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left action - linksradikale Gruppen in  Leipzig - Archiv
 

27.05.2006

Den Nazis auf die Pelle rücken

Rechte Kontinuitäten brechen – antifaschistische Jugendkultur stärken

Angetrunken und vermummt stehen ca. einhundert Neonazis am 01.10.2005 in Halberstadt in der Kühlinger Straße. Ihr Ziel ist eine antifaschistische Demonstration gegen das "Ragnarök" – einen Laden mit dem speziellen Sortiment für den jugendlichen Neonazi. Die Demonstration wird von den Neonazis mehrfach angegriffen, die Polizei ist sichtlich überfordert, die AntifaschistInnen können das Schlimmste verhindern.

Seit einiger Zeit macht sich eine neue Dynamik breit im sachsen-anhaltischen Neonazi-Lager. Mehrere antifaschistische Demonstrationen wurden angegriffen bzw. erfolgreich zu Gegenaktionen mobilisiert. Linke Jugendliche und MigrantInnen werden vermehrt Opfer brutaler Übergriffe, das Selbstbewusstsein der Neonazis ist ungetrübt. Ein Schwerpunkt rechter Gruppen ist das Städtedreieck Wernigerode - Halberstadt - Quedlinburg. Hier sind mehrere Kameradschaften aktiv und das rechte Gewaltpotenzial enorm. Die Verbindungen zu anderen Kameradschaften auch weit außerhalb Sachsen-Anhalts sind gut – man ist in der Szene etabliert. Antifaschistische Strukturen sind soweit vorhanden, unterentwickelt und permanentem Druck ausgesetzt. Der rechte Lifestyle ist dominierend, entsprechende Weltbilder weit verbreitet.

Die Dynamik, die von hier ausgeht, gilt es zu stoppen. Um ein Gegengewicht zu setzen, rufen antifaschistische Gruppen deshalb zur Demonstration in Wernigerode auf.

Wir stechen ins Wespennest – wir rücken den Nazis auf die Pelle.


Ein Blick zurück.

Das Städtedreieck Wernigerode - Halberstadt - Quedlinburg ist inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus als rechte Hochburg bekannt. Seit Anfang der 90er Jahre besteht hier in Kontinuität eine große neonazistische Szene. Die handelnden Personen und die Namen der agierenden Organisationen ändern sich im Lauf der Jahre – doch immer lässt sich hier der Zustand der extremen Rechten in der BRD, nahezu exemplarisch beobachten. In Wernigerode wird von Thorsten Heise, dem niedersächsischen Landesvorsitzenden der mittlerweile verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), Anfang der 90er Jahre der bundesweit größte FAP-Kreisverband aufgebaut. Dieser zählt zu seinen besten Zeiten 80 Mitglieder und bis zu 120 Sympathisanten. Militante Neonazis wie Sebastian Fock oder Henrik und Hagen Mühlbach gehörten zu den Protagonisten. Die Initialzündung für den dynamischen Aufbau der Wernigeröder Szene, ist ein von Thorsten Heise organisiertes RechtsRock-Konzert am 25. April 1992 im so genannten Salzbergtal. Über 600 TeilnehmerInnen lauschen den Klängen von Bands wie "Stuka" und "Commando Pernot". Im Anschluss daran versuchen sie das Alternative Jugendzentrum "Schlachthof" zu stürmen.

Die Gewaltbereitschaft der Szene hat ein enormes Ausmaß angenommen. Während beispielsweise am 12. Februar 1993 in der Diskothek "Center" ein Parteitag der NPD mit 150 TeilnehmerInnen stattfindet, veranstaltet die FAP zeitgleich ein Regionaltreffen im Kreiskulturhaus. Anschließend greifen 60 Neonazis den linken "Penneclub" an. Ähnliches geschieht am 11. Juli 1993. In der Nacht vor einem geplanten FAP-Parteitag überfallen 30 Neonazis im benachbarten Ilsenburg zwei Jugendliche. Mit Steinen, Baseballschlägern und Stiefeltritten verletzen sie die Jugendlichen schwer. Eines der Opfer erleidet eine Schädelfraktur und schwebt in Lebensgefahr. Zu Hilfe eilende Feuerwehrleute werden ebenfalls angegriffen, einer erleidet in dieser Situation einen Herzanfall. Der FAP-Parteitag findet daraufhin im thüringischen Worbis statt.

Auf der anderen Seite wird sich mit anderen rechten Gruppen und Parteien in der Region vernetzt. Dazu wird der "Deutsche Freundeskreis Nordharz" (DFN) gegründet. Ihm gehören neben der FAP auch Vertreter der NPD und ihrer Jugendorganisation JN, der Deutschen Liga für Volk und Heimat und der Harzfront – einem Zusammenschluss mehrerer Neonazigruppen aus dem Raum Quedlinburg an. Der DFN betreibt hauptsächlich Propagandaarbeit und gibt eine eigene Zeitschrift, den "Nordharzer Infodienst", heraus.

Nach dem Verbot der FAP 1995, strukturiert sich die Neonazi-Szene um. Während sich Thorsten Heise vermehrt um die entstehende RechtsRock-Szene kümmert, organisiert Steffen Hupka, ein bundesweit bekannter Neonazi-Funktionär – die rechten Gruppen der Region. Dabei gehen sie arbeitsteilig vor. In Wernigerode bilden sich neue Strukturen. Der "Jugendbund e.V." wird gegründet. In ihm finden sich alte FAP-Mitglieder aber auch RechtsRock-Aktivisten wieder. Als Führungsfigur des im Jugendclub "Harzblick" angesiedelten Vereins, kristallisiert sich Marcel Günther heraus. Seit 1994 ist er Gittarist der Band S.E.K. (Skinhead Einsatzkommando). Im Namen des "Jugendbund" gibt er auch das erste regionale Neonazi-Fanzine, den "Harzsturm" heraus. Die Aktivitäten konzentrieren sich zunehmend auf den rechten Musikbereich. Günther erkennt auch dessen finanzielles Potenzial und eröffnet mit einem Kompagnon am 25. März 2000 in der Wernigeröder Innenstadt das "Head-Check", ein Ladengeschäft für rechten Lifestyle. An der Eröffnungsfeier nimmt sogar die US-amerikanische Nazi-Band "No Alibi" teil. Heute ist er in der "Trendfabrik" aktiv – mit überwiegend politisch unverdächtigem Sortiment.

Politische Arbeit betreibt die "Radikale Offensive Wernigerode". Dem inzwischen bundesweit bestehenden Netz der freien Kameradschaften zugehörig, geht sie vor allem gegen linke Jugendliche und ihre Treffpunkte vor. Während in Flugblättern gegen die von linken Jugendlichen besuchte "Kulturbaracke" gehetzt wird, wird diese immer wieder angegriffen. Ebenso kommt es von Seiten der Neonazis immer wieder auch zu Brandstiftungen. Einen Tag vor der Eröffnung wird das Jugendzentrum "Subway" u.a. von Henrik Mühlbach niedergebrannt. Später wird das Gebäude des ehemaligen AJZ "Schlachthof" – in dem zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich Technoparties stattfinden – ebenfalls von rechten Brandstiftern heimgesucht.

Wie siehts aus in Wernigerode?

Während heute von den ehemaligen rechten Aktivisten nahezu niemand mehr aktiv ist, sind die örtlichen Strukturen noch immer in die Szene der freien Kameradschaften eingebunden. Mit neuen Personen wurde auch ein neuer Name etabliert, die "Wernigeröder Aktionsfront". Neben den obligatorischen Propagandaaktionen kommt der eigenen Profilierung im Internet steigende Bedeutung zu. Einige der WAF-Aktiven betreiben auf den Seiten des Nationalen Beobachters – einem überregionalen neonazistischen Internetportal – eine eigene Wernigeröder Rubrik. Trotz der eigenen Verlautbarung nichts mit der WAF zu tun zu haben, fungiert doch die E-Mail-Adresse der WAF als Kontakt. Zudem wird fast ausschließlich über WAF-Aktionen berichtet. Und davon gibt es einige. Nach einer Kundgebung zum 08. Mai 2005 unter dem Motto: „Tag der Niederlage! Wir Feiern NICHT!“ treten die Wernigeröder „Kameraden“ am 14.10.2005 mit einer eigenen Demo in die Öffentlichkeit. Mit organisatorischer Hilfe der Magdeburger Kameradschaft gelingt es ihnen 150 Neonazis zu mobilisieren. Unter dem Slogan: „Für Meinungsfreiheit - Gegen roten Terror und gesellschaftliche Denkverbote“ ziehen sie in den Abendstunden durch die Stadt.

Nachdem es in Tanne, in der Nähe von Wernigerode, zu Hakenkreuzschmierereien und Bedrohungen gegen eine Familie kommt, gerät die WAF unter Druck. Die Vorfälle machen bundesweit Schlagzeilen. Um mögliche polizeiliche Repressionen zu umgehen, löst sich die WAF am 23.10.2005 per Erklärung auf ihrer Internetseite auf. Ihre Mitglieder orientieren sich daraufhin an den "Jungen Nationaldemokraten" der NPD-Jugendorganisation. Am 22.12.2005 gründet sich schließlich ein eigener JN-Stützpunkt. Der ebenfalls sehr aktive NPD-Kreisverband Halberstadt/Wernigerode, angeführt von Matthias Heyder aus Elbingerode, bietet ihnen ebenfalls einen gewissen juristischen Schutz. Die Wernigeröder Seite des Nationalen Beobachters fungiert jetzt nahezu unverändert als Seite der JN-Harz.

Aktionismus, Öffentlichkeit und Gewalt

Die extreme Rechte organisiert sich seit einigen Jahren unter Jugendlichen nicht mehr nur in klassischen Parteien und Vereinen. Kleine, unabhängig voneinander agierende Gruppen, bestimmen das Bild. Die gewählten Namen geben dabei weniger programmatische Vorgaben als der sich zusammenfindende Personenkreis. Die Dynamik, die diese Strukturen vielerorts erreicht haben, speist sich aus einer Erlebniswelt mit subkulturellen Elementen wie Musik und Outfit sowie politisch gefärbter Aktion bis hin zum Gewaltexzess. Einerseits bedient man sich der Einschüchterung, andererseits bemüht man sich in der Öffentlichkeit um ein Biedermann-Image. Nach dem Überfall in Pömmelte, über den überregional berichtet wurde, dauerte es keine zwei Tage bis sich Kameradschaft im Internet von den "kriminellen Täter" distanzierten. Stattdessen wurde versucht, als Jugendinitiative beim eilig gezimmerten Runden Tisch in Pömmelte zu Wort zu kommen.

Bewusst werden bei Demos diejenigen Parolen gewählt, bei denen man sich der ressentimentgeladenen und emotionalen Zustimmung der Bevölkerung gewiss sein kann. Man zieht in den Kampf gegen sexuellen Missbrauch, Drogen, den Irakkrieg, Hartz IV oder angebliche linke Gewalt. Neben dieser Themenwahl werden weitere Mittel zur öffentlichen Wahrnehmung gewählt. Gezielt werden Anti-Rechts-Veranstaltungen aufgesucht und gestört. Neben dem Ziel, die eigenen Positionen ins Gespräch zu bringen, wird gleichzeitig versucht, VeranstalterInnen und BesucherInnen zu verunsichern und auszuspionieren. Der politische Aktionismus folgt dabei dem Ziel der größtmöglichen Publicity. So dringen mehrere Neonazis am 24.02.2006 in eine Diskussionsrunde mit Claudia Roth zum Thema Rechtsextremismus, in den Rathaussaal von Wernigerode ein. Die teilweise vermummten Neonazis – allen voran Michael Schäfer, Führungsfigur der WAF/JN - halten ein Transparent mit der Aufschrift "Ihr kotzt uns an. Für Toleranz und Meinungsfreiheit" in die Höhe. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit der NPD. Während Schäfer und „Kameraden“ zunächst nicht ins Rathaus gelangen können, hat sich ein unauffällig gekleideter NPD-Aktivist unter die ZuhörerInnen gemischt. Dieser schreibt mit und fotografiert nach dem Eindringen der Neonazis die Szenerie. Die Fotos erscheinen später auf den Seiten der NPD mit einem Artikel von Matthias Heyder.

Eben dieser Matthias Heyder ist es auch, der für den nächsten Coup der regionalen Szene verantwortlich ist. In einem Schreiben an den Landkreis Halberstadt wendet er sich gegen ein für den 08.03.2006 geplantes Konzert mit Konstantin Wecker und eine Kabarettveranstaltung mit Serdar Somuncu. Das Konzert soll im Rahmen der Antifa-Tour 2006 im Käthe-Kollwitz Gymnasium in Halberstadt stattfinden. Heyder argumentiert, politische Veranstaltungen im Rahmen des Wahlkampfes dürften nicht an Schulen stattfinden. Unverholen droht er damit, im Falle einer Genehmigung des Konzertes massiv daran teilnehmen oder es mit Infoständen, Demonstrationen oder Blockaden stören zu wollen. Außerdem wolle er gegebenenfalls „umfangreiche Veranstaltungen zu nationalen Themen“ veranstalten und Konzerte „Nationaler Liedermacher“ in öffentlichen Gebäuden einklagen. So dreist der Vorstoß der NPD auch ist, so erfolgreich ist er. Der Landkreis knickt ein, das Konzert wird abgesagt. Der Kabarettabend muss als geschlossene Veranstaltung stattfinden.

Die gemeinsame Aktion beim Stören von Veranstaltungen, bei Demos und der Suche nach Konfrontationen mit Antifas oder Polizei, lässt sich auch mit jugendtypischen Verhaltensweisen wie dem Drang zum Kräftemessen und zur Provokation erklären. Kommt eine Verfestigung in der Szene und die ideologische Komponente, so rudimentär diese auch ausgeprägt sein mag, hinzu, wird die rechtsextreme Aktion zur Gefahr von Leib und Leben. Und die Gewalt gehört zur rechten Erlebniswelt unmittelbar dazu. Fälle wie der des Manuel Reuter beweisen dies nachdrücklich. Reuter, Aktivist der WAF/JN, stammt aus Benzingerode bei Wernigerode. Während er z.B. an Demonstrationen wie am 18.06.2005 in Braunschweig teilnimmt, gilt er auch als äußerst Gewaltbereit. Wegen gefährlicher Körperverletzung in mehreren Fällen bereits vorbestraft, steht er nun wegen 7 weiteren Fällen vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, z.T. während seiner Bewährungszeit 8 Jugendliche angegriffen zu haben. Die Anklage lautet in allen Fällen auf gefährliche Körperverletzung. Alle Angriffe ereigneten sich innerhalb weniger Monate, die Opfer wurden von Reuter teilweise erheblich verletzt.

Alter Inhalt, neuer Code.

Der Einstieg in eine so verfasste Szene ist denkbar einfach. Der bisher durch entsprechende kulturelle Identitäten begrenzte Zugang, wurde durch den Abbau der dogmatisch gesetzten kulturellen Muster gelockert. Es bedarf längst nicht der klassisch rechten subkulturellen Codes, um in der Kameradschafts-Szene anerkannt zu werden. Personen wie Marcel Günther im amerikanisch geprägten Hardcore-Outfit oder Michael Schäfer, Führungsfigur der WAF und äußerlich braver Politikstudent, stehen heute in keinem Widerspruch zu ihren Glatze und Bomberjacke tragenden Gesinnungsgenossen. Diese Öffnung zu anderen kulturellen Stilen entspringt dabei der Alltagserfahrung von Neonazis, in ehemals verhassten Jugendkulturen plötzlich Gleichgesinnten zu begegnen. Diese Veränderung zeigt sich insbesondere im unverkrampften kopieren linker Slogans, Aktionsformen und Stilen. Die Outfits, Symbole und Parolen werden übernommen und im eigenen Sinne uminterpretiert. Kompatibel sind besonders ehemals linke Kampf- und Widerstandsrhetorik. Die dazu oftmals nötige inhaltlich politische Verbiegung wird, aufgrund der eigenen politischen Unbestimmtheit, bei den Neonazis zumeist nicht wahrgenommen. Logischerweise reflektiert die Rechte nicht kritisch über linke Theorieelemente. Manche Tore stehen allerdings soweit auf, dass z.B. die Übernahme des so genannten Palituchs in seiner antizionistischen und damit antisemitischen Konnotation nicht wundern darf.

Faschismus als Kampfbegriff

In einem Diskussionsartikel, veröffentlicht auf den Seiten des Nationalen Beobachters, kommen die Wernigeröder "Kameraden" zu dem überraschenden Schluss: "Jeder völkische Sozialist ist ein Antifaschist". Stattdessen seien die politische Linke und die Antifa die eigentlichen Faschisten, von den Neonazis gerne "Rotfaschisten" genannt. Möglich wird diese Zuordnung nur, da man ziemlich plump den Faschismus-Begriff politisch entkernt und auf ein etatistisches Staatsmodell reduziert. Demnach habe es den Faschismus nur in Italien von 1922 bis 1945 und keinesfalls in Deutschland gegeben. Faschismus sei also lediglich ein System, das den Staat und eine Partei über alles stelle. Der völkische Sozialismus, dem sie sich verbunden fühlen, stelle hingegen das Volk über alles, unterscheide sich also fundamental vom Faschismus.

Ganz bewusst wird in dieser Darstellung der Faschismus von seinen weiteren politischen Merkmalen befreit. Diese sind aber z.B, der "Volksgemeinschafts"-Gedanke als Ersatz für soziale und ökonomische Auseinandersetzungen. Die Volksgemeinschaftsideologie fußt auf einem biologistischen, völkischen und mystischen Menschenbild, das sich gegen Aufklärung, Liberalismus und Universalismus richtet.

Ein weiteres Merkmal ist eine prokapitalistische Wirtschaftseinstellung, die aus dem organisch-hierarchischen Weltbild abgeleitet wird und zudem ein ausgeprägter Nationalismus und Rassismus sowie (insbesondere beim deutschen Radikalfaschismus) ein dezidierter Antisemitismus als aggressiv ausgeprägte Feindbild-Ideologie. Weitere Merkmale faschistischer Bewegungen sind ein organisatorisches "Führer"-Prinzip mit soldatischer Verbandsstruktur, ein messianischer Erhöhungs- und Allmachtsglaube der die Ausschaltung von allem "Volksfremden" und "Gemeinschaftschädlichem" beinhaltet und natürlich das autoritär-diktatorische Staatsverständnis; aber eben weit mehr als nur das. Diese plumpe Begriffsumdefinierung und damit verbundene Titulierung von AntifaschistInnen als "Rotfaschisten" dient in erster Linie taktischen Zwecken. Es ist der Versuch, zusammen mit dem Begriff auch ein schlechtes Image auf den politischen Gegner zu projizieren.

Aus der rechten Mottenkiste

Ein kurzer Blick auf die wenigen politisch inhaltlichen Verweise in der Selbstdarstellung der WAF/JN zeigen hingegen, dass dort alles zu finden ist, was man an faschistischer Ideologie erwarten kann. Zuallererst den Volksgemeinschaftsgedanken ihres "nationalen Sozialismus", der bei ihnen sogar zum wichtigsten Bestandteil von Politik und Wirtschaft wird. Das Individuum habe sich demnach dem Gemeinnutz unterzuordnen, worin die Ausschaltung von als "gemeinschaftsschädlich" Deklarierten bereits enthalten ist. Einen Antisemitismus mit klassischer Weltverschwörungstheorie, wenn von den "Weltherrschaftsplänen der US-Ostküste" die Rede ist. Einen Rassismus, der als Ethnopluralismus getarnt, zwar den Begriff Rasse vermeidet, stattdessen von kulturellen Identitäten, die notwendiger Weise an eine angestammte Heimat gekoppelt seien, spricht. Insgesamt zeigt sich in den inhaltlichen Textpassagen keine stringente rechte Denkschule, ob nun traditionell nationalsozialistisch oder beeinflusst durch die "Neue Rechte". Es handelt sich vielmehr um die regionale Zweitverwertungskette von Fragmenten des NPD-Programms und reichlich abgestandenen Textbausteinen aus dem Fundus rechter Kameradschaften.

Rebellion des Mainstream?

Die neonazistische Selbstverortung als "Systemfeinde", "Revolutionsrhetorik" und die Selbstwahrnehumng als unangepasst und rebellisch, hat mit der Realität jedoch herzlich wenig zu tun. Vielmehr bewegt man sich innerhalb des gesellschaftlich etablierten Wertekanons – stellt ihn lediglich offensiv und überhöht zur Schau. Ob in den angeblich "antikapitalistischen" Positionen, die im Endeffekt nur bedeuten "Globalisierung ja, aber nur zum deutschen Vorteil" oder in ihrer Rhetorik von den Arbeitsplätze wegnehmenden AusländerInnen. Hier bewegt man sich im gepflegten bürgerlichen Umfeld. Oftmals unterscheiden sie lediglich die NS-Nostalgie und die etwas militantere Sprache vom Mainstream. Entsprechend ohnmächtig ist der öffentliche Umgang mit dem Problem. Sofern es überhaupt wahrgenommen wird, ist die Rede von Einzeltätern, ortsfremden Chaoten oder unpolitischen Gewalttaten. Sind linke Jugendliche das Opfer sind die rivalisierenden Jugendbanden oder der sich aufschaukelnde Extremismus die beliebtesten Sprachfiguren. Das eine solche Bewertung genauso Teil des Problems ist, wie die inhaltlich politischen Schnittmengen, liegt auf der Hand.

Polizei und Justiz

Konsequenz daraus ist die oft erhobene Forderung an Polizei und Justiz doch einfach strikter durchzugreifen. Die Erwartungshaltung, der Staat solle mittels Repression, durch Vereinsverbote, ein verschärftes Versammlungsrecht oder durch Unterbindungsgewahrsam gesellschaftliche Probleme lösen, offenbart weitere politische Schnittmengen. Auf der anderen Seite zeigt sich bei Polizei und Justiz ein eklatanter Mangel an Verständnis und Willen sich dem Problem zu stellen.

Und wir?

Letztlich bleibt es an aktiven AntifaschistInnen die Situation zu kritisieren. Das Herstellen von Öffentlichkeit ist ein erster kleiner Schritt. Eine linke antifaschistische Jugendkultur ist eine notwendige Voraussetzung zur Verschiebung des regionalen Kräfteverhältnisses. Da wo sie in Ansätzen vorhanden ist, gilt es sie zu unterstützen und zu fördern. Eine kraftvolle Demonstration kann für viele Jugendliche eine Initialzündung für weitergehendes politisches Engagement sein. Das Gleiche gilt für andere Ansätze politischen Engagements, das sich deutlich gegen Neonazis richtet. Eine dominierende rechte Jugendkultur wie in Wernigerode, die es nicht gewohnt ist mit ernsthaftem Widerstand konfrontiert zu sein, ist nur durch Erhöhung des politischen Drucks zu bekämpfen. Dazu ist diese Demonstration ein erster Schritt. Die Selbstsicherheit von Gruppen wie der WAF/JN, fußt auf der Erfahrung von Sanktionsfähigkeit durch Gewalt und politischer Provokation, welche sie in der Stadt ausüben können. Dieser Raum lässt sich nur durch entschiedenes Auftreten und deutlicher Artikulation einer gegenteiligen Position begrenzen.

Den Nazis auf die Pelle rücken – Kommt zur antifaschistischen Demonstration am 27.05.2006 nach Wernigerode.

Überregionales Bündnis antifaschistischer Gruppen

 

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