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Theorien kultureller Hegemonie - Gramsci

Raul Zelik
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Die Fragen die uns gestellt worden sind – im Zusammenhang mit Gramsci – fanden wir ein wenig missverständlich. Die Fragen lauten wie folgt: Wieso können Nazis so einfach auf das Modell eines sozialistischen Theoretikers zurückgreifen? Welche Bedeutung hat das Modell der kulturellen Hegemonie für die Linke? Haben wir einfach nur versäumt, eher auf dieses Modell zurückzugreifen oder ist dieses Modell nicht mehr mit linker Politik der 90er vereinbar?
Als wir die Fragestellungen lasen, hatten wir den Eindruck, dass wir zunächst einmal die Begrifflichkeit der kulturellen Hegemonie klären sollten, denn wir glauben, dass schon in der Fragestellung ein Missverständnis vorhanden ist.

Der Hintergrund des Hegemoniebegriffs bei Gramsci

Gramsci, Mitglied der Sozialistischen Partei in Italien, Mitbegründer der Kommunistischen Partei in den 20er – bewegt vom revolutionären Impetus von der Hoffnung, dass es innerhalb kürzester Zeit in Europa zum Umsturz kommen könnte – ist Ende der 20er mit der Situation konfrontiert worden, dass in Italien, wie in ganz Europa, die revolutionären Bewegungen vernichtend geschlagen worden sind. Dies obwohl für viele damalige marxistische Theoretiker, die Ausgangsbedingung für einen revolutionären Umsturz vorhanden waren – im Gegensatz dazu befand man die Voraussetzung in Russland für schlecht. Durch seine Gefängnisjahre während der faschistischen Diktatur, ist dieses damalige Scheitern für Gramsci selbst subjektiv geworden. Aber auch Mussolini, ehemaliges Mitglied der sozialistischen Partei und das Entstehen einer faschistischen Massenbewegung, die sich objektiv gegen die eigenen Interessen und Bedürfnisse richtete, verdeutlichten Gramsci dieses Scheitern. Dieses Scheitern und das Entstehen der faschistischen Bewegung waren der Hintergrund, die ihn bewegen mussten.
Die grundlegende Frage für Gramsci war, wieso sich die bürgerliche Gesellschaft verfestigen konnte, obwohl die revolutionären Bewegungen in den jeweiligen Ländern so stark waren. Er verglich die Verhältnisse in Russland mit den Verhältnissen in anderen europäischen Ländern und erkannte, dass die Herrschaft in diesen auf Konsens beruhte. D.h., dass es einer herrschenden Klasse gelang, andere herrschende Klassen an sich zu binden. Es war ein gemeinsames Formieren zu einem hegemonialen Block, der Herrschaft darüber ausübt, dass diese Formation eben einen Konsens repräsentiert. Das System beruht weiterhin auf Ausbeutung, ist ein repressives, das im Notfall auch den Knüppel ziehen wird, aber neben dieser Repression gibt es einen Konsens. Der Konsens funktioniert, indem eine hegemoniale Position nicht nur politisch, sondern auch kulturell vermittelt wird. Für Gramsci entstand die Frage, wie in einer Gesellschaft, solche hegemonialen Positionen produziert und reproduziert werden. Einen wichtigen Punkt bei dieser Betrachtung, nahmen die Intellektuellen ein und hier speziell die Rolle, die sie in Süditalien spielten (Gramsci selbst kam aus Sizilien und kannte somit die dortigen Verhältnisse). Pfarrer waren im ländlichen süditalienischen Raum die Intellektuellen, die die herrschende Ideologie an die Bauern weitergaben, sie waren hier hegemonial prägend.
Ein weiterer wichtiger Punkt für Gramsci, war die Populärkultur, hier die Groschenromane. Er zeigt auf, wie herrschende Ideologie nach unten transportiert wird und dann auch von der Mehrheit als eigene Einstellung übernommen wird.
Diese Herangehensweise unterschied sich von den sowjetischen Theoretikern. In seinen Gefängnisjahren eröffnet er eine Diskussion mit den Schriften von Bucharin und anderen Sowjetmarxisten und wirft ihnen ein zu schematisches Verständnis vom Verhältnis Ökonomie und Kultur vor. Gramsci hebt hervor, dass es in modernen bürgerlichen Gesellschaften ein sehr starkes Eigenleben im kulturellen Bereich gibt – er nennt es “die relative Autonomie der Kultur”.
Die Kommunistische Partei Italiens hielt ihn hoch, trotzdem galt Gramsci mit seinen Ansichten als Häretiker im damaligen linken Verständnis. Und tatsächlich hatte er einen völlig anderen Begriff von Gesellschaft. Im sowjetischen Sinne war eine Revolution und damit eine Veränderung der Gesellschaft, ein Prozess, bei dem eine kleine entschlossene Gruppen auf die Zentralen der Macht einen Angriff startet, sie besetzt und dann von dort aus die Umwälzung der Gesellschaft einleitet – dies ist eine sehr starke militärische Einengung. Gramsci hielt dagegen, dass es in modernen Gesellschaften nicht ausreichend ist, die Machtzentralen zu besetzen, sondern es eher wie ein “Stellungskrieg” sei. Es gilt “Stellungen” die die herrschende Macht absichern, zurückzudrängen, bzw. zu zerschlagen und neu aufzubauen, durch neue Machtformen zu ersetzen. (Zerstören und Neuaufbau sind Begriffe, die aus der Debatte kommen.)
Bei Gramsci geht es nicht darum, wie eine Linke ein Subkultur oder “fetzige” Jugendkultur aufbauen kann, sondern wie Herrschaft funktioniert. Er geht davon aus, dass es ein ständiges Ringen gibt, wer Diskurse und Einstellungen in der Bevölkerung prägt. Soweit erst einmal zum Hintergrund des Begriffs.
Ich behaupte, dass es keine Rezeption durch die Nazis gibt. Es tauchen zwar Versatzstücke auf, so bei Stein von der Jungen Freiheit, der auf den Begriff der kulturellen Hegemonie verweist und Weismann, der wohl auch davon geredet hat, dass man Nazis bewegungsartig formiert.

Beitrag aus dem Publikum, Frank: In den 70er wurde Gramsci sehr wohl von rechts rezipiert und festgestellt, dass sich die Rechte nicht nur auf Parteiarbeit beschränken darf. Meines Wissens ist der Begriff auch Ende der 70er vom Jungen Forum – eine nationalrevolutionäre Gruppe aus Hamburg –gebraucht worden und seit dem gibt es den Begriff der kulturellen Hegemonie auch im Diskurs der Rechten.

Raul Zelik: Es ist natürlich kein Problem sich den Begriff anzueignen, er ist zunächst auch nur eine Beschreibung der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang fällt mir auch Peter Klotz ein, der Anfang der 80er meinte, man müsse sich Gramsci für die Sozialdemokratie zu eigen machen und davon redete, dass die SPD einen neuen hegemonialen Block bilden müsse. Aber ich bin skeptisch, ob es sich um einen Plan gehandelt hat, denn ich assoziiere diesen Begriff bei den Rechten, mit dem “braunen” Alltag in Ostdeutschland und hierbei glaube ich nicht an einen strategischen Plan.

Gramsci's Bedeutung für die Linke

Der interessanteste Punkt für mich ist, wenn man Gramsci folgt, dass der Kampf um eine kulturelle Hegemonie zu jeder Zeit stattfindet, d.h. es gibt keine Möglichkeit sich dem zu entziehen. Jede Äußerung, jedes Nichtäußern ist Teil davon, wie Diskurse entstehen, wie Debatten laufen, welche Kulturformen sich durchsetzen usw.. Der Konsens ist prekär und muß immer wieder produziert und reproduziert werden. Für Gruppen heißt dies auch, dass die Möglichkeiten für das forcieren bestimmter Meinungsbilder sehr beschränkt ist, weil die ganze Gesellschaft daran am “Arbeiten” ist, den Konsens zu bilden. Deswegen hab ich vorhin ein wenig gelacht bei der Fragestellung, wie können wir wieder von links eine Jugendbewegung aufbauen – ich glaube, die funktioniert so nicht. Dies sind dann wohl eher Cockpitspiele von Leuten, die glauben sie sitzen im Cockpit der Weltgeschichte. So funktioniert dies nicht, denn es ist ein Ringen der ganzen Gesellschaft, in das wir bewusst eingreifen. Gramsci erklärt sehr gut, wie Prozesse in der Gesellschaft verlaufen, also entstehen und sich verstärken können. Es ist die Frage ob der rassistische Mainstream die Ursache für die Nazis ist oder umgekehrt - bei Gramsci bedingen, verstärken sich die Faktoren gegenseitig. Weiter hilft dieser Begriff beim Entwickeln eines Verständnisses, dass soziale Verhältnisse sehr grundlegend sind - dass es ein Verbindung gibt zwischen Angst vor Prekarisierung (??) und Wohlstandschauvinismus, der dann als Rassismus auftritt – aber, dass es gleichzeitig Prozesse geben kann, bei denen es keinen wirtschaftlichen Hintergrund gibt, die sogar kontraproduktiv für ein kapitalistische Verwertung sind. Ein Beispiel sind die Diskussionen in vielen ostdeutschen Städten, dass die Übergriffe auf ausländische Menschen dem Investitionsklima schaden. Das ist dann der Grund, warum der CDU Bürgermeister von Cottbus beginnt gegen Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren. Ich glaube, dass hier der Begriff von Gramsci ganz hilfreich ist, der sagt, dass langfristig die Prozesse von ökonomischen Faktoren bestimmt werden, doch dass Kultur sich verselbständigt, ein Eigenleben besteht. Und dies hatte seine besondere Bedeutung, weil es damals noch eine sehr starke Rezeption der Dimitroff–Analyse gab. Ich heb es hier noch einmal hervor: die Hegemonie in einer Gesellschaft wird ständig ausgefochten und man kann sich daraus nicht ausklinken.

Strategien und was man mit dem Hegemoniebegriff anfangen kann

Ich glaube nicht, dass es eine unmittelbare Umsetzung auf linksradikale Politik und Antifapolitik gibt, aber ich denke, wenn man begriffen hat, wie Konsens entsteht, dann bedeutet das, dass man sich nicht in Nischen zurückziehen kann. Damit kann es auch nicht funktionieren sich abzukapseln – wie es die Autonomen seit Anfang der 80er taten – sich in Nischen zurückzuziehen, irgendwelche Gegenwelten aufzubauen, sondern es muss ein ständiges bewusstes Intervenieren in dieses gesellschaftliche Ringen geben. Ein Intervenieren kann aber auch bedeuten kulturelle Gegenräume aufzubauen. Ein gutes Beispiel ist für mich Bernau, wo Leute seit 8 Jahren einen gegenkulturellen Raum anbieten, ein Jugendzentrum haben. Dort werden linke Veranstaltungen angeboten, doch kommt dieses Projekt nicht als wahnsinnig linksradikal daher, aber es hat dazu geführt, dass es in dieser Stadt eine anderes Milieu, eine andere Szene gibt. Positiv an diesem Projekt, dass es sich eine Offenheit bewahrt hat – nicht Offenheit im Sinne von Akzeptierender Jugendarbeit. Es war kein Abkapseln nach dem Motto, komm wir machen jetzt unser eigenes Jugendzentrum. Man versucht hier immer bei der Stadt zu intervenieren und Probleme auszutragen.
Ich denke, dass das Abarbeiten an den Nazis keine positive Arbeit leistet, positiv in dem Sinne, eigene Politikfelder und eigene Inhalte zu vermitteln und dies dann auch Gewähr dafür ist, dass sich rechte Positionen nicht so leicht durchsetzen können.
Die Frage stand auch, inwieweit ließe sich so etwas mit linksradikaler Politik vereinbaren – schließen wir am Ende nicht zu viele Kompromisse bei einer Vermittlung innerhalb der Gesellschaft? Ich find die Frage quatsch, denn es gibt kein Ausklinken und ein Agieren ist immer mit Widersprüchen behaftet. Es sollte festgehalten werden, dass man mit einem kritischen Bewusstsein eingreift.
Ein Problem, das mir gerade einfällt: Ich glaube, dass es nicht funktioniert ein funktionales Verhältnis zu Kultur oder Subkultur zu haben – hier als Beispiel: die RIM, diese maoistische Organisation, die Ende der 80er angefangen hat, auf ihren Flugblättern von den “brothers” und “sisters” zu reden und ihre Parolen in Graffiti – Schrift gemacht haben. Es bringt hier nichts, wenn man nicht selber in diesem Milieu drinsteckt – hier merken die Leute, dass es aufgesetzt ist. Ich denke, dass es Quatsch ist, irgendwo aufzuspringen, um zu instrumentalisieren. Ein Basteln einer neuen poppigen Jugendbewegung klappt nicht.
Die Formen des realen Eingreifens muss man in den Situationen vor Ort diskutieren. Die Frage nach Demos, Konzerte oder sonstige Veranstaltungen ist ein künstlicher Widerspruch. Die Frage ist, wie man Organisierungs- und Diskussionsprozesse in Gang bekommt, wie man eingreift, sich Räume nimmt, dies kann je nach Begebenheit ziemlich unterschiedlich sein und deswegen will ich jetzt auch keine weiteren Ausführung zur Art machen.

Die Diskussion

Beitrag Hannes: Für Gramsci gab es zwei Lager: auf der einen Seite das bürgerliche Lager, das reaktionäre Lager und auf der anderen Seite das Proletarische – Gramsci verstand sich selbst als Kommunist. Für ihn gab es einen ständigen Kampf um politische Positionen. D.h. bevor ich z.B. die Arbeit abschaffen kann, die Produktion übernehmen kann, indem ich die Bosse absetzen kann, muss ich erst einmal soweit sein, dass viele Leute Arbeit Scheiße finden, dass sie bereit sind, eine bestimmte Arbeit mitzumachen.
Das sowjetische Modell sah so aus, wir übernehmen die Macht, neue Chefs, neue Fabriken, die Arbeiter und Bauern werden erzogen. Das war nicht sein Begriff. Er erkannte, dass dies in modernen fortgeschritten kapitalistischen Staaten nicht funktionierte. Gramsci hat sich überlegt, was gibt es: die Arbeiterschaft hat eigene Intellektuelle hervorgebracht, Ingenieure, Konstrukteure. Der Aufbau der Fabriken war hier anders. In diesem ganzen Zusammentreffen gibt es einen beständigen Kampf um die Definition von Begriffen. Wie laufen gesellschaftliche Prozesse ab, wie erziehe ich Kinder, wie gehe ich mit Mitmenschen um, wie organisiere ich eine Fabrik? Hier gibt es x- Meinungen und auf einen durchaus differenzierten Niveau. Dies ist dann auch nicht eingeengt durch Bildungsvorsprünge usw.. Deswegen gibt es bei Gramsci auch den Begriff des “Stellungskrieges”, einen langen andauernden Kampf um die Macht letztendlich, aber er findet auf ganz viel Terrains statt. Wenn ich mich als Linker hier bewege, bewege ich mich nicht außerhalb der Gesellschaft. In dem Moment, wo ich den Mietvertrag abschließe habe ich die Hegemonie des bürgerlichen Vertrages anerkannt und wenn ich es ablehne, stelle ich die Begrifflichkeit davon in Frage – der Begriff wird dann umkämpft. Irgendwann hab ich dann auch die Möglichkeit auf diesem Niveau gesellschaftliche Machtverhältnisse zu ändern. So versteh ich den Begriff Hegemonie. Insofern setzen sich die Nazis auch nicht auf irgend etwas drauf. Sie sind auch Teil der Gesellschaft mit eigenen Interessen, die natürlich viel näher sind zu den Vorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft. Ich würde dies auch als Kritik an uns alle adressieren. Wir sind sehr gut, Sachen zu zerpflücken bzw. zu debattieren und uns mit Diskursen zu verorten. Im Alltag aber dann, z.B. auf Arbeit, sind wir die Duckmäuser und gehen der Konfrontation aus dem Weg. Dies, so finde ich, ist ein ganz merkwürdiger Widerspruch: Außerhalb des alltäglichen Lebens ist man politisch aktiv, aber in den eigentlichen Lebensnotwendigkeiten, wie Schule, Arbeitsplatz, Mietshaus usw., ist man plötzlich das nichtpolitische Subjekt.

Raul Zelik: Es gibt bei Opel, wie in anderen Betrieben, Leute, die radikale Betriebsarbeit machen und es gibt Beispiele wo eine internationalistische Liste den Betriebsrat stellt. Aber dies sind Sachen, die wir meistens gar nicht wahrnehmen. Diese Beispiele will ich bringen, um zu verdeutlichen, daß Hegemoniekämpfe auch außerhalb unserer Strukturen stattfinden. Wichtig ist dann, sich auf diese zu beziehen und nicht eine Exklusivität zu formulieren: Unsere Ansprechpartner sind nur Jugendliche, die Probleme mit Nazis haben. Aber dies reicht nicht, denn es finden noch in ganz anderen Ecken der Gesellschaft solche Kämpfe statt. Ich denke eben, daß es wichtig ist, dies auch wahrzunehmen und sich darauf zu beziehen.
Und ich würde auch in Frage stellen, ob bei dem obengenannte Betriebsratsbeispiel, die Leute rassistischer sind als das Milieu, in dem wir uns befinden.
APPLAUS

unverständlicher Beitrag

Raul Zelik: Ich hab auch nicht gesagt, daß man irgendwo hingehen soll, sondern da, wo man ist eingreift und das hängt eben davon ab, wo du dich bewegst. Viele von uns jobben irgendwo und viele greifen von uns nicht ein, dies denk ich, ist dann auch ein Problem. Es muß das Bewußtsein dasein, daß man zu allen Tageszeiten politisch handelt und nicht nur bei Treffen sitzt oder dann bewußt handelt, wenn Aktionen angesagt sind.
Ich würde auch noch mal etwas sagen, was ich heute Morgen schon einmal gesagt habe. Das Ziel der Veranstaltung ist nicht, Wahrheiten oder strategische Vorschläge zu entwickeln, weil ich dies auch nicht kann. Ich sage hier etwas vor dem Hintergrund, daß ich es wesentlich finde politisch organisiert zu sein und in politische Debatten einzugreifen, d.h. auch sich nicht nur in einem Mikrokosmos zu verhalten. Deshalb bin ich in einer politischen Gruppe und find auch wichtig, daß es einen Organisierungsprozeß in der Linken geben muß. Diese Organisierung muß sich dann auch in breite gesellschaftliche Realitäten einmischen.

Beitrag Madlen: Es ist wichtig eine Trennung zu vollziehen zwischen politischer Strategie und der alltäglichen Situation in der man sich bewegt – eben nicht nur mitzuschwimmen, wie alle anderen auch, sondern sich als politischer Mensch zu begreifen, sich zu hinterfragen und das lautstark zu äußern. Aber man muß schauen, wo es Sinn macht. Es darf nicht nur abhängig sein von meiner persönlichen Situation in der ich mich gerade befinde – gehe ich zur Schule, dann finde ich es wichtig Jugendliche anzusprechen – bin ich 40, finde ich Jugendliche nicht mehr so wichtig. Ich finde es auch noch mit 40 wichtig, mich um Jugendliche zu kümmern, aber ich habe eine andere Ausgangsposition. Ich muß hier versuchen, auf einer anderen Ebene Verständnis zu bekommen. Es soll aber nicht so sein, daß ich meine politische Zielsetzung abhängig mache von meinem Lebensbereich, in dem ich mich bewege.

Raul Zelik: Es nervt mich zu hören, daß es so schwierig sei zu agieren: Ich glaube, daß es eine Spezialität der Linken ist, die sich aus der Praxis verabschieden wollen. Viele Sachen sind natürlich mühsam, aber die sind auch anderswo und zu anderen Zeiten mühsam gewesen und oft viel gefährlicher. Hierzulande hat man es gar nicht so schwer, politische Arbeit auf verschiedenen Ebenen zu machen. Es gibt auch Gegenbeispiele, wo etwas funktioniert. Funktionieren heißt nun nicht, daß der große Durchbruch gelingt. Funktionieren kann auch bedeuten, daß man als politische Gruppe eine Kontinuität wahrt, sich immer wieder einmischt in Themen, neue Leute einbindet, Politisierungsprozesse vorantreibt, für Leute offen ist, die andere kulturelle Codes zu haben, als man selber hat. Und dies fehlt hier. Hier gibt es entweder ein Subkultur–Identitäts-Wir–Gefühl oder ein Schreibzimmerlinkendasein, daß sich darauf beschränkt, den anderen zu enttarnen, weil er etwas nicht richtig analysiert hat. Ich kann dies natürlich auch leicht sagen, Berlin ist eine politikfreundlichere Stadt als 'ne Klitsche in Sachsen. [Applaus]

Beitrag Frank: Das Problem der befreiten Zonen ist nur teilweise das, was Gramsci im Hegemoniebegriff beschreibt. Das Konzept der befreiten Zonen ist erst einmal ein klassisch repressives Konzept der Stiefelnazis auf der Straße. Es ist die direkte physische Machtausübung, die nicht über die Ideologie und die Kultur wirkt, sondern über die Vernichtung der Gegner. Es ist das Wegprügeln alles Undeutsche von der Straße. Bessere Beispiele für kulturelle Hegemonie wären solche Gruppen wie Rammstein oder Böhse Onkelz. Gruppen, die vor Jahren noch skeptisch beäugt wurden und jetzt in ganz normalen Diskos gespielt werden.
Oder dass in den 70er Jahren unpolitische Fussballfans in den Stadien mit RAF - Parolen provoziert haben und heute mit Naziparolen provozieren.
Das Beispiel der prügelnden Nazis ist kein sehr gutes Beispiel bei der Betrachtung der kulturellen Hegemonie. Dies entspricht mehr dem damaligen Verständnis der Parteikommunisten in Rußland, die alles im Bezug auf Repression sahen und nicht auf die breite Zustimmung der Massen zu einer bestimmten Ideologie.

Beitrag Hannes: Aber es gibt dann den Punkt, wo die Nazis nicht mehr prügeln müssen und es stellt sich für mich als Linker die Frage, wie kann ich hier angreifen. Es gibt hier die Situation, daß bestimmte Positionen, bestimmte Personen gar nicht mehr rein dürfen. Wie kann ich hier wieder rein, wie kann ich hier wieder Fuß fassen?

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