittelbare Ebene der Gegenwehr schon längst verlassen und findet auf der politischen Ebene statt. Der Kampf auf der Straße ist sowieso entschieden. Nicht zu unseren Gunsten und nicht zu Gunsten der Nazis, sondern zu Gunsten der Staatsgewalt, deren Spielball wir bei Antifaaktionen regelmäßig sind.
Wir finden, das Ziel antifaschistischen Eingreifens ist - und daran muß sich dann auch die Glaubwürdigkeit messen - sich öffentlich als unmißverständlicher Gegenpol zu den Nazis und zum rechten Mainstream darzustellen. Der 1. Mai war eine Aktion, die genau dies versucht hat. Es wäre ein großer Fehler eine solche linke Demonstration einzustellen, weil es damit innerhalb der Antifa die Tendenz gäbe Aktionen einzustellen, bei denen es die Möglichkeit gibt, als Linke Akzente zu setzen, und dafür lieber nach der Pfeife der Nazis zu tanzen.
Wir finden den Abwehrkampf - auch unabhängig vom 1. Mai - notwendig. Es wäre blöd, das nicht zu sagen. Daß man ich eine gewisse Bewegungsfreiheit als Linke oder Linksradikale erarbeiten muß, ist sicherlich in einigen Orten oder Städten relativ schwierig. Sobald aber es die Möglichkeit gibt, muß es darum gehen, linke Strukturen zu stärken und sie öffentlich wahrnehmbar zu machen. Da ist nicht nur der 1. Mai gemeint. Es gibt verschiedenste Möglichkeiten: eigene Räume schaffen, Kulturarbeit oder jede andere Form von öffentlichem Auftreten oder Einmischen und Polarisieren in tagespolitischen Debatten. Das ist von den jeweiligen Bedingungen abhängig und kommt vielleicht nachher in der Diskussion noch vor.
Wir finden jedenfalls, daß der 1. Mai gezeigt hat, daß es nötig ist, wenn man die Nazis zurückdrängen will, die Linke zu stärken und daß das beste Engagement gegen rechts linksradikale Politik ist. Zum Abschluß und als Einleitung für die Diskussion werde ich jetzt nach meinen Ausführungen noch einmal Mao bemühen: "Weil wir dem Volke dienen, fürchten wir nicht, daß man, wenn wir Mängel haben, uns darauf hinweist und kritisiert."

Diskussion

Beitrag aus dem Publikum von Susanne: Zur gesellschaftlichen Relevanz von Nazis möchte ich zuerst kurz zusammenfassen, daß das Problem einerseits ist, daß sie mögliche faschistische Regierungen unterstützen würden, wenn eine an die Macht käme und permanent eine Basis dafür schaffen und unterhalten, indem sie die Akzeptanz von NS-Positionen erhalten. Die Wahrscheinlichkeit ist in Deutschland insgesamt eher gering, weil es ein ziemlich reiches Land ist, welches überhaupt nicht auf ein diktatorisches Regime angewiesen ist. In Ostdeutschland oder in Osteuropa ist die Gefahr dagegen ziemlich groß und ich würde sie vor allem über Deutschland hinaus auf keinen Fall unterschätzen. Ansonsten besteht die Gefahr durch die Nazis darin, daß sie Widerstand untergraben. Eine faschistische Bewegung untergräbt Widerstand deshalb, weil sie erstens Linke direkt bedroht, zweitens Widerstand, der in Jugendlichen oder anderen diffus vorhanden ist, umlenkt in Rassismus oder Nationalismus und dann vor allem - was ihr auch gesagt habt - die Linke von wichtigerem abhält. Sie muß Abwehrkämpfe führen, statt etwas praktisches, positives machen zu können. Die These, daß der Widerstand umgelenkt wird, beruht auf der Idee, daß die nationalsozialistische Position eigentlich keine intelligente Entscheidung der Leute ist. Gerade Straßenfaschos haben eigentlich nichts davon, um so weniger, je schwächer die faschistische Bewegung ist. Der einzige Vorteil einer solchen Bewegung wäre, Mitglied in einer starken Gruppe zu sein.
Die Gegenthese dazu wäre, daß, wenn man es schafft innerhalb eines Staates einen nationalen Zusammenhalt zu schaffen, der Staat ziemlich stark ist. Ein solcher Staat kann wirtschaftlich gegen andere Staaten stärker agieren. Dagegen muß man entweder moralisch argumentieren, also sagen, es würde uns zwar nützen, aber wir wollen andere nicht ausgrenzen, oder man muß bessere Alternativen bieten.

Beitrag Bernd: Die Nazis selbst sind absolut unkreativ, von denen kommt kein einziger innovativer Inhalt. Wenn sie irgend etwas, auch geschichtlich gesehen, tun, dann klauen sie. Zu Straßennazis: Die Gesellschaft ist generell in ihrer Entwicklung darauf angelegt, immer Tabus zu brechen. Das vermehrte Naziaufkommen in letzter Zeit ist eine Modeerscheinung. Ich denke nicht, daß die gesellschaftliche Relevanz die entscheidende ist. Die Antifa sollte sich wirklich auf einen Punkt spezialisieren oder taktisch so vorgehen, daß sie sich auf einen Stoßpunkt konzentriert und dort mal richtig reinschlägt. Das muß auf gesellschaftliche Veränderung hinauslaufen. Da denke ich schon, daß man sich ein absolutes Massenereignis suchen und dort alle Kräfte bündeln sollte.


Beitrag Helge: Ich finde es immer ein Problem, wenn man sich bei Antifapolitik so stark auf Nazis, die an Tankstellen rumhängen, konzentriert. Weil für mich die Motivation, Antifapolitik zu machen, ist, daß man sich ein Feld, nämlich die Erfahrungen die es in Deutschland mit dem Faschismus gegeben hat, nimmt, wo es ein ziemlich großes Interesse gibt. Zum einen, weil die Leute immer noch ziemlich erschüttert sind von den Dingen, die da passiert sind. Und zum anderen gibt es bei allen Leuten, die in Deutschland leben schon so eine Aufmerksamkeit, weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß sie da ziemlich eingesteckt haben und da irgendwas nicht in Ordnung gelaufen ist. Das heißt, es ist ein Thema, das vom Interesse her ziemlich aufgeladen ist.
Ich finde auch, daß ihr das falsch gesagt habt. Es ist ein Fehler zu sagen, die Politik der Nazis auf der Straße ist nicht so relevant. Tatsächlich ist es so, daß die Auseinandersetzung um die nationalsozialistische Vergangenheit alle Politikfelder durchzieht. Sie ist die symbolische Auseinandersetzung überhaupt. Das heißt, wenn irgend eine neue Sache in Berlin eingeweiht wird, findet all dies auf dem Boden früherer Entscheidungsinstitutionen statt. Das ist bei jeder Sache so, z.B. jetzt beim Krieg in Jugoslawien, wird alles vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus diskutiert. Ich finde, da wir in die ganzen Entscheidungen nicht unmittelbar eingreifen können, ist es so, daß wir die symbolischen Diskussionen aufgreifen und mit diesen Sachen auch arbeiten müssen. Deswegen finde ich, daß antifaschistische Politik für uns die einzige Möglichkeit ist, politische Veränderungen aufzugreifen und mitzuprägen, indem wir das öffentliche Interesse nutzen und darüber unsere Ideen einbringen. Da ist es total verkürzt zu sagen, die Nazis übernehmen die Regierung ja eh nicht. Zumindest für die nächsten Jahre ist das wahrscheinlich schon richtig, aber die Auseinandersetzungen um Nationalsozialismus und Faschismus sind etwas, was die ganz unmittelbaren politischen Entscheidungen in sehr hohem Maß prägt.

Beitrag Susanne: Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden. Willst Du praktisch die Auseinandersetzung auf eine zwischen Faschismus und etwas ganz anderem, d.h. eine Alternative zum jetzigen Zustand, reduzieren? Willst du den jetzigen Zustand in Faschismus mit einschließen? Willst Du alle Diskussionen so führen, daß Du sagst, das ist Faschismus oder das tendiert in Richtung Faschismus? Würdest Du keine anderen Begriffe anwenden?

Beitrag Helge: Was ich vorausgesetzt habe ist, daß mir der momentane gesellschaftliche Zustand nicht paßt. Ich finde, daß sich die gesellschaftlichen Zustände durch die Wiedervereinigung und durch die neue Rolle die Deutschland in Europa und der Welt spielt, zuspitzen. Die eigentlichen Entscheidungen, die da gefällt werden, ob irgendwelche Soldaten irgendwohin geschickt werden, ob der Bundesgrenzschutz inzwischen was weiß ich wievielfach worden ist, sind Sachen, da haben wir nicht mitzuentscheiden. Das heißt, das einzige, was wir machen können, ist die Diskussionen darüber mitzubestimmen. Dabei gibt es ständig Verweise und das wird von Politikern auch absichtlich so zitiert, daß es jetzt kein Tabu mehr ist, Bundeswehrsoldaten mit Fackeln durchs Brandenburger Tor ziehen zu lassen. Ich finde das ist es, was antifaschistische Politik immer noch sehr schlagkräftig macht, daß man über den Verweis auf die NS-Vergangenheit den Kern solcher Bestrebungen und Entscheidungen bloßstellen kann. Ohne jetzt gleich sagen zu müssen, was die Bundeswehr in Jugoslawien macht, wäre das Gleiche, wie das, was die Wehrmacht in Jugoslawien gemacht hat. Damit würde man letzteres natürlich total verharmlosen. Aber es ist doch so, daß da an eine gewisse politische Kontinuität angeknüpft wird. Diese Kontinuität kann man in erster Linie über einen symbolischen Kampf zumindest noch mit prägen.

Moderation: Ich würde jetzt das Wort an die ReferentInnen, zu den Themen welche Bedeutung haben die Nazis und was ist eigentlich gemeint, wenn wir von Nazis sprechen, zurückgeben.

Martin: Ich möchte erst mal ein Mißverständnis ausräumen. Es ist natürlich nicht so, daß wir ein besonders affirmatives Verhältnis zu Mao haben. Wir wollen weder dem Volke dienen, noch interessieren uns die historischen Probleme von China. Das war nur ein Witz, ein rhetorisches Mittel zur Einleitung des Vortrags. Zum anderen ist es so, Nazis sind natürlich ein Problem, das ist richtig. Aber wir behaupten, sie sind ein sehr kleines Problem. Wenn man die heutige Gesellschaft betrachtet und den Einfluß von diesem Grüppchen, dann ist das durchaus vergleichbar mit dem Einfluß den wir haben. Ich möchte nicht traurig sein, aber der ist nun wirklich sehr gering. Weiter haben Nazis das Problem, daß sie der tatsächlichen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft entgegenstehen. Unsere These ist dabei, daß Nazis mit Globalisierung nur sehr schwer zu vereinbaren sind.

Moderation: Wollt Ihr noch etwas zu der symbolischen Auseinandersetzung sagen und dazu, daß Nazis immer noch für eine Gesellschaftsalternative stehen? Was auch dann ein Problem ist, wenn man sagt, man will erst mal gegen das Bestehende angehen und dann sehen muß, was danach kommt. Da sind die Nazis dann eine konkurrierende Alternative.

Julia: Ich finde es falsch verstanden, was gesagt worden ist. Daß das Problem ist, daß die Nazis immer noch für eine gesellschaftliche Alternative stehen. Das Problem ist - und da würde ich m2 recht geben -, daß alle Diskussionen total entpolitisiert sind, daß es nur noch Diskussionen im Rahmen des Kapitalismus gibt, wie man den verwalten könnte. Dann hat man die Möglichkeit, wenn man einen historischen Bezug zu Faschismus und der nationalsozialistischen Geschichte herstellt, eine Frontenbildung klar deutlich zu machen. Ich dachte auch, daß ich das so gesagt hätte. Damit macht man immer wieder deutlich, daß es eine Gegenüberstellung von Rechts und Links gibt, daß es linke Ideen gibt und rechte und vor allem, daß es eine Möglichkeit gibt, wie man außerhalb von diesem kapitalistischen Rahmen denken kann. Es ist wichtig und notwendig, bei symbolträchtigen Sachen die dafür stehen, wie die Umbesetzung von Daten, auf die Geschichte und die geschichtliche Bedeutung hinzuweisen, wie z.B. am 9. November 1999 mit Bush und Gorbatschow eine Feierlichkeit zur Wiedervereinigung zu machen und ihn damit umzudeuten als Symbol für die Stärke Deutschlands. Für uns hat dies den Vorteil, daß eine solche Diskussion auf der symbolischen Ebene stattfindet. Das ist die Ebene der Ideen, wo wir auch die Möglichkeit haben einzugreifen. Das kann dann über verschiedenste Aktionsformen laufen.
Zur Bedeutung von Nazis wollte ich noch sagen, daß ich es problematisch finde, wenn man alles in eine Reihe stellt. Es sind unterschiedliche Ebenen. Ob man sagt, die Nazis stellen für Linke, für ausländische Menschen oder Dunkelhäutige in bestimmten Regionen eine konkrete Bedrohung auf der Straße dar. Oder ob man daraus ableitet, daß sie deswegen einen ganz bedeutenden gesellschaftlichen Einfluß haben. Gesellschaftlicher Einfluß läuft nicht nur über die Auseinandersetzung auf der Straße, sondern läuft hier ganz zentral auch über die Parlamente und das was den Staat konstituiert, die verschiedensten Institutionen. Da haben die Nazis, also das, was man wirklich unter Nazis versteht, nämlich die den Nationalsozialismus wieder aufbauen wollen, eine ganz geringe Bedeutung. Anders ist es dann mit Rechten, Rechtskonservativen oder Reaktionären, wo ich die ganze Diskussion um Geschichtsrevisionismus mit einordnen würde. Das ist wichtig für eine ideologische Diskussion und eine Vorbereitung von so was wie den Kriegseinsätzen. Aber das sind ganz verschiedene Ebenen und das würde ich dann auch in der Analyse auseinanderhalten.

Beitrag Susanne: Zur parlamentarischen Politik würde ich sagen, es kann keine originär faschistische parlamentarische Politik geben. Weil das, was ich mir unter einer nationalsozialistischen Regierung vorstelle, eine ist, wo das Parlament kaum eine Bedeutung hat. Das Kennzeichen sind dort eher die Gruppenbildungen über völkische Kriterien und eine angebliche Aufhebung von Kapitalismus, indem es zum einen eine Verstaatlichung von Betrieben und Kooperationen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gibt. Das sind für mich Kennzeichen von Nationalsozialismus. Das kann man innerhalb der Demokratie nicht unmittelbar umsetzen. Es kann ein Nazi im Parlament nicht als Nazi auftreten.

Martin: Wir glauben tatsächlich, daß es einen Unterschied gibt zwischen Neonazis und Demokraten. Ein Rassist ist noch kein Widerspruch zu einem Demokraten. Wir glauben auch, daß die demokratischen Verhältnisse den Rassismus stets wiederbeleben, reanimieren und reproduzieren, daß dieses keine Kopfgeburten der Neofaschisten sind. Das Problem liegt ganz klar in der Hand der Demokraten. Auch solange es eine kapitalistische Weltordnung mit In- und Ausländern, Staaten und dererlei gibt, wird das Problem des Rassismus und Nationalismus nicht zu überwinden sein.

Beitrag Falk: Eine Verständnisfrage. Du sprichst hier immer von Demokraten. Meinst Du damit die existierende parlamentarische Demokratie oder jede Form?

Martin: Selbstverständlich meine ich erst mal die Existierende, die Reale. Ich würde aber auch behaupten, daß so etwas, wie gestern in Selbstorganisation - Radikale Demokratie vorgetragen wurde, solche linksliberalen Demokratieansätze, auch nur das andere Kehrblatt der gleichen Medaille sind. Das sind nur Unterschiede zwischen mehr Autorität oder mehr Sozialstaat, aber das grundsätzliche Übel von Staat und Kapitalismus wird bei beiden Varianten nicht angegriffen.

Beitrag Bernd: Ich muß hier noch mal sagen, jede Machtergreifung der Nazis wird sich, egal wo, immer den globalen Marktgesetzen des Kapitalismus unterwerfen müssen. Das ist nicht nur bei den Nazis so, sondern jegliche Partei, die irgendwann im Parlament die Macht ergreift, wird sich diesen Gesetzen unterordnen müssen. Ob das nun die SPD oder die Grünen sind, ist vollkommen egal. Deshalb muß jede Politik, die etwas anderes will, schon an der Grundwurzel ansetzen.

Moderation: Es geht heute darum, klar zu bestimmen, was Strategien und Konzepte für antifaschistisches Handeln sein können. Ich würde deshalb vorschlagen, die Diskussion noch in eine andere Richtung mitzuführen. Ein Ansatzpunkte könnte beispielsweise Eure Einschätzung sein, was man am 1. Mai hätte tun sollen, um dort effektiv gegen gesellschaftliche Zustände vorzugehen.
Die Auseinandersetzung war damals, daß es den Versuch der Nazis gab, einen bundesweiten, großen Aufmarsch in Leipzig zu machen. Es gab dann mehrere Sachen, die gegeneinander standen. Auf der einen Seite das Konzept der revolutionären 1.Mai Demos, wobei man sicher sagen muß, daß Berlin dabei noch eine besondere Rolle hat. Auf der anderen Seite gab es das Konzept, an diesem Tag ganz klar zu den Nazis zu gehen, was, auch innerhalb der Antifaszene, nicht üblich war. Auch dort ging es darum auf einer symbolischen Ebene zu sagen, es gibt Grenzen. Es gibt gesellschaftliche Entwicklungen, wo wir eine fundamentale Opposition dazu darstellen und das an so einem Tag auch vermitteln. An einem Tag, an dem Gewerkschaften irgendwo fernab ihren 1. Mai zelebriert hätten und das Problem Nazis und die gesellschaftliche Entwicklung für die sie stehen, einfach ignoriert hätten.

Julia: Es ist eigentlich relativ einfach darauf zu antworten, weil wir ohnehin fanden, daß es richtig gelaufen ist. Es ist natürlich klar, daß es darauf ankommt, wo du dich befindest. Wenn also in Leipzig eine große Nazidemo stattfindet und dort die Möglichkeit besteht, zu einer Antifademo zu mobilisieren, die auch öffentlich wahrgenommen wird, wenn es innerhalb der Antifabewegung als Problem gesehen wird, daß die Nazis an dem gleichen Tag marschieren, was so auch ist, dann finden wir, daß man eine Anti-Nazi-Demo an so einem Tag machen kann. Das Problem, auf das ich hinweisen wollte, war nur eine Tendenz, die sich daran fest machen läßt, daß man sagt: Eine Demo in Berlin muß man ausfallen lassen und man muß nach Leipzig oder nach Bremen gehen, wo die Nazis sind. Von der Tendenz her finden wir es eine falsche Entscheidung zu sagen, da wo es die Möglichkeit gibt linke Akzente zu setzen, geben wir das auf - für die Nazis. Es kann auf Dauer keine Perspektive sein, nur den Nazis hinterher zu rennen und sein Engagement nur daran zu binden. Das war die Tendenzaussage. Was wir in dem Fall günstig fanden, war die Möglichkeit einer organisierten Struktur zu haben, die an verschiedenen Punkten eingreifen kann. Dann kann man natürlich die Situation strategisch so bestimmen, daß man sagt, man findet beides notwendig und sich die Arbeit aufzuteilen. Aber da ging es auch speziell um uns in Berlin.

Martin: Grundsätzlich gilt für uns, daß es kaum notwendige Zwänge gibt, bei denen wir a) in der Lage sind etwas zu verändern und b) darauf reagieren müssen, sondern daß wir uns immer am Kriterium des Erfolgs orientieren. Das Erreichen und Prägen von Leuten mit linken Inhalten, das ist unser Erfolg. Es besteht dann auch kein Widerspruch, wenn wir in Berlin eine 1. Mai Demo machen und andererseits hier in Leipzig das geeignete Mittel, um Leute zu erreichen und zu prägen, ist, eine antifaschistische Demonstration zu organisieren.

Beitrag Miriam: Ich finde auch, daß das die Suche nach neuen Leuten oder die Frage, wo kann man erfolgreich Politik machen, ganz zentrale Punkte sind. Aber man darf auch nicht vergessen, daß man darüber hinaus denken muß. Also auf lange Sicht: nicht nur, wo kann ich mir heute Erfolge organisieren. Wenn ich in einer Stadt lebe und arbeite, wo die Nazis kaum auf der Straße sind, muß ich heute schon daran denken und immer etwas dafür tun, daß sie gar nicht erst groß werden, damit ich nicht in fünf Jahren das Problem in der Stadt habe und dann auch noch erfolgreich Politik machen muß. Das heißt nicht, daß ich mich nur um sie kümmere, sondern, daß ich sie nicht aus den Augen verliere und darauf achte, daß sie nicht groß werden. Anstatt nur daran zu denken, was kann ich heute am sinnvollsten machen, wo kann ich heute die Aktion machen, die am erfolgreichsten ist.

Martin: Das ist natürlich richtig. Wir stehen dazu in überhaupt keinem Widerspruch. Allerdings würden wir behaupten, das Beste, was man gegen Nazis stets machen kann, ist die Linke zu stärken, um selbst eine Kraft zu haben, mit der man im Zweifelsfall dann auch reagiert. Deswegen ist da überhaupt kein Widerspruch zu erkennen.

Moderation: Gibt es keinen Diskussionsbedarf mehr?
Dann hätte ich trotz meiner Rolle als Moderation schon noch ein paar Fragen an den Vortrag. Was ich eine Frage finde, die sich teilweise in Eurem Vortrag wieder entschärft hat, die teilweise aber von der Tendenz auch bestärkt wurde, ist der Eindruck, daß Ihr ein sehr instrumentelles Verhältnis zu Antifapolitik habt. Daß ihr nicht, wie vorhin gesagt wurde, seht, daß das ein zentrales Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzung ist, sondern einfach sagt, das ist etwas, was Leute erst einmal unmittelbar betrifft und bewegt. Dort fangen wir sie ein und politisieren sie, wenn wir sie einmal erreicht haben. Damit scheint letztlich eine Instrumentalisierung dessen, weswegen die Leute kommen und an einer solchen Politik teilnehmen, stattzufinden. Auf der anderen Seite habt Ihr wiederum gesagt, es geht darum, die Leute als handelndes Subjekt entstehen zu lassen, daß sie sich selbst als handelndes Subjekt begreifen. Das würde ich gar nicht als Instrumentalisierung von Antifapolitik verstehen, sondern als ein zentrales Element von ihr.

Julia: Ich finde auch das es ein Fehler ist, zu sagen das ist nur ein Ansatzpunkt, die Leute zu mobilisieren und dann bindet man sie in die wirkliche kommunistische Organisation ein. Das ist ja auch in vielen Fällen schon fehlgeschlagen. Die Leute, die dann tatsächlich was gegen Nazis machen wollten, kommen sich irgendwann verarscht vor, wenn es klar ist, daß das so ein instrumentelles Verhältnis ist. Natürlich müssen wir immer darauf achten, daß das, was wir als Basisarbeit verstehen, glaubwürdig betrieben wird. Aber wenn du versuchen willst, die Leute gegen rechtes Denken immun zu machen, was nicht erst bei den Nazis anfängt, sondern auch Nationalismus und Rassismus ist, mußt du dagegen natürlich linke Agitation stzen und die Leute zu Linken machen. Nur das verhindert auf Dauer, daß die Leute zu Nazis werden. Ich finde deshalb, daß das überhaupt nicht im Widerspruch steht. Wenn wir denken würden, Nazis sind total scheißegal oder das ist keine relevante Auseinandersetzung, nicht nur was die Nazis betrifft sondern auch Antifaschismus innerhalb der BRD-Gesellschaft, dann müßte man sich auch ein anderes Betätigungsfeld suchen oder gleich linke Politik machen, die sich auch so nennt.

Moderation: Diese Frage hat jetzt auch noch keine Diskussion ausgelöst. Dann probiere ich es noch ein letztes Mal: Ich fand, daß in Euren Ausführungen viel zu kurz kam, wie reagieren wir auf Naziaufmärsche, wie relevant solche Diskurse sind und wie sie in der Öffentlichkeit platziert und wahrgenommen werden. Das muß eigentlich immer mit beachtet werden. Das heißt, es ist ein Unterschied, ob ich den zehnten Aufmarsch zur Wehrmachtsausstellung habe oder ob ich ganz zentral das erste Mal in München sehe, dort demonstriert die ganze Neonaziszene, die es in der Bundesrepublik gibt, zusammen mit der CSU und rechtskonservativen Kreisen. Dort ist plötzlich eine gesellschaftliche Macht wirklich auf der Straße, auf die eigentlich hätte reagiert werden müssen und der größte Teil der Antifaszene hat es einfach verschlafen und erst danach mitgekriegt, daß es eine Auseinandersetzung um die Wehrmachtsausstellung überhaupt gab. Ich fand, daß in Eurem Vortrag die jeweilige konkrete Bestimmung der Auseinandersetzung und ob sie gerade relevant ist oder nicht, viel zu kurz kam. Ich finde, es ist verkürzt zu sagen, die Nazis selbst sind nicht relevant, sondern an manchen Punkten finden sie Anschluß an gesellschaftliche Diskurse, wo sie durchaus relevant werden und wo ein Widerstand gegen sie dadurch auch an Relevanz gewinnt.

Martin: Ich würde Dir widersprechen. Ich gebe Dir natürlich recht, daß Nazis auch im Diskurs mal an Relevanz gewinnen, aber auch 5.000 Neonazis in München vor der Wehrmachtsausstellung sind nicht die Gesellschaft, bestimmen auch nicht die Gesellschaft und bestimmen auch nicht das Denken der Gesellschaft. Um das auch noch mal ganz klar festzuhalten, wir als AAB glauben nicht, daß die Welt aus Wille und Design besteht, sondern wir glauben tatsächlich, daß es Gesetzmäßigkeiten gibt, nach denen die Gesellschaft funktioniert. So, daß nicht jeder Diskurs die Gesellschaft verändert und nicht jedes umgedeutete Symbol plötzlich eine ganz andere Gesellschaft bedeutet. So gilt es grundsätzlich, daß auch in diesem Fall, wo es Nazis geschafft haben, daß sie wahrgenommen werden (in der Zeitung wurde über sie berichtet), sie nicht die gesellschaftliche Bedrohung waren und auch in der Zukunft nicht sein werden, nachdem was sich bis jetzt abzeichnet.

Julia: Wofür wir plädieren wollten, bezieht sich auf eine bestimmte Situation, die es in der Antifa gibt oder gab, daß die Mobilisierung gegen Naziaufmärsche eine ganz zentrale Aktionsform war. Dann kam die Situation, daß jede Woche, jedes Wochenende ein Naziaufmarsch stattfand. Dann hat sich herausgestellt, nicht aus der Bestimmung der Bedeutung, die diese Naziaufmärsche hatten, sondern einfach, weil die Leute es nicht mehr geschafft haben, daß es einfach keine Aktionen mehr dagegen gab. Dem wollten wir entgegenstellen, daß 100 marschierende Nazis, selbst wenn man sich vor fünf Jahren eine solche Situation nicht hätte vorstellen können, nur eine Bedeutung haben, wenn das Ganze eine öffentliche Gewichtung erhält. Genau dann gäbe es auch das Kriterium, das Du am Beispiel München genannt hast, wo man als Linke die Möglichkeit hätte, einzugreifen und dann in der Diskussion eine bestimmte Rolle zu spielen. Dort wäre das auch eine gute Aktion gewesen. Aber ich finde nicht, daß man eine Ansatzmöglichkeit, bei der man als Linke eine Möglichkeit hat, innerhalb einer gesellschaftlichen Diskussion zu polarisieren oder mit einer Gegenposition wahrgenommen zu werden, verwechseln darf mit der tatsächlichen gesellschaftlichen Bedeutung, die so eine Diskussion hat.

Beitrag Erik: Ich wollte auf das Beispiel Naziaufmärsche zurückkommen, weil da vorhin Kriterien genannt wurden, wann eine Intervention erfolgen sollte. Als wenn ein positiver Nachgeschmack bei den Leuten übrig bleibt. Mir würde jetzt gar nicht einfallen, wo das in letzter Zeit gewesen sein oder wie das in Zukunft aussehen sollte. Es bleibt aber weiterhin, dagegen zu mobilisieren und das Gleiche zu machen wie bisher. Der andere Punkt, einen gesellschaftliche Antagonismus herzustellen, halte ich in Bezug auf Antifa für sehr schwierig. Eigentlich bleibt einem da nur, bei den stattfindenden Naziaufmärschen darauf hinzuweisen, daß die innerhalb einer Demokratie stattfinden dürfen und nicht mehr verboten werden. Es bleibt nur übrig auf diesen Staat zu schimpfen, der auch in einer faschistischen Kontinuität steht, wo so was immer noch erlaubt ist, aber das ist letztlich keine radikale Kritik, die ihr eigentlich formulieren wolltet. Deshalb halte ich den Antifaansatz für ein bißchen beliebig.
Der zweite Komplex, was Ihr auch immer propagiert, ist eine militante Auseinandersetzung, die auch stattfinden muß, um eine polarisierende Konfrontation stattfinden zu lassen. Nach dieser Beliebigkeit würde mir dann einfallen, eher den Anti-Castor-Kampf zu unterstützen. Das finde ich, sind nach Eurer Logik die heftigsten militanten Kämpfe, die gerade in Intervallen von ca. einem Jahr ausgefochten werden.

Martin: Es ist nicht so, daß wir kucken, wo knallts, da fahren wir hin, das finden wir gut. Das ist nicht unser zentrales Kriterium. Und es ist auch nicht so, daß wir sagen, da blutet ein Neonazi, dann ist das Ganze gut gelaufen. Wenn wir Antifaschismus als Punkt wählen, dann geht es uns nicht darum zu sagen, hier kuckt mal da: Der Bulle steht vor dem Neonazi, das macht die faschistische Kontinuität deutlich. Solche Plattheiten sind natürlich nicht dazu in der Lage, Bewußtsein zu verankern. Es ist so, daß wir Nazis an und für sich als Problem begreifen. Auch wenn sie nicht mit dem Staat Hand in Hand gehen und es keine Verschwörung gibt, die den kleinen Mann unterjocht, glauben wir, daß es für sich selbst ein berechtigtes Interesse ist, aus einer humanistischen Überzeugung gegen Nazis vorzugehen.
Das andere ist, daß wir dieses als Ausgangspunkt nehmen, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen, um überhaupt linke Agitation betreiben zu können. Außerdem denken wir, daß gerade Antifaschismus infolge seiner historischen Bedeutung, infolge der klaren Konfrontationsstellung zwischen Links und Rechts und infolge des grundsätzlich antiautoritären Elements, welches im Antifaschismus begründet liegt, genau richtig ist, um damit linke, fortschrittliche Politik zu machen.

Julia: Ich wollte das bekräftigen, weil es ein Mißverständnis ist, das oft auftaucht. Es heißt, wenn man sagt, man ist Antifa, dann kann man nur gegen den Staat sein, wenn man irgendwelche personellen Kontinuitäten herstellt. Momentan würde das ein Problem sein, weil die personellen Kontinuitäten sich biologisch erledigt haben. Es geht darum, daß man einen Ansatzpunkt hat, um mit den Leuten die jeweiligen gesellschaftlichen Hintergründe zu klären, darüber ins Gespräch zu kommen, die Frage zu forcieren, woher kommen denn die Nazis überhaupt, welche gesellschaftliche Bedeutung haben die, bzw. was ist das eigentliche Problem innerhalb unserer Gesellschaft und was will man anders haben.

Beitrag Susanne: Ich wollte mich darüber beschweren, wie hier von unseren zukünftigen Partnern oder Mitarbeitern oder unserem Nachwuchs geredet wird: Leute zu Linken machen oder die Idee, daß wir einfach attraktiv sein und Amüsement bieten müssen, damit jemand kommt und den dann durchs Hintertürchen irgendwo reinzubringen. Ich denke, daß das kaum geht und wenn es geht, dann ist es ziemlich schräg. Ich weiß nicht, wie man das machen will. Und zweitens halte ich es nicht für erstrebenswert. Eigentlich widerspricht es dem, was vorhin schon angedeutet wurde, daß man Leute als handelnde Subjekte begreifen soll. Ich finde es schwierig, jemanden zu dem Bewußtsein zu bringen, ein handelndes Subjekt zu sein, gerade weil man als Einzelner ziemlich machtlos ist.
Aber ich würde, wenn ich überlege, daß wir wenige sind und mehr werden müssen, einerseits ganz andere Begriffe verwenden und auch ganz andere Vorgänge im Auge haben. Ich denke, daß man, wenn man Antifapolitik macht, mit einer Menge Leute, die weiter kein Interesse haben, als daß die Nazis weniger werden, strategisch zusammenarbeitet. Die als Nachwuchs, den man zu Linken macht, im Auge zu haben, ist - glaube ich - Quatsch. Die andere Möglichkeit ist, daß es Leute betrifft, die aufgrund ihrer sozialen Position, vielleicht für linke Ideen aufgeschlossen sind. Mit denen kann man in Diskussionen versuchen, gemeinsam herauszufinden, was man für die Ursachen von Faschismus hält. Aber die Formulierung: "Leute zu Linken machen", würde ich völlig ablehnen. Und so läuft es auch nicht.

Beitrag Marius: Inwiefern findet Ihr den Ansatz, über die Antifa Leute zu politisieren, denn geeignet? Die Antifa arbeitet eigentlich mit dem Dualismus gut/böse und dem sich außerhalb von bestimmten Strukturen stellen. Es ist gerade bei Geschlechterverhältnissen/ Sexismus, Rassismus und Nationalismus schwierig, daß dann wieder weg zu bekommen, dieses sich außerhalb dieser zu sehen.

Martin: Wenn wir glauben, daß es auch bei Nationalismus, Rassismus und Sexismus sich so verhält, daß es sich um gesellschaftliche Machtverhältnisse handelt und es nicht so ist, daß man das einzelne Subjekt in Opfer und Täter unterteilt, dann verhält es sich dort wie bei anderen linken Sachen auch. Es geht da um Bewußtsein und natürlich auch um internalisiertes sexistisches Bewußtsein.
Zu dem vorhergehenden Diskussionsbeitrag möchte ich sagen, daß ich nicht glaube, daß man marodierenden Jugendlichen etwas entgegensetzt, wenn man mit anderen über Faschismus redet. Wir locken nicht mit den bösen Nazis die Jugendlichen zu uns heran und spritzen dann denen von hinten den Kommunismus ins Blut. Sondern: Es geht uns natürlich darum, die ernst zu nehmen, sie auch mit ihrem Bewußtsein zu kritisieren. Es geht uns auch darum, daß wenn wir glauben, daß wir Politik machen und richtige Sachen herausgefunden haben, den Leuten die Kritik am Staat und am Kapitalismus mitzuteilen. Das wir sie in diesem Sinn ernst nehmen und mit ihnen darüber diskutieren heißt nicht, daß wir sie in irgendeiner Form funktionalisieren, sondern wir führen mit ihnen eine Auseinandersetzung und glauben, daß wir gewisse Punkte erkannt haben. Wir versuchen dann sie zu überzeugen, daß das richtige Einschätzung der bestehenden Verhältnisse ist.

Julia: Ich wollte was dazu sagen, wo hier die Ursachen der Problematiken liegen. Ohne etwas zu erzählen oder zu vermitteln zu haben, brauche ich auch keine Demo zu machen. Ich finde es eher einen Schaden, daß das, was bewußte Jugendarbeit betrifft, in der Linken aufgegeben worden ist. Es wird sich viel zu wenig darum gekümmert, daß Leute dazukommen, ihnen die Möglichkeit gegeben wird, sich politisch zu engagieren. Das hat immer auch etwas mit einem Erziehungsanspruch zu tun.

Beitrag Marius: Jetzt wurde gerade von Staat und Kapitalismus gesprochen. Ein Punkt, den ich bei Euch festgestellt habe, ist, daß Ihr eine relativ ökonomistische Analyse habt und Widersprüche aus dem Kapitalismus ableitet. Ich finde, Euer Konzept ist immer, die Leute auf die Seite der Guten ziehen. Gerade wenn man bei Rassismus und Geschlechterverhältnissen diesen Ansatz forciert, ich bin nicht rassistisch, ich bin nicht sexistisch, führt das zu einer Ausgangslage, mit der man nicht weiterarbeiten kann. Deshalb würde ich gern etwas zu Eurer Analyse hören, inwiefern das verschiedene Widersprüchlichkeiten sind oder ihr ein Hauptwiderspruchsdenken habt, sowie in Bezug auf strukturelle Verhältnisse und den Dualismus gut/böse.

Martin: Zunächst erst mal eine Klarstellung: Es ist nicht so, daß wir glauben, weil irgend jemand arbeiten muß, ist er auch Rassist oder Sexist oder weil allgemein die kapitalistischen Verhältnisse unmenschlich sind, muß man auf dumme Gedanken und zu solchen Schlüssen kommen. Aber wir möchten tatsächlich behaupten, daß wenn man Gesellschaftsanalyse betreibt, also Abstraktheit groß schreibt und von den einzelnen Handelnden weggeht, es darum geht, herauszufinden welches die zentralen Sachen sind. Ich meine, daß der einzige notwendige Bezug der verschiedenen Subjekte in der Gesellschaft aufeinander ist, daß sie sich ökonomisch organisieren müssen, damit sie ihre Reproduktion gewährleisten können. Patriarchale Strukturen oder auch der klassische Rassismus, wo Farbigen negative Eigenschaften angedichtet werden, sind primäre Elemente des gesellschaftlichen Diskurses, die keine materielle Basis haben. Dagegen glaube ich aber, daß solche Sachen, wie die gesellschaftliche Ökonomie durchaus größeren Bestand hat.

Julia: Ich möchte auch fragen, was Du dem entgegen zu setzen hast. Entweder habe ich es nicht verstanden oder es war von Dir undeutlich ausgedrückt. Es ist ein allgemein üblicher Vorwurf an uns, daß wir eine ökonomistische Erklärung haben. Ich finde es richtig zu sagen, Ökonomie ist das Zentrale, wobei Ökonomie aber nicht die Wirtschaft ist oder ein wirtschaftliches Interesse, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, das der zentrale Punkt der gesellschaftlichen Organisation hier ist. Dann gibt es natürlich bestimmte Ideologien und Überlegenheitsideologien, die eine Eigendynamik haben und nicht unmittelbar ökonomisch abzuleiten ist. Die Entwicklungen, beispielsweise im Sexismus, oder - das wichtige Beispiel in der Antifa - die Judenvernichtung im "Dritten Reich" kann man nicht rein ökonomisch erklären. Aber ich finde, das alleine beweist noch überhaupt nichts, weil man trotzdem eine Gewichtung vornehmen und feststellen muß, was das zentrale gesellschaftliche Verhältnis ausmacht.

Beitrag Marius: Aber ihr habt doch gerade den Ansatz, den Leuten etwas bieten zu wollen, daß sie sich über Pop-Events selber auch als die Linken und Guten abfeiern können. Wie wollt Ihr dann von diesem Dualismus von Gut und Böse wieder wegkommen?

Jule: Ich verstehe nicht, was Du mit "sich als die Guten abfeiern" meinst. Die "Guten" im Kapitalismus, das gibt es gar nicht so richtig. Du bist natürlich genauso geprägt von den gesellschaftlichen Verhältnissen wie andere Leute auch. Wie es so schön heißt, daß es nichts Wahres im Falschen gibt, ist das Bewußtsein von Linken auch von den gesellschaftlichen Normierungen, die es gibt, geprägt. Das heißt, du kannst dich nicht auf die Seite des Richtigen oder Guten stellen. Das geht gar nicht. Das würden wir auch nie sagen. Es ist ein Ansatzpunkt, daß Leute sagen, mir paßt es hier in der Gesellschaft nicht. Das ist erst mal nur eine grobe Orientierung: Ich sehe, in der Schule werde ich genötigt irgendwas zu machen, was ich nicht will, von meinen Eltern werde ich genötigt etwas zu machen, was ich nicht will. Dann gibt es Leute in der Dritten Welt, die verhungern und wir sitzen hier auf unserem fetten Arsch. Das ist ein gewisses Ungerechtigkeitsverständnis. Da sagen wir nur, daß man solchen Leuten genau auf der Ebene des Bewußtseins, das es gerade bei ihnen gibt, etwas anbieten muß. Dann muß man versuchen, weitergehend ein linkes Bewußtsein zu vermitteln. Das hat aber nichts mit gut oder schlecht oder Dualismus zu tun. Und natürlich ist es immer so, wenn du dich politisch engagierst oder positionierst, daß du immer eine gewisse Front aufmachen mußt. Es gibt immer eine Frontstellung, wo ich sage, das finde ich schlecht. Ich weiß nicht, ob Du das dann Dualismus nennst?

Beitrag Uwe: Ich denke in der Debatte um die Analyse kommen wir gar nicht viel weiter. Ich finde auch, daß das zu ökonomistisch ist, worauf ich aber zurückkommen will, ist der Punkt der tatsächlichen Intervention. Ich denke, ein Mangel in der Diskussion war, daß sie sich darauf bezog, entweder eigene Akzente setzen zu können, wie am 1. Mai in Berlin oder auf der anderen Seite, die ganzen Naziaufmärsche zu verhindern. Damit wird nicht deutlich, welche Bedeutung die Nazis in den letzten Jahren hatten. Ich glaube, der Einfluß eines Naziaufmarschs in Neustrelitz ist tatsächlich geringer, als der von den Anschlägen, die diese Klientel verübt, weil gerade die Pogrome 1993 über die Anschläge in Mölln, Solingen bis hin zu Lübeck und wie die Gesellschaft darauf reagiert hat, letztendlich den rassistischen Diskurs geprägt haben. Die Verfestigung von Rassismus in die Mitte der Gesellschaft hinein und von der Gesellschaft, aus dieser Mitte selber, ist nicht damit zu knacken, daß man eventuell einen Naziaufmarsch verhindert. Da müßten andere Überlegungen angestellt werden.
Was will man tun, damit z.B. Anschläge nicht stattfinden? Wobei ich konstatieren kann, daß gerade sie in letzter Zeit wieder stärker zugenommen haben oder überhaupt erst mal wieder bekannt geworden sind. Das ist doch ein verdrängtes Problem. Diesen Naziaufmärschen kann man, glaube ich, tatsächlich nicht mehr unbedingt hinterherrennen. Die prägen tatsächlich nicht den gesellschaftlichen Diskurs, auch wenn das, was hier zu München gesagt wurde, meiner Ansicht nach falsch war. Das war einer der Aufmärsche, wo sie es geschafft haben, in das rechtskonservative Lager hineinzuwirken, mit ihm zu wirken und auch den Diskurs zu bestimmen, der dann auf der anderen Seite durch die sozialdemokratischen Kräfte (Rot-Grün) aufgenommen wurde und auch vom Hamburger Institut für Sozialforschung, von dem die Ausstellung ja auch kommt, umgemünzt wurde zu dem, was heute der Diskurs der Generationen ist. Da habt Ihr falsch gelegen, was die Bedeutung von diesem Ereignis angeht. Auf der anderen Seite geht es aber um Aufmärsche, die tatsächlich nicht soviel in die Gesellschaft hinein wirken.

Beitrag Franziska: Meine Frage geht vielleicht mehr an die Leute, die hier zuhören. Ich verstehe den Vorwurf "zu ökonomistisch" nicht ganz. Dieser Staat mordet und plündert überall mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Hier in diesem Land gibt es als einzige überragende, greifbare linke Teilbereichsbewegung nun mal nur die Antifa. Wenn innerhalb dieser Teilbereichsbewegung Menschen versuchen, das mit einem gesamten linksradikalen Ansatz zu verknüpfen, und dabei womöglich noch das Wort revolutionär oder antikapitalistisch oder kommunistisch oder was es in der Richtung alles an Vorstellungen gibt, in den Mund nehmen, habe ich den Eindruck, daß bereitet manchen Probleme. Ich verstehe wirklich nicht ganz, wieso das zu ökonomistisch ist. Ich finde, das ist eine wichtige Diskussion im linksradikalen Widerstand.

Julia: Ich möchte erst was zum vorhergehenden Beitrag sagen, weil das noch einmal eine andere Diskussion ist. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es genau verstanden habe, was Du meintest. Erstens finde ich es falsch zu sagen, aha - die Naziaufmärsche können es nicht mehr sein, es hat sich herausgestellt, die haben gar nicht so die gesellschaftliche Bedeutung, sondern es sind jetzt die rassistischen Übergriffe. Ich weiß nicht, ob Du das gemeint hast, aber das würde ich auf jeden Fall falsch finden. Natürlich hatten rassistische Übergriffe 1992 eine bestimmte gesellschaftliche Bedeutung, nämlich, daß das, was an Veränderung der Asylgesetzgebung vorgesehen war, durch "die Straße" oder durch "die Bevölkerung" legitimiert wird. Und danach muß man es jeweils bestimmen, egal welche Aktionsform die Nazis gerade wählen, ob es Übergriffe sind oder Aufmärsche. So eine Schrittmacherfunktion, wie sie sie vielleicht einmal hatten, haben sie momentan nicht. Auch nicht durch Anschläge.

Martin: Ich möchte dazu eine Gegenthese aufstellen: Der völkische Nationalismus u.ä. wird nicht erst von Nazis in die Diskussion gebracht. Erinnert sei hier noch mal an die Unterschriftenkampagne der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Das sind Positionen, die bei den Demokraten von je her vorgeherrscht haben. Wir würden behaupten, daß in der parlamentarischen Demokratie, im Kapitalismus wie wir ihn jetzt haben, nicht die Auflösung liegen kann, daß hier Nationalismus und Rassismus tatsächlich begegnet und sie ausgeknockt werden könnten.

Beitrag Uwe: Vielleicht reden wir aneinander vorbei. Ich würde gar nicht dagegen sprechen, daß die Konstitution der Gesellschaft vor allem aus der Mitte heraus passiert. Mir geht es darum: Welche Bedeutung hat das Vorgehen von militanten Faschisten? Entsteht die, wenn die sich irgendwo treffen und da ein paar Transparente hochhalten oder geht ihre Wirkung in die Gesellschaft davon aus, daß sie irgendwo einen Anschlag verüben. Und was habe ich in beiden Fällen dagegen zu tun oder zu versuchen zu tun? Insofern liegen wir da wahrscheinlich gar nicht so weit auseinander. Ich fand es nur komisch, daß vor allem über diese Aufmärsche gesprochen wurde, was wir da tun und auf der anderen Seite, wie wir den 1. Mai gestalten. Da gibt es einen Widerspruch zu dem, was ich sehe, das passiert, und dem, wie ich versuche, einzugreifen. Bei der Besetzung des 1. Mai's zum Beispiel, geht es auch nicht darum, mit wem ich versuche, diesen Tag zu besetzen. Das ist eine Diskussion, die auch fehlt. Es sollen immer irgendwelche Leute erreicht werden, die sind aber gar nicht genau beschrieben.
Ich glaube schon, daß der Anriß, die Leute von der Anti-Castor-Bewegung zu mobilisieren oder für Ideen zu gewinnen, im Kern einen richtigen Ansatz enthält, weil es darum gehen muß, was aus anderen Bewegungen übrig geblieben ist - auch wenn Antifa ein ganz wesentlicher Teil davon ist - und ob es da nicht Verknüpfungen gibt, die wieder etwas zusammenbringen. Die Erfahrung in den verschiedenen Städten dürfte doch sein, daß es Antifastrukturen gibt, die sich auch sozial an bestimmte Räume binden und daß es so etwas wie Antirastrukturen gibt, die sich auch binden, aber manchmal an andere Räume und daß die Überschneidung zwischen diesen relativ gering ist. Da wäre es zum Beispiel eine Notwendigkeit wieder Verknüpfungen und Diskussionen zu schaffen, auch gemeinsame Aktionen und so etwas wieder zusammenzubringen. Ich denke, daß die Antifa aufgrund dessen, daß sie noch eine gewisse Struktur hat, da in einer bestimmten Verantwortung steht.
Zu dem anderen "ökonomistischen": Es handelt sich meiner Ansicht nach immer noch um eine politische Ökonomie. Deswegen ist es so, daß darin eine bestimmte Reproduktionssphäre eine Rolle spielt. Das vermisse ich. Es geht mir nicht darum, nicht das Wort Kommunismus in den Mund zu nehmen oder irgend etwas anderes. Aber es war auch gestern so, als es um die Übernahme von NS-Ideologien in die heutige Gesellschaft ging, wurde gefragt, wie ist der Begriff "Arbeit" geprägt. Es ist aber genauso entscheidend, wie sind Begriffe, wie "Familie" geprägt und wie werden die übernommen. Die gehören natürlich auch zu der gesamten ökonomischen Frage dazu und ich würde sie gar nicht unbedingt davon abtrennen wollen - ich denke, daß du das auch nicht kannst. Aber es geht immer nur um den Begriff der "Arbeit" und dann wird erzählt, welche Bücher man dazu gelesen hat. Es gibt also schon die Tendenz nur einen Aspekt zu beleuchten.

Moderation: Könntet Ihr jetzt vielleicht erst mal was zum Ökonomismus sagen, damit diese Diskussion ein bißchen zusammen bleibt und dann auf das andere zurückkommen?

Julia: Eigentlich ist da das wesentliche schon gesagt. Natürlich will ich diese Diskussion nicht von der um Familie und welche Bedeutung sie hat, abtrennen. Das hat aber nichts damit zu tun, daß wir finden, daß sich Gesellschaft über die Notwendigkeiten einer Ökonomie konstituiert und daß das ein gesellschaftliches Verhältnis ist.
Was Du meintest im Zusammenhang mit politischer Ökonomie, daß es gewisse Entwicklungen in der Begrifflichkeit gibt und das irgendwann festgestellt wurde, die Reproduktion der Arbeitskraft spielt eine bestimmte Rolle und muß auch mit einbezogen werden, das sind alles wichtige Diskussionen. Aber das hat nichts mit der Zentralität von dem gesellschaftlichen Verhältnis zu tun, die es nach wie vor gibt. Das heißt überhaupt nicht, daß man nur einen gesellschaftlichen Widerspruch sieht, weil man dann wieder sagen würde, es geht nur um die Wirtschaft oder nur um den unmittelbaren ökonomischen Nutzen. Darum geht es natürlich nicht.

Moderation: Könntet Ihr jetzt noch kurz auf die Frage eingehen, welche Leute wollen wir erreichen und auf das Verhältnis von Antirassismus und Antifaschismus?

Martin: Für uns ist es so, daß wir mit allen Leuten reden wollen, die zum Gespräch mit uns bereit sind. Es sind natürlich nur sehr wenige in dieser Gesellschaft, die für linksradikale Kritik offen sind, aber das ist erst mal die Zielgruppe. Das wir die ansprechen wollen, wird besonders am 1. Mai bei der subkulturellen Demonstration deutlich. Sämtliche linksradikalen Teile beteiligen sich daran oder beteiligen sich bewußt nicht. Es ist nicht so, daß irgendwer nicht davor angesprochen würde oder es eine Antifademonstration wäre. Wir können also probieren, linke Ideen in der Gesellschaft zu verbreiten. Was wir nicht gewährleisten können, ist, daß wir als Antifa die schlagkräftige Polizeitruppe stellen, die hier das Leben von MigrantInnen schützt. Dazu sind wir nicht in der Lage und wir haben einfach nicht die Machtmittel, um solche Sachen zu gewährleisten.

Julia: Ich wollte genauer etwas dazu sagen, welche Leute wir erreichen können. Das Problem ist, daß die Linke innerhalb der gesellschaftlichen Diskussionen eine sehr geringe Rolle spielt. Das heißt, das es in keinem Bereich mehr die Notwendigkeit gibt, sich mit linken Ideen zu konfrontieren. Daraus ergibt sich für uns das Problem, daß wir darauf angewiesen sind, daß sich Leute praktisch absichtlich in Konfrontation begeben. Das heißt, sich absichtlich einer politischen Institution oder Gruppe zuordnen. Das schränkt natürlich die Anzahl von den Leuten, die man tatsächlich politisieren kann - es ist noch mal was anderes, welche kann man auf einer Demonstration erreichen - sehr sehr ein. Das sind dann nämlich Leute, die innerhalb ihres Lebens noch eine gewisse Offenheit haben, ökonomisch noch nicht so festgelegt sind und das sind meistens Leute im Alter zwischen 16 und 28 Jahren. Genau deshalb ist ja das Alter von 28 Jahren das traditionelle autonome Ausstiegsalter. Es können auch Funktionäre aus verschiedensten Organisationen sein, die sagen, sie ordnen sich wegen der guten Argumente irgendwelchen linksradikalen Gruppen zu. Aber meistens ist es so, daß es jüngere Leute sind, die sich in Umorientierungsphasen befinden und deswegen offen sind für neue Ideen und neue Lebensgestaltungsmöglichkeiten.
Zur Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen: Wenn man linksradikale Politik machen will, spielt es eine große Rolle, daß man nicht nur auf einen Teilbereich kuckt, sondern, daß man sagt, was eigentlich getan werden muß, ist linksradikale Politik zu vermitteln. Aus welchen Ansatzpunkten auch immer. Natürlich ist angestrebt die Zusammenarbeit zwischen antirassistischen und antifaschistischen Gruppen an bestimmten Initiativen zu fördern, aber vielmehr, als das an verschiedensten Aktionen mal auszuprobieren, wird momentan auch nicht möglich sein.

Moderation: In Anbetracht der Zeit würde ich sagen, wir machen jetzt noch mal eine letzte Runde von Bemerkungen, Fragen usw. ...

Beitrag Bernd: Ich würde etwas zu M6 seiner Meinung zum Vortrag Nationalsozialismus - Die Transformation von NS-Positionen in die heutige Gesellschaft sagen. Wenn ich mir eine dieser NS-Positionen herausgreife, nämlich den zentralen Begriff der Arbeit, kann ich doch an diesem zentralen Begriff exemplarisch ohne das Thema zu verfehlen, an der Sache selbst dran bleiben.
Zum Podium will ich noch sagen: Ich will mich nicht nach den Nazis richten, die haben sich nach uns zu richten. Die Idee die Berliner 1. Mai Demo zu einem europäischen Großereignis auszubauen, ist doch eine ganz feine Geschichte. Wenn wir uns auf ein großes Ereignis konzentrieren oder auf einen großen Erfolg, dann entscheiden wir die Nebenschauplätze auch für uns.

Julia: Solche Großereignisse, wie der 1. Mai, spielen deshalb eine relativ große Rolle, weil sie für die Linke in der ganzen BRD ein Gradmesser sind, wie viele man mit so einer Aktion noch mobilisieren könnte. Aber natürlich reicht es nicht solche Großaktionen zu machen, weil die Bedingungen vor Ort, von den Leuten in den unterschiedlichen Städten total verschieden sind, weil es in Kleinstädten anders ist als in Berlin, weil die Auseinandersetzungen, die da stattfinden, anders sind. Und ich finde auch, daß man nicht den Leuten sagen kann, wenn ihr nicht in der Metropole wohnt, könnt ihr nicht linksradikal oder politisch bleiben oder Aktionsfelder finden. Das fände ich falsch.

Beitrag Uwe: Es ging mir nicht darum zu sagen, die Diskussion gestern war schlecht. Es geht mir darum, über was diskutiert und was nicht thematisiert wird. Ich fand die Diskussion völlig in Ordnung, bloß es fehlte was. Und das was fehlte, kann ich doch durchaus mal feststellen.
Zu dem anderen: Wenn von einem rechten Konsens gesprochen wird, egal ob das die Nazis sind, staatliche Kräfte, große Bevölkerungsanteile oder wie auch immer beschrieben, die bestimmte Positionen bestimmen, dann finde ich es, wenn es darum geht über Intervention zu sprechen, schwierig zu sagen, die Nazis haben sich nach uns zu richten. Oder noch weiter übertragen, große Bevölkerungsanteile haben sich nach uns zu richten, usw. Ich glaube, daß wir so nicht weiter kommen. Das ist gar nicht böse gemeint, aber ich glaube nicht, daß wir das im Moment schaffen.

Moderation: Ich würde die Diskussion an diesem Punkt gern abbrechen, weil ich glaube, daß die beiden hier vertretenen Positionen gerade schon deutlich geworden sind und sich das Problem wahrscheinlich auch nicht in den nächsten drei Minuten auflösen läßt. Oder?

Beitrag Bernd: Weil der Staat die Antifa und die Faschisten auf Demos immer als Spielball ausspielt. Und das Fiasko in Gera [oder ist vielleicht Saalfeld gemeint? Der Tipser] hat ja gezeigt, daß da gar nichts geht, dann verliert man ja irgendwann die Lust. Und man will ja auch persönlich oder inhaltlich weiterkommen. Deswegen finde ich es schon mal gut, wenn hier ein neuer Ansatz kommt.

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