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Moses Arndt
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Moderator: Im Sinne der Konzepte und Strategiediskussionen am heutigen
Tag ist klar, worum es hier geht. Uns ist es gelungen, ein langjähriges
"Mitglied" einer Subkultur hierher zu lotsen. Ich kann auch sagen, daß
das eigentliche Ziel darin bestand, Moses Arndt mal in eine Uni zu locken. Das
hat geklappt und Moses kann nun eigentlich wieder gehen. Das war eigentlich
Sinn und Zweck der ganzen Sache
Ach ja, wer Moses nicht kennt, er arbeitet seit Jahren für den
Spiegel und Focus und schreibt...
Moses: ... bei Arabella Kiesbauer bin ich auch immer...
Moderator: ... Er ist also bekannt aus allerlei Medien.
Moses: Okay, ich wurde ja jetzt vorgestellt. Mein Name ist Moses.
Vielleicht kennt mich der eine oder andere. Ich bin also tatsächlich seit
zwanzig Jahren "Mitglied" in einer Subkultur. Das bedeutet maßgeblich,
daß ich bisher keine abgeschlossene Berufsausbildung habe. Ansonsten rufe
ich verwundertes Kopfschütteln bei meinen ehemaligen Subkulturmitstreitern
hervor, die in meinem Alter alle schon in der Knorr-Familie integriert
sind. Die wundern sich auch, daß ich immer noch mehr oder weniger
mitmische.
Ich bin der Einladung zu diesem Kongreß gefolgt. Allerdings muß ich
sagen, daß mir die Fragestellung Müssen wir uns wieder aktiv um
den Aufbau einer attraktiven Subkultur bemühen? übel
aufstößt. Sie stellt uns in das Licht von Sozialarbeitern und
Politikern. Ich empfinde mich weder als Sozialarbeiter noch als Politiker und
lasse mich nicht in die Pflicht nehmen, in dieser Gesellschaft etwas zu tun, um
ihr schlechtes Bild von außen zu verbessern.
Eine These möchte ich vorausschicken: Ich behaupte, daß Subkulturen
mehr oder weniger ein Zufallsprodukt sind. Und die Leute auch aus Zufall da
"hineingeraten". Es gibt Leute, die verschiedene Subkulturen durchlaufen.
Fünf Monate sind sie meinetwegen Skater, fünf Monate sind sie Nazi,
fünf Monate sind sie Hardcore - es wechselt ohne Ende. In erster Linie
sind persönliche Gründe dafür ausschlaggebend. Ich möchte
auch nicht alle Subkulturen gleich stellen. Die Subkultur, aus der ich komme,
der Hardcore, bedeutet für mich etwas völlig anderes, als die
für die Grufties.
Die in meinen Augen derzeit leider größte Subkultur ist die
Nazisubkultur. Die wiederum stellt aber eigentlich keine Subkultur dar. Im
Prinzip verstärkt diese nur die herrschenden Verhältnisse oder
Ansichten. Sie suggeriert deren "Mitgliedern", sie wären im Untergrund,
was im gewissen Masse zwar schon der Fall ist, doch ist dieser ein
Scheinuntergrund.
Die Frage, ob man eine Subkultur aufbauen kann, ist konträr meiner These,
weil sie meiner Meinung nach ein Zufallsprodukt ist. Ansonsten würde das
nämlich bedeuten, daß Subkultur eine Art Gebäude ist, das "wir"
errichten - mit gewissen Regeln für Mode, Musik, was auch immer. Im
Endeffekt bedeutete das auch Regeln für politische Inhalte, die sich mit
der jeweiligen Subkultur überschneiden. "Wir" können kein
Gebäude errichten, und dann dorthin einladen. Wäre das so, wäre
das für mich ein Grund in so einer Subkultur auf gar keinen Fall
mitzuwirken. Eine Subkultur muß "aus sich" entstehen - es ist ganz
einfach eine Eigendynamik. Wenn "wir" etwas errichten sollen, ist es von
vornherein eine Art Spaltung. Es ist dann das klassische Sozialarbeiterbild:
"Wir" - als Erwachsene oder Kulturschaffende - stellen im Gegensatz zu "denen"
etwas her, was "die" dann konsumieren sollen oder nach "unseren" Spielregeln
nutzen. Erwachsene sind vom subkulturellen Denken her - zumindest von der
Punk- und Hardcorewarte aus gesehen - immer ein Feindbild. Sie sind ein Haufen
rational denkender ehemaliger Jugendlicher, die ab einem bestimmten Zeitpunkt
ihrer Entwicklung nichts mehr mit den eigentlichen Subkultur-Leuten zu tun
haben. Ab Mitte Zwanzig gilt man in unserer Szene schon fast als Rentner. Sehr
viele hier im Raum sind ja scheinbar auch nicht über dreissig. Und
über vierzig ist hier wahrscheinlich überhaupt niemand.
Es ist dieser Generationskonflikt, daß ältere Leute daherkommen und
Jüngeren etwas darüber erzählen, wie toll das damals war und so
und so muß das aussehen, so und so muß das laufen. Im Prinzip
wiederholt jede Generation auch immer wieder die Fehler. Das ist letztlich das
Wesen von Subkulturen. Es gibt immer ein paar Leute, die sehr viel Energie,
Kraft und Arbeit hineinstecken. Auf der anderen Seite gibt es Mitläufer.
Das jeweilige Verhältnis wechselt sich ab - je nachdem, wie stark eine
Subkultur gerade ist.
Bezogen auf Hardcore bedeutet das, daß die Ziele, die hineingedeutet
werden, zufällig damit übereinstimmen, wie im Hardcore gehandelt
wurde oder wird. Es gab zum Beispiel niemals einen Plan, daß eine Band
wie Urban Waste oder auch Black Flag mal im Olympiastadion
spielen - anfangs waren das alles ganz kleine Bands. Es ist niemand hingegangen
und hat damals solche Bands gehört oder Konzerte organisiert mit dem Ziel,
diese Subkultur für die Gesellschaft - wie soll sich sagen - zu
"verarbeiten" oder "schmackhaft" zu machen. Es zeichnet ja gerade die Subkultur
aus, daß man sich selbst ausgrenzt - sei es durch Kleidung oder gerade
durch Musik. Man existiert in einem eigenen, selbstgewählten Ghetto.
Dieses Ghetto auf den Mainstream umzudeuten, war nie das Ziel. Wäre das so
gewesen, hätte das bedeutet, daß Leute wie Jello Biafra irgendwann
Bundeskanzler geworden wären. Teilweise wird Hardcore zwar aufgegriffen -
und Hardcore ist heutzutage Mainstream, zumindest was die
Äußerlichkeiten wie Mode und Musik angeht -, aber der Kern, die
Vorgehensweise, wie alles organisiert ist, das ganze Miteinander, wird
natürlich nicht übernommen, sondern völlig ausgeblendet. Auf dem
Weg zum Mainstream wird der eigentliche Inhalt - ich sage mal - ausradiert. Und
das meiner Meinung nach im Gegensatz zur rechten Subkultur, die ja im Kern
genau das verkörpert, was in der Gesellschaft sowieso vorherrscht. Diese
Subkultur wird auf dem Weg zum Mainstream nur verstärkt und
bestätigt. Auch die Mitläufer dort müssen nicht groß
nachdenken, sondern finden Bestätigung.
Mitläufer sind bei Subkulturen ein wichtiges Thema. Manche Subkulturen
sind für Mitläufer auf Dauer nicht geeignet. Wie es bei Hardcore im
Kern der Fall war und auch noch ist. Hingegen bei der rechten Subkultur, die in
manchen Gegenden dominant ist. Diese ist dafür prädestiniert,
daß Mitläufer hinter Führern herlaufen.
Was bedeutet es, eine attraktive Subkultur aufzubauen?
Wenn ich davon ausgehe, überhaupt eine Subkultur aufbauen zu wollen,
bedeutet das, daß ich mir irgendeine Mode heraussuche, die für Leute
attraktiv ist.
Aber was heißt eigentlich attraktiv? Der Sozialarbeiter mit Vollbart,
Norweger-Pulli und Birkenstock-Sandalen war früher für Hardcore und
Punk das absolute Feindbild. Diese ganze Hippie-Subkultur oder das, was Ende
der 70er und Anfang der 80er im Zuge der Friedensbewegung eine riesige Bewegung
in Westdeutschland war, war einer der Gründe dafür, daß Punk
und Hardcore entstanden sind. Es war am Anfang die Äußerlichkeit,
wobei später, wo das ganze ein bißchen organisierter war, die
gleichen Inhalte belegt wurden. Es wurden nur nicht diese unattraktiven
äußerlichen Erscheinungen übernommen. Im Endeffekt bedeutet
das, daß man keiner Subkultur ein politisches Ziel überstülpen
kann. Es sei denn, diese Ziele oder Verhaltensweisen sind in dieser Subkultur
schon vorhanden. Im nachhinein war Hardcore um '85 bis '87 eine Form von
klassischem Anarchismus oder Sozialismus: Es wurde einfach nach bestimmten
Regeln agiert. Die Leute, die das machten, waren unvorbelastet und sich dessen
gar nicht bewußt. Sie hätten wahrscheinlich in dem Fall, daß
jemand gekommen wäre - vielleicht etwa von der SDAJ - und gesagt, ihr
müßt das so und so machen, es gar nicht getan.
Zu Anfang war es nämlich so: Wenn linke Gruppen, so klassische Linke wie
eben die SDAJ, probierten, die Punkszene für sich zu instrumentalisieren,
hat das einfach nicht funktioniert. Im Endeffekt war diese Form von - ich sage
mal - Anarchismus wesentlich lebendiger, als dieses verkrustete von der Partei
organisierte, die durchaus viele Mitläufer hat, die jedoch nicht in der
Lage sind, sich ständig der Anforderung zu stellen.
Eine Subkultur von außen aufzubauen und sie dann mit linken Inhalten zu
füllen, funktioniert absolut nicht. Bei Hardcore und Punk war es so, auch
wenn es Leute gibt, die Punk anders definieren - aber zumindest bei Hardcore
war es so, daß zufälligerweise sich die Inhalte mit klassischen
linken Utopien decken: Eine sehr menschliche Sache, die absolut gegen
Faschismus ist. Daß sich da Sachen widergespiegelt haben, bedeutet, das
man im Endeffekt die ganze Bewegung als eine linke Bewegung bezeichnen kann,
obwohl es nicht geplant war. Es sind ja nicht irgendwelche Aktivisten
hingegangen und haben für Jugendliche, die in einer gewissen Phase ihres
Lebens ausbrechen wollen, etwas bereitgestellt, damit die nicht auf die
"schiefe Bahn" geraten. Das wäre letztlich die klassische Sozialarbeit,
die nichts mit Spaß zu tun hat, der der Faktor Nummer eins einer
Subkultur ist - es muß den Leuten Spaß machen und es darf kein
Zwang dahinter stecken.
Ist irgend jemand anderer Meinung?
Die Diskussion:
Publikum: Es gibt ja Subkulturen, wo sich die selbstgewählte Frage
der Ausgrenzung gar nicht stellt, weil die Leute dort automatisch ausgegrenzt
werden. Das klassische Beispiel ist der Hip Hop in Amerika.
Moses: Ich gehe bei meinen Ausführungen nur von meinem "kleinen
begrenzten Blickwinkel" aus. Ob Hip Hop in Amerika wirklich das ist, was wir
uns vorstellen, ist eine andere Frage. Nämlich die, ob die nicht
größtenteils auch nur vermarktete Mode sind - die ganzen
Erscheinungen im Mainstream übernommen werden. Wie die Inhalte da gedeutet
werden, darüber ließe sich lange diskutieren. Ich denke mal,
daß Hardcore die Subkultur ist, um die es hier bei diesem Kongreß
geht und die am ehesten zum Thema paßt. In gewissem Sinne ist Hip Hop in
Deutschland auch passend - aber letztlich doch eine völlig andere
Geschichte.
Publikum: Hardcore war definitiv immer weiße Mittelklasse und ein
Männerverein. Aber auch schon seit Anfang der 80er gab es eine Hip
Hop-Szene in Deutschland. Es war und ist die Subkultur, wo am meisten
Ausländer dabei gewesen sind und noch sind.
Moses: Ganz klar. Hardcore kommt aus der Mittelschicht, viele sind
vielleicht sogar rich-kids. Und sind - hier - fast nur Deutsche...
Publikum: ... Ja aber es ist doch ein entscheidender Unterschied, wenn
ich eine antirassistische Jugendkultur aufbauen will. Das ist ja mit Hardcore
im Endeffekt das gleiche oder nicht viel anders als mit Rechtsrock.
Moses: Das ist ja der Punkt, der oft gebracht wird, um die Hardcoreszene
- ich sage mal - zu diskreditieren. Weil die Leute aus einem bestimmten Milieu
kommen, spricht man den Leuten ab, so und so zu denken oder zu handeln, was im
Prinzip auch eine Form von Rassismus ist. Man kann nicht einfach sagen,
bloß weil in dem oder dem Milieu viele Ausländer sind, sind die
gleich voll okay. Als in Mannheim vor einiger Zeit St. Pauli-Spiel war, gab's
die Auseinandersetzungen nicht zwischen Nazis und Gegendemonstranten, sondern
in erster Linie haben irgendwelche ausländischen Gangs die Linken
angemacht, weil die "Zecken" stinken würden und was weiß ich noch
alles. Du kannst nicht einfach nach dem alten Bild hingehen und sagen: die sind
okay, weil sie Türken sind, bla, bla bla.
Publikum: Ist es nicht so, daß eine Subkultur durch eine
Markt-Strategie beeinflußbar ist? Ich habe da immer noch die Sex
Pistols im Kopf, wo jemand mit dem festen Willen angetreten ist, Geld zu
machen?
Moses: Great Rock'n'Roll Swindle, das war ein genialer Schachzug.
Die haben sich ja eigentlich selbst hoch genommen und wirklich Kohle damit
verdient - zumindest ein paar Leute - und haben im Prinzip viele Leute mit der
subversiven Idee vertraut gemacht. Ohne Sex Pistols gäbe es keine
Punkszene.
Publikum: Aber das widerlegt ja gerade Deine These. Subkultur
läßt sich also durchaus mit einer gewissen Strategie pushen.
Moses: Nein. Beim Great Rock'n'Roll Swindle geht es darum,
daß die sich über das Rockbusiness lustig machen und Geld damit
verdienen. Das ist ein Aufhänger, wie du erste oberflächliche
Kontakte zu einer gewissen Szene bekommst - bei den Rechten sind das vielleicht
die Böhsen Onkelz. Wenn du interessiert bist, forscht du nach und
siehst das, was dahinter steckt - daß es dort immer weitere Räume
oder Nischen gibt. Von daher ist dieser Great Rock'n'Roll Swindle im
Hinterkopf immer da. Nur ob der dich in deinem Handeln beeinflußt, wenn
du dich in deinem kleinen AJZ krumm machst und selbstorganisierte Konzerte
aufziehst, bezweifle ich. Das spielt für dich keine Rolle.
Publikum: Es geht mir um das Wirken einer Strategie.
Moses: Gut, Great Rock'n'Roll Swindle, konkret der Film, das ist
einfach Unterhaltung. Plakativ werden Konsumenten konfrontiert. Entweder sie
sehen es einfach nur als einen Film oder sie forschen nach, ob es da mehr gibt
- rasieren sich vielleicht die Haare ab und färben die bunt. Ein anderes
Beispiel wäre der Film Romper Stomper - für Skinheads. Du
siehst den Film als 14jähriger und findest vielleicht diesen Heini Kendo
aus dem Film cool. Und dann forschst du nach. Wenn du ein kompletter Vollidiot
bist, wirst du dann wirklich Nazi. Nur der 14jährige ist durch den Film
damit in Kontakt gekommen und wurde nicht durch den Film zum Nazi. Wenn er ein
Faschist ist, dann wird er nach kürzester Zeit merken, daß dieses
Bild oder was der verkörpert, auf ihn zutrifft - er sich in der Rolle wohl
fühlt. Wenn es nicht so ist und er macht das nur aus Protest, weil er
seinen Sozialarbeiter schocken will, dann wird er irgendwann merken, daß
es nicht sein Ding ist. Er wird dann vielleicht im extremen Fall zum
SHARP-Skin.
Publikum: Es wäre interessant, wenn du etwas dazu sagst, wie eine
Gesellschaft aufgebaut sein muß oder welche Eigenschaften der
Gesellschaft überhaupt dazu führen, daß Subkulturen
möglich werden und ein Bedürfnis danach besteht.
Moses: Durch den materiellen Überfluß in der
Industriegesellschaft. Für viele ist es ja auch nur ein Hobby: Man hat die
Zeit für eine Subkultur. Sie spielt sich hauptsächlich in der
Freizeit ab und das "normale" Leben hat meistens mit dieser Subkultur nichts zu
tun und die Verhaltensweisen werden auch gar nicht übertragen. Es ist ja
völlig normal, daß mittags jemand in der Bank arbeitet und er abends
im Kaninchenzüchterverein mitmacht. Es sind völlig getrennte
Bereiche. Wenn du in einer Gesellschaft leben würdest, wo du zum
Überleben 16 Stunden am Tag arbeiten müßtest, gäbe es
diese Form von Subkultur garantiert nicht. Es ist also ein klassisches Ding von
- ja - Erster Welt bzw. Industrienationen. Subkulturen, die in der Dritten Welt
existieren, haben wahrscheinlich ganz andere Gründe, weil sie durch ihr
Milieu hinein gezwungen werden. Oder auch Hip Hop. Er ist durch die
Ghettoisierung in meinen Augen keine Subkultur, denn er ist ein logisches
Produkt der Zustände. Subkultur ist mehr oder weniger frei gewählt.
In der bewegt man sich und man kann die auch wechseln. Wenn du in einer
Situation bist, aus der du nicht mehr heraus kannst, dann ist das ja wohl keine
Subkultur mehr.
Publikum: Ist Techno eine Subkultur?
Moses: In Techno werden zwar teilweise Inhalte hinein philosophiert.
Aber Subkultur, das ist sie nicht. Dieses ganze oberflächliche Love and
Peace - das sind einfach nur Wörter. Ich habe zwar damals die
Hippiebewegung nicht mit gemacht. Aber vermutlich haben die wirklich gefickt.
Bei Techno ist alles nur Bla Bla.
Publikum: Wo liegt denn da heute der Unterschied zur
Hardcore-Bewegung?
Moses: Es gibt keinen unbedingten mehr. Du kannst auf der Love Parade
zig Leute sehen, die du am nächsten Tag auch auf einem Hardcore-Konzert
siehst. Das ist ja der Punkt: Auf dem Weg zum Mainstream gehen die Inhalte
verloren. Wenn du heutzutage in der Straßenbahn einen Typen mit 'nem
Black Flag T-Shirt siehst, gehst du nicht automatisch zu dem hin und
fängst mit dem ein Gespräch an. Früher war das so. Du kamst in
eine Stadt, da kam einer an mit Iro und es gab eine Begrüßung mit
Handschlag. 'Ey Kumpel, wie geht's? Was geht ab? Wo kann man hier hingehen?'
Heute ist das absolut undenkbar. Beispielsweise der Typ mit dem Black
Flag Shirt würde dich angucken - gerade wenn du ein "älterer
Mann" bist - und denken: 'Ey, was will der Alte? Will der mich verarschen oder
was?' Der würde wahrscheinlich noch sagen: 'Hier haste 'ne Mark, geh'
weiter'.
Publikum: Ich denke nicht, daß Subkultur ein Zufallsprodukt ist
und die Inhalte aktiv von Leuten bestimmt werden. Im Moment ist die Tendenz bei
Hardcore und Punk, daß Leute nicht mehr aktiv sind und keine Inhalte mehr
hinein getragen werden. Sie akzeptieren viel mehr alles so, wie es ist.
Publikum: Ich finde es Quatsch, was du zur Technobewegung sagst. Es gibt
auch andere Strömungen im Techno, die nicht kommerziell sind - zum
Beispiel illegale Parties, in alten Fabrikhallen oder Streetparties.
Moses: Wenn du Techno sagst, mußt du auch Love Parade sagen ...
Publikum: ... Ja, aber guck dir doch mal heute die ganzen Pseudo-Punks
an. Die haben nur das Saufen in der Birne.
Moses: Die Subkultur oder Bewegung lebt von den Persönlichkeiten,
die sie ausfüllen. Wenn du jetzt 10 Leute hast, die wirklich was drauf
haben, dann wird das natürlich immer wachsen. Nur irgendwann ist ganz
normal eine Abnutzung da. Und wenn niemand nach kommt, sich niemand mehr die
Arbeit macht. Das ist letztlich auch der Punkt, der mit der
gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zusammen hängt. Ende der 70er, Anfang
der 80er war es natürlich viel leichter, in der Freizeit die Dinge
auszuleben. Heute ist der ganze Wettbewerb viel härter. Es ist ein
krasserer Kapitalismus, in dem Geld eine noch viel bedeutendere Rolle spielt.
Da Leute zu motivieren - das funktioniert einfach nicht. Selbst wenn du einen
Plan hättest und würdest die Leute auffordern: 'He, wir haben hier
'ne geile Subkultur, füllt die mal aus. Die hat 'ne Geschichte und da ist
das und das passiert'. Für einen 15jährigen wäre das
logischerweise gähnend langweilig, weil das eine Sache wäre, die
irgendwelche alten Heinis schon mal gemacht haben. Er wäre davon
wahrscheinlich abgestoßen.
Auf der anderen Seite hast du in der rechten Subkultur inzwischen fast schon
mehr Fanzines als in der Hardcore-/ Punk-Szene. Wenn du dir mal so ein rechtes
Scheisshaus-Heft anguckst, die haben Fanzine-Rezensionen ohne Ende. Es zeigt
auch, daß jeder in der Szene irgendwas machen kann - wie bei Hardcore und
Punk. Früher hieß es, jeder kann was machen: Konzerte organisieren,
'ne Band, ein Fanzine. Das war ja früher das Ding - do it yourself. Das
ist inzwischen auch längst von Rechten übernommen worden.
Publikum: Ich wollte auf die These mit der Zufälligkeit von
Subkulturen zurückkommen. Die beiden Tage des Kongresses wurde ja viel
darüber nachgedacht, woher die starke Nazi-Szene im Osten kommt. Deine
These ist nun eine ganz neue: die Szene ist nur zufällig entstanden.
Außerdem würde mich interessieren, was Subkultur überhaupt ist.
Ist jede Musikrichtung eine Subkultur? Ist Jazz oder Klassik auch Subkultur?
Moses: Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich rede in erster
Linie immer von Hardcore, weil das die Subkultur ist, aus der ich komme. Und da
funktioniert das geplante Ding nicht. Nur bei der rechten Subkultur
funktioniert das hundertprozentig. Es handelt sich bei beiden um völlig
konträre Inhalte. Das fängt an beim Führerprinzip. Es ist
für die Rechten ziemlich einfach, eine Subkultur zu errichten. Dort
können sie ihre Leute rekrutieren und sich auch bei dem Do It
Yourself-Ding austoben. Der Nachteil, den Linke haben, ist ein kritisches Ding
aufzubauen. Das ist das riesen Problem. Du kannst die Leute nicht von Grund auf
umerziehen, damit sie fähig werden, in eine anspruchsvolle Subkultur
überhaupt "reingehen" zu können. Die ganze allgemeine Erziehung
läuft ja diesbezüglich auch genau entgegengesetzt. Die Bildung wie in
den 70er Jahren, daß viele Leute aus dem Arbeitermilieu aufs Gymnasium
gehen konnten, gibt es heute auch nicht mehr. Und solche Sachen wirken sich
natürlich aus.
Ja und zu der Frage, ob Jazz nun Subkultur sei. Nun, manche Ärzte finden
das cool mit 'nem Rotwein abends irgendwo herumzusitzen. Ob das nun Subkultur
ist - keine Ahnung.
Publikum: Mir ging es nicht um Jazz, sondern um die Definition. Ist jede
Musikrichtung eine Subkultur? Oder verbinden sich damit gewisse
Lebensvorstellungen?
Moses: Musik, Kleidung usw., das ist alles nur ein Ausdruck. Die
Hauptsache ist die Einstellung.
Publikum: Ich wollte noch mal zurück zu der Ausgangsfrage, ob wir
uns um den Aufbau einer attraktiven Subkultur bemühen müssen. Du hast
das ja aus deiner Sicht ziemlich abgekanzelt. Ich würde jedoch sagen, wir
sind selbst Subkultur. Wir können uns auch selbst prägen. Für
mich ist dabei die Frage nach der Attraktivität die Hauptsache. Eben auch
das Bemühen um mehr kulturelle Werte.
Moses: Klar, du kannst immer an dir selbst arbeiten. Ob das dann auf
andere Leute ausstrahlt, ist die eine Sache. Nur du kannst nicht nach dem
großen Plan hingehen und dir selbst einreden, du müßtest jetzt
das und das tun, damit es genau jene Wirkung hat. Das ist Schwachsinn. In dem
Moment wärst du ja wie ein Lehrer.
Publikum: Du hast natürlich recht, wenn du sagst, von außen
oder von oben läßt sich nichts aufbauen. Andererseits ist es auch
richtig, daß wir keine wirklichen Außenstehenden sind. Der
Vergleich mit dem Norweger-Pulli tragenden Sozialarbeiter trifft auf uns, die
wir hier sitzen, kaum zu. Entweder sind wir Teil einer Subkultur oder stellen
selbst eine dar. Von daher haben wir auch das Potential für eine
Veränderung, für eine Politisierung.
Moses: Klar, wir haben fast alle keinen Norweger-Pulli an. Nur auf
manche Leute wirkt vielleicht ein schwarzer Kapuzenpulli genauso, wie auf uns
ein Norweger-Pulli gewirkt hat. Es ist schon eine sehr starke Uniformierung da.
Und die Leute, die das sehen, denken halt: 'Oh man, was ist den das für
ein Traditionalisten-Penner-Verein! So will ich einfach nicht aussehen! Das
sieht schlampig aus, absolut unsmart und blöd. Da zieh ich mir lieber ein
Fred Perry-Hemd an. Da bin ich echt cool.' Das ist auch ein Weg, der über
die Mode geht. Leute, die auf Kleidung fixiert sind, werden dann niemals Linke.
Da werden die eher zum Nazi-Popper.
Publikum: Es wird hier viel über Subkulturen geredet und alles in
erster Linie an Äußerlichkeiten wie Musik, Kleidung und Symbolen
festgemacht. Das entscheidende ist doch festzustellen, wie und wo so etwas
entstehen kann - in welchem gesellschaftlichen Kontext. Sind Subkulturen ein
Bereich, der für die Kulturindustrie nicht vereinnahmbar ist, wo Symbole
besetzt werden können, wo bestimmte Ausdrucksformen gefunden werden
können? Sich diese Orte zu erschließen, ist keine Sache aus einer
subjektiven Entscheidung heraus, sondern Sache eines Freiraumes, den Leute
für sich entdecken und besetzen. Wie und mit welchen Inhalten dieser
Freiraum besetzt wird, ist relativ beliebig. In diesem Sinne ist auch Punk/
Hardcore eine Form von Freiraumbesetzung. Lange Jahre waren beide ein
Stück weit nicht integrierbar. Genauso gibt es aber auch eine
Nazisubkultur, die ein ganzes Stück weit in den kapitalistischen
Verwertungsprozess nicht integrierbar ist. Bestimmte Symbole, bestimmte
Haltungen von denen, sind momentan einfach nicht integrierbar. Die Popindustrie
kann momentan keine Hakenkreuze oder ähnliche Symbole integrieren. Ich
will damit sagen, daß ich diese ganze Diskussion um Subkultur und wie
damit als Linker umzugehen ist, für relativen Humbug halte. Jedenfalls
solange das aus einer Haltung passiert, sich Subkulturen angucken zu wollen und
daraufhin zu entscheiden, ob die für mich einen Wert haben oder verwertbar
sind. Soweit sie nämlich für mich als Linker, mit meinen Inhalten,
mit meiner linken Politik, verwertbar sind, hören sie auf, Subkulturen zu
sein. Es wird immer Subkulturen geben, wie Punk/ Hardcore eine war, die mit
linken Ideen und Utopien ein Stück weit parallel oder kongruent sind. Man
wird die aber nie zu einer linken Subkultur machen können. Ich werde mich
innerhalb einer Subkultur auch als Linker verhalten. Aber dadurch werde ich sie
nicht zu einer originär linken Subkultur machen.
Moses: Wenn ich das richtig verstanden habe, willst du das mit der Mode
usw. hinten anstellen. Für mich ist das aber der wichtigste Punkt. Die
Entstehung einer Subkultur muß ja erkennbar sein: Wo ist dieser Raum?
Sind da Leute die so etwas verkörpern? Wenn wir alle absolut getarnt
rumlaufen würden, wäre es gar nicht möglich, diese
Freiräume zu besetzen. Das Outfit ist wiederum ein sehr wichtiger Punkt,
der nichts über die Inhalte aussagt.
Publikum: Des öfteren geisterte hier beim Kongreß der Begriff
der Gegenkultur rum. Ich fände es gut, darüber zu reden, was diese
Gegenkultur ist. Vielleicht kommen wir einen Schritt weiter, wenn wir uns
überlegen, daß es Subkulturen und Gegenkulturen gibt. Aus meiner
Erfahrung kann ich sagen, daß in einem autonomen Zentrum sehr viel die
Identifikation mit unserem Umgang ausgemacht hat. Identifikation damit,
daß wir alles gemeinsam und zusammen besprochen haben, Identifikation
damit, daß wir das billigste Bier in der Stadt hatten und das die
Konzerte immer verdammt wenig Geld gekostet haben. Es ging also nicht um die
Codes und auch nicht um die Klamotten, sondern darum, ob wir was vermittelt
haben. Welche Anziehungskraft hatten wir nach außen? Dieser Bereich ist
jener, wo ich eine Gegenkultur entwickeln kann. Denn dann weiß ich auch
wofür. Und wenn ich so eine Kultur habe, dann habe ich auch irgendwann
eine Mucke, die dazu paßt.
Moses: Wenn du sagst, daß du die Arbeit im autonomen Zentrum im
nachhinein so siehst, daß du Leute "manipuliert" hast, vergißt du,
daß viele Leute einfach bloß Spaß haben wollen. Wenn du ein
Konzert machst und findest die Musik einfach nur genial, möchtest du,
daß andere Leute das auch hören. Dadurch willst du die Leute aber
nicht erziehen, sondern du bringst unbewußt diese ganze Kultur anderen
näher. Im nachhinein stellt sich das so dar, als hättest du vorher
den Plan gehabt, diese Kultur vorzuleben und alle anderen finden das toll. Im
Prinzip ist das eine Art Sozialarbeit. Für die meisten aber ist es einfach
völlig egoistischer Spaß. Sie engagieren sich, machen irgend etwas,
weil sie dort ihre Freunde haben, weil sie die Sachen, die sie hören oder
lesen, anderen Leuten näher bringen wollen. Nicht aber um die zu
beeinflussen.
Publikum: So langsam nervt mich diese Diskussion um Subkulturen.
Schließlich ist es ein Festmachen an reinen Äußerlichkeiten,
denen dann Inhalte unterstellt werden. Es ist doch aber längst nicht so,
daß beispielsweise alle Punker super Antifas, alle Skins Nazis oder alle
Technofreaks Scheiße sind, weil sie auf Kommerz abfahren. Ich denke, es
geht darum, auch zu sehen, daß es linke Skinheads gibt, daß es
Punks gibt, die mit Hakenkreuzen rumlaufen. Mich nervt, daß hier per se
einer Subkultur eine Gleichheit unterstellt wird. Wenn ich mich hier so
umschaue, könnten wir auch über unsere Subkultur reden. Ich sehe hier
Skins sitzen, ich sehe hier Punks und ich sehe hier andere sitzen. Worum geht
es uns eigentlich? Geht es uns darum, über linke Inhalte und Formen von
Gegenkulturen zu reden? Oder geht es darum zu überlegen, wie wir uns ab
nächster Woche anziehen wollen?
Publikum: Die Tatsache, daß sich Leute auf eine Demonstration
begeben haben mit der Drohung gegenüber der Staatsmacht: 'Wir können
auch anders!', war ja im Grunde das, was die autonome Bewegung, als
Jugendbewegung oder auch als Subkultur, lange Jahre geprägt hat.
Müssen wir diese Codes überarbeiten, müssen wir neue erfinden?
Die Autonomen sind ja nicht nur Ideologie, sie sind ja auch eine Kultur.
Moses: Das ist auch ein interessanter Aspekt, der innerhalb der
autonomen Szene diskutiert wird, daß das Outfit eine gewisse
Gewaltbereitschaft darstellt, die aber im Endeffekt nicht eingelöst wird.
Jeder läuft rum wie der große Straßenkämpfer und wann ist
mal was los? Früher an der Startbahn West oder sonstwo, da hat's einfach
gebollert ohne Ende. Wann ist denn heute schon mal eine schöne
Straßenschlacht? Die kann man an drei Fingern im Jahr abzählen. Das
ist eigentlich wirklich ein Traditionalistenverein in der Beziehung. Wenn es
wirklich abgeht, sind es ausgerechnet die Leute, die nicht in diesem Outfit
rumlaufen. Und diejenigen, die mit ihrer Tracht rumlaufen, sind halt die
ersten, die wegrennen. Und das strahlt auch wieder auf jüngere aus: Wenn
sie die Autonomen vor den Bullen rennen sehen, dann ist natürlich der
Hooligan, der zwei Bullen weghaut, attraktiver. Es ist echt peinlich, wenn du
mit dem vollen Kampfoutfit die Ansagen machst, und wenn dann was kommt...
bitte.
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