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30.04.2005
60 Jahre!
Dank den Alliierten für die militärische Zerschlagung Nazideutschlands!
Partydemonstration:
Merseburg, 30.April `05,
14:00 Uhr, Poststraße
(gegenüber Bahnhof)
We celebrate: 60 years of liberation
Im Gedenkjahr 2005, also 60 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, den
Bombenangriffen auf Dresden, des Zusammentreffens der Roten Armee und den
westlichen Alliierten in Torgau und schließlich der 60. Jahrestag der
bedingungslosen Kapitulation der Deutschen am 8. Mai, wollen wir unsere
Maidemo der deutschen Erinnerungspolitik und dem Nachleben des
Nationalsozialismus in der BRD widmen. Es soll gezeigt werden, warum der 60.
Jahrestag der Niederschlagung der deutschen Barbarei nicht etwa ein Grund
zur Trauer ist, sondern einer zur Freude. Denn dank der Roten Armee, die vom
Osten her auf Deutschland vorrückte und dank der westlichen Alliierten, die
vom Westen und – nicht nur in Dresden, Magdeburg und Hamburg, sondern u.a.
auch hier in Merseburg – von oben, den Krieg gegen Deutschland führten,
konnten die Deutschen von ihrem blutigen Hobby – dem Morden – abgehalten
werden. Nachdem ca. sechs Millionen Juden der deutschen Raserei zum Opfer
fielen und halb Europa in ein Schlachthaus verwandelt wurde, musste das
deutsche Reich schließlich am 8.Mai 1945 bedingungslos kapitulieren.
Geschichte wird gemacht. Es geht voran…
Auch als die Deutschen mit Kriegsende das aktive Morden einstellen mussten,
zerstörte dieser Umstand ihren Antisemitismus selbstverständlich nicht. Der
Volksstaat – also die repressive Einheit von Volk und Staat – wurde von den
Alliierten zerschlagen und den Deutschen ein freiheitlich-demokratischer
Rechtsstaat übergestülpt, mit dem diese jedoch kaum etwas anzufangen
wussten. Da der von den Alliierten besiegte Staat den Antisemitismus des
Volkes nun nicht mehr kanalisieren konnte, mussten die um ihren Führer
gebrachten Deutschen diesen privatisieren und konnten ihn lediglich hinter
vorgehaltener Hand ausleben. Zwei angezettelte und glücklicherweise
verlorene Weltkriege inklusive ‚nationaler Tragödien’ wie Stalingrad und
Dresden, mahnten die Deutschen auf internationaler Ebene zunächst zu Ruhe.
Während man sich auf politischer Ebene in der westlichen Besatzungszone nach
außen hin geläutert gab, rumorte es nach wie vor an den Stammtischen. Sonst
jedoch stellte man sich keine Fragen über die Vergangenheit, wollte aber
auch keine gestellt bekommen. Der hilflose Versuch der Alliierten, die
Deutschen per Re-education zu aufrechten Demokraten zu formen, scheiterte
schließlich am beginnenden Kalten Krieg und an der rigorosen Abwehrhaltung
der Deutschen, so dass schon in den 1950er Jahren die alten Nazis wieder in
Amt und Würden saßen. Geschäftig und gewohnt arbeitsam lenkte man sich von
der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ab und stürzte sich samt der
ganzen Energie und der Mehrzahl der alten Kader in das Projekt
Wirtschaftswunder. Schon wenige Jahre nach Ende des Krieges belohnte man
sich letztendlich doch mit der Beute aus zwölf Jahren Nazideutschland und
leistete sich einen gut ausgebauten Sozialstaat, der per Sozialpartnerschaft
die Nivellierung der Klassengegensätze zum ‚Wohle des Volkes’ aus dem
NS-Staat in die Nachkriegszeit hinüberretten konnte.
In der DDR hingegen, wo der antiimperialistisch geprägte Antifaschismus
durch den Einfluss der Sowjetunion zur Staatsdoktrin wurde, glaubte man die
Ursachen des Nationalsozialismus beim ‚imperialistischen Klassenfeind’ im
Westen auszumachen, und konnte sich dadurch die eigene Weste reinwaschen,
indem der Nationalsozialismus einfach verdrängt und auf die andere Seite der
Mauer projiziert wurde. Je mehr in der DDR der deutsche Faschismus gegeißelt
wurde, der nun westlich des Arbeiter- und Bauernstaates verortet wurde, umso
reiner wurde das eigene Gewissen. Die deutsche Ideologie wurde mit dem
Kriegsende in Ost und West nicht zerstört sondern transformiert und
aktualisiert. Träger dieser Ideologie sind jedoch nicht nur – wie wir im
letzten Jahr zu zeigen versuchten – die Nazis, die sich selbst so
bezeichnen, sondern auch die erdrückende Mehrheit der Deutschen. Bereits
1959 bezeichnete daher Adorno in seinem viel zitiertem Aufsatz Was bedeutet:
Aufarbeitung der Vergangenheit „das Nachleben des Nationalsozialismus in der
Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistische
Tendenzen gegen die Demokratie“.
Am 9.November 1989 fiel schließlich die Mauer, also genau 51 Jahre nach
einer anderen nationalen Anstrengung – der Reichspogromnacht. Im
großdeutschen Taumel der so genannten Wende torkelten sich die Landsleute
gegenseitig in die Arme und schwelgten vom Ende der Nachkriegszeit und vom
neuen Deutschland. Dass das neue Deutschland doch nicht so neu war, mussten
in der Folgezeit in der ganzen BRD Nicht-Deutsche und Gegner des deutschen
Freudentaumels am eigenen Leib erfahren, als die neuen alten Deutschen diese
akribisch aufspürten, sie zusammenschlugen oder gar töteten, um so ihre
bedingungslose Loyalität gegenüber Deutschland an Taten festmachen zu
können. Regierung und Opposition quittierten diese Einsatzbereitschaft
zunächst mit der Abschaffung des Asylrechtes. Um aber Schaden am Ansehen der
‚Berliner Republik’ abzuwenden, musste man die zahlreichen Übereifrigen nun
schnell wieder loswerden, zumindest aber ruhig stellen. Schließlich konnte
man selbst viel effektiver und nahezu ohne Imageverlust lästige Ausländer
loswerden und selbst für die vom Volk gewünschte Ordnung sorgen.
times are changing: Auschwitz als Kulturgut
Nachdem 1998 die rot-grüne Koalition ihre Regierungsgeschäfte aufgenommen
hatte, war für die Landsleute die Nachkriegsgeschichte endgültig vorbei:
nicht trotz sondern wegen Auschwitz wurde nun Jugoslawien angegriffen. War
bis vor einigen Jahren die eigene NS-Vergangenheit im Weg, in der
Weltpolitik Ansprüche anzumelden, so präsentiert man insbesondere seit dem
rot-grünen Regierungsantritt ein geläutertes Deutschland, das aus der
Vergangenheit seine Lehren gezogen hätte. Die Erfahrungen der deutschen
Vergangenheit - so der Tenor - würde die Deutschen prädestinieren, Unrecht
auf der ganzen Welt geißeln zu können oder sich wahlweise als friedliebende
Alternative darzustellen. Dies tun die Volksgenossen von politisch links bis
rechts außen mit Vorliebe im Nahen Osten, wo man in der israelischen Politik
das gleiche Unrecht zu sehen glaubt, wie das Unrecht der Nazis gegenüber den
Juden. Flugs werden die damaligen Opfer der Deutschen zu Tätern von heute.
Deren vermeintliche Opfer – also die Palästinenser – sind in dieser Rechnung
die Juden der Gegenwart. Nicht nur, dass so von arabischem Antisemitismus
und islamistischer Barbarei nicht geredet werden muss, wirkt der deutsche
Zivilisationsbruch so wie einer von vielen. Den Israelis hingegen wird
vorgeworfen, dass diese – im Gegensatz zu den Deutschen – nichts aus der
Vergangenheit gelernt hätten. „Mit dem regelmäßig an Israel wie an
ausgewählte Überlebende gerichtete Ansinnen, die Juden nach Hitler hätten
gefälligst die besseren Menschen zu sein, wurden die Konzentrationslager als
Tötungsfabriken und Weiterbildungseinrichtungen ins alternative
Geschichtsbild integriert“ (Eike Geisel). Dass aber Israel sich gegen die
antisemitische Internationale von Genf über Berlin und Porto Alegre nach
Ramallah notfalls mit Waffengewalt gegen Angriffe zur Wehr setzen muss,
soviel Verständnis können die sonst so verständnisvollen Gutmenschen nicht
aufbringen. Vor allem dieses unsägliche ‚Gerade wir als Deutsche’ und das
Gerede von ‚Verantwortung’, macht die deutsche Selbstfindung so bedrohlich,
ist doch damit ein ‚Auftrag’ gemeint, die Welt nach deutschen Vorstellungen
einzurichten. Diese Vorstellung bedeutet, bei jeder erdenklichen Gelegenheit
über das ‚Selbstbestimmungsrecht der Völker’ zu schwadronieren, was nichts
anderes heißt, als jede widerliche und menschenfeindliche Kultur, sei sie
noch so barbarisch, zu hofieren und als Bündnispartner gegen die westliche
Welt und die Zivilisation in Stellung zu bringen. Das damit eine Affront
gegen die USA und Israel gemeint ist, ist dabei offensichtlich.
Deutsche Opfermythen
Die deutsche Schuld am Holocaust wird heute zwar generös anerkannt, jedoch
nicht ohne gleichzeitig auf den vermeintlichen Opferstatus auch der
Deutschen zu verweisen: und zwar Opfer der Nazis, als auch der Alliierten zu
sein. Die ‚guten Deutschen’ seien von den Nazis zu ihren Untaten ‚verführt’
worden, welche aus dem Weltall über Deutschland hereingebrochen zu sein
scheinen und nicht etwa aus deren eigenen Reihen stammten. So geschah, laut
regierungsamtlicher deutscher Geschichtsdeutung, nicht nur den von den
Deutschen Überfallenen und Hingemordeten Unrecht, sondern auch sie selbst
wären ein Opfer des Krieges gewesen: Stalingrad, Dresden, die Vertreibung
der Landsleute aus dem Osten usw. gelten so einfach als menschliche
Tragödien genau wie Auschwitz. Dass aber die Deutschen den
Nationalsozialismus zu verantworten hatten - ob an der Heimatfront beim
Kraft-durch-Freude-Programm oder in der Waffen SS - und deshalb nichts
anderes als die Vertreibung, die Bombardierungen und die militärische
Zerstörung ihres wahnhaften Vorhabens verdienten, wird mit der Ausblendung
von Ursache und Wirkung geflissentlich übersehen. Man habe aus der
Geschichte gelernt, heißt es frech von rot-grün über schwarz-gelb bis hin zu
den selbsternannten Weltverbesserern der Antiglobalisierungsfront namens
Attac.
„Lebt denn das gute alte Volk noch?
Ja es lebt noch, ja es lebt noch!“*
Am Beispiel der Proteste gegen Hartz IV kann man gut erkennen, wie sehr sich
die Ideologie der deutschen Demokraten und die der Nazis tatsächlich
überschneidet: Die Proteste richteten sich nicht etwa dagegen, dass die
neuen Gesetze eine zeitgemäße Form des Reichsarbeitsdienstes sind, dass also
der einzelne unnütze Arbeiten macht und dafür seine kümmerliche
Grundversorgung erhält, sondern, dass der Staat nicht ausreichend für das
Volkswohl sorge. Immer geht es darum Bittstellungen an den Staat zu richten,
der sich für das Wohl des ganzen Volkes einzusetzen und diesen Volkswillen
gegen Wirtschaft, Konzerne und Banken durchzusetzen habe. Dabei kehren mit
der Einführung von Hartz IV nicht etwa ‚amerikanische Verhältnisse’ ein, wie
so oft kolportiert wurde, sondern Hartz IV stellt lediglich die zeitgemäße
Fortsetzung des volksgemeinschaftlichen Gedankens dar, in dem „Gemeinnutz
vor Eigennutz“ (24. Punkt des NSDAP-Programms) zu stehen habe.
Kaum irgendwo in der BRD war dabei die Übereinstimmung von Nazis und Bürgern
so deutlich wie in Merseburg. Egal ob die Montagsdemonstrationen von der
NPD, der Gewerkschaft oder dem Oberbürgermeister angemeldet wurden, die ganz
normalen Deutschen kamen, marschierten mit und riefen dieselben Parolen wie
die bekennenden Nazis. Einige der Teilnehmer fühlten sich zwar
unberechtigterweise von den Nazis „instrumentalisiert“ und „missbraucht“,
nahmen aber an den Sprechchören und Transparenten keinen Anstoß: „Hartz IV,
das Volk sind wir“, „frei, sozial und national“ „Schröder plündert
Deutschland aus“, „wach auf, freies deutsches Volk, wach auf!“ sowie
„belogen und betrogen, zum Haß erzogen“ fanden nicht nur
Nationalsozialisten, sondern auch die anderen Deutschen in Ordnung und
unterschieden sich dabei nur in Nuancen von den Inhalten linker Montagsdemos
in anderen Städten. Unisono wussten die deutschen Gegner von Hartz IV, dass
Manager und ‚Polit-Bonzen’ nicht von fremder Arbeit zu leben und ihr Handeln
in den Dienst des Volkes zu stellen hätten, statt dieses ‚auszusaugen’.
Dabei wurden unverblümt antisemitische Stereotypen verwendet, wie die vom
‚schaffendem Kapital’ (‚ehrliche’ Arbeit des kleinen Mannes) und ‚raffendes
Kapital’ (welches ehrliche Arbeit aussaugt, von fremder Arbeit schmarotzt
und so das Volk ausbluten würde).
The final countdown…
Besonders jetzt im Gedenkjahr 2005 wird an allen Winkeln der Republik
ständig ‚erinnert’ und ‚gemahnt’. Sämtliche Buchläden und Zeitungskioske
quellen über vor Büchern von Guido Knopp und Co. über Hitler, Wehrmacht und
Nazis. Deutsche Filme über den NS wie „Der Untergang“, „Napola“ oder „Sophie
Scholl“ erfreuen sich großer Beliebtheit. Das, was diese Filme und Bücher so
erfolgreich macht, ist, dass sie mit der Unterscheidung von Deutschen und
Nazis und die Darstellung der Deutschen als Opfer oder aufrechte
Widerstandkämpfer, dem Volk aus der Seele sprechen. Ganz nebenbei werden die
vermeintlich ‚besseren Deutschen’ vorgeführt, die im Nachhinein zur
Ehrenrettung der Nation angeführt werden. Der konstruierte Gegensatz von
guten Deutschen und bösen Nazis und der Opfermythos der Landsleute macht
dieses Gedenkdeutschland anno 2005 so widerwärtig, wie es schon immer war.
Der Opferkult, in besonderem Maße in Krisenzeiten, legt sich so schon im
Vorhinein eine Rechtfertigung für das Losschlagen zurecht: denn wer Opfer
ist, darf sich wehren, so die selten ausgesprochene Logik. Dies jedoch ist
für uns Grund genug, diese Deutschen daran zu erinnern, was passiert, wenn
sie ihrem Wahn freien Lauf lassen: Die Bombardierung Dresdens, Hamburgs,
Magdeburgs, Dessaus und auch Merseburgs sind die einzigen Drohungen, vor
denen die Landsleute sich erschrecken, die von Auschwitz nichts hören
wollen. Da das Ende der Barbarei am 8.Mai 1945 von der übergroßen Mehrheit
der Deutschen eher als Niederlage denn als Befreiung aufgefasst wurde, und
diese Deutschen bis zuletzt loyal zu Führer und Massenmord standen, danken
wir den Siegermächten, dass sie der deutschen Mordmaschinerie mit allen
Mitteln ein Ende setzten. Deshalb werden wir in diesem Jahr auf unserer
Maidemo den 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus ausgiebig
feiern.
*Sprechchor der Anti-Hartz IV Demonstration in Merseburg
Jugendbündnis Merseburg
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