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ART Dresden
Moderation: Die Gruppe ART (Antifaschistisches Recherche Team) Dresden,
hier vertreten durch Sven, Tobias und Michael wird zum Kongreßkomplex
politische Bedeutung der Kultur das Thema referieren: Gibt es
eine Nazisubkultur? Bildet die Nazikultur eine eigenständige Subkultur mit
eigenständigen Werten, die sich konträr zur Gesellschaft verhalten
oder ist die Nazikultur nur die Übersteigerung eines gesellschaftlichen
Norm- und Wertekonsens oder etwa beides?.
ART: Ich werde zuerst die Struktur unseres Referats vorstellen.
1) Rückblick in die Historie; gab es rechte Subkulturen?
2) Welches Selbstbild hat die heutige Jugend von sich; Analyse von
Umfrageergebnissen
3) Die spezifische Situation in den 90ern
4) Diskussion
Punkt 1 : Geschichtlicher Rückblick:
In verschiedenen Texten, wie z.B. auch im Kongreßaufruf findet sich die
Aussage Die neue SA marschiert. Zwischen Rostock und Dresden bestimmen
junge Nazis die Jugendkultur. Hinter dieser Aussage, steht Polemik oder
der Glaube, daß alte historische Konstellationen wiederkehren
könnten. Wir wollen auf den Vergleich zwischen rechtsextremer ostdeutscher
Jugendkultur und SA an dieser Stelle eingehen, allerdings losgelöst von
Polemik und dem Glauben an die Wiederkehr vergangener Zeiten.
Die SA stellt sich für uns als wirkliche Subkultur dar, woraus sich einige
Dinge für das Hier und Jetzt ableiten lassen.
Ein zweiter historischer Exkurs wird unter dem Titel Die Hippies, Charles
Manson und der Satanismus stehen. An ihm wollen wir bestimmte
Initiationsmomente aufzeigen, welche die Verknüpfung von Nazikultur und
anderen Jugendkulturen möglich machen.
Die SA
bildete eine Nazisubkultur im wortwörtlichen Sinne. Uns interessiert dabei
ihr Verhältnis zu bürgerlichen und konservativen Kräften nach
der Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Im Sommer 1933 kommt in verschiedenen Artikeln und Reden zum Ausdruck, wie um
die Definitionsmacht des nationalsozialistischen Revolutionsbegriffs gerungen
wird. Die NS-Hegemonie auf der Straße war erreicht, der SA gingen die
unmittelbaren politischen Gegner aus. Am 6. Juli erklärte Hitler die
nationalsozialistische Revolution für beendet. Der frei gewordene
Strom der Revolution muß in den sicheren Hort der Evolution
übergeleitet werden, so Hitler. Mit ihm stimmten Heß, Goebbels
und andere Nazigrößen überein. Röhm dagegen, in seiner
Funktion als Stabschef der SA, formulierte in den Nationalsozialistischen
Monatsheften: Ob es ihnen paßt oder nicht, wir werden
unseren Kampf weiterführen. Wenn sie endlich begreifen worum es geht, mit
ihnen, wenn sie nicht wollen, ohne sie und wenn es sein muß, gegen
sie. Das war das Schlagwort der sogenannten Zweiten
Revolution.
Konzipiert als militanter Kampfverband, trug die SA unter Ernst Röhm ihren
Anteil an der Machtergreifung der Nazis bei, jedoch ging ihr die Erste
Revolution nicht weit genug. Die deutsche Revolution weiterzutreiben
hieß für Röhm zuallererst, den nationalen Konsens zwischen
konservativen Kräften, der Wirtschaft, dem bürgerlichen Milieu und
den Nazis aufzukündigen. Als eigentliche Gegner der Revolution stellte
Röhm die Nörgler und Spießer dar, diejenigen, welche sich an
nationalen Symbolen berauschen ohne selbst kämpfen zu wollen. Der
antibürgerlichen SA-Subkultur, einem Gemisch aus jahrelanger, permanenter
Gewalterfahrung, Antikapitalismus, Männergruppen und
Männerhäusern, homosexuellen Tendenzen und Elitehabitus, gelang der
Prozeß der Transformation in den geregelten Arbeitsablauf des
nationalsozialistischen Deutschland nur unter Mühen. So gab es zwar
Übereinstimmungen im Wertekanon, zwischen NSDAP und SA, doch predigte und
verkörperte die SA, nicht zuletzt wegen der Homosexualität Röhms
und anderer SA-Funktionäre, sowie des Bezuges auf den linken Flügel
der NSDAP, letztendlich einen eigenen spezifischen Nationalsozialismus, der mit
dem offiziellen, früher oder später in Konflikt geraten mußte
und auch geriet.
Die Hippies, Charles Manson und der Satanismus
Etwa 35 Jahre später stehen C. Manson und seine Mörderbande im Licht
der Öffentlichkeit. Manson, im Gefängnis sozialisiert, mit
tätowiertem Hakenkreuz auf der Stirn, stiftet in seiner Funktion als Guru
geistig abhängige Hippiejünger zu ihren Untaten, den
Tate-Fabianka-Morden an. Genauso wie diese Hippies im Blut ihrer Opfer wateten,
wateten zur gleichen Zeit Hunderttausende durch den Schlamm von Woodstock. Die
Kehrseite der klassischen Hippieattribute, wie Drogen, Musik,
Arbeitsverweigerung, Liebe und Frieden war folgende: rassistische Morde,
bestialische Raserei, Folter und Satanismus. Nicht vergessen werden darf in
diesem Zusammenhang, daß den Hippies anfangs nicht ihre Vermarktbarkeit
vorgeworfen wurde, sondern ihr Charles Manson.
Ein Journalist namens Ted Sanders machte sich auf die Spur um die Fakten und
die Ideologie derer aufzudecken, welche Manson und die Hippies in einen Topf
warfen. Er fand ein weitverzweigtes Netz von Sekten, Satanisten, schwarzen
Magiern, von Rassisten und Rechtsradikalen. Manson war also nicht ein Teil der
Lüge, sondern das häßliche Gesicht der Wahrheit. Das
Konglomerat aus Rechtsradikalismus und okkulten Praktiken, der spezifische
Umgang mit Symbolen und Zeichen schlägt sich in den 90ern nicht zuletzt in
der Liaison zwischen Darkwave und Naziszene wieder. Wo liegen hier die
Gemeinsamkeiten in der Symbolsprache bzw. im Umgang mit den Symbolen?
Das Heute
Wieder 30 Jahre später. So wie Charles Manson ein Hakenkreuz auf der Stirn
trug, ritzten Nazis 1992 einer jungen Einwanderin ein Hakenkreuz auf die Stirn.
Die Stigmatisierung und Selbststigmatisierung zeigen, wie fest sich dieses
Symbol im Bewußtsein festgesetzt hat. Ein Symbol ist per Definition ein
Zeichen, welches auf ein anderes verweist. Nazis aber, und auch Grufties, haben
ein zutiefst irrationales Symbolverständnis. Runen und magische Zeichen
sind nach diesem Verständnis keine Verweise auf etwas anderes, sondern
besitzen ein eigenes Wesen mit eigenständiger Kraft.
Dieses voraufklärerische Symbolverständnis läßt jedoch die
Frage offen, wie Nazis linke Symbole okkupieren können.
Für die 90er bleibt festzuhalten, daß es vor allem zwei
Jugendkulturen waren, welche gesellschaftliche Wirkung erlangten. Naziskins und
Raver. Beide verkaufen den Mainstream als Minderheit.
Punkt 2: Die Jugend in Sachsen
Will man die Frage beantworten, ob es unterschiedliche politische Auffassungen
zwischen der Jugend und dem Mainstream gibt, ist eine kurze Analyse der
gegenwärtigen Lage notwendig. Die ideologischen Wechselwirkungen zwischen
Jugend und Gesellschaft sollen im folgenden dargestellt werden, wobei die
jugendlichen Lebensvorstellungen in den Mittelpunkt rücken. Ausgewertet
werden offizielle Umfrageergebnisse, ohne deren politische Zielrichtung aus den
Augen zu verlieren. Eigene Recherchen stehen an zweiter Stelle.
Sachsens Jugendlich sind mit ihrem Leben zufrieden, so befindet
eine Studie des sächsischen Kultusministeriums 1998. Diese ergibt auf mehr
als hundert Seiten ein aus antifaschistischer Sicht desolates Gesamtbild der
Heranwachsenden. Zwei Schwerpunkte lassen sich feststellen: Egozentrische
Lebensziele besetzen wiederholt die Spitze der Wertehierachie. Leistungen und
Verantwortung für andere, gesellschaftsbezogene Aktivitäten sind
deutlich nachrangig." Individualistische Lebensentwürfe bilden den
Background für die überschwengliche Einschätzung. 69% gaben an,
daß ihnen das gegenwärtige Leben gut bzw. sehr gut gefällt,
83%, daß sie glücklich sind und viel Freude haben wollen und 87%
zählen Humor zu den wichtigen Dingen im Leben. Ebenso werden bestimmte
Grundwerte wie Pflichtbewußtsein und Durchsetzungsvermögen mit
über 80% als wichtig eingeschätzt.
Im Gegensatz dazu stehen die Zahlen, welche Hinweise auf soziale Beziehungen
geben. Nur 31% der Jugendlichen würden für andere dasein oder anderen
helfen.
Dies ist Beleg dafür, daß die in der BRD angedachte
Solidargemeinschaft in den Köpfen der Jugendlichen nicht sehr weit
gediehen ist.
"In den politischen Grundorientierungen der sächsischen Jugend ist seit
1995 eine Zunahme rechter Einstellungsmuster und eine Abnahme linker
Orientierungen zu verzeichnen." 16% der befragten Jugendlichen ordneten sich
selbst rechts der Mitte ein, wobei Männer häufiger rechts als links
positioniert sind. Die beliebteste rechtsradikale Partei ist die NPD, der etwa
4% der Befragten nahestehen. Wichtig in diesem Zusammenhang sind die
Untersuchungsergebnisse, welche sich mit dem Zusammenleben sächsischer
Jugendlicher mit Nichtdeutschen befassen. 50% sind der Meinung, daß dies
nicht funktioniert, weil die Probleme wachsen, bzw. weil die Unterschiede
einfach zu groß sind. 39% glauben, daß es funktioniert, doch nur
mit vielen Reibereien.
Wenn man "demokratische" Grundwerte als Ausgangspunkt der Analyse, ob die
radikale Linke sich auf diese berufen soll, ist ja ebenfalls Gegenstand des
Kongresses, betrachtet, so ist festzustellen, daß die Umfrageergebnisse,
welche über 60% liegen, alle relativ unabhängig vom
gesellschaftlichen und politischen System sind. Es zeigt sich, daß
elementare Bausteine einer humanistischen Gesellschaft nur in einer Minderheit
der befragten Jugendlichen verankert sind. Zu sagen ist aber, daß bei
dieser Umfrage die Fragen nach humanistischen Werten eher kryptisch wirken.
Der Spiegel berichtete im August diesen Jahres von einer Umfrage der Uni
Greifswald, in der über 1.000 Jugendliche befragt wurden. "Diese seien von
einer ausgeprägten rechten Jugendkultur beeinflußt". Knapp die
Hälfte der Befragten war der Auffassung, daß die Deutschen den
anderen Völkern überlegen seien. Ein Drittel gab an, daß
Deutsche mit Ausländern keine Kinder zeugen sollten. Eindeutige Fragen,
eindeutige Antworten.
Zurück nach Sachsen: Im Vergleich zur Vorgängerstudie 1997 ergibt
sich ein Zuwachs von 3% zu den sich selbst als rechts und rechtsradikal
bezeichnenden Jugendlichen. Diese Ergebnisse dürften aber noch keinen
Rückschluß auf die Wahlergebnisse zulassen, weil viele der Befragten
noch nicht wahlberechtigt sind. Andere Medien, wie der MDR berichteten jedoch
über den prozentualen Anteil der Naziparteien wählenden
NeuwählerInnen und bezifferten ihn auf etwa 20%. Die NPD bekam zu den
Landtagswahlen am 19. September 1,4% der Stimmen. Das sind die Fakten.
Punkt 3: Die spezifische Situation in den 90ern
Konnten sich die Nazis im Westen als Rebellen gegenüber einer allzu
liberalen, allzu multikulturellen Gesellschaft fühlen und gegen das Denken
von '68 rebellieren, trifft das auf die Ostnazis nur bedingt zu. Während,
so zynisch das klingt, die Westnazis in den 70er und 80er Jahren aus ihrer
Sicht heraus einen Grund hatten, gegen ihre Eltern zu rebellieren, ist diese
Rebellion vor allem im Osten nach '89 nicht zu finden. Festgestellt wurde schon
an anderer Stelle, daß die Nazi-Jugendkultur in den neuen
Bundesländern von Beginn an konform lief und mit dem vermeintlichen
Anspruch existierte, Avantgarde für die Wünsche ihrer Eltern zu sein
und diese radikal umsetzte. Neben Parallelen im Wertekanon, weist die
Nazikultur der 90er Jahre über die Wünsche der Eltern hinaus.
Erwähnt werden muß an dieser Stelle vor allem die Ausdifferenzierung
dieser Szene und das andocken an bisher fremde Szenen, wie Hardcore, Black
Metal und Darkwave. Gerade die Radikalität ist Signum und Abgrenzung gegen
das "feige bürgerliche Elternhaus".
Szene1: Mückern, Dorf in Ostsachsen Diskothek Wodan
Diese avancierte 1996 zum Synonym für Nazikonzerte. Bis zu 1.000
Naziglatzen feierten sich selbst mit allem, was an Dekoration und Gegröle
dazugehört.
Dem nächsten geplanten Nazikonzert trat die Staatsmacht geballt entgegen.
Etwa 1.000 Polizisten sind an der Durchsetzung des Verbotes beteiligt. In der
gesamten Region genügt ein Kurzhaarschnitt um kontrolliert zu werden.
Bereits im 30 km entfernten Bautzen errichten mit Maschinenpistolen bewaffnete
Polizisten Straßensperren und erteilen Platzverweise.
Das agieren in der Nazisubkultur hat immer wieder etwas mit Grenzerfahrung zu
tun. CD-Veröffentlichungen auf dem heimischen Markt geht in der Regel ein
Gespräch mit RechtsanwältInnen voraus. Fanzines bewegen sich meist am
Rande der Indizierung, bzw. spielen ganz bewußt damit. Beispielsweise
werden von bestimmten Parolen oder Wörtern nur noch die Anfangsbuchstaben
angegeben und alle weiteren Buchstaben als Punkte gekennzeichnet. Insider
wissen dann, wovon die Rede ist.
Verbote, Indizierungen und immer wiederkehrende Beschlagnahmungen führen
nicht nur zu einer Mythologisierung des eigenen Rebellierens gegen die
Gesellschaft, sondern auch zur Herausbildung gut funktionierender Strukturen.
Der Handel mit im Ausland gepreßten CD' s erinnert stark an den Handel
mit illegalisierten Drogen und läßt Fahndungsmaßnahmen immer
wieder ins Leere laufen. Letztendlich wird eine Subkultur immer Mittel und Wege
finden, ihre Produkte zu verbreiten. In der Radikalität der Produkte
selbst, tritt die Naziszene in eigene Konkurrenz. Mit immer neuen Ideen auf
Covern und Fanartikeln wird inzwischen im Jahr ein hoher zweistelliger
Millionenbetrag umgesetzt.
Bei der Rezeption von expliziter Nazimusik lassen sich zwei Hörertypen
unterscheiden. Einerseits normale Jugendliche, die neben "Mr. President" und
"Mambo No. 5", "Endstufe" und "Störkraft" hören und der Nazi, welcher
sich auf letztgenannte beschränkt.
Nähert man sich der bundesdeutschen Jugend über die Subkultur an, so
fällt auf, daß alle Subkultur ihre rechten Zentren und AktivistInnen
überwiegend im Osten der BRD haben. Legt man die Zahlen des Bundesamtes
für Verfassungsschutz zugrunde, so leben in den neuen Bundesländern
prozentual mehr rechtsextreme Skinheads als im Westen. Hinzu kommen noch
regionale Zentren wie Sachsen oder Brandenburg, wo seit Jahren Konzerte mit
bekannten Nazibands stattfinden oder kontinuierlich Fanzines etc.
veröffentlicht werden. In den letzten Jahren sind die BesucherInnenzahlen
jedoch kontinuierlich zurückgegangen, was wohl mit einer Sättigung
des Marktes, bei knapp drei Veranstaltungen pro Wochenende, zu erklären
ist. In Thüringen befinden sich das Zentrum der nationalsozialistischen
Black Metal Bewegung. Maßgebliche Vorreiter dieser ultravölkischen
und lebensfeindlichen Kreise, sind die Gebrüder Möbus aus Erfurt.
Während Ronald, alias Wolf, dort das Label "Darkeren Black" betreibt,
produziert sich Hendrik in der NS-Black Metal Gruppe "Absurd". Anfang der 90er
machten die Mitglieder dieser Combo Schlagzeilen, weil sie in Mühlhausen
einen ihrer Mitschüler gemeinsam ermordeten und später dafür
verurteilt wurden. Seit der Entlassung von Hendrik ist eine verstärkte
Organisierung und Radikalisierung von Teilen der Szene bemerkbar.
Ergänzend dazu beteiligen sich die Beiden, in der deutschen Sektion der
nationalsozialistischen "Heaven Front".
Bei den Grufties, sind Parallelen festzustellen. Hier befindet sich das Zentrum
rechtsradikaler Aktivitäten in Sachsen, wo in Dresden ein Label, eine
Zeitschrift und ein Versand beheimatet sind. Die Zeitschrift "Sigill"
entwickelte sich hierbei zum führenden Organ der rechten Gruftszene der
BRD. Inzwischen sind gute Kontakte zur europäischen rechtsextremen Szene
geknüpft, wobei hier die ideologischen Verbindungen zur sog. Neuen Rechten
im Vordergrund stehen, vereinzelt aber ebenfalls Schnittpunkte zu militanten
RechtsextremistInnen nachweisbar sind.
Szene 2: Dresden Karstadt Musikabteilung, Deutschrock, Buchstabe
B
Neben "BAP" und "Blumfeld" finden sich gleich fünf Fächer mit den
"Bösen Onkels". 10 verschiedene CD' s stehen zur Auswahl. Die Industrie
entdeckt die Möglichkeit, mit Nazimusik Geld zu verdienen. Was bei den
Onkels noch Bedingung für den Erfolg war, eine mit viel Aufwand betriebene
Öffentlichkeitskampagne zur Distanzierung von der eigenen rechten
Vergangenheit, bis hin zu Auftritten bei "Rock gegen Rechts" Konzerten, ist
überflüssig geworden. Nazibands werden völlig normal vermarktet
und konsumiert. Mit Platten auf Major Labels, Videos auf MTV/ VIVA,
Konzerttourneen, organisiert von renommierten Agenturen, vor Tausenden von
Leuten. Eine unangenehme Vorstellung und zugegebenermaßen auch für
uns eine unwahrscheinliche.
Aus antifaschistischer Sicht scheint es zwei Entwicklungen im Bereich der
Subkulturen zu geben. Eingebettet sind diese in einen gesellschaftlichen
Diskurs, welcher sich nicht zuletzt in den Wahlergebnissen, in Meinungsumfragen
oder in den immer offener formulierten rechtsextremistischen Platitüden
von PolitikerInnen äußert. Daß diese gesellschaftlichen
Entwicklungen, keinen Einfluß auf die Jugend oder auf Subkulturen
hätten, ist ein Irrglaube. Es ist davon auszugehen, daß
emanzipatorische Lebensentwürfe nur noch marginal in den verschiedenen
Subkulturen anzutreffen sind. "Linke" Ansätze, wie etwa die
Auseinandersetzung mit Nazis, stehen in keinem Kontext mit einem
emanzipatorischen Gesellschaftsbild, welches weitergehende Veränderungen,
z.B. die Auflösung von sexistischem Rollenverhalten im Auge hat. Am
Beispiel der Grufties zeigt sich, daß eine Jugendkultur, die aufgrund
ihres Äußeren zwangsweise mit Nazis konfrontiert war, nicht per se
links sein muß. Diese Tatsache ist fest mit den erwähnten
Rahmenbedingungen der deutschen Gesellschaft verknüpft.
Jede linke Kritik an rechtslastigen subkulturellen Aktivitäten wird mit
dem Verweis auf das eigene Unpolitische zurückgewiesen. Zugespitzt ergibt
sich die Frage, weshalb ein/e AnhängerIn einer Subkultur, in Konflikt mit
RechtsextremistInnen geraten muß, wenn keine persönliche Bedrohung
von letzteren ausgeht. Diese Zuspitzung bringt das Dilemma von Subkultur vs.
antifaschistische Grundsätze auf den Punkt. Parallel dazu läuft eine
Öffnung von rechtsextremer Seite für die verschiedenen Subkulturen.
Hierbei greifen rechtsradikale Kreise auf eigene Konzepte zurück, welche
im Kern jedoch häufig auf Gramscis Ideen zur Erringung der kulturellen
Hegemonie aufbauen. "Vor allen die Beschäftigung mit den Produkten
lebendiger Jugendsubkulturen", philosophiert eine Simone Satzke "wird
von den Linken als anmaßende Einmischung in ihre Domäne empfunden.
Sollte sich tatsächlich Konkurrenz auf diesem Gebiet entwickeln,
hätten sie um ihre kulturelle Hegemonie zu fürchten." Wie diese
Beschäftigung aussieht und um welche Produkte es sich handelt,
läßt sich seit mehreren Jahren im Flaggschiff der "neuen Rechten",
der rechtsextremen Wochenzeitschrift "Junge Freiheit", nachlesen.
Regelmäßige Berichte über Subkulturen, deren Musik und
Aktivitäten haben einen festen Platz. Auch das Auftreten der Redaktion der
"Jungen Freiheit" nach außen, auf der diesjährigen Frankfurter
Buchmesse wieder exemplarisch vorgeführt, spricht für dieses Konzept:
Jung, Spontan, Undogmatisch, Aktivistisch.
Wem ein Kampf um die Erringung der kulturellen Hegemonie nützt oder wen er
instrumentalisiert, ist nur schwer ersichtlich. Faktisch bleiben Schnittstellen
zwischen organisierten Rechtsradikalen und ProtagonistInnen der einzelnen
Subkulturen, an denen ideologische Gemeinsamkeiten ausgetauscht und verfestigt
werden.
Die Beantwortung der Frage: Gibt es eine Nazisubkultur?
Elementar hierbei ist die genaue Definition des Begriffes Subkultur. Ist
Subkultur primär durch ihr Äußeres, sein Erscheinen bestimmt,
definiert sie sich als Stil, so ist festzuhalten, daß es immer
Subkulturen geben wird. Auch in den rechtsextremen Ausläufern der heutigen
Subkulturen sind stiltypische Elemente wie Fanzines, Konzerte, Limitierungen
bei Veröffentlichungen etc. vorhanden. Inwiefern dies auch für Outfit
im allgemeinen zutrifft, wäre zu diskutieren. Zum Stil dürfte auch
das radikale Auftreten der Jugendlichen und das Beschimpfen der Eltern als
Feiglinge gehören. Punktum, definiert man Subkultur über den Stil, so
ist zu sagen, daß es eine Nazisubkultur gibt.
Wird Subkultur hingegen als sozialer Zusammenhang begriffen, der über wie
auch immer geartete Grundeinstellungen zueinander findet, so ändert sich
die Antwort.
Wie bisher referiert, unterscheiden sich weite Teile der Gesellschaft
ideologisch nicht von den jugendlichen Nazis, lediglich in der
Außenwirkung sind Differenzen erkennbar. So ist aufgrund der
ideologischen Nichtunterscheidbarkeit zwischen Erwachsenen und Jugendlichen
eine eigenständige Nazisubkultur nicht zu konstatieren. Nicht zuletzt die
Existenz von No-Go-Areas, auch als national befreite Zonen bekannt, untermauert
diese These. Wenn dazu noch die NPD-Gazetten "Deutsche Stimme" und
"Sachsenstimme" an Zeitungskiosken wie in Königsstein erhältlich
sind, die FDP mit der DSU und der NPD in Stadtparlamenten wie in Sebnitz
zusammenarbeitet, ein Bürgermeister, wie der in Wurzen, seine Nazis
jahrelang gegen alle Angriffe von Außen verteidigt, wenn der
Justizminister Sachsens, Steffen Heitmann im Landtag ungeniert die "Junge
Freiheit" liest, sein Parteikollege Schimpf, die Bodenreform nach 1945 mit dem
Holocaust vergleicht oder die Polizei, bei jeder noch so offensichtlich
rechtsextremen Aktion, in alle Richtungen ermittelt, dann kann nur gesagt
werden, daß es gegenwärtig gar keiner Nazisubkultur bedarf, um
rassistische und sexistische, geschichtsrevisionistische und nationalistische
Gedanken in der Gesellschaft zu verankern.
Punkt 4: Die Diskussion
Beitrag aus dem Publikum: Warum bezeichnet ihr sie SA als Subkultur?
Sven: Nach 1933 wurde die SA von der NS-Führung nicht mehr im Zaum
gehalten. Ab da trifft die Bezeichnung Subkultur zu. Zum einen ging der SA die
"Erste Revolution" nicht weit genug, sie wollten tiefgreifendere
Umwälzungen, zum anderen verkörperte die SA Werte, welche mit der
offiziellen NS-Linie nicht konform gingen, mit ihr unvereinbar waren. Hier
wäre der Bezug auf den Strasser-Flügel in der NSDAP zu nennen. Die SA
verkörperte einfach eine Nazisubkultur im wortwörtlichen Sinne. Aber
es ist schon problematisch.
Michael: Der Aufhänger dieser ganzen SA-Geschichte war auch eher
der, daß sich immer wieder Texte finden, in denen von einer neuen SA die
Rede ist. Was da dran ist, das hatt' uns interessiert und wir konnten ja auch
Parallelen feststellen. Konkret gab es zwischen NSDAP und SA einen
Wertekonsens, welcher heutzutage zwischen Faschokids und ihren Eltern
festzustellen ist. Und ähnlich wie Röhm und Konsorten die NSDAP als
verspießt und verbürgerlicht beschimpft hat, machen das heutzutage
auch die Stiefelfaschos.
Beitrag: Welche Bands aus dem großen Musikbiz mit faschistoiden
Bezügen in Vergangenheit oder auch in der Gegenwart gibt es denn
heutzutage?
Tobias: Bei der Band "Weißglut", die bei Sony unter Vertrag ist,
hat lange Zeit Joseph Klump mitgewirkt, der vorher bei "Forthcoming Fire"
spielte. Dieser Herr ist Antisemit, ein Weltverschwörungstheoretiker
erster Güte. "Weißglut" mußte sich nach massivem
antifaschistischem Druck von Klump trennen. Und "Rammstein" haben meines
Erachtens, vor allem mit ihrem Video "Striped" neues Terrain betreten, was sich
auch nicht mehr mit dem Verweis auf das Provozieren wollen, abtun
läßt. Dieses Video setzt sich ausschließlich aus Bildern des
Olympia 1936 Films von Leni Riefenstahl zusammen. Damit haben Rammstein
Riefenstahl eindeutig wieder hoffähig gemacht. Rammstein ist übrigens
1998 die erfolgreichste deutsche Band in Amerika gewesen.
Michael: In Schweden gibt es eine Band namens "Ultima Thule", die einen
ähnlichen Werdegang wie die "Bösen Onkels" hinter sich haben und
heutzutage in den Charts ganz weit oben sind.
Beitrag: Der Mord, an dem Mitglieder der Gruppe "Absurd" beteiligt
waren, fand nicht in Mühlhausen, sondern in Sondershausen statt. Für
den NS-Black-Metal trifft auf jeden Fall die Bezeichnung Subkultur zu, weil
diese Szene verdeckt agieren muß. Ich bin der Meinung, daß der
Staat in gewissen Bereichen schon mit seinen repressiven Mitteln eingreift. Man
muß aber kritisch betrachten, daß er dabei oft nur
pseudomäßig vorgeht. Vor zwei oder drei Wochen gab es ja bundesweit
Durchsuchungen von Nazi-CD Vertrieben. Meine Frage wäre, inwieweit die
Naziszene überhaupt keine Subkultur mehr ist, oder würdet ihr das
differenzierter betrachten?
Sven: Es gibt zwei Hörertypen: Den ganz normalen Jugendlichen, der
alles hört, der in seinen Rezeptionspluralismus Nazi-Rock mit einbezieht
und denjenigen, der nur das hört. Ich denke bei dem Punkt geht es darum,
daß die Radikalisierung beim Hören beim Black Metal aus diesem
Rezeptionspluralismus herausfällt. Hier würde ich dir zustimmen,
daß es sich beim NS-Black-Metal um eine Subkultur handelt.
Beitrag: Beziehen sich heutige faschistoide Tendenzen nicht auf
scheinbare Opfer des Nationalsozialismus, also die, die sich an Auschwitz nicht
direkt schuldig machten?
Sven: Du hast ein spannendes Phänomen aufgegriffen. Was mir aus den
Gruftkreisen bekannt ist, ist, daß sich in den rechten Kreisen dieser
Szene sehr oft auf Leute bezogen wird, die eher zu den "Opfern" des
Nationalsozialismus und des Faschismus gehörten. Sie beziehen sich auf
Philosophen, wie Ernst Jünger, die den Nationalsozialismus erst
mitgetragen haben und dann zu Opfern wurden. "Death in June" sind ein gutes
Beispiel, deren Name ja abgeleitet ist von der Ermordung Ernst Röhm. Das
scheint auch eine Strategie zu sein, daß man sich auf die Leute bezieht,
die umstritten sind. Es fällt auf, daß man nur die Leute
erwähnt, die nicht durchgängig oder nicht 100%ig am
Nationalsozialismus beteiligt waren. Es ist nicht ganz klar, ob das eine
Strategie oder Zufall ist.
Um in dem Gruft-Bereich zu bleiben, würde ich einschätzen, daß
sich die rechten Gruftkreise häufig auf Philosophen der konservativen
Revolution beziehen, die eher als Vordenker des Nationalsozialismus gehandelt
wurden, wie van den Breuck oder Carl Schmitt, die dann aber im
Nationalsozialismus teilweise Probleme bekamen. Ob das aber an den Inhalten der
Leute oder ihren Lebensstilen liegt, ist aber nun wiederum eine andere
Diskussion.
Beitrag: Wie kommt ihr dazu die SA als eine Subkultur zu bezeichnen, ist
sie nicht vielmehr eine von verschiedenen politischen Strömungen innerhalb
der NSDAP?
Michael: Zugegebenermaßen steht das mit der SA auf ziemlich
dünnen Eis.
Tobias: Aber das hast du doch geschrieben, das kommt doch von dir.
Michael: Das kommt ja auch nicht von uns, wir haben uns nur damit
beschäftigt. Es geht um die Bezeichnung: "Die neue SA marschiert in der
Ostzone.".
Tobias: Aha.
Beitrag: Aber was hat das mit Subkultur zu tun?
Micha: Darauf will ich gleich kommen. Die SA ist eine wirkliche
Subkultur, sie ist eine Teilströmung bzw. Unterströmung einer
nationalsozialistischen Bewegung. Mit dem heutigen Subkulturbegriff kann man
sie aber nicht vergleichen. Was wir an dem Beispiel zeigen wollten, war der
Wertekonsens zwischen Nationalsozialismus und SA, aber auch daß die SA
später von dem Nationalsozialismus ausgeschaltet worden ist. Und das
heißt nicht, auch wenn es heutzutage einen Wertekonsens zwischen den
Jungnazis und ihren Eltern gibt, daß es nicht zur Abgrenzung seitens der
jungen Generation zur Älteren kommen kann.
Beitrag: Ihr habt vorhin, daß irrationale Symbolverständis
der Nazis aufgezeigt. Widerspricht sich Eure Aussage nicht mit dem Vortrag von
Eiko und Volker?
Diese haben doch mehrfach darauf hingewiesen, wie bewußt Nazis vakant
gewordene ehemals linke Symbole sich aneignen.
Tobias: Ich habe diesen Beitrag über die Symbole als Ergänzung
zu der Veranstaltung von vorhin verstanden, weil ich finde, besser als Eiko und
Volker es gemacht haben, kann man es einfach nicht machen. Meine Meinung ist,
daß für die Symbole der Nazis gilt: Der Schein ist das Sein. Dabei
sehe ich Anknüpfungspunkte zwischen Gruftszene und Naziszene. Beide Szenen
haben ein mythologisches Symbolverständnis, was aber gleichzeitig nicht
ausschließt, daß es nebenher auch noch ein anderes
Symbolverständnis bei den Nazis gibt[1].
Beitrag: Für mich sind Subkulturen dadurch definiert, daß sie
gesellschaftliche Konventionen ablehnen. Nazimusikgruppen aber verkünden
doch im Prinzip lediglich die Meinung des Stammtischs, sind bloß etwas
lauter zu vernehmen. Wieso bezeichnet ihr sie dann als Subkultur?
Sven: Wie gesagt, wir haben uns, um die Frage zu der Subkultur zu
beantworten, dem Thema aus zwei verschiedenen Sichtweisen genähert; einmal
vom stilistischen und einmal vom ideologischen Teil.
Vom Stilistischen her, also sprich vom Outfit, Haarfrisur, Bomberjacke,
Schwarze Klamotten etc., gibt es eine Subkultur. Wenn man sich aber ideologisch
annähert, dann sagen wir, es gibt nur marginale Unterschiede und davor
allem in der Außenwirkung, also sprich radikaleres Auftreten. Und da kann
man auch die These vertreten, daß es keine Subkultur mehr ist, bzw. wie
das schöne Buch heißt ein "Mainstream der Minderheiten". Es ist auch
ziemlich schwer für den Begriff Subkultur eine allgemeingültige
Definition zu finden. Autonome beispielsweise sind für mich nie eine
Subkultur gewesen, sondern eine Gegenkultur. Ich denke das ist eine ganz
komplizierte Kiste, da müßte man ganz viel ganz genau
auseinanderfitzen.
Ich denke, es gibt keine allgemeingültige Definition für diesen
Begriff.
Beitrag: Inwieweit spielen die Dinge, die ihr angesprochen habt, in
eurer Praxis eine Rolle? Was habt ihr überhaupt als Gruppe für eine
Praxiserfahrung?
Tobias: Wir haben uns als Antifa-Gruppe zunächst rein
ausschließlich auf Recherche beschränkt. Wir hatten dadurch
zwangsläufig in Sachsen mit Subkulturen zu tun. Vornehmlich begegnete uns
eine Skinhead-Subkultur, wobei wir festgestellt haben, daß es für
die Antifa kaum noch Mittel und Wege gibt da einen Fuß hineinzubekommen
bzw. dort irgend etwas zu unterbinden. Wir hatten 1996 damit begonnen,
Nazikonzerten zu beobachten, um dann zu versuchen, öffentlich zu machen,
daß diese Konzerte stattfinden. Dies hatte zur Folge, daß die
Polizei jedesmal mit einem riesigen Aufgebot anwesend war, Verbote erteilte und
sehr massiv durchgriff. Womit wir dann ein Problem bekommen haben, weil wir
feststellten, daß es gerade in Sachsen so war, daß die rechte Szene
als Testballon gesehen wurde, an dem man Sachen durchexerzieren konnte. Im
Prinzip diente sie also der Legitimation für eine Aufrüstung der
Polizei.
Im Moment ist es so, daß wir versuchen vor Ort, etwa bei den Konzerten,
etwas zu machen, was nie ein Konzert verhindern wird, sondern maximal dazu
führt, daß man den BesucherInnen ein Stück weit Spaß
nehmen kann, was uns allerdings nicht zufriedenstellt.
Micha: Ich denke etwas haben wir geschafft durch unsere
Öffentlichkeitsarbeit gegen die Nazikonzerte. Es war bis 1996 so,
daß Oi-Bands mit Nazi-Bands zusammen auf einer Bühne spielten. Durch
unsere Öffentlichkeitsarbeit trat dann eine Spaltung ein, also entweder
reine Nazikonzerte oder reine Oi-Konzerte.
Eine Perspektive für die Zukunft ist für uns, daß man versucht
dieses Konzept auch auf andere Subkulturen auszuweiten, also strikte Trennung
von Nazibands und eher unpolitischen Combos. Beim alljährlichen
Wave-Gothic-Treffen in Leipzig, wäre dies bitter vonnöten.
Sven: Ansonsten kann man aber gegen durchschnittlich 300
KonzertbesucherInnen eigentlich nichts machen.
Beitrag: Meine Frage zielte eher dahin, ob das Thema welches jetzt
gerade diskutiert wird, in der Praxis Relevanz hat.
Micha: Die Praxis haben wir ja gerade diskutiert und wie gesagt, es
sieht hier eher mau aus. Das einzige was hilft, ist die Strafjustiz, man
muß den Leuten an die ökonomische Substanz gehen. Was so an
CD-Beschlagnahmungen etc. passiert, ist wirksamer als das, was die Antifa
leistet, aber natürlich auch sehr ambivalent zu sehen.
Tobias: Meiner Meinung nach, fehlen Analysen dieser Art bisher
weitgehend. Nazis machen sich mit dem Hitlergruß bemerkbar, doch in
anderen Subkulturen wird es schwieriger. Wenn man Antifazeitungen liest, kann
man das Gefühl bekommen, daß inzwischen jeder Gruft ein Nazi ist,
etc. Andererseits gibt es beim Hardcore gerade eine Entwicklung dahin; wenn
also im Chemnitzer AJZ bei Konzerten immer öfter Nazis auftauchen und dort
Party machen.
Uns geht es darum aufzuzeigen, daß andere Subkulturen nicht immun sind.
Beispiel ist auch die Loveparade, wo ein Skin mit Blood&Honor-Tattoo auf
der Brust, Lachgas verkaufen kann. Nazis sind fast überall anzutreffen und
das ist eigentlich kaum bekannt, bzw. ist nicht klar, warum das so ist. Antifas
sind von solchen Tendenzen oft überrascht und überrumpelt, Grufties
und Black Metal hier nur als Beispiele. Wir wollen weg von diesem Klischee,
daß Nazi eine Glatze hat. Gegenkonzepte wiederum sind derzeit echt
schwierig, darum geht es uns um Analyse.
Sven: Von Konzepte ist die Rede? "Mauer drum und zubetonieren!"
Micha: Weil daß Beispiel Chemnitz hier gerade fiel: Das Conne
Island hat in einem offenen Brief an das AJZ diese Zustände scharf
kritisiert, aber soweit ich weiß, nie eine Antwort erhalten. Eine
mögliche Perspektive der Antifa, wäre also zu schauen, in welchen
Subkulturen sich Nazis gerade breit machen bzw. warum gerade dort und dann
dagegen zu intervenieren.
Beitrag: Ist das wirklich alles an Strategien was euch gegen die
Naziskins einfällt? Nach den Bullen zu rufen ist ja offensichtlich kein
besonders emanzipatorischer Ansatz.
Sven: Zum einen ist da die sehr ambivalente Strafrechtsschiene, zum
anderen gibt es aber auch popkulturelle Mechanismen, die eine bestimmte
Struktur aufweisen. Subkulturen unterliegen Marktmechanismen, beginnen klein,
werden groß, verschwinden allerdings irgendwann auch wieder von der
Bildfläche. Insofern besteht Hoffnung.
Micha: Natürlich ist es für eine Antifa total beknackt, nach
einem starken Staat zu rufen, wir haben ja auch schon gesagt, daß die
rechte Szene als Mittel benutzt wurde, um Repression durchzusetzen. Gegen diese
wenden wir uns natürlich.
Aber die Faschos sind inzwischen dermaßen konspirativ organisiert, wie
z.B. Blood&Honor, daß man so gut wie gar nichts mehr mitbekommt. Wenn
man Öffentlichkeitsarbeit machen will, brauchst man diese Informationen
aber. Du hast ja recht, doch es fehlen uns echt die Möglichkeiten.
Beitrag: Wie konnte sich im Osten diese Entwicklung, weg von einer
unpolitischen Jugendkultur hin zu einer rechtsextremen, vollziehen? Wie lief
dieser Prozeß strukturell ab?
Tobias: Es kam, etwa bei gemeinsamen Auftritten von Oi- und Nazibands,
zunehmend zu einem Normalisierungsprozeß hinsichtlich faschistoider
Einstellungen. "Unpolitische" Skinheads kamen so in Berührung mit
Naziskins und natürlich auch mit Propagandamaterial. An diesem Punkt
funktioniert ein Einstieg.
Micha: In Lucka wurden Konzerte der Faschoband "Radikahl" ganz normal
mit Plakaten beworben und zwar in einer Mainstreamdisco. Das ist ganz klar ein
Beweis für diese Normalisierungsthese. In solchen Gegenden fehlt dann
natürlich auch jegliche linke Gegenkultur. In diesem Zusammenhang gibt es
dann auch ganz handfesten sozialen Druck auf die, welche nicht in Bomberjacken
und mit kurzen Haaren rumlaufen.
Beitrag: In welchem Zusammenhang stehen für euch Politik und
Kultur?
Sven: Viele Subkulturen verstehen sich heutzutage als unpolitisch. Sich
als links zu bezeichnen gilt oft als verpönt. Dabei vertreten wir ganz
klar die Ansicht, daß man das Kulturelle nicht aus seinem politischen
Kontext lösen kann und das diese Subkulturen darum auch nicht unpolitisch
sind. Mit der Musik werden Werte und Lebenseinstellungen transportiert. Dabei
vertreten wir die Auffassung, daß Kultur nicht erst politisch
gefüllt werden muß, bzw. instrumentalisiert werden muß,
sondern schon an sich politische Struktur ist und sie vermittelt. Erst aus der
Kultur, die uns umgibt, seien es Werte, Lebenseinstellungen oder
Freundeskreise, leitet man seine politischen Handlungen heraus ab. Unpolitisch
sein, ist unserer Meinung nach nicht möglich, weil man sich mit seinen
Handlungen immer auch in einem politischen Kontext bewegt.
Tobias: In Sachsen hatten wir das Phänomen, daß hier 1996 und
1997 die prozentual meisten Skinheadkonzerte stattfanden und gleichzeitig die
NPD großen Zulauf aufzuweisen hatte. Auch hier wirkte die Kultur ins
Politische hinein.
Beitrag: Versuchen die Nazis bewußt andere Jugendsubkulturen zu
unterwandern?
Micha: Ausgearbeitete schriftliche Pläne wirst du dazu kaum finden,
weil damit würden die Nazis sich ja sozusagen outen. Sie werden auch nicht
die Schienen fahren, von den einzelnen Jugendlichen zu fordern, ihr Outfit
aufzugeben etc., weil dann die Unterwanderung nicht klappen würde.
Darüber kann man also nur spekulieren.
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