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The antiolympische Veranstaltungreihe is (fast) over

Einen fatalen Fehler begingen alle, die sie verpasst haben. Hier nur ein subjektiver Überblick über vier gelaufene AOK-Veranstaltungen

Los ging es am 3. Dezember 2003 im Conne Island mit dem Sportjournalisten der Jungle World, Martin Krauss. In seinem Referat lieferte er einen Abriss über die Geschichte Olympias. Im Gegensatz zum AOK-Leipzig, dass auch eine generelle Sportkritik in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt hat (siehe z.B. die Texte im Reader) entpuppte sich Martin Krauss nicht nur als profunder Kenner (deswegen wurde er ja eingeladen), sondern auch als enthusiastischer Fan des Sports. Doch nicht nur der Sport im allgemeinen, sondern der Leistungssport im besonderen (mitsamt seiner Großevents) hat es ihm angetan. Er wanderte also mit seiner Olympia-Kritik auf einem schmaleren Grat als das AOK. So verteidigte er die Idee der Goodwill-Games, die von einem amerikanischen Millionär als Alternative zum (damals krisengeschüttelten) Olympiakonzept etabliert wurden. Bei den Goodwill-Games treten die SportlerInnen nicht für ihre Nationen an. Auch werden die "Spiele" nicht so stark ideologisch-moralisch aufgerüstet wie Olympia, sondern es ist allen Beteiligten klar, worum es geht: Sport und Geld - und um Rekorde in beiden Gebieten. Dies ist ja auch alles schön und gut - nur damit wird der Leistungssport nicht gleich zur tollen Sache. Das aber nur am Rande. Interessant war auf alle Fälle die detaillierte Auseinandersetzung mit den Mythen und der Wirklichkeit seit Beginn der neuzeitlichen Olympiade. Spritzig war auch seine Kritik gängiger Olympiakritik von links, mitte und rechts. Nachdem er aber fast alle Kritikmöglichkeiten verworfen hatte, blieb selbst nicht mehr viel übrig, warum Olympia Scheiße ist.
Die anschließende Diskussion drehte sich dann auch darum, ob es nicht doch Ansätze zumindest der linken Olympiakritik gibt, die Bestand haben könnten. Genannt wurden vor allem das Verhältnis vom Sport zum Nationalismus und zum Leistungswahn.

Die zweite Veranstaltung am 27. Januar 2004 in der moritzbastei mit dem Leipziger Politologen Matthias Bernt widmete sich den stadtplanerischen Folgen von Olympia für Leipzig. Mit Bezug auf die Verlautbarungen der Stadt und vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wurden die einzelnen Planungen für Stadionbauten, Übernachtungsmöglichkeiten, PressCenter, Verkehrsprojekte usw. auseinandergenommen. Der Referent kam dabei mit seiner Powerpoint-Präsentation so seriös rüber, dass er sicher viele der anwesenden Gäste (das Publikum in der mb war erwartungsgemäß sehr gemischt und es war mit knapp 100 Personen die am besten besuchte Veranstaltung) beeindruckt hat, sich seine Kritik allerdings darauf beschränkte, dass es genug Wohnraum in Leipzig gäbe, dass die Stadt zu viel geheim halten und die BürgerInnen außen vor lassen würde. Er empfahl sich damit direkt für den Posten einer alternativen Olympiaplanung. Seine systemimmanente Argumentation machte auch nicht viel Sinn, denn wer schon auf Augenhöhe mit den städtischen PlanerInnen diskutieren will, muss auch bedenken, dass das Wohnraumargument nicht wirklich zieht: Denn die SportlerInnen können natürlich nicht in Grünauer Plattenbauten oder Reudnitzer Abbruchhäusern untergebracht werden. Sondern sie brauchen genau ebenjene komfortablen und sicheren Wohnungen am Lindenauer Hafen, die - wie Matthias Bernt befürchtet - ein einmaliges Biotop und Erholungsgebiet zerstören würden. Wer sich allerdings mal wirklich beim Lindenauer Hafen umgesehen hat, wird nicht umhin kommen, einzugestehen, dass für jenes Gebiet Olympia wirklich die einzige Hoffnung und Chance ist. Die SportlerInnen und Gäste auf die Stadt zu verteilen - wie der Referent vorschlug - wäre hingegen nun wirklich eine Gefahr für ganz Leipzig, denn dann würde die Stadt ein einziges olympisches Dorf (wie es Albert Speer als Chefplaner schon angedroht hat), d.h. ein Hochsicherheitsknast für Sportochsen. Auch der Vorschlag, die Leipziger BürgerInnen intensiver an den Olympiaplanungen zu beteiligen, klingt zwar nett, ist aber eher kontraproduktiv. Bei der wahnhaften Olympiabegeisterung würde das im Endeffekt bedeuten, dass nach konfusen Debatten nicht nur ein S-Bahn-Tunnel (gegen den der Referent nur vorbrachte, er wäre zu wenig begründet...) sondern 20 gebaut werden würden.
Ein Ausblick in die verheerenden Folgen einer bürgernahen Politik gab dann der Diskussionsteil der Veranstaltung. Ältere Männer, die vielleicht ganz brauchbar dafür sind, vor dem heimischen Fernseher Fußballspiele zu kommentieren und ihre Frau Bier holen zu schicken, laberten dummes Zeug. Der absolute Höhepunkt der Veranstaltung war der Auftritt eines PDS-Stadtratsabgeordneten, der mit allem, was er hatte (und er brachte so einiges auf die Waage, was bei Leuten, die gern über Sport reden, so üblich ist), sich für Olympia ins Zeug legte. Er hielt aus dem Stehgreif eine 20minütige Rede und ließ sich selbst durch Zwischenrufe und Lachen nicht aus seinem Konzept bringen. Er betonte u.a. den völkerverbindenden und friedlichen Charakter von Olympia, die Chancen für Leipzig und die unübertroffene Integrationsleitung gegenüber den Behinderten (Paralympics). Die linken, menschenfeindlichen ZynikerInnen interessierte das alles wenig - aber mit einem Argument hätte er uns fast rumgekriegt. Er fragte: "Wollt Ihr denn in Zukunft in Grünau wohnen oder Euch ein schönes Eigenheim im olympischen Park im Lindenauer Hafen zulegen?" Es dürfte klar sein, dass zumindest wir vom AOK seitdem für das unsere Eigenheime sparen - bis 2012 ist ja genug Zeit...

Am 03. Februar 2004 fand in der LIWI die dritte Veranstaltung unter dem Motto: "Leipziger Freiheit und andere Märchen" - Wie Olympia die Leipziger Szene smashen wird statt. Das Thema Überwachung, Vertreibung, Repression und Olympia schien recht viele Leute zu interessieren. Zumindest waren im Veranstaltungsraum fast alle Plätze besetzt. Die Referenten breiteten das Panorama der ins Uferlose ausgewachsenen Sicherheitshysterie im diesjährigen olympischen Austragungsort Athen aus und schilderten knapp die Folgen olympischen Ordnungswahns in ehemaligen Gastgeberstädten. Den Übergang zu Leipzig schufen sie durch einen kurzen Abriss der bereits erfolgten Verschärfungen des Klimas in der Stadt der Videokameras und anwaltlich durchgesetzten Copyright-Ansprüche auf den Slogan "Leipziger Freiheit". Die Auswirkungen von Olympia und auch schon einer Bewerbung für das Spektakel sind demnach: verstärkte Repression, Ausgrenzung von Randgruppen und politischen KritikerInnen sowie die "Lufthoheit" in der öffentlichen Meinung. Am Schluss der Vorträge wurde ein gruseliges, aber nicht allzu unwahrscheinliches Szenario entworfen, an dessen Ende von der Leipziger linken Szene und ihrer Einrichtungen nicht mehr viel übrig wäre.
In der munterer als erwartet verlaufenen Diskussion wurden verschiedene Konzepte aufgeworfen, wie gegen diese Gefährdung am besten vorzugehen sei - sie reichten von vielen in unabhängigen Gruppen durchgeführten Einzelaktionen bis zur koordinierten gemeinsamen Action. Letztendlich sah es so aus, dass sich sowohl Leute zusammengefunden haben, die an speziellen antiolympischen Projekten arbeiten wollen als auch das Wort vom Ideenpool aufkam, in dem sich alle anderen Interessierten zusammenfinden können. Das AOK (L) lud sowieso alle, die wollen, zu seinen Treffen ein. Und diverse Aktivitäten von dieser Seite sind auch weiterhin zu erwarten.
Wie eingangs gesagt: Die zu erwartenden Probleme für Linke in Leipzig durch Olympia (und vorher schon durch die Fußball-WM) scheinen durchaus einigen Leuten nicht egal zu sein. Die Zahl der TeilnehmerInnen und die Diskussion spricht jedenfalls gegen eine breite Ignoranz dem Thema gegenüber.

Am 17. Februar 2004 fand unter dem Motto "Sport ist Mord?" im Conne Island eine Diskussion zwischen einem Vertreter des BGR (www.nadir.org/bgr) und einem Mitglied der Wertkritischen Kommunisten Leipzig (www.wertkom.org) statt. Ca. 30 Personen lauschten zuerst den Ausführungen des Referenten vom BGR, der sich vor allem kritisch mit der Anti-Olympia- und Anti-Sport-Position des anderen Referenten auseinander setzte. Er bemängelte, dass der wertkritische Ansatz von oben herab den Sport pauschal verdamme und verschiedene Ausprägungen des Sports (Sport im Dritten Reich und in der DDR, bürgerlicher Sport und proletarischer Sport, Leistungssport und Breitensport) gleichmache. Das würde einerseits zu einer Relativierung des Nationalsozialismus beitragen ("Sport als Keimform des Vernichtungskrieges"), andererseits dem emanzipatorischen Gehalt bestimmter Sportpraxen nicht gerecht werden. Der Referent vom BGR betonte hingegen, dass es wichtig sei, bei aller grundsätzlichen Kritik am Sport, die er auch teilen würde, die Unterschiede zwischen dem westlichen Sport und dem deutschen Turnen zu benennen und zu analysieren. Der Referent von den WKLs erläuterte daraufhin seinen Ansatz (siehe auch seinen Text im Reader) und reagierte ausweichend auf die Vorwürfe. Er versuchte sich hauptsächlich mit Missverständnissen herauszureden und betonte, dass bei aller Anerkennung von Unterschieden dem Sport immer das Leistungsdenken, das Einüben der kapitalistischen Konkurrenz, die Zurichtung der Körper immanent sei. Die Auseinandersetzung darüber konnte leider nicht vertieft werden, da das anwesende Publikum kein Interesse an diesen Fragen zeigte. Vielmehr ging es in der anschließenden Diskussion mehr um die Stoßrichtung einer antiolympischen Strategie: Massenansatz versus radikale Kritik, Umweltschutz und soziale Frage versus Kritik des Nationalismus und der deutschen Olympia-Geschichte.

Die Veranstaltungen in ihrer Vielfalt haben sicher zur einigen Erkenntnisfortschritten bei den ZuhörerInnen beigetragen. Sie mögen auch die Zustimmung zu Olympia von 99,9% auf 99,89% gesenkt haben. Unserem Ziel, Olympia zu verhindern, haben sie uns allerdings nicht wirklich näher gebracht. Nur die Stadt Leipzig sieht das anders. Ängstlich hocken die BeamtInnen im Rathaus und fürchten sich vor dem Treiben des AOKs. Ängstlich fragen sie alternative Projekte, was das AOK so sei und mache und sie damit zu tun hätten. Und wütend rufen sie bei den Veranstaltungsorten an und machen ihrem Ärger Luft, dass in städtisch geförderten Kultureinrichtungen städtische Politik auch kritisch diskutiert werden kann. Dies wird uns allerdings nicht beirren, sondern uns vielmehr zu weiteren Höchstleistungen anspornen. Wir drohen schon mal die dritte Veranstaltungsreihe an - und damit die Senkung der Zustimmung auf für Leipziger Verhältnisse legendäre 99,72%.

Ein Teil der Referate wird demnächst auf unserer Homepage (www.nein-zu-olympia.de) veröffentlicht. Schon jetzt können allerdings die Inhalte der meisten Referate dort nachgelesen werden, nämlich im tollen und super-gefährlichen Anti-Olympia-Reader. (Wir sind nämlich so wenige, dass wir einen Teil der Reader-AutorInnen als ReferentInnen recyceln mussten. Aber wir werden immer mehr...)

Zwei aus dem AOK
Leipzig, den 19.02.2004



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