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left action - linksradikale Gruppen in  Leipzig - Archiv
 

01.05.2010

Der Provinz einheizen

Her mit dem schönen Leben

Aufruf der Gruppen Aua-Anna und Arthur [im Hinterland] und des RSSC (Red Star Supporters Club) zum Umland-Arm der 1.Mai-Demonstration 2010 in Leipzig.

Leben und arbeiten – aber wie? Diese Frage müssen sich engagierte Menschen und AntifaschistInnen immer wieder stellen. Mit zunehmender Verankerung der NPD in der lokalen Politik sowie in den Gemeinden und Städten, bei den Kommunalwahlen errang sie in und um Leipzig 17 Stadt- und Gemeinderatsitze, steigt auch das Potenzial der sogenannten „Freien Kräfte“. Nahezu in jeder Stadt im Leipziger Umland kam und kommt es zu gewalttätigen Übergriffen gegen Menschen, die nicht in das Weltbild der Neo-Nazis passen. Mit Plakaten, Graffiti, und massenhaft Aufklebern wird versucht eine „national befreite Zone“ zu markieren. Ebenso marschieren immer wieder Neo-Nazis auf teilweise „spontanen“ Aufmärschen durch die Provinz.

Auch die Jahresstatistik 2009 der Opferberatung RAA spricht Bände. So wurden über 250 Angriffe gezählt, die annähernd 450 Personen betrafen. Vor allem das Leipziger Umland mit Schwerpunkt Nordsachsen ist von gewalttätigen Übergriffen betroffen. Hier geschahen mit 17,5% mit Abstand die häufigsten Angriffe. Die Opferberatung berichtet zudem von steigender Brutalität bei den zielgerichteten Attacken auf die zumeist nicht-rechten Jugendlichen.

Dass NPD und die „Freien Kräfte“ Hand in Hand arbeiten und durchaus große personelle Überschneidungen haben, zeigt sich besonders in Nordsachsen und dem ehemaligen Muldentalkreis deutlich. Obwohl dieses Gebiet seit Jahren durch sogenannte „Freie Kräfte“ dominiert ist, haben sich kürzlich vier JN-Stützpunkte gegründet. Ein Umstand, der auch auf Maik Scheffler zurückzuführen ist.

„Der heute bundesweit aktive Maik Scheffler war in Delitzsch bereits in den 90er Jahren als Kameradschaftschef aktiv. Nach einigen Jahren Pause ist er auch heute wieder derjenige, der bei den Neonazis in der Region nördlich von Leipzig das Sagen hat. Scheffler war federführend am Portal »Nationaler Beobachter« beteiligt, das vor allem Kameradschaften in Sachsen und Sachsen-Anhalt repräsentierte. Und er ist auch einer der Chefs des »Freien Netzes«, einer Kette von Websites »freier« Nationalisten von Burg und Merseburg in Sachsen-Anhalt über Altenburg in Thüringen sowie Delitzsch, Leipzig, Borna, Chemnitz, Zwickau und Vogtland in Sachsen bis nach Hof in Nordbayern.“ Quelle: AIB

Mittlerweile ist Scheffler auch in der NPD engagiert und baut hier fleißig weitere Strukturen auf. Dass ihm da seine guten Kontakte zu den „Freien Kräften“ äußerst dienlich sind, hat sich schon bei der Gründung der Stützpunkte in Wurzen, Torgau, Oschatz und Delitzsch-Eilenburg gezeigt. Kaum verwunderlich scheint es daher, dass jetzt daran gearbeitet wird, ähnliche Stützpunkte auch im Südraum, vor allem in Borna und Geithain, zu etablieren. Auch hier sitzen mit Manuel Tripp und Tony Keil zwei „Freie Kameraden“ für die NPD in Kommunalparlamenten.

Im Zuge der Vorbereitung ihrer alljährlichen Trauerdemo in Dresden haben Neo-Nazis aus Partei und Kameradschaften eine neue Schutztruppe gegründet, die vor allem Demos und Veranstaltungen zusammenhalten und schützen soll. Wie schlagkräftig diese neue Schutztruppe agieren soll und kann, zeigte für uns der Überfall auf die Spieler und Fans des Roten Stern Leipzig in Brandis. Dieser kam zwar nicht unerwartet, waren doch auch in der Vergangenheit öfter Neo-Nazis bei den Auswärtsspielen des RSL zugegen und versuchten, Fans und Spieler zu provozieren und anzugreifen, überraschte aber die breite Öffentlichkeit aufgrund der Gewalttätigkeit mit der die Neo-Nazis angriffen. Doch selbst diese Gewalttätigkeit sollte nicht überraschen – Free-Fighter, Neo-Nazis und Lok-Hools bilden vor allem rund um Wurzen und Colditz organisierte Kameradschaften. Und genau auf diese Mischung aus nationaler Gesinnung und Schlagkraft haben es Scheffler und Konsorten abgesehen.

Rechte Hegemonie-Bestrebungen und Neonaziterror machen antifaschistische, emanzipatorische Arbeit nicht nur schwer, sondern vor allem auch gefährlich. Für die Betroffenen ist die Situation unerträglich, da sie eben nicht aus der relativen Anonymität der Großstadt heraus agieren können. Das macht sie schnell zu Zielscheiben für die Auslebung nazistischer Gewaltfantasien und menschenverachtende Übergriffe.

Doch als ob die Situation nicht so schon beschissen genug ist, glänzt die sogenannte „Mitte“ durch Wegschauen, Revidieren, Relativieren und Leugnen. Kurz gesagt, sie schwingt die Extremismuskeule. Antifaschistisches Engagement, das Maul aufreißen gegen nazistische Umtriebe, alternative Kulturangebote und linksradikale Politik werden per se zu „Linksextremismus“ umgedeutet und zusammen mit „Rechtsextremismus“ in einen großen Topf geworfen und fleißig verrührt. Kurzerhand werden Opfer von Nazigewalt, gemäß deutscher Traditionen, auf die gleiche Stufe gestellt wie die TäterInnen selbst. Ziel dessen ist die Bestimmung einer vermeintlichen „Mitte der Gesellschaft“, die zum Einen frei von jeglicher Nähe zu RassistInnen, AntisemitInnen etc. ist, und zum Anderen gerade aus dieser vermeintlichen Abgrenzung eine moralische Definitionsmacht für sich beansprucht, mit der sie den angeblichen „linken ExtremistInnen“ die Legitimation entzieht, indem sie den Rahmen für den Kampf gegen Rechts definiert. Wem der Rahmen zu eng ist bzw. darüber hinaus agiert ist sofort „ein/e ExtremistIn“ und somit nicht legitimiert für gesellschaftliche Veränderung einzustehen.

Das emanzipatorische, antifaschistische Arbeit mit VertreterInnen dieser „Mitte“ nahezu unmöglich bzw. zum Scheitern verurteilt ist, macht die Sache nicht einfacher. Mit der neuen Familienministerin Schröder, einer besonders vehementen Verfechterin der Extremismustheorie, kann sich die Situation noch verschärfen. So plädiert die CDU-Ministerin dafür, alle Vereine und Initiativen, die sich der Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement und (Basis-) Demokratie, und damit auch gegen Nazis und ihre Auswüchse, verschrieben haben, auf mögliche Kontakte zu linken ExtremistInnen zu überprüfen und ggf. die Mittel zu kürzen oder gleich ganz zu streichen. Das damit nur den Nazis in die Hände gespielt wird stört die konservative Politikerin nicht, ist doch mittlerweile bekannt, wessen Geistes Kind die Familienministerin ist. Ihre Nähe zu neu-rechten Kreisen wie dem Umfeld der Zeitschrift „Junge Freiheit“ ist mehrfach belegt. (Vgl. Ein Garten voller Böcke)

Doch trotz all dieser dunkelbraunen Aussichten dürfen wir den Kopf nicht in den Sand stecken und die Provinz den Neo-Nazis überlassen, versuchen diese doch gerade über das Hinterland die Städte zu „erobern“. NazipolitikerInnen geben sich ein betont unauffälliges Image und sind trotzdem als NationalistInnen präsent. Bei unkritischen Menschen stellt sich daraufhin schon bald ein Normalisierungsprozess ein, d.h. die Neo-Nazis werden nicht mehr als Neo-Nazis wahrgenommen. Das Gleiche geschieht mit ihren Parolen und Phrasen. Diese Normalisierung von neonazistischen Gedankengut bescherte der NPD trotz großer Verluste eine zweite Legislaturperiode im sächsischen Landtag und damit auch wichtige Infrastruktur und Finanzquellen, die kontinuierliche (Kinder- und Jugend-) Arbeit im Hinterland ermöglichen.

Unsere Mittel sind beschränkt, können jedoch durch Vernetzung und Solidarität optimaler eingesetzt werden. Um diese Vernetzung voran zu treiben, sowie Menschen zu mobilisieren die sich ganz praktisch mit uns und euch solidarisieren, wollen wir am 1.Mai eine Demonstration durchführen und damit auch die AntifaschistInnen und AntirassistInnen in den Städten auf die Provinz aufmerksam machen. Das ganze wird unter dem Motto: „Der Provinz einheizen – Her mit dem schönen Leben!“ laufen. Wir hoffen das du/ihr/euch an einem Bündnis für die Demo (aber auch darüber hinaus) beteiligt und uns unterstützt.

AuA

 

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