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Eiko und Volker
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Eiko: Ich möchte damit beginnen, daß der Titel der
Veranstaltung etwas irreführend ist. Er bedient sich einer
Eigentum-Diebstahl-Metapher, die sich durch das gesamte Referat zieht, die wir
später aber dementieren werden. In erster Linie beziehen wir uns nicht auf
die Diebe, sondern auf die Bestohlenen, also uns und unser vermeintliches
Eigentum. Es gibt wie ich erfahren habe um 16 Uhr eine AG mit dem Titel
Gibt es eine Nazikultur und wenn ja, mit welcher
Perspektive?. Ich denke, daß dort einiges geklärt wird,
was wir hier nicht abhandeln können. Zum Ablauf ist zu sagen, daß
ich das Feld eröffnen werde, die Problemstellung eher allgemein fasse und
danach anhand eines Bildbeispiels das Problem konkretisieren werde. Volker wird
dann in einem theoretischen Teil erklären wie Bedeutung produziert wird,
sich verändert, verschiebt und verdichtet. Danach präsentieren wir
als Schmankerl drei Thesen, die wir dann hier diskutieren können. Also
gut.
Das fatalistische Paradigma vom Scheitern der Umsetzung gesellschaftlicher
Utopien, unter dessen Vorherrschaft sich auch traditionell kritische
Intellektuelle in den zivilgesellschaftlichen Chor eingereiht haben,
kennzeichnet sich unter anderem durch die Verkündung von
Endzeitgefühlen: Ende der Geschichte, der Kunst, der Ideologien (das
Feuilleton sieht in letzterem gerne den Nachweis, daß die Rechts -
Linksunterscheidung obsolet geworden sei). Nichts scheint mehr so zu sein, wie
es noch nie war. Die Linke hat sich vorerst nur mit dem Ende der Subkulturen,
bzw. der mit ihr assoziierten Vorstellungen von Rebellion, Emanzipation und
einer praktischen Form des Antikapitalismus angefreundet. Das Ende des
Subversionsmodells Pop wurde emphatisch verkündet, der alles
vereinnahmende Markt als Sieger gekürt.
Wenn nun Substream und Mainculture nur noch miteinander, vielleicht auch
gegeneinander zu denken sind, da subkulturelle Erscheinungen sich durch die
Abgrenzung zum Mainstream, durch ein anderssein definieren, sind
beide gleichzeitig aber in ihrer Distribution auf die Strukturen der
kapitalistisch organisierten Kulturindustrie angewiesen. Fragt sich wie schlimm
das eigentlich ist und ob die richtige und alles andere als neue Feststellung,
daß es kein außerhalb kapitalistischer Verhältnisse gibt,
nicht reicht, das Jammern über Majors und den Ausverkauf von diesem und
jenem zu beenden.
Schon die These von der Kulturindustrie war angetreten zur Verteidigung der
(klassischen) Moderne, die noch auf der Unterscheidung zwischen Hoch- und
Massenkultur basierte, während dieser Antagonismus im Pop (und damit im
Markt) als überwunden galt.
Wichtiger scheint uns die Frage, wie sich überhaupt Bedeutung einschreibt,
vermittelt, verschiebt und verändert bis hin zur Umkehrung in ihr
Gegenteil. (Als Beispiel an dieser Stelle: Es gibt seit längerem in der
Nazimusikszene einen Independentstreit, vielleicht als
Wiederholung, vielleicht als Farce der 80er Indidebatte. Auf jeden Fall
läuft es da sehr ähnlich ab, nämlich so, daß die Nazibands
angehalten werden, nicht bei Majors zu zeichnen, sondern im eigenen Saft bei
den Kameraden zu veröffentlichen.)
Dabei spielt die Frage nach Original und Authentizität eine zentrale
Rolle. Diese und andere essentielle Kategorien sind im Rahmen
poststrukturalistischer Theorien nachhaltig erschüttern worden. Für
weite Teile der Linken scheinen jedoch die eigenen kulturellen
Erzeugnisse nach wie vor fest um einen linken Kern gruppiert, das Zielpublikum
festgelegt, das Produkt außerhalb nicht verkäuflich. Leider ist
festzustellen, daß sich von anderer Seite nicht an das imaginierte
Copyright gehalten wird. In Bezug auf Sprache, rebellische Gesten und Musik
könnte man von einem Diebstahl linker Codes sprechen. Wenn man sieht, was
in Jugendzentren passiert, in denen von staatlicher Seite akzeptierende
Jugendarbeit betrieben wird, gleichzeitig aber innerhalb die Nazis quasi
selbstverwaltete Strukturen haben, dann erinnert das doch sehr an die 80er
Jahre.
Dagegen denken wir, daß sich als links, emanzipatorisch, etc. verstehende
kulturelle Äußerungen darauf angewiesen sind, ihre Abgrenzung zum
status quo permanent neu zu bestimmen. Jedes statische Verharren in sogenannter
Eigentlichkeit ist aufzugeben, der eigene Kontext stets neu zu vermessen und
die ästhetische Vermittlung politischer Positionen darf nicht auf einen
bestimmten Formenkanon festgeschrieben werden.
Sprich fremde Sprachen im eigenen Land (Fehlfarben) war die
richtige Aufforderung, die Rebellion gegen und die Abgrenzung von Eltern und
Establishment durch eine eigene, dem Gegner unbekannte Sprache radikal
kenntlich zu machen, die eigene Rede ständig zu ändern. Diese
Strategie verkommt wie im Falle der Popzeitschrift Spex zu einer
Art krudem Geheimwissen, zu einem Habitus, der sich selbst genug ist.
Wie Diedrich Diederichsen in seinem zur Genüge kritisierten Essay
Der Boden der Freundlichkeit in der "Beute" ausführlich
nachgewiesen hat, macht die Linke nach wie vor mit Kultur Politik und ist
unserer Meinung darauf angewiesen, ihre Positionen ästhetisch zu
vermitteln. Ein reiner Ideologietransfair ist schwer vorstellbar, mitunter auch
langweilig. Die Attraktivität der Linken ist gerade hinsichtlich der
Integration von Kids von ihrer kulturellen Praxis abhängig. Schon die
Entstehung der Neuen Linken war weniger durch eine ökonomische Situation
motiviert, sondern vielmehr aus einer Mischung politischer Empörung und
der Faszination einer anderen Alltagspraxis. Um diese andere Alltagspraxis, die
Verbindung von Politik und Leben ist die Linke seit über 30 Jahren
bemüht, sowohl die Situationisten, als auch die 68er, die Spontis und die
Autonomen in den 80er Jahren trachteten danach, diese Fusion zu
ermöglichen.
Dies unterschied sie von der Rechten (während die Linke den Alltag in
seiner Abfolge von Arbeit, Reproduktion und Freizeit grundsätzlich
ändern wollte, hatten die Nazis damit nie ein Problem). Erst in letzter
Zeit ist nach dem Scheitern der Wohlfahrtsausschüsse beispielsweise in der
Linken eine Abkehr davon zu bemerken. Die unproduktive Unterscheidung in
sogenannte Kulturlinke und politische Linke ist unserer Meinung nach ein
Ergebnis davon.
Gleichzeitig ist zu beobachten, daß die Naziszene sich mit Erfolg
bemüht eine eigene kulturelle Praxis zu entwickeln und dabei traditionell
linke Codes sich zu eigen macht. Bei genauerer Betrachtung ist festzustellen,
daß alle Übernahmen, Bedeutungsverschiebungen etc. sich linker,
vakanter Codes bedienen. Wenn die Reden gegen den Kosovokrieg, die die
nationalen Infotelefone abspulen nur beim zweiten Hinhören von schlechten
linken Flugblättern zu unterscheiden sind, wenn die JN die Diktion der
Antiimps aus den 80er Jahren kopiert, wenn die Kameradschaften das autonome
Kleingruppenmodell nachahmen, dann läßt sich trotz aller
inhaltlicher Unterschiede feststellen, daß allen genannten Beispielen ein
starker Bedeutungsverlust in der radikalen Linken vorausging. Die Linke besitzt
nichts. Sie kann vielleicht eine Zeit lang die Definitionsmacht über ihre
kulturellen Aneignungen halten, ihre Symbole und Codes sind nicht essentiell.
Als am 1. Mai 1998 die Nazis am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig eine
geordnete Kundgebung durchführen wollten und dabei von dezentral
agierenden Antifas mehr oder weniger gestört wurden, sagten wir zurecht,
daß symbolisch unser Chaos gegen ihre deutsche Ordnung stand. Es gibt
jedoch zahlreiche Beispiele, wo das Gegenteil der Fall ist. Das
Subversionsmodell ergibt sich stets aus der Relation, nie aus sich selbst
heraus.
Thema des Kongresses ist ja die Kulturelle Hegemonie, die Dominanz
der Nazis und ich möchte an dieser Stelle noch etwas zum Verhältnis
von Nazi- und Jugendkultur sagen.
Wir gehen zunächst davon aus, daß sich in einigen Gebieten die
Phänomene Nazismus und Jugendkultur soweit einander angenähert haben,
daß wir von einer Nazi-Jugendkultur sprechen können. Damit ist aber
noch nichts gesagt, weder wird nach dem Vorbild pädagogisierender
Entschuldigungen diese Entwicklung damit verniedlicht (typische
Auflehnung perspektivloser Jugendlicher, kennt man ja seit den Halbstarken und
Rockern), noch wollen wir die Faktoren unbeachtet lassen, die
tatsächlich spezifisch für Jugendkulturen sind.
Es gibt selbstverständlich große Unterschiede zwischen dem
historischen NS und seinen heutigen Epigonen. Ebenso wie in anderen
gesellschaftlichen Feldern gilt auch im Kulturellen: Der Gegenstand der
Betrachtung spricht seine Geheimnisse nicht unmittelbar aus. Es ist notwendig,
die Felder, in denen er sich bewegt und die Gesetze, nach denen er sich bewegt,
offenzulegen. Das heißt, einzelne Elemente des Erscheinungsbilds
Nazi-Jugendkultur zu untersuchen.
Im Folgenden gehen wir von zwei zentralen Elementen aus: die ideologischen
Inhalte und deren Vermittlung. Die Vermittlung dieser Inhalte funktioniert in
der Regel nicht komplex, sie bedient sich bestimmte Vehikel. Diese Vehikel
bewegen sich oft in der Sphäre des Symbolischen. Die Symbole stehen aber
nicht für sich, sondern haben verschiedene Bedeutungen. So ist z.B. der
Begriff Jugendkultur mit einer Menge symbolischen Kapitals beladen.
Weil die Jugendkultur zumindest in den letzten 30 Jahren als fortschrittlich
galt, profitieren Nazigruppen, die sich in der Formsprache von Jugendkulturen
bewegen, von eben diesem Beigeschmack. Sie versuchen sich, als eine neue
Avantgarde zu verkaufen. Die bürgerlichen Deppen nehmen das als Nachweis
für die strukturelle Gleichheit von rechts und links. Wir wollen mit
diesem Referat den Nachweis erbringen, daß diese Gleichheit nicht
existiert, sondern nur aufgrund verschiedener Bewegungen auf der Ebene der
Symbole eine scheinbare Gleichheit ist. Daß es möglich ist, mit
verschiedenen Symbolen Gleiches und mit gleichen Symbolen Verschiedenes zu
sagen, wird Gegenstand dieser Betrachtung sein.
Zum Bild:
Was Ihr hier seht, ist ein JN-Aufkleber, der auf den 1.Blick sehr an Aufkleber
von Palästinakomitees der 80er erinnert. Die Gemeinsamkeiten, aber auch
Unterschiede werde ich jetzt versuchen, herauszuarbeiten. Es gibt auf der
sprachlichen Ebene drei Stichworte: Imperialismus, Revolution, Nationalismus,
auf der bildlichen ist es der Intifadakämpfer. Von diesen vier Elementen
entspringen drei einem linken Kontext. Nur der Nationalismus fällt da
heraus, wenn auch Antiimps immer einen positiven Bezug zum
Befreiungsnationalismus hatten, so doch nie die stumpfe Affirmation der eigenen
Nation. Klar ist, daß hier die Begriffe eine andere Verwendung finden,
gleichzeitig aber die JN das Risiko eingeht, einen linken Bedeutungsrest
mitzuschleppen, der einen Teil ihrer Zielgruppe abstoßen könnte.
Beim Begriff Imperialismus ist es bestimmt so, daß die JN
keinerlei Kritik an großdeutscher Außenpolitik hat, den Begriff nur
auf einen US-amerikanischen bzw. einen sogenannten israelischen Imperialismus
bezieht. Die Unterscheidung beim Begriff Revolution muß wohl
nicht näher erläutert werden. Wichtig ist aber noch das Bild. Hier
ist es so, daß der Intifadakämpfer für die Autonomen in seinem
Agieren ein Vorbild war: mit Steinen gegen Gewehre, bzw. gegen Wasserwerfer -
eine komische Parallelisierung. Im Fall der JN dient das Bild einzig dazu, den
Ort zu benennen, nämlich Israel. Das reicht, um den Antisemitismus der
Zielgruppe zu aktivieren. Ein strafrechtlich relevantes Juden raus!
wird so umgangen. An anderer Stelle wurde schon zur genüge auf den
antisemitischen Charakter des linken Antizionismus verwiesen. Das will hier
nicht diskutiert, doch zumindest erwähnt werden.
Volker: Noch ein weiters Beispiel, ein Textbeispiel, ich habe das aus
einer Homepage einer Naziorganisation gezogen, das ist ein Internet-Journal
namens Nationaljugend, das das Übliche verbreitet, antisemitische,
rassistische holocaustleugende Inhalte usw. und da gibt es eine Rubrick, die
unter dem Begriff Menschenrechte läuft. Und da wird jetzt in der aktuellen
Seite verwiesen auf einen geschichtsrevisionistischen Historiker Udo Valendi,
der verhaftet wurde und da lese ich jetzt einfach einen kurzen Haftbericht vor
:Nachdem Udo Valendi aus einen Haftkrankenhaus wegen eins
Blasenblutsturzes vorübergehend entlassen wurde, verhaftete man den schwer
kranken Geschichtsforscher am 12.10. 1997 in seiner Wohnung in
Mönchen-Gladbach. Der gesundheitlich stark mitgenommene Forscher wurde aus
dem Bett gezerrt und in das Häftlingskrankenhaus gebracht, es bestand
keine Fluchtgefahr - jetzt geht das so bla, bla weiter und dann folgt
noch die schöne Zeile: In Deutschland ist es dunkel geworden.
Ich verwende das Beispiel eigentlich nur deshalb, weil ich das doch recht
bezeichnend finde, wie ganz bestimmte Begriffe aus einer Menschenrechtsrethorik
dann hier von den Nazis verwendet werden, um sich für einen der ihren
einzusetzen und mir ist als ich zufällig auf diese Internetseite
gestoßen bin, spontan klar geworden, Moment das kenne ich doch irgendwie
aus den 80ern von Amnesty International (ai), die haben damals genau solche
Berichte verfaßt Verhaftungsberichte, die in einem sehr ähnlichen
Jargon gehalten waren. Es gibt auch schon länger von den Nazis die
"Hilfsorganisation für nationale Gefangene" (HNO), die ähnliche
Kampagnen laufen hat wie ai Gefangene des Monats usw. Da kann jetzt
ai nix dafür, ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Nazis
durchaus in der Lage sind, solche Begriffe zu verwenden und die sehr
humanistische Mitbedeutung dieser Begriffe mitzunehmen. Es gibt noch sehr viel
andere Beispiele für diesen Zeichentransfair, den die Nazis vornehmen,
aber auch einer der von der Mitte vorgenommen wird.
Ein solches Beispiel wäre die Auschwitzmetaphorik mit der wir im
Kosovokrieg belagert wurden. Da wurde ein Begriff aus seinem historischen
Kontext entnommen und übertragen, als Kriegsbegründung verwendet und
Leute wie Scharping und Fischer wußten ganz genau welche Co-Bedeutung
diese Begrifflichkeiten auch haben. Wir haben das auch im Bosnienkrieg erlebt,
da war es eine Begriffstransformation, die die Mitte vollzogen hat, da gab es
in den Medien und auch in Comics z.T. ein Ikonographie, die ganz deutlich an
die Shoa angeleht war. Es gibt ein ganz bestimmtes Foto von einem
Häftling, der vor oder hinter einem Stacheldraht steht und das wurde auch
sehr gern in den Zeitungen gesampelt mit einem Bild aus einem Nazi-KZ und da
wurde die Analogie suggeriert.
Ähnlich ist es eben mit den ai-Jargon, der übernommen wird und
ähnlich ist es mit dem Thema, um das wir uns hier ein bißchen
kümmern wollen, das Nazis sich den Habitus einer Jugendkultur aneignen
bzw. daß Naziorganisationen genau damit handeln.
Und jetzt müssen wir einfach mal schauen, wie diese
Begriffsübertragung funktioniert. Das es kein Diebstahl ist, wollen wir
jetzt beweisen, weil anzuzweifeln wäre, daß es überhaupt
Besitzrechte an diesen Begriffen gibt. Und dazu werde ich jetzt wohl oder
übel in die Theorie eintauchen müssen und mein großes Anliegen
ist, daß ich rüberbringen kann warum die Felder, die ich jetzt
gleich öffne, warum die sich von der Antifaarbeit wegbewegen werden und
gleichzeitig mit den Thema eng verbunden sind.
Es scheint in all diesen Beispielen möglich geworden, einen
Bedeutungsträger von seiner Bedeutung abzukoppeln und mit einer neuen zu
versehen, wobei es in den meisten Fällen beabsichtigt ist, Co-Bedeutungen
(Konnotationen) der alten Bedeutung mitzunehmen und die neue Bedeutung damit
aufzuwerten.
Wir müssen uns also damit befassen, was passiert, wenn in einer
Gesellschaft bestimmte Bedeutungen verwendet werden, was mit ihnen in ihrer
Verwendung passiert und wie sie überhaupt produziert werden. Denn, wie wir
auch am Beispiel des Referatsthemas immer wieder erfahren, sind Bedeutungen
eben nicht unumstößlich. Sind sie erst einmal vakant (gemacht
worden), müssen sie, um ein Ergebnis dieses Vortrages gleich
vorwegzunehmen, müssen sie stets neu verhandelt werden. Wir werden also im
folgenden zunächst auf einige Grundlagen eingehen müssen, sozusagen
die Spielregeln erklären. Wir sind uns bewußt, keinen Ausgang aus
dem Problem bieten zu können. Ich werde nur beschreiben wie
Bedeutungsverschiebungen sich vollziehen und ich muß leider sagen,
daß das grundlegende Prozesse sind, daß ich da jetzt nicht sagen
das ist gut oder böse, schlimm oder nicht schlimm. Das ist erst einfach
mal so.
Es geht mit zunächst darum, die Prozesse, die wir beobachten können,
zu erklären. Eine Wertung dieser Vorgänge vorzunehmen, ist - wie zu
sehen sein wird - nicht möglich, da das Grundschema der Prozesse ein
alltägliches ist.
Die Bereiche, in denen wir uns hier bewegen, sind grundlegende. Sie geben uns
darüber Auskunft, wie der Mensch seine Beziehung zu seiner stofflichen
Umwelt organisiert und reflektiert. Es ist der Bereich der Sprache, denn in der
Benennung macht der Mensch sich Objekte zu eigen, jede Namensgebung verleiht
Bedeutung und ist eine Unterwerfung des Objektes. Das kann ich eigentlich ganz
banal erklären anhand dieser Flasche. Diese ist eine Ansammlung von
Materie und sie wird erst dadurch zur Flasche, daß ich sie als eine
solche definiere. Und das ist im Prinzip eine Besitzaneignung und die Sprache
ist nun mal so eingerichtet, daß zwischen Objekt und Begriff eine kleine
Lücke klafft, und diese Lücke macht die Dinge möglich, über
die wir hier die ganze Zeit sprechen, nämlich Verschiebung, Ironie usw.
Das ist eine ganz wichtige Grundlage. Und es ist der Bereich der Psychoanalyse,
denn ihre Deutungen sind Übersetzungen einer fremden Ausdrucksweise in
eine vertraute, also ein Versuch, Bedeutungszusammenhänge hinter ihrer
Erscheinung zu erschließen. Das kennen wir aus verschiedenen anderen
Formen, daß die Gegenstände der Betrachtung ihre Geheimnisse nicht
verraten: z. B. aus der marxschen Wertformanalyse, aus dem Fetischcharakter der
Ware, daß die Dinge etwas an sich zu haben scheinen und wie diese
Aneignung funktioniert, ist auf den 1. Blick nicht ersichtlich und darum dreht
sich das jetzt alles.
Wir haben diese zwei alltäglichen Felder gewählt, um an ihnen einen
Vorgang zu veranschaulichen, der sich im speziellen Feld der Nazi-Jugendkultur
wiederholt.
Der Linguist Roman Jakobson erklärt Sprache mit dem Bild, daß
Sprecher und Hörer optimalerweise denselben Karteischrank mit
vorangefertigen Vorstellungen zu ihrer Verfügung haben sollten. Im
Sprechvorgang sollen im Prinzip Karteikarten ausgetauscht werden, die
möglichst inhaltsgleich sind. (Ich sage Baum, in der Hoffnung,
daß auf deiner Baum-Karte dasselbe steht, wie auf meiner.)
Ein Sprechvorgang, so betont Jakobson, verlangt zum Erzielen
der erwünschten Wirkung die Benutzung eines allen Teilnehmern gemeinsamen
Kodes.
Wie kommt der Sinn ins Sprechen?
Grundelemente für Verständigung sind kleinere linguistische
Einheiten, die wir jetzt einfach Zeichen nennen. Sinnproduktion ist
dann möglich, wenn diese Zeichen auf eine bestimmte Art miteinander in
Beziehung gesetzt werden, beispielsweise beim Sprechen. Eine Form dieses in
Beziehung setzen von Zeichen ist ihre Kombination. Ich kette eine bestimmte
Menge dieser Zeichen aneinander und erhalte einen Sinnzusammenhang, solange ich
mich im Rahmen bestimmter Sinnverabredungen bewegt habe. (Ein Unsinn orientiert
sich ebenfalls an diesen Verabredungen, da er sich erst durch die Abwesenheit
von Sinn konstituiert.) In der Kombination von Zeichen bilde ich also eine
nächst höhere Einheit, ich schaffe durch die Kombination auch einen
Kontext. Durch Kombination und Kontext schaffe ich Bedeutung.
Die zweite Anordnungsmöglichkeit von Zeichen sieht die klassische
Sprachwissenschaft in der Möglichkeit der Selektion. Ich bin in der Lage,
in meinem Repertoire von Zeichen eine Auswahl zu treffen, ich kann Zeichen
gegeneinander austauschen. Eine Entscheidung zwischen zwei
Möglichkeiten setzt voraus, daß die eine Möglichkeit für
eine andere, welche der ersten in einer Hinsicht gleichwertig ist und in einer
anderen Hinsicht nicht gleichwertig ist, eingesetzt werden kann, sagt
Jakobson. Bedeutung wird also verliehen durch zwei Bewegungen: Eine verleiht
Bedeutung durch den Kontext, ein Zeichen in seiner Stellung zu anderen
anwesenden Zeichen, die andere durch den Kode selbst, ein Zeichen als
Alternative zu anderen abwesenden Zeichen.
Welche Möglichkeiten ergeben sich hieraus in der Anwendung, bei der
Verwendung von Bedeutung? Eine Rede, so betont Jakobson, kann auf zwei
verschieden Arten ihren Gegenstand in einen anderen Gegenstand transformieren.
Also ganz banal: Ich habe sehr rechte Inhalt, ich habe jetzt das Problem, diese
Inhalt in eine Rede transformieren zu müssen, daß sie auch von
Sozialdemokraten angenommen werden und das passiert ja immer. Und deshalb
müssen wir uns anschauen wie das passiert.
Ich kann den Gegenstand durch einen anderen ersetzten, für Hütte also
Häuschen, für Baracke, ironisch Palast oder ähnliches verwenden.
Diese sprachliche Operation nennen wir den metaphorischen Weg, da hier die
rhetorische Figur der Metapher zur Anwendung kommt.
Die andere Möglichkeit ist die Verwendung eines kontextbedingten Begriffes
in Form einer Assoziation. Ich kann den Begriff Hütte verbinden mit den
Begriffen Stroh, Armut, Wald, etc. Diese sprachliche Operation nennen wir den
metonymischen Weg, da hier die rhetorische Figur der Metonymie zur Anwendung
kommt. Bei herkömmlicher Sprechtätigkeit sind beide Operationen
ständig in Aktion. Diese Operationen, die der Metapher und die der
Metonymie, sind die Grundvoraussetzungen dafür, daß es möglich
ist, Begriffe und Symbol aus ihrem bisherigen Bedeutungszusammenhang
loszulösen und, mit einem neuen versehen, loszuschicken. Ein konkretes
Beispiel: man hat in den 80er Jahren eine Form der akzeptierenden Arbeit mit
Usern von Drogen entwickelt und ist in einem bestimmten Teil diese
Theorieentwicklung auf Sachen gekommen z. B. auf einen
Kriminalisierungsdiskurs, hat sich also Entkriminalisierungssachen
überlegt und das war dann gekoppelt an eine Legalisierung von Drogen. Die
institutionalisierte Fassung dieser akzeptierenden Arbeit kehrt jetzt wieder
ohne ihre progressiven Inhalt bzw. durch eine falsche Verschiebung, kehrt
wieder in der akzeptierenden Arbeit mit Nazis. Und wenn ich jetzt meine 1:1
übertragen zu können: Einen Kriminalisierungsdiskurs auf der
Drogenebene, auf Jugendarbeit mit Nazis und genau das tun viele Sozialarbeiter,
dann komme ich am Ende dahin, daß ich die Auschwitzleugnung legalisieren
muß. So einfach geht das eben nicht. Und bei dieser Verschiebung blieb
der progressive Ansatz auf der Strecke.
Siegmund Freuds Traumdeutungen, Der verborgene Weg der Bilder und ihrer
Bedeutung.
Wir sprechen also über das Auftauchen von Bildern, Symbolen, Wörtern,
an Orten, an denen sie auf den ersten Blick nichts verloren haben, ein
Auftauchen, das uns verunsichert, weil es die gewohnte Wahrnehmung
erschüttert. Wir können auch nicht verstehen, warum diese Dinge
plötzlich funktionieren, warum Begriffe angenommen werden, obwohl sie doch
aus ganz anderen Zusammenhängen kommen. (z.B. der Widerstands-,
Freiheits-, Revolutionsbegriff der Nazis, ihr antikapitalistischer Habitus,
etc., lauter Elemente, die eher in einer linken Traditionslinie zu sehen sind).
Tauchen diese Elemente plötzlich an unerwarteter Stelle auf, so scheint
ihre Bedeutung eine Verschiebung erfahren zu haben. Bilden sich komplexe
Zusammenhänge in einem einfachen Vorgang ab, so sprechen wir von einer
Verdichtung. Wir möchten im folgenden anhand eines Exkurses
veranschaulichen, wie das funktioniert.
Siegmund Freud untersuchte vor hundert Jahren in den Traumdeutungen die
Beziehungen zwischen den manifesten Traumgedanken, also der bildlichen
Erscheinungen der Träume und den latenten Trauminhalten, also ihren
traumformenden Hintergründen. In ihrer Erscheinung völlig
unterschiedlich, vermitteln beide Ebenen denselben Inhalt, Traumgedanke
und Trauminhalt liegen vor uns, wie zwei Darstellungen desselben Inhaltes in
zwei verschiedenen Sprachen, oder besser gesagt, der Trauminhalt erscheint uns
als eine Übertragung der Traumgedanken in eine andere
Ausdrucksweise.
(Im Konkreten bedeutet das, daß es Nazis durchaus möglich ist, die
einen Begriffe und Symbole zu bedienen und etwas ganz anderes damit zu sagen,
als bisher mit diesen Zeichen assoziiert wurde. Wenn sie etwa in klassischer
Antiimpdiktion der 80er Jahre vom "US-Imperialismus" als Feind sprechen,
schließt das die eigenen großdeutschen Machtgelüste nicht in
die simulierte Imperialismuskritik mit ein, was bei den Antiimps immerhin der
Fall war. Die progressisve Konnotation der antiimperialistischen Haltung wird
aber mit einkalkuliert. Sie formulieren etwas in der einen Sprache, was in der
anderen als klare Nazi-Position zu erkennen wäre. Es gibt zwischen beiden
Äußerungen jedoch einen Zusammenhang, der sich über die beiden
Bewegungen der Verdichtung und Verschiebung vermittelt. Ihn gilt es zu
durchschauen.)
Freud vergleicht den Traum mit einem Rebus, einem Bilderrätsel. Würde
man die einzelnen Zeichen nur nach ihrem Bildwert deuten, so würde man in
die Irre geführt. Es ist nicht die Bedeutung der einzelnen Zeichen zu
interpretieren, sondern ihre Beziehung zueinander. Die einzelnen Bilder mit
durchgestrichenen Buchstaben und Ziffern ergeben keinen Sinn. Die
richtige Beurteilung des Rebus ergibt sich offenbar erst dann, so Freud,
wenn ich gegen das Ganze und die Einzelheiten desselben keine solchen
Einsprüche erhebe, sondern mich bemühe, jedes Bild durch eine Silbe
oder ein Wort zu ersetzen, das nach irgendwelcher Beziehung durch das Bild
darstellbar ist. Wenn wir uns über diese Beziehung im klaren sind,
können wir den Begriffen (Jugendrevolte, Protestkultur) die Wirkung
nehmen.
Im Laufe seiner Arbeit stellte Freud fest, daß es ohne weiteres
möglich sei, der Analyse eines Traumes, dessen Niederschrift vielleicht
eine halbe Seite beansprucht, das zehnfache an Platz zu widmen. In die Bilder
der Traumgedanken müssen also Trauminhalte komprimiert eingegangen sein.
Verschiedene latente Trauminhalte erfahren also eine Verdichtung in einem
manifesten Bild des Traumgedankens, dieses Traumbild ist eine Art Knotenpunkt
unbewußter Gedankenstränge. Freud nennt diese mehrfache Aufladung
eines Zeichens mit Bedeutung Überdetermination. Heute findet dieser
Begriff auch außerhalb der Psychoanalyse seine Verwendung. Symbole,
Zeichen, die mehrere Deutungen ermöglichen, gelten als
überdeterminiert, streng genommen ist jedes Zeichen überdeterminiert
.
Einen ähnlichen Prozeß gibt es auch bei Traumpersonen. Freud stellt
fest, daß in Personen, die im Traum agieren, oft mehrere reale Personen,
die auf der latenten Ebene gemeint sind, verschmelzen. Diese Personen nennt er
Mischpersonen. Es wäre interessant, diesen Gedanken auf diverse Stars der
Nazi-Musik anzuwenden, in denen sich ideell die Eigenschaften vom Rockstar und
Nationalsozialist, von Junkie und Soldat vermischen.
Die Vermittlung zwischen latentem Trauminhalt und manifestem Traumgedanken
erfährt noch eine weitere Verzerrung. Es ist die bereits angesprochene
Verschiebung, eine nicht minder bedeutsame Relation. Zu ihr schreibt Freud:
Wir konnten bemerken, daß die Elemente, welche im Trauminhalt sich
als die wesentlichen Bestandteile hervordrängen, in den Traumgedanken
keineswegs die gleiche Rolle spielen. Der Traum ist gleichsam anders zentriert,
sein Inhalt um andere Elemente als Mittelpunkt geordnet als die
Traumgedanken. Das Zentrum einer Erscheinung muß also nicht das
Zentrum ihres Inhaltes sein. Ein Traum, dessen Analyse ergeben hat, daß
er die Beziehung von Sexualität und Grausamkeit thematisiert, gruppiert
die Elemente, die auf Sexualität und Grausamkeit verweisen, an seine
Peripherie. Die Bilder, in denen sich der Themenkomplex verdichtet hat,
scheinen im Traum fast zufällig neben der Handlung anwesend. Das kann man
ganz banal erklären. Es gibt einen Traum wo Freud das auflöst,
daß der Verweis auf den eigentlichen Inhalt des Traumes am Rand der
Handlung stattfindet, in diesem Beispiel wird im Rahmen der Handlung ein
Fenster geöffnet und ein Käfer zerquetscht und der Käfer ist
dann das Element, das die Analyse ermöglicht. Das ist eine ganz klare
Verschiebung.
(Gelächter im Publikum)
Beide Bewegungen, die der Verdichtung und die der Verschiebung, lassen sich
analog zu den vorhin ausgearbeiteten Grundoperationen der Sprache sehen. Die
Verdichtung vollzieht eine ähnliche Bewegung wie die Metapher, sie bildet
das eine in dem anderen ab. Die Verschiebung vollzieht eine ähnliche
Bewegung wie die Metonymie, sie stellt die Begriffe in ein assoziatives
Verhältnis.
Es drängt sich die Frage auf, warum Träume sich derart chiffriert
äußern. Es wäre ja auch möglich, den Trauminhalt
völlig unverschlüsselt auszuformen. Hier kommt Freud auf eine
für unsere Problematik interessante Lösung: Der Grund für die
verschlüsselte Kommunikation zwischen Bewußtsein und
Unbewußten ist Zensur. Ein gesellschaftliches Verhältnis also.
Gedanken, die gesellschaftlich mit Sanktionen belegt sind, werden
verschlüsselt transportiert. Wir denken, daß die Nazis ähnlich
verfahren und Inhalte, die sie für unpopulär, strafrechtlich relevant
oder unmoralisch halten, verschlüsselt auf den Weg schicken. So ist es
auch möglich, mit völlig überholten politischen Vorstellungen
eine gewisse Hipness zu erheischen, da es möglich ist, diese Vorstellungen
entstellt zu vermitteln.
Was wir hier referiert haben, waren letztendlich die einfachen Grundlagen einer
theoretischen Auseinandersetzung mit Zeichen. Zeichen sind
Schlüsselelemente, mit denen sich gerade subkulturelle Gruppen kenntlich
machen. Bedeutung vermittelt sich über sie. Wir hoffen, mit diesem Text
auch die Alltäglichkeit der Prozesse veranschaulicht zu haben, die wir
unter den Titel Diebstahl linker Codes betrachten wollen.
Dieser Diebstahl sollte niemanden verunsichern, wir Linke besitzen nichts.
Bedeutungsträger kann man nicht besitzen. Aber etwas weiter gefaßt
haben wir es hier mit Tauschprozessen zu tun und als Linke sollten wir auf der
Hut sein. Ein Tausch vollzieht sich immer unter dem Anschein der
Gleichwertigkeit. Diese ist ebenso Grundlage wie auch die gleichzeitige
Nichtgleichwertigkeit. Kein Mensch kauft eine Ware, die ihr Geld nicht wert ist
und kein Mensch verkauft eine Ware, ohne die Aussicht auf Profit. Gerade an
diesem Beispiel ist zu sehen ist, wie wichtig für Vereinbarungen ein
reales Gewaltverhältnis sein kann, das diese durchsetzt. Der von der
bürgerlichen Öffentlichkeit vorgeschlagene Tausch eines
linkscodierten Begriffs von Jugendlichkeit gegen einen rechtscodierten birgt
jedenfalls die bei Tauschbewegungen übliche Asymmetrie. Auch bei der von
den Nazis vollzogenen Tauschbewegung - wir verwenden jetzt mal schnell
eure Begriffe - wird eine Seite klar über den Tisch gezogen. Wir
erinnern uns an die Worte Roman Jakobsons über die Eigenschaft von Zeichen
bei ihrem Austausch: Eine Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten
setzt voraus, daß die eine Möglichkeit für eine andere, welche
der ersten in einer Hinsicht gleichwertig ist und in einer anderen Hinsicht
nicht gleichwertig ist, eingesetzt werden kann.
Thesen:
1. Subversive Elemente in Jugendsubkulturen ergeben sich stets aus Relationen,
nie aus sich selbst heraus. Insofern sind auch Symbolik und Habitus
verschiedener Jugendkulturen nicht per se fortschrittlich. Einen Anspruch auf
eine bestimmte kulturelle Praxis hat die Linke nicht. In diesem Sinne besitzt
sie nichts originär, sondern bewegt sich in den gleichen Feldern, unter
den gleichen Bedingungen, wie andere auch.
2. Der Linken obliegt nach wie vor die Aufgabe, Bestehendes zu kritisieren und
auf Basis dieser Kritik zu intervenieren. Dafür verfügt sie über
nichts, als ihr Wissen, daß es nichts Richtiges im Falschen geben kann.
Da eine grundlegende Änderung des gesellschaftlichen Rahmens bisher nicht
gelungen ist, bleibt auch der kulturelle Sektor Bedingungen unterworfen, unter
denen er niemals unschuldig sein kann. Daraus folgt aber nicht, die
symbolische Ebene als irrelevant zu ignorieren und endlich wieder
richtige Politik machen zu wollen. Die symbolische Ebene gilt es
gerade als Artikulation des gesellschaftlichen Scheins der Dinge sehr genau zu
beobachten.
3. Daß Nazis eine Symbolik aufgreifen, die Jugendkulturen eigentlich zu
sein scheint, ist nur ein Grund mehr, diese Eigentlichkeit zu hinterfragen.
Wenn wir uns über Beziehungen von Symbolen untereinander im Klaren sind,
können wir dem revolutionären Anspruch der Nazis die
Wirkung nehmen. Sie fahren mit einem Ticket, das so noch nie gültig war.
Moderation: Ich würde aufgrund der Komprimiertheit der
Vorträge eine Runde Sachfragen starten. Das soll jetzt auch keine
Diskussion über Freud oder ähnliches werden, sondern bitte nur
Verständnisfragen.
Auditorium A.: Es ging dabei um die Verschlüsselung von Tabuthemen
durch Nazis in unsere Sprache damit sie moderner wirken, aber was ist der
Schluß daraus, daß die Gesamtthemen enttabuisiert werden oder
bleiben sie eingesperrt in dieser Ebene wie sie den Begriff neu definieren?
VOLKER: Das ist ein wechselseitiger Prozeß: Auf der einen Seite
wollte ich mit dem Beispiel klarmachen, daß es durchaus möglich ist,
in einer nicht-nazispezifischen Diktion Dinge zu erzählen, die das Gleiche
meinen. Das geht wirklich bis in die bürgerliche Mitte hinein z. B. hat
die Asylkampagne mit NS-Begriffen wie Blutschande gearbeitet, allerdings auch
mit normalen Begiffen, die schon eine Zensur durchlaufen haben und
deswegen wird nicht das schockierende Moment formuliert, aber mitgedacht. Das
ist nur ein Prozeß, der sich im Verhältnis zwischen Unbewußten
und Bewußtsein vollzieht, ebenso aber auch gesellschaftlich.
EIKO: Aber mit in Kauf genommen wird auch, daß dieses Produkt
nachdem es den Weg durchlaufen hat, daß dem die Schärfe genommen
wurde, also auf sprachlicher oder symbolischer Ebene die Radikalität und
damit müssen die Nazis sich ja anfreunden, was uns nicht unbedingt lieb
sein kann. Wenn die Schärfe auf der Erscheinungsebene zu erkennen ist, ist
sie wesentlich leichter anzugreifen, als wenn sie verschlüsselt
daherkommt.
VOLKER: Das sind dann solche Formulierungen wie das muß man
doch auch mal sagen dürfen, siehe Walserrede, wo dann plötzlich
Inhalte in einer Sprache rübergebracht werden und gleichzeitig diese Tabus
immer mehr aufgelockert werden.
B.: Ich würde gerne die Ebene der Sachfragen verlassen, deshalb
frage ich, ob noch irgend jemand ne Sachfrage hat? - na gut, dann zieh ich noch
mal zurück.
C.: Du hast echt gut beschrieben, wie gleiche Symbole mit verschiedenen
Inhalten gefüllt werden können, besonders am Beispiel mit dem
JN-Aufkleber. Jetzt stellt sich für mich aber die Frage: Glaubt ihr,
daß die Nazis bewußt linke Symbole, Wörter, Bilder mit ihren
Inhalten füllen oder ist es nicht viel mehr so, daß es z. B.
für die Nazis tatsächlich eine Menschenrechtsverletzung ist, wenn
Faschos verhaftet werden, da es ja bloß ihre öffentliche
Meinungsäußerung ist, daß es also wirklich eine Befreiung
wäre - aus ihrer Sicht - wenn national-befreite Zonen bestehen
würden, daß sie tatsächlich ein Gefühl von Revolution,
Freiheit, Verwirklichung von Menschenrechten hätten - wie es für uns
logisch wäre - für sie aber eben auch. Ist das jetzt eine
absichtliche Verschiebung, um ihre Inhalte zu kaschieren oder ist es aus einem
guten Glauben von den Nazis, daß sie tatsächlich auf der richtigen
Seite wären?
VOLKER: Also im Fall von der Internetseite, die ich zitiert habe,
muß man sagen, die ist derart dümmlich gemacht, daß da ein
sehr echauffierter Diskurs bemüht wird, man regt sich sozusagen
künstlich auf. Auf der anderen Seite wäre dann die Frage, ob der
Menschenrechtsbegriff nicht doch auch universelle Werte impliziert, die von den
Nazis geleugnet werden. Kann also ein Nazi diesen Begriff so naiv verwenden und
das auch ernst meinen - ich glaube, daß das eher eine taktische
Verwendung ist. Auf der anderen Seite gibt es dann das Problem, wo die
ursprüngliche Bedeutung dieser Begriffe liegt. Wer hat eigentlich das
Copyright auf dem Menschenrechtsbegriff?
D.: Sind Symbole nun inhaltsleer, können sie von jedem nach
Belieben gefüllt werden, können provokativ gesagt, die Nazis mit
Hammer und Sichel werben? Können sie das füllen?
EIKO: Ich glaube nicht, daß es völlig beliebig ist, aber
dennoch möglich, allerdings erst nach Vakanz der Symbole, was man an
diesem Che Guevara-Beispiel gut zeigen kann. Che hat hier diese Bedeutung nicht
mehr - als Popidol ja, als Linker nein. Und deshalb kann es auch in andere
Felder eingeführt werden - dieses Symbol. Was Hammer und Sichel betrifft
kann man ja gut sehen, daß in Rußland durchaus nationalkonservative
Kräfte damit werben.
VOLKER: Wir hatten gestern das Beispiel mit dem Arbeitsbegriff, ich
möchte das daran illustrieren (siehe Situationsanalyse). Der
Arbeitsbegriff war in real sozialistischen Staaten sehr zentral - das ist das,
was ich versucht habe mit der Überdetermination zu erklären. Dieser
Begriff - man kann ihn nicht einfach nehmen und ihn rein marxistisch
auflösen, weil er genauso protestantisch kodiert ist, es gibt eine
knallharte protestantische Werksmoral, die die Arbeiterbewegung genauso
mitgeprägt hat. Da wären wir jetzt beim Hammer oder bei der
Arbeiterfaust, da schwingt die Männlichkeit, der harte Typ, der ranklotzt
mit - also andere Aufladungen schwingen mit und ich glaube, daß das auch
ein Schlüssel ist für die Frage, die wir gestern hatten: Wenn in
einem Arbeitsbegriff andere Diskurse nicht ausgeschlossen werden, z. B.
protestantische Werksmoral, die immer gekoppelt war und ist an einer
christlichen Antijudaismus und das dann kombiniert werden kann mit einer falsch
verstandenen Marx-Lektüre, die den Juden als Agenten der
Zirkulationsphäre denunziert - dann schwingt das alles mit und wird
herübergenommen in die ach so entwickelte sozialistische Gesellschaft, die
auch nur ne fordistische war. Diese Begriffe sind eben
überdeterminiert, man wird die schlechten Beigeschmäcker nicht los
und das ist leider auch mit Hammer und Sichel so, in dem Moment, wo sich
niemand mehr so richtig kümmert, wie etwa die Rore Armee.
[Gelächter im Publikum]
F.: Ich wollte eine grundsätzliche Kritik an Eurer Methode
anbringen. Ich bin deswegen erfreut, daß Du gerade das Wort Zirkulation
angesprochen hast, weil ich finde, daß Eure poststrukturalistische,
dekonstruktivistische Lesart eine Zirkulationsphilosophie darstellt. Ich werde
das kurz begründen: In dem Ihr eigentlich immer von jäh
konstituierter Geltung ausgeht, in dem Ihr immer schon sagt, das ist das
Zeichen was eine bestimmte Bedeutung produziert, fällt die eigentliche
Frage, was dieses Zeichen überhaupt setzt, hinten runter. Bzw. es wird
einfach damit begründet, daß das Zeichen immer auf andere Zeichen
und auf seinen Kontext verweist und damit ist die traditionelle Differenz, von
der die kritische Theorie und der traditionelle ML ausgegangen sind, daß
es eine Differenz zwischen Begriff und Sache gibt, bei Euch immer schon in der
Zeichenwelt, in der symbolischen Ordnung, im Diskurs aufgehoben.
VOLKER: Da waren wir doch noch gar nicht!
F.: Ich kann es ja kurz noch ausführen. Es kam mir vor wie die
andere Seite von dem, was der traditionelle Marxismus gemacht hat, und was ihm
zu recht immer vorgeworfen wurde und implizit ja auch von Euch, daß er
die Zeichen immer nur abgeleitet hat, daß er eine Substanz vorausgesetzt
hat, die Materie, die Natur oder die Ökonomie und die Zeichen waren dann
nur ein Name für irgend etwas. Bei Euch ist es jetzt einfach umgekehrt;
das Zeichen produziert Bedeutung und schleppt den so nach oder verweist halt
auf andere Zeichen und die eigentliche Frage, warum muß das Zeichen sich
verdinglichen oder verräumlichen, also warum muß die Zeichenwelt die
Zirkulationsphäre auf irgendwas verweisen, was zumindest das andere ihrer
selbst ist, auf Produktion meinetwegen, warum muß sich das Zeichen
Flasche überhaupt noch verdinglichen in so einen blöden materiellen
Gegenstand - die Methodenfrage ist darin überhaupt nicht mehr
thematisierbar. Ich bin jetzt nicht der traditionelle MLler, der sagt es
muß doch jetzt eine Substanz vorausgesetzt werden, der Begriff kann doch
nur auf das verweisen, woran er sich ableitet - sondern ich sage umgekehrt: Ihr
macht einfach nur die andere Seite auf. Es sind zwei Dichotomien, die sich
beide gleichermaßen an sich selbst kritisieren müßten.
VOLKER: Das zentrale bäh-Wort bei Dir, war jetzt Postmoderne.
F.: Nein poststrukturalistisch habe ich gesagt.
VOLKER: OK. entschuldige. Ich glaube ich weiß, was Du mit Deiner
Kritik meinst, ich erkenne nur unseren Vortrag darin nicht wieder. Wir haben
immer wieder darauf hingewiesen, daß die Zeichen eine Öffnung zum
sozialen Feld sind, die Bedeutung von Zeichen wird ganz klar in der
gesellschaftlichen Sphäre ausgemacht und sie transportieren sich nicht
selbst, sie sind keine autonomen Subjekte. Wir haben immer wieder Verweise auf
die Verhandlungsebene gehabt. Und zum Poststrukturalismusstreit: Was ich hier
referiert habe, war purster Strukturalismus, der Poststrukturalismus fängt
ein paar hundert Meter hinten dran dann an. Es ist auf jedem Fall wichtig,
daß es immer gesellschaftliche Verhältnisse sind, die diese
Definition klarmachen.
F.: Das habe ich doch gar nicht bestritten...
Moderation: Bevor wir hier in Detailfragen über Strukturalismus
verfallen, denke ich, daß wir ein Ausgangsthema haben, auch wenn wir mit
der Methodik, die die beiden angewendet haben nicht ganz einverstanden sind,
wurden doch ein paar grundsätzliche Sachen angelegt. Ich würde jetzt
gerne noch Sachfragen haben, und wenn es keine mehr gibt in die Diskussion
einsteigen wollen.
G.: Eine Strategie linker Sprache war immer die Provokation z. B. Punk.
Die Nazistrategie war immer, die NS-Verbrechen zu leugnen, von der Schuld
reinzuwaschen, um die Basisideologie wieder in der Gesellschaft zu verankern.
Jetzt gab es einen furchtbaren Wahlspot der NPD zu einer Landtagswahl, wo eine
Blondine ihren Macker von der Wahlurne abholt mit einem Porsche, dann Gas gibt
und dann erscheint der Schriftzug: NPD - Gasgeben für
Deutschland. Jeder von uns weiß, worin die Provokation liegt, aber
das lief im Fernsehen! Bedeutet das, daß die Nazis die Codesprache der
Provokation übernehmen? Ist da so eine Tendenz spürbar?
H.: Hier wurde jetzt die Frage gestellt, ob das ein neues Phänomen
sei, daß Nazis provokativ auftreten. Das haben wir vor 20 Jahren schon
gehabt, als Michael Kühnen die Eselsmasken-Aktion in Hamburg
durchgeführt hat. Wo Teile der ANS mit Eselsmasken rumliefen und Plakaten
wo drauf stand: Ich Esel glaube noch, daß 6 Millionen Menschen
vergast wurden. Damals war das provokativ, heutzutage würde er damit
wohl auch nicht mehr landen.
I.: Ich wollte nur ne Sache ergänzen, weil wir hier auch
über Subkulturen reden - ich find das ganz klasse, daß Ihr
grundsätzlich mal die Zeichenlogik erläutert habt - die führt
nämlich auch noch auf ein anderes Feld, was jugendliche Musik- und
Subkulturen anbetrifft. Also in diesem Dark-Wave-Gothic-Bereich gibt es Leute,
die ohne Nazis zu sein, plötzlich mit nazistisch belasteten Symbolen
rumspielen, die also einen Thorshammer um den Hals tragen - ohne Nazis zu sein,
dabei aber die ganze germanische Mythologie mitschleppen und mit etlichen
anderen Symbolen hantieren. Auch Hakenkreuze, die sie dann linksrum drehen,
sind ein sehr beliebtes Muster. Das Laibach-Problem hast Du schon genannt. Und
die Leute sind immer in ihrer Selbstdarstellung so naiv, daß die sagen ja
Herrgott, daß Hakenkreuz: ein altes indisches Symbol, die tun so als
würden sie diesen Kontext wieder mobilisieren.
Ich glaube das müßte man bei diesem Subkulturthema auch noch mal mit
reflektieren, inwiefern bestimmte Symbole gerade in Deutschland immer nur im
Kontext, in Relation funktionieren, daß man aber, wenn man das
Einzelsymbol Hakenkreuz hat, die Reaktion sozusagen immer über den
Verwendungszusammenhang Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts gegeben ist
und daß das so eine Naivität ist, daß da auch dieser
Provokationsgehalt innerhalb dieser Subkultur an eine Grenze stößt -
das ist eben genannt worden - da gab's auch in England Punkbands, die keine
Rechten waren, die vorübergehend Hakenkreuzarmbinden trugen oder
entsprechend T-Shirts, zuerst aus der Provokation heraus, daß
überhaupt noch mal zum Thema zu machen, nur ohne es einzubetten und
plötzlich war die National Front da. Die Phänomene müßte
man auch mal mit reflektieren, wenn es um Jugendsubkulturen geht, wo einige
Leute immer noch so begeistert landen wollen in puncto Mobilisierung: Da steckt
ein Riesenproblem drin und ich bin sehr dankbar dafür, daß ihr das
so grundsätzlich ausgeführt habt, weil auch das damit reflektierbar
geworden ist, also: Danke.
J: Ich hätte noch eine Frage. Was ich verstanden habe war,
daß Begriffe und Definitionen über gesellschaftliche
Verhältnisse geprägt werden und über die gesellschaftliche
Diskussion hätte ich noch eine Frage, weil Thema des Kongresses die linke
Interventionsmöglichkeit ist, also in die Diskussionen einzugreifen,
Symbole mitzuprägen und wie daß dann funktionieren könnte.
EIKO: Wir haben vorhin schon gesagt, daß wir keine Perspektive
anbieten werden und das auch nicht können [Gelächter], ja das
ist ernst gemeint. Und zwar glaube ich, daß das Eingreifen schon darin
anfängt, diese Verschiebung von Zeichen zu verstehen und dann kann man
sich darum kümmern, wenn man neue Begriffe/ Symbole einführt -
kulturelle Hegemonie der Nazis wäre so einer - in wieweit man
die so anfüllt, so verteidigt, daß man sie erstemal für sich
reklamieren kann, bis sie für uns die Bedeutung nicht mehr haben und wir
sie dann wieder abstoßen können. Aber ich glaube, man muß sich
davon verabschieden, daß wir Symbole und Begriffe generieren und die dann
für uns auf ewig behalten können.
J: Es war keine Forderung nach Perspektiven, sondern eher eine
Verständnisfrage, wie Ihr das erklärt, ob denn die Möglichkeit
besteht einzugreifen.
VOLKER: Es ging uns darum klarzumachen, daß diese Symbole keine
Ewigkeitsgarantie haben, daß sie stets neu verhandelt werden müssen.
Gerade wenn es um das Eingreifen geht, hat sich herausgestellt, daß man
an ganz bestimmten Symbolen so festhält, daß ich fast von einer
Fetischbildung sprechen würde. Und das halte ich für sehr
gefährlich. Nehmen wir die Ikone Che Guevara, der wohl dummerweise in
keiner WG der letzten 30 Jahre gefehlt hat und irgendwann wird das so voll,
daß es platzt und dann wird der Schuh danach benannt. Ich wollte mit dem
Gesagten nur verhindern, daß dann eine große Sinnkrise ausbricht.
Klar ist, man wird an Symbolen nicht vorbeikommen, man wird sie immer wieder
verwenden. Ich lasse mir aber die Kritik am exzessiven Gebrauch von Symbolen
nicht nehmen. Die AA/ BO-Fahnen beispielsweise sind nicht originär
antifaschistischer Tradition, also da gab es gerade in Leipzig in den letzten
Jahren immer Debatten drum.
D.: Also ich würde gerne Eure Grundthese kritisieren und die ist ja
die, daß Ihr sagt, man soll die Eigentlichkeit der Symbole hinterfragen.
Nun habt Ihr Euch da selbst in einen Widerspruch verwickelt, indem Ihr selbst
nach Wesen und Eigentlichkeit der Dinge fragt. Das will ich jetzt nicht weiter
ausführen. Ich will aber darauf hinaus, daß ich denke, daß wir
als Linke nicht die Aufgabe haben, die Eigentlichkeit der Symbolik danach zu
befragen, in wie weit sie durch Nazis zu gebrauchen oder mißbrauchen
sind. Sondern ausschließlich hat sie unseren eigenen Ansprüchen und
Werten, die wir uns setzen, zu genügen.
Ich bin der Meinung, daß linke Symbolik grundsätzlich von Nazis
mißbraucht werden kann, weil das in ihrer Ideologie selbst so angelegt
ist. Das war schon immer so und das wird auch immer so bleiben. Wer Mein
Kampf in Auszügen kennt, dort beschreibt Hitler, warum er meint,
daß das Hakenkreuz nur auf einer roten Fahne verwendet werden kann. Also
meine These von der NS-Weltanschauung ist, daß dort immer die Erscheinung
für das Wesen gehalten wird. Das ließ sich am besten an der
Antisemitismusdebatte herausarbeiten, d. h. die begreifen einfach nicht das
Wesen wie wir es als Linke begreifen. Sie halten immer die Erscheinung für
das Wesen, daraus schließen sie alles. Deshalb müssen sie auch alles
personifizieren usw. Da gibt es auch in der Linken eine unsägliche
Tradition, aber da muß man jetzt nicht weiter in die Tiefe gehen. Das
Entscheidende ist, daß die NS-Ideologie immer die Erscheinung für
das Wesen hält und das muß uns auch in Zukunft als Linke von den
Nazis unterscheiden, daß wir diese Erscheinungen immer hinterfragen.
Ziemlich gut bringt es die Rede vom Antisemitismus auf den Punkt, daß es
sich nämlich dabei um verkürzten Antikapitalismus handele.
Also wenn sie von Imperialismus reden, dann schwingt da alles mit, was sie an
Ideologie haben. Das ist eigentlich nicht der linke Begriff - ich möchte
jetzt nicht auf die antizionistische Tradition eingehen - sondern ihre eigene
Verwendung.
Desweiteren möchte ich doch ein Ausblick auf Perspektive geben. Ich denke,
daß das beste Mittel gegen NS-Ideologie wirklich linksradikale Politik
ist. Und das Problem dabei ist, daß die Symbole, die links aufgeladen
sind - ich gehe mal davon aus, daß Ihr genau wie ich der Meinung seid,
daß es keine linke Kultur gibt, man kann die nur entsprechend definieren,
codieren. Man muß da auch über Dinge reden wie den Machtanspruch,
wie emanzipatorisch ist dieser, wenn man Definitionsmacht erhebt usw. das ist
vielleicht bei diesem Kongreß nicht zu klären. Das sind Dinge, die
müssen einfach auf den Tisch. Ich denke, daß dieses linke Codieren
nur funktionieren kann, wenn wir uns in einer ganz bestimmten
Geschichtstradition sehen und stellen. Ansonsten werden wir immer wieder in der
Luft zerrissen, weil wir keine Möglichkeit und Motivation haben, warum wir
überhaupt Symboliken verteidigen sollten, wenn wir keine Geschichte haben.
Das ist das Problem und das höre ich bei Euch so raus, daß Ihr das
lieber über Bord werft, als daß Ihr gewisse Dinge verteidigt. Die
Gefahr in dieser Umwertung der Symboliken ist ja beispielsweise die White
Power-Faust, die ursprünglich ein urlinkes Symbol war und wenn man Euren
Argumentationen weiter folgt, dann ist es für Euch ein leichtes, die
einfach so über Bord zu werfen. Das unterstelle ich Euch in der
Folgerichtigkeit Eurer Ausführungen. Ich wollte noch eine Sache sagen,
weil es sich gerade anbietet und dann komm ich auch zum Schluß.
Eine besondere Gefährlichkeit sehe ich in der
nationalsozialistischen Internationale. Es ist weltweit zu
beobachten, daß faschistische Ideologien innerhalb dieser Naziszene auf
dem Rückzug sind, also Orientierung an Franco oder an Italien und
daß sich weltweit die Orientierung wirklich an so einem NS-Ding
aufbauscht, was letztendlich die Gefahr in sich birgt, daß sie vormals
linke Symbole für sich nutzbar machen, mit der Motivation: Die Linke hat
fertig für das nächste Jahrtausend. Als Beispiel: Silvester findet in
Halle eine Demo statt mit dem Motto: Das nächste Jahrtausend
gehört dem Nationalismus und das ist genau ihr
Selbstverständnis.
EIKO: Ich möchte auf einige Punkte von D. eingehen, ich teile Deine
Einschätzung, daß es bei den Nazis immer so war, daß sie die
Erscheinung für das Wesen hatten, ich glaube aber nicht, daß es bei
der Linken das Gegenteil war - und ich finde es jetzt einen falschen Ausweg,
einen neuen Essentialismus zu predigen, was ich bei Dir raushöre, d. h.
bestimmte Kategorien wieder auf den Sockel zu setzen: Wahrheit im Singular usw.
Ich denke nicht, daß man die Geschichte vergißt und die Symbole
einfach verkauft, sondern daß man einfach deren Relativität begreift
und als Linke begreifen muß, daß heißt aber nicht, daß
damit der Diskurs die Linke auffrißt.
VOLKER: Ich bitte zu unterscheiden, wenn wir bestimmte Symbole über
Bord schmeißen wollen, dann werfe ich damit noch nicht die Geschichte
über Bord, es ist die Frage, in wieweit Geschichte über diese Symbole
abzubilden ist, diese Symbole werden ja rein empirisch immer sehr wild
rumgeschubst und wir wollen mit unseren Vortrag davor warnen, daß man
sich derart an diesen Symbolen orientiert. Und mit dem besten Mittel gegen den
NS, also wenn alle alliierten Bomberpiloten Linksradikale waren, dann waren wir
mal richtig gut [Gelächter], aber ich glaube das waren die nicht.
K.: Ich habe eine halbe Nachfrage, ich weiß nicht, ob ich das
richtig verstanden habe. Du hast vorhin im Bezug auf die Nazis und den
Imperialismus und ihre Symbolik gegen US-Imperialismus und ich weiß nicht
ob Du das so gemeint hast, daß die Nazis nämlich den
US-Imperialismus tatsächlich ablehnen und bekämpfen wollen und
daß das für sie nicht nur ein symbolischer Akt oder Tarnung usw.
ist. Sie meinen das tatsächlich ernst. Das läßt sich auch
belegen: Michael Kühnen hat schon 1981 einen Aufruf verfaßt,
daß die Linken und Rechten doch den Kampf gegen den US-Imperialismus
zusammenführen sollten - und das meinte er ernst.
EIKO: Ich teile das, es ist schon ernst zu nehmen, daß die Nazis
gegen den US-Imperialismus sind, der Unterschied ist nur, daß der
Imperialismus des eigenen Landes da natürlich nicht mitgedacht ist.
VOLKER: Das spezifische an dieser symbolischen Ebene und der
Imperialsmusbegriff gehört da einfach mit rein; Wörter funktionieren
eben auch wie Zeichen und das Dumme ist nun mal, wenn die Nazis einen Begriff
wie Imperialismus verwenden und dabei versuchen auf einen linken Zug
aufzuspringen, dann ist nicht einfach der Begriff kaputt - weil die Begriffe
das eben aushalten - und natürlich sie haben das ernst gemeint, sie haben
das nur auf eine andere Art ernst gemeint als die Linke, als sie den gleichen
Begriff verwendete. Daran sieht man wie viele Stränge sich in einem
Begriff ausformulieren können, daß haben wir ja versucht zu
referieren.
L.: Die Nazis haben in letzter Zeit einen qualitativen Quantensprung
gemacht, sie sind mehr geworden, mehr Köpfe, mehr Ideen. Und jetzt sind
sie dabei, eine eigene Sprache, Kultur usw. aufzubauen, bzw. die Räume die
sie eh schon haben, weiter auszubauen. Und sie wollen halt rebellisch sein oder
sich zumindest den Anschein geben. Die Frage ist jetzt nicht, wie sie
irgendwelche Begriffe mit ihren eigenen Inhalten füllen oder eben
mißbrauchen. Die Frage ist, wie man als linksradikaler Mensch dieser
gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die Auschwitzrelativierung von Fischer
usw. entgegen tritt. Man sollte sich überlegen, alte und neue Symbole zu
entwickeln, vielleicht eine Art linke Kultur aufzubauen, weil du auf Techno und
Gruftipartys Faschos triffst, und auf Punkrockkonzerten triffst du Sexisten und
Rassisten, auch Faschos und die meisten Linken machen rum in ihrer eigenen
Subkultur, wir haben keine Ausstrahlung mehr. Das sind die Sachen, die mich so
interessieren.
EIKO: Aber wie wäre jetzt der Vorschlag eine linke Kultur
aufzubauen, wie könnte er aussehen, wie sind die Bedingungen dafür?
L.: Die Bedingungen sind einfach in dieser Kulturgeschichte zu suchen.
Es gibt viele Linke, die sagen, Techno ist Kommerz, aber es gibt auch eine
Technoszene, die unkommerziell ist. Genauso wie du bei Punkrock eine
Entpolitisierung hast. Der Punkrock hat in den 80er Jahren heftigere Texte als
heute, wo es nur noch um saufen, ficken, fertig geht - ist doch bullshit. Dann
kann man auch sehen, daß die Linke den 80ern hinterher rennt, und ich
denke die Verhältnisse haben sich mittlerweile so verändert,
daß Du wieder von vorne anfangen mußt - als Linksradikaler. Du hast
in der Linken diese Entpolitsierung. Du triffst häufig Leute, die sagen:
ich bin unpolitisch usw. - man sollte einfach wieder Farbe
bekennen.
VOLKER: Ich wollte dazu nur eins sagen, weil Du diese Unterscheidung
zwischen nicht- und kommerzieller Kultur gebracht hast; ich halte diese
Unterscheidung schon für einen fatalen Grundfehler. Es gibt im
Kapitalismus keine nicht-kommerziellen Bereiche und diese ganze Subkultur ist
ein Nebenstrang und kein diametral entgegen gesetzter. Und das andere ist:
Warum willst Du mit etwas neu anfangen, was schon mal nicht geklappt hat. Punks
haben schon immer vom Saufen gesungen, bitte das ist Punk. [Gelächter,
Ablehnung, Zwischenrufe]
Moderation: Es ist unsinnig, das ohne Mikrophon weiterführen zu
wollen, die Antwort war kurz und gut, vielleicht sollten wir später
zurückkommen auf den Punkt, inwieweit so ein Begriff wie Antikommerz noch
greifen kann und ähnliches.
M.: Ich möchte hinweisen auf eine Konsequenzlosigkeit von Dingen,
die ihr gesagt habt. Ihr habt darauf hingewiesen, daß politische
Positionen ästhetisch vermittelt werden sollten, da der reine
Ideologietransfair zu langweilig wäre und ich finde es interessant und
bezeichnend, daß da niemand widerspricht. Zumal einige die hier sitzen,
dem in der Praxis immer widersprechen, weil das heißt ja nichts anderes,
als daß Symbole verwendet werden; d.h. auf einer Demonstration verwendet
man eben nicht pure Ideologie, sondern versucht, ästhetisch zu vermitteln
und verwendet dafür Symbole, das ist die logische Schlußfolgerung
von Eurem Reden. Die Kritik der Linken daran ist aber: Das ist ja
Inhaltslosigkeit. Nun ist man aber auf Verwendung von Symbolen angewiesen, und
die einen sind eine Zeit lang gut, weil sie eine gewisse Bedeutung haben und
die verschwindet dann halt wieder. Dieser Idee kann man nicht allzuviel
entgegensetzen. Andererseits gibt es auch Symbole, die länger halten, weil
sie länger mit einer linken Idee oder Geschichte verbunden sind, was man
dann auch nicht einfach außer acht lassen kann und nicht einfach sagen
kann: Wir können uns jetzt beliebig Symbole rausgreifen, wie z.B. einen
Apfelbaum und den jetzt zu einem linken Symbolträger machen, das geht
nicht. Man muß sich fragen, was macht man mit den historischen Symbolen,
warum diese nicht verwenden, solange sie eine Bedeutung für die Leute
haben und solange man damit noch Sachen vermitteln kann.
EIKO: Ich glaube, wir haben die ästhetische Vermittlung etwas
breiter gefaßt, nicht nur auf der Symbolebene, sondern an Deinem Beispiel
Demo. Die Musik, die da gespielt wird, ist auch eine ästhetische
Vermittlung und was ich vorhin mit diesem reine Ideologietransfair sagte,
daß der nicht möglich ist: wenn man z.B. die Zeitschrift "Bahamas"
anguckt, die ohne Layout auskommt, nahezu, aber jetzt kommt genau der Fehler:
Es ist trotzdem Layout. Das heißt, sie versuchen den reinen
Ideologietransfair vorzugeben, aber in der Gestaltung, die sie nutzen, wird das
auf ästhetische Weise umgesetzt. D.h. es gibt auch da den reinen
Ideologietransfair nicht. Und auf anderer Ebene bin ich dankbar, daß sich
so ein radikal - Schnipsellayout nicht durchgesetzt hat.
[Gelächter]
N.: Ich wollte die zentrale These unter Punkt 1 angreifen, daß die
Linke nichts besitzen würde. Sie besitzt sehr wohl etwas, nämlich
eine Ideologie, die ihre Geschichte hat und zwar steht im deren Zentrum die
Egalität. Der ästhetische Ausdruck mag sich vielleicht verschieben,
aber zentrale Begriffe, die aus der marxistischen Terminologie stammen, die
sollte man unbedingt verteidigen, sonst werden sie wirklich vakant und dann
können die Rechten diese Hülle übernehmen und eben auch
Imperialismus im Flugblatt unter ganz anderen Vorzeichen verwenden. Das liegt
auch an der Linken, weil die sich dieser Begriffe nicht mehr richtig
bewußt ist. Wenn wir Begriffe linker Ideologie verkommen lassen, dann
fördern wir quasi faschistische Bestrebungen, weil wir den Nazis das
überlassen. Wir müssen uns dieser Geschichte wirklich bewußt
sein und die Begriffe weiter verwenden.
VOLKER: Wir haben versucht über linke Codes zu sprechen, daß
es bestimmte Inhalte gibt, die beibehalten werden müssen, das würde
ich gar nicht abstreiten. Mit der Geschichte wird es schwierig, da Geschichte
immer ein Herrschaftsprodukt ist und Geschichte verschwindet dann auch gerne
mal, je nach dem, wie sie gerade erzählt wird. Man kann sich nicht ganz
positivistisch auf den Begriff der Geschichte beziehen, da muß man auch
sagen, welche Geschichte man eigentlich meint.
Die Symbole sind dummerweise änderbar und das gilt auch für zentrale
Symbole der Arbeiterbewegung, die auch schon im klassischen Faschismus einfach
verwendet wurden. Wir haben nur davon gesprochen, daß diese Symbole nicht
zwangsweise an eine Bedeutung zu koppeln sind. Es geht nicht darum
linksradikale Inhalte - und ich denke, daß wir durchaus einiges von Marx
beachtet haben in unserem Vorgehen, Struktur und Erscheinung sind ja im
Marxismus zentrale Elemente - über Bord zu werfen. Nur das unreflektierte
Festhalten an bestimmten Parolen und Begriffen wie der Arbeiterfaust etc., das
wollen wir über Bord werfen.
O.: Ich fand das gut, daß Ihr das auch von der Methode her so
dargestellt habt, ich fand das nur bißchen abstrakt und meine, daß
man das mehr differenzieren muß. Die Frage nach dem Mißbrauch
hinter Symbolik stellt sich für mich bei einigen Beispielen nicht. Da sind
rebellische Gesten von Jugendkulturen genannt worden, Rebellentum als solches
ist nicht mit linken Inhalten verbunden, das ist relativ wertfrei, d.h. es gibt
einerseits wertfreie Codes, die eine Methode darstellen, aber keine Inhalte.
Wilhelm Reich hat den Faschismus mal als Rebellion der Spießer und
Kleinbürger bezeichnet, daß hat nicht unbedingt was mit Linken zu
tun. Es hat von der NF mal einen Zeitschriftentitel gegeben, da stand
drauf: Macht kaputt was Euch kaputt macht, das war von Ton Stein
Scherben übernommen. Das war auch ein Code, der bei den Linken mal sehr
verbreitet war - aber keine besonders linke Bedeutung hat. Andere Fälle
wie der gezeigte Aufkleber, die ja nun einen ganz bestimmten Hintergrund haben,
der kommt ja noch aus der Zeit, wo die JN in nationalrevolutionärer Manier
versucht hat, mit Linken zusammenzuarbeiten oder in linke Kreise einzubrechen.
Das war im Ergebnis relativ erfolglos - obwohl das bestimmt einige Irritationen
auslöste z. B. in den Subkulturen, die sich um die Linke herumgruppiert
haben, aber theoretisch nicht immer gefestigt waren. Da gibt es von Naziseite
einen bewußten Einflußversuch. Ich würde übrigens
abstreiten, daß die jemals irgendwie antiimperialistisch gewesen sind,
sondern, daß das eher ein Code von Antiamerikanismus ist, den sie immer
gepflegt haben. Klar ist, daß ein wesentlicher Bestandteil des NS der
Imperialismus ist und das gilt auch noch heute.
Es gibt noch einen 3. Fall, diesen Widerstandsbegriff, wo sie sich Aktion
Widerstand nennen oder ähnliches. Das ist eine feindliche
Übernahme des Begriffes, weil ich verbinde damit den Widerstand gegen den
NS, in Frankreich heißt das dann resistance, also auch
Widerstand und den Nazis geht es wohl darum, uns Geschichte kaputt zu machen
und da ist es angebracht, sich gegen zu wehren.
P.: Über die grundsätzliche Notwendigkeit von Symbolen sind
wir uns wohl einig, da habt Ihr ja auch nix gegen gesagt. Ihr wolltet darauf
hinweisen, daß Symbole unterschiedlich gedeutet werden können und
auch unterschiedlich aufgeladen werden können. Nur das Dilemma, in dem wir
dann ja stecken, selbst wenn wir das einsetzen und sagen: O.k., wir
benutzen jetzt neue Symbole und legen die alten ad acta, dann ist das
Problem, daß da eine gewisse Trägheit besteht, denn zuerst muß
klar sein, welche Symbole wir warum neu besetzen oder neu aufladen und die
Alten ablegen und daß natürlich auch die Nazis damit operieren
können oder auch andere. Und das Problem der Trägheit, nämlich
daß die Symbole eine gewisse Bedeutung mit sich rumschleppen, was Ihr ja
auch gesagt habt, und diese alte Bedeutung lassen sich nicht einfach damit
kappen, daß wir der Masse sagen: Das gilt so nicht mehr.
VOLKER: Es geht ja um die Frage, wie zentral diese Symbole dann sein
müssen in der linksradikalen Politik. Ich persönlich meine,
daß, wenn ich mir bestimmte Broschüren anschaue oder auch Outfit,
politisiertes Outfit, dann ist das mir sehr oft zu zentral und ich würde
eher dafür plädieren, die Wertigkeit, die man da hineininterpretiert
hat in den 80er aber auch in 90er Jahren wieder etwas
zurückzunehmen. Es gibt einfach keine Subkultur und Symbole, die aus sich
heraus per se linkscodiert sind. Das sind Geschichten, die immer parallel
liefen: Die Punks haben immer vom Saufen gesungen und sich dann auch mit Nazis
geprügelt.
Moderation: Ich würde jetzt in Anbetracht der Zeit eine
Abschlußrunde vorschlagen. Ich würde das jetzt sehr
eigenmächtig, auf drei weitere Redebeiträge beschränken, plus
Antworten natürlich.
Q.: Ich wollte noch etwas zu dem JN-Spucki sagen: Ich bin nicht der
Meinung, daß der Imperialismusbegriff wie die JN ihn benutzt unbedingt
ne Umdeutung ist, dahingehend, daß der NS nicht unbedingt mit
Imperialismus verknüpft werden muß, gerade wo heute doch
Nationalsozialisten eher ethnopluralistisch argumentieren, nach dem Motto jede
Nation soll ihren eigenen Entwicklungsweg gehen und für sich eine
Volksgemeinschaft konstruieren, die Deutschen, die Tschechen, die Chinesen, die
Koreaner. Es ist ja auch klar, daß die NPD sehr stark in der
Nordkoreasolidarität mit drinhängt. Man muß da sehr vorsichtig
sein, den Imperialismusbegriff unreflektiert in eine linke Kritik
miteinzubinden, Che Guevara fiel ja vorhin auch mal, also dieser Rückgriff
der revolutionären Linken auf eine Person wie Che Guevara ist von Anfang
an reaktionär und nationalistisch, dieser Befreiungsnationalismus ist eben
etwas, was man nicht links besetzen kann.
[Unmutsäußerungen]
R.: Ich wollte noch mal eine prinzipiellere Anmerkung zu Eurem Ansatz
machen. Darf ich? Es geht ja die ganze Zeit um die Frage, kann man Symbole
benutzen, kann man sie aufladen oder werden sie einem entwendet. Ihr vertretet
sozusagen die Gegenposition. Was mir nicht klar ist dabei, ob Eure Position
nicht doch impliziert, daß wenn man es richtig macht, das ganze also
reflektiert hat, wie das funktioniert mit den Symbolen, man in letzter Wendung
doch die richtigen Symbole schaffen kann.
Meine Gegenthese wäre die Frage danach, wenn Ihr das, was Ihr als die
gesellschaftlichen Verhältnisse benannt habt, beschränkt auf das
Verhältnis verschiedener Menschengruppen, die diese Zettel austauschen -
dann wäre meine Gegenfrage: Was ist mit dem Zettelkasten, was ist mit dem,
was ich jetzt mal flapsig automatisches Subjekt Kapital nenne, also
dem zentralen Verhältnis, mit dem die Leute sich hier täglich
auseinandersetzen müssen? Schafft eine moderne kapitalistische
Gesellschaft nicht für die Leute, die darin funktionieren ganz bestimmte
Evidenzen, die dann z. B. eine antisemitische Position eher nahelegen, sofern
man sich mit diesem Gesellschaftssystem identifiziert, als eine
antikapitalistische? Also gibt es da nicht etwas Vorgängiges vor dem
Austausch von Zeichen, bzw., das ist jetzt blöd formuliert, weil wir da
wieder in diesen Substanzstreit kommen. Also, wie hängen diese beiden
Faktoren zusammen?
EIKO: Ich möchte auf den ersten Teil der Frage - diese Symbolsache
antworten - ich glaube nicht, daß wenn wir das alles diskutiert haben,
dahin kommen wollen, neue Symbole links zu zementieren. Was wir behauptet haben
ist, daß diese Symbole - ob die Nazis sie haben wollen oder nicht - von
ihrer Zeitlichkeit abhängig sind und die meisten Symbole haben eine kurze
Halbwertszeit, andere wiederum eine sehr lange und sind sehr stark mit dem
verschweißt, was sie ursprünglich bedeutet haben.
Noch mal am Beispiel der Arbeiterfaust illustriert: Diese ist an eine
männliches Arbeitsethos geknüpft, gleichzeitig an ein
sozialistisches, aber auch an ein nationalsozialistisches. Dieses Paket
aufzuschnüren ist schwer möglich, das Produkt zu spalten und die
guten Elemente allein zu sich rüber zu ziehen, ist nicht möglich - es
gibt also keine Möglichkeit mit dem sicheren Symbol nach Hause zu gehen.
VOLKER: Gut, und zu dem anderen, das ist ein weites Feld, das Du da
ansprichst mit der Vermittlung des stofflichen, dann durch die symbolische
Ebene das stoffliche und gesellschaftliche. Es ist ja nicht nur der
Zettelkasten, es ist auch der Baum, der auf der Karte dann noch mal abgebildet
wird, dadurch, daß ich dann Baum vorlese, das ist die
Grundlage von den ganzen Kram. Wir haben uns jetzt darum gekümmert, wie
das stoffliche und gesellschaftliche sich abbildet auf der symbolischen Ebene,
auf der Ebene der Sprache um klarzumachen, daß die Sachen nicht so sein
müssen, wie sie sich auf der Erscheinungsebene zeigen. Da würde ich
ganz klar sagen, daß der ganze Demokratiediskurs - Ende der
Geschichte, bürgerliche Demokratie ist das beste, was die
Menschheit je hervorgebracht - sprachlich völlig die realen
Umstände verkleistert. Es ist natürlich die Frage, wie ich dann meine
Motivation erreiche und da können wir uns dann über Leidensfaktoren
unterhalten. Das vermittelt sich eben nicht symbolisch, weil sich das in der
Regel verkleistert darstellt und jetzt ist die Frage: Körperliches Leid,
wie vermittelt sich das eigentlich? Das kann auch eine Motivation sein und das
bezieht sich nicht auf die symbolische Ebene, sondern ganz klar auf die
stoffliche Grundlage, aber da kommen wir dann wirklich in
poststrukturalistische Theoriedebatten rein.
Moderation: So jetzt der letzte Beitrag.
S.: Ja, ich wollte noch mal zentral sagen, daß ich denke, es ist
ganz klar, die Nazis versuchen immer wieder, uns die Symbole zu klauen. Das ist
auch das, was wir merken, wir haben sehr wenig Symbole, die für uns
sprechen, die Nazis hingegen haben sehr viele Symbole, die sie für sich
codieren können, generell in der Jugendbewegung. Die einzige
Möglichkeit da dagegenzuhalten, ist zu probieren, alle unsrigen Symbole zu
verteidigen und nicht, wenn da irgendwo mal was negatives war, in der
Geschichte oder so, das Symbol einfach in die Tonne zu hauen und zu warten,
daß die Nazis das dann aufgreifen. Das würde für uns eine
Schwächung bedeuten, eine ganz massive. Das ist auch das, was wir jetzt
merken, wir müssen einfach begreifen, daß wir von Symbolen und von
Kleidungscodes umgeben sind, daß das Ausdrucksformen sind, die wir
verteidigen müssen. Wenn wir etwas haben, müssen wir es festhalten
und verteidigen. Wenn nicht werden wir einfach untergehen.
[Unmut, Zustimmung]
VOLKER: Es gibt keine originär linken Symbole, das ist nun mal
so.
S.: Klar gibt es linke Symbole. Alles sind Symbole. Selbst die Brillen,
die Ihr aufhabt.
EIKO: Ich würde das gerne korrigieren, wenn ich darf, jetzt wo wir
schon bei unseren Brillen sind. Ich könnte sagen, daß ein
Spießer der 60er Jahre in der BRD, möglicherweise ein
Nazitäter, so eine Brille getragen hat und gleichzeitig auch Malcom X. So
und was heißt das jetzt?
VOLKER: Gar nichts.
EIKO: Das heißt das an dieser Brille gar nichts hängt und
genauso funktioniert das mit anderen Symbolen. [Unruhe, Zustimmung]
Moderation: Ich würde jetzt Anbetracht der Tatsache, daß
einige schon den Saal verlassen...
T.: Ich habe mich seit einer halben Stunde gemeldet.
Moderation: Das haben andere auch.
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