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Broschürengruppe “Rosen auf den Weg gestreut” Bremen

Broschürengruppe “Rosen auf den Weg gestreut” Bremen
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Moderatorin: Als Referentinnen und Referent ist ein Teil der Broschürengruppe “Rosen auf den Weg gestreut" aus Bremen hier.

Referentin1: Wir sind aus der Arbeit an der Broschüre dazugekommen, Veranstaltungen zum Thema Kritik an akzeptierender Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen zu machen. Wir sind aus Bremen und haben uns mit Leuten aus Hamburg, und später auch mit anderen Leuten mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Natürlich ändern sich mit der weiteren Beschäftigung auch ein paar Positionen, aber die Grundthesen dieser Broschüre bleiben bestehen, die die Ablehnung der Akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen betreffen.

Wir haben versucht unsere eigentliche Veranstaltung zu splitten. Und nur das rauszunehmen, was für die Diskussionen in dieser AG sinnvoll sein könnte. Das heißt aber auch, daß wir hinterher zu anderen Aspekten, wenn es noch Fragen gibt, was sagen können. Und deshalb will ich, bevor wir beginnen, kurz die Frage stellen, ob es hier im Publikum spezielle Erwartungen gibt an diese AG, ob Leute was sagen wollen zu ihrer Motivation in die AG zu gehen, ob die Informationslage zu akzeptierender Jugendarbeit eher gut, oder eher schlecht ist, und ob sozialpädagogisches Fachpersonal anwesend ist. Wenn jemand dazu was sagen will, dann würden wir uns freuen.

Publikum männl.: Also ich denke, es ist relativ klar so, daß es einen Konsens zur akzeptierenden Sozialarbeit gibt. Mich würde mehr interessieren, ob es überhaupt sinnvoll ist, Sozialarbeit zu betreiben, oder ob Sozialarbeit überhaupt in irgendeiner Form sinnvoll sein kann.

Publikum weibl.: Ich würde nicht nur die Kritik der akzeptierenden Jugendarbeit beleuchten, die ist uns, glaub ich, allen geläufig, sondern was für Perspektiven, was für Projekte, was für Möglichkeiten gibt es, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Oder habt Ihr da Vorstellungen von Projekten bzw. Thesen?

Pweibl.: Ihr habt gesagt, Ihr habt diese Broschüre gemacht, aber da habt Ihr ja auch einen bestimmten Hintergrund. Also ich kenne die Broschüre, aber könntet Ihr noch mal kurz was sagen. Die Entscheidung dies zu machen, hatte ja einen Hintergrund. Seit Ihr irgendwie involviert, habt Ihr Sozialpädagogik studiert? Ich wüßte das noch gerne.

R1: Also zunächst zu der Frage. Wir kommen alle aus der Arbeit in Antifagruppen. In Bremen war es so, daß ein Film gezeigt wurde, der “Torfsturm" heißt. Der zeigt Mitglieder einer Jugendclique, die von der akzeptierenden Jugendarbeit und von einem Nazikader betreut wurden. Wir haben gegen den Film protestiert und dann haben wir angefangen, uns mit der Thematik zu beschäftigen. Z.B. gab es in Hamburg Erfahrungen mit Projekten vor Ort bzw. in Tostedt. Und so hat es sich damals ergeben, daß verschiedene Leute sich getroffen haben und gemerkt haben, das wird ein Thema, das beschäftigt immer mehr Leute auch aus der Antifa. Und wenn wir dem was entgegensetzen wollen, dann müssen wir uns genauer damit beschäftigen.

Ein Beispiel: der Film "Torfsturm"

Der Film wurde in der ARD ausgestrahlt und wurde von einer Frau aus der Bildungsbehörde gedreht . Ist also nicht direkt von den im Projekt arbeitenden Sozialpädagogen gemacht worden, zeigt aber besonders anschaulich wie die Sicht von Sozpäds auf rechte Jugendliche ist. "Torfsturm", so nannte sich eine Clique von Jugendlichen in Bremen selber nach dem Viertel, aus dem sie kommen. Nachdem sie wegen Nazi (-Skin) -Einstellung und Auftretens von anderen Jugendlichen aus einem Jugendfreizeitheim verdrängt wurden, baten sie bei staatlichen Stellen um Betreuung bzw. Räume. In den folgenden Jahren wurden sie sowohl von SozialpädagogInnen des Bremer Vereins für Akzeptierende Jugendarbeit betreut und versorgt wie auch vom stadtbekannten Nazikader Markus Privenau, der auch im Film selbst zu Wort kommt (als Kameradschaftsführer, damals beschäftigt mit dem Aufbau der JN, Junge Nationaldemokraten, im Raum Bremen, beteiligt an der Zeitschrift Einheit und Kampf) und dessen Aufbauversuche parallel zur pädagogischen Arbeit gesehen werden müssen. Seine Arbeit hat nachweislich Erfolge gehabt, zum Beispiel in Hinblick auf einen Jugendlichen, der auch im Film schon ständig unter einer Reichskriegsflagge posiert und zuletzt 1999 als Kandidat der NPD zu den Bremer Wahlen antrat. Im Film werden die Jugendlichen ausnahmslos verständnisvoll interviewt, es gibt keine kritische Kommentierung ihrer Ansichten und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass ihnen diese überhaupt begegnete. Sie werden gehätschelt und ihre Aktionen und Einbindung in die Naziszene durch die Darstellung der armen kleinen Jungs, die einer Welt voller Probleme gegenüberstehen, verharmlost.
Wir haben das zusammengeschnitten auf ungefähr zehn Minuten, dabei haben wir nicht das Extremste genommen, das ist mehr so ein Querschnitt von dem ganzen Film. [ca. 10 minütiger Einschub Filmausschnitte “Torfsturm", in dem SozialarbeiterInnen, Nazikader und Nazikids zu Wort kommen]


Der Doppelcharakter von Sozialarbeit

R2 männl.: Ich werde jetzt zurückgreifen, um anhand einiger Beispiele und ausgewählter Zusammenhänge den Doppelcharakter von Sozialarbeit deutlich zu machen. Das war bis jetzt noch nicht Schwerpunkt unserer Beiträge, aber wir haben gemerkt, daß es auch hier im Vorfeld Interesse gab, doch noch mal Funktion, Bedeutung, Möglichkeiten von Sozialarbeit in die Diskussion einzubeziehen. Insofern werden wir stichwortartig versuchen einen Problemaufriß zu geben.
Zu Beginn einige eher grundsätzliche Aussagen zur Verortung von Sozialarbeit. Wir können sagen, daß sie generell die Aufgabe hat, in der heutigen kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft für eine materielle wie auch ideologische Reproduktion des sogenannten Klientels zu sorgen Also dafür zu sorgen, daß das herrschende System funktioniert. Zentraler Begriff war dabei historisch die Orientierung auf Arbeitsfähigkeit bzw. auf Arbeit selber. Also mit anderen Worten, die Verwertbarkeit des Individuums für die Gesellschaft sollte sichergestellt werden.. Das ist an einigen Beispielen sehr deutlich zu sehen. Also wir kennen die Situation im Knast und den Arbeitszwang, der da besteht. Wir kennen so etwas aus der Psychiatrie, wo es nicht um die Person und ihre Subjektivität geht. Die Orientierung war den Einzelnen in der Lage zu versetzen sich über Arbeit verwerten zu lassen und darüber auch seine Identität herzustellen. Wir kennen es auch aus Jugendheimen, deren Ziel es war, Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen und sie zu Disziplinieren.
Das ganze hat einen historischen Hintergrund. Wir können es schon in früh kapitalistischen Gesellschaften sehen im Zusammenhang mit Armen- oder Waisenhäusern, die vielfach nichts anderes waren als Arbeitshäuser. Wo manufakturartig produziert wurde und im Vordergrund die disziplinierende Wirkung durch Arbeit stand, also eine "gesellschaftssanitäre" Funktion hatte, z.B. Nichtseßhaftigkeit zu bekämpfen und darüber eine gewisse Kontrolle über die Menschen zu erlangen. Es ihnen nicht selbst zu überlassen, wie sie leben und sich reproduzieren wollen.
Wir können sagen, grundsätzlich hat Sozialarbeit eine kompensatorische Funktion. Sie soll und muß Mängel und Folgen ausgleichen, die die kapitalistisch-patriarchale Gesellschaft hervorbringt. Das ist natürlich kein Kontinuum, in dem sich nichts verändert. So hat z.B. Sozialarbeit in den 70er Jahren dieses Jahrhunderts ihre herrschafftssichernde Rolle hinterfragt und zwar aufgrund der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung in Westdeutschland. Wir können das sehen im Zusammenhang mit der sogenannten Heimjugend, also denjenigen Jugendlichen, die z.B. auf Trebe waren, in Heime gesteckt worden sind wie auch sogenannte schwererziehbare Fürsorgezöglinge in Heimen, die schon Knastcharakter hatten, wo Jugendliche umgekommen sind.. Da hat es Widerstand gegeben, da hat es einen Aufbruch gegeben und da haben auch Sozialpädagogen eine Rolle gespielt. Wie auch politische Aktivisten, die von außen reingegangen sind und dazu beigetragen haben, so was aufzubrechen.
Es gibt andere Beispiele wie z.B. die Bewegung gegen die Psychiatrie. Die Anti-Psychiatriebewegung, die stark beeinflußt war aus Italien, Basaglia und Anderen. Die eindeutig von den sozialen Technikern als Befriedungsverbrechern gesprochen haben. Also, sehr deutlich benannt haben, daß die Funktion von Psychiatrie vor allem Einschluß war. Das bedeutete, die Leute gerade am Leben zu halten, aber nicht mehr leben zu lassen. Also nicht das, was in dem Einzelnen steckt zu unterstützen. Daraus ist die Anti-Psychiatrie Bewegung entstanden,. In dem Zusammenhang hat es auch eine Politisierung gegeben. Der ganze Krankheitsbegriff wurde radikal in Frage gestellt. Einigen wird vielleicht noch der Slogan bekannt sein: “Aus der Krankheit eine Waffe machen!" Was bedeutet hat, rauszugehen aus diesen institutionalisierten, repressiven, verwahrenden und kontrollierenden Ebenen. Im Vordergrund all dieser Ansätze stand das Bestreben loszukommen von dem staatlichen Zugriff in Richtung Autonomie und Selbstverwaltung, die im Zusammenhang stand mit der Politisierung von Gesellschaft und Formierung von linken und widerständischen Ansätzen. Dazu gehörte auch die Politisierung des Privaten und Sozialen. Ein wesentliches Element in diesen politischen Ansätzen und aus den praktischen Bewegungen heraus war, daß Sozialarbeit so diskreditiert wurde, daß ihr Ziel nur sein konnte sich selbst überflüssig zu machen: dieFunktion, die ihr staatlicherseits zugewiesen ist, dahingehend zu überwinden, daß emanzipative Basisansätze entwickelt werden. Wichtig dabei sind zwei Dinge: zum einen die politisch-emanzipative Verortung, sich selber in einen Kontext von Gesellschaft, von politischer und historischer Entwicklung zu stellen. Und zum anderen: sich selber konkret zu verorten, in dem, was es an Ansätzen politischer Praxis, und Organisationsformen gab. Beispiele dafür sind z.B. feministische Ansätze, die die Frauenhausbewegung aufgebaut haben. Ganz klar mit der politischen Stoßrichtung, die die klassische Rolle von Sozialarbeit als individuelle Hilfe zu überwinden hat.. Ein weiteres Beispiel sind selbstverwaltete Jugendzentren.
Das waren alles Ansätze, emanzipativer Sozialarbeit, mit dem Ziel, wie erwähnt, "sich selbst darin überflüssig zu machen". Das ist die eine Seite, die emanzipative oder auch die hilfe-Seite. Sie ist aber aktuell und auch historisch verbunden mit der Seite der Repression und Kontrolle, bis hin zu der der Polizeifunktion.
. Man muß also den Hilfebegriff hinterfragen und sehen “in welchem Zusammenhang, für wen und unter welchen Bedingungen" er benutzt wird
. Insbesondere wird das deutlich wenn wir uns tragende Wertvorstellungen ansehen, die heute zunehmend wieder an Bedeutung gewinnen: Vom Arbeitsethos bis hin zur Arbeitszwangdebatte für Jugendliche ohne Arbeit usw. Oder auch im Zusammenhang mit den sogenannten jungen Alten, wobei an sozialen Modellen diskutiert wird, für sie Formen von Arbeitszwang einzuführen, damit sie auch im Rentenalter ihren "gesellschaftlich sinnvollen Beitrag" leisten. Oder auch in der zunehmenden Ausgrenzung von sogenannten Behinderten, die ganze Bioethikdebatte bis hin zur Euthanasiedebatte um Singer z.B. steht dafür Die SozialarbeiterInnen befinden sich in einer klassischen double-bindSituation, also in einer die bestimmt ist von zwei verschiedenen Anforderungen. Der einen, unmittelbar Hilfe leisten zu wollen, zu unterstützen und der anderen, innerhalb des institutionellen, strukturellen Zusammenhangs zu funktionieren. Das ist ein Widerspruch, der ist innerhalb dieser Verhältnisse nicht auflösbar, er ist bearbeitbar, wir können uns darin positionieren. Wir können feststellen, gerade wenn es um Jugendarbeit, insbesondere Streetwork oder akzeptierende Jugendarbeit geht, daß überwiegend Feuerwehrfunktion ausgeübt wird. Nicht weil das von dem einzelnen Sozialpädagogen oder der Sozialpädagogin unbedingt so gewollt wird, sondern weil das auch der strukturelle Rahmen ist, der dafür vorgegeben ist. Das läßt sich gut ablesen insgesamt in Europa, wie auf Widerständigkeit, soziale Unruhen oder Jugendrevolten reagiert wird. Die Konzepte gleichen sich, mal mit stärkerem Einfluß des institutionellen Rahmens bis dahin, daß die Innenministerien unmittelbar solche Projekte finanzieren oder auch die unmittelbare Kontrolle solcher Projekte übernehmen. Es gibt ebenso Arbeit, die sich davon ein ganzes Stück entkoppelt, die z. B. von Vereinen geleistet wird, die versuchen, einen emanzipativen Anspruch aufrecht zu erhalten. Beispielsweise Ansätze in der Drogenarbeit, wo ja die Begrifflichkeit dieser akzeptierenden Sozialarbeit herkommt, die dann -eher aus einem medizinischen Verständnis kommend- der akzeptierenden Jugendarbeit mit Rechtsradikalen übergestülpt wurde, obwohl wir es hier mit etwas ganz anderem zu tun haben: nämlich politischen Einstellungen.

Ein paar Worte zum Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit

R1: Eine Frage, die von den VeranstalterInnen dieses Kongresses aufgeworfen wird, war ja, ob die staatliche Jugendarbeit Rechtsextremismus fördert. Dazu wollen wir noch ein paar Worte sagen.: Wir denken, daß staatliche Jugendarbeit Neonazis fördert und zwar zum ersten dann, wenn sie durch Ignoranz und Undifferenziertheit z.B. gegenüber rassistischen, nationalistischen sowie sexistischen Verhaltens- und Ausdrucksformen geprägt ist. Zum zweiten und konkreten, partiell in einigen Orten oder Regionen wenn direkt mit "rechten" Jugendlichen unterstützend gearbeitet wird.
Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen, haben wir einen Ausschnitt aus einer Radiosendung mitgebracht. Die Sendung hieß “Die schwarze Sonne – von Heidengöttern und Rassenmhythen", von Michael Weisfeld. Darin läßt sich eine Sozialarbeiterin aus Zittau über Sozialarbeit mit “unpolitischen Jugendlichen" aus.

[EINSCHUB RADIOSENDUNG; Mitschrift]

Sprecher: Zittau. Eine Kleinstadt in Sachsen an der Grenze zu Polen und Tschechien. Wuchtige Kirchen und üppige Bürgerhäuser zeugen vom vergangenen Reichtum der Stadt... Jetzt liegt die Arbeitslosigkeit bei knapp 25%. Zittau ist bekannt für seine Jugendlichen. Rechte und Linke haben sich unbarmherzig bekämpft zwischen 1992 und `95 starben drei junge Männer auf dem Strassenpflaster durch Messerstiche ihrer politischen Gegner. Jetzt hat jedes Lager ein eigenes Haus. Finanziert aus öffentlichen Mitteln. Seitdem ist es ruhiger. Zittau, Südstrasse 8 an der Brücke über die Mandau. Das Haus des Nationalen Jugendblocks e.V. liegt nur wenige Gehminuten von der polnischen Grenze entfernt... der ockergelbe Putz bröckelt. "Keine Gewalt" hat jemand mit weißer Farbe draufgeschrieben, die Fenster im Erdgeschoss sind zugemauert. Für mich ist das Haus verschlossen. Journalisten dürfen nicht rein, sagt mir eine Mädchenstimme am Telefon...
Der Jugendclub Nord. Ein offener Treff, wo nicht nach rechts und links gefragt wird. Nur wenige junge Leute sind hier, eine Wand des großen Raums ist mit Verbotsschildern dekoriert... "Gesperrt", "Störfall", "Gasgefahr" und "Eltern haften für ihre Kinder".
Sozialarbeiterin: "Ne große Verunsicherung ist die Aktion vom Staatsschutz vor zweieinhalb Wochen, wo se jetzt alle nicht so richtig wissen: was passiert jetzt, es sind mehrere Verfahren in der Schwebe noch, ... Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen,... das macht `ne totale Verunsicherung und das Gefühl, jetzt kann man eigentlich keinem mehr trauen."
Sprecher: In der Nacht zuvor hat die Polizei zwei rechte Jugendliche bei einer Klebetour festgenommen, erzählt die Sozialarbeiterin Claudia Lewiehn (?). Sie hatten Wahlplakate der rechtsradikalen NPD bei sich, was nicht verboten ist, aber auch Hakenkreuzaufkleber.
Sozialarbeiterin: "Germanische Sagen und Geschichten, das ist ja etwas was sie sich erst nach der Wende so richtig erschließen konnten. Und sie ham halt angefangen mit diesen simplen Sonnenwendfeiern. Mitten im Wald, ein paar Hänge sind da in der Nähe und mittendrinne ist also eine riesige Wiese, viel Platz, und da ist in der Mitte das Feuer und rundherum stehen halt Zelte. So läuft das ab. Und in der Regel zwei Tage, man bleibt dann auch über Nacht und beginnt dann auch miteinander den neuen Tag, das reisst dann nicht abrupt ab. Und man ist mit allem versorgt, also das klappt hier wunderbar. Ja. Und irgendwann, gen Mitternacht oder später erklingen dann auch die alten deutschen Lieder".
Sprecher: Das Horst-Wessel-Lied zum Beispiel, eine Hymmne des Dritten Reiches. Aber den Jugendlichen geht es zunächst nicht um Politik. Sie lesen die Siegfried-Sage. Und leihen sich von der Sozialarbeiterin die Schallplatten mit dem Ring der Nibelungen von Richard Wagner. Auf der Wiese hinter ihrem Haus in der Südstraße feiern sie Ernte Dank heidnisch. Sie zünden ein Feuer an, und opfern den germanischen Göttern Weizenähren.
Sozialarbeiterin: "Dieses Element des großen Gottes oder der großen Göttin, wer auch immer es sein mag, die mich annehmen, ich denke, daß damit ein ganz menschliches Bedürfnis ja auch bedient wird. Zu sagen: Einer der größer, der stärker, oder mehrere, wie auch immer, die größer und stärker sind als ich, sagen ja zu mir. Ganz simpel, so ausgedrückt. Das ist die Faszination. Und es ist ein Teil von mir, ich muß mich natürlich als Jugendlicher in dieser Struktur mit dem Deutschsein identifizieren, sonst komm ich ja gar nicht dazu, es ist ein Teil meiner Geschichte, und die ist gut. Und da hat auch niemand das Recht zu sagen daß die nicht gut ist. Und wo wird denn den Jugendlichen noch so `ne Gemeinschaft angeboten? Noch so `ne Auseinandersetzung mit sich selber? So viel Geheimnisvolles. Und jeder, der da kommt und ihnen irgendetwas anbietet, was in diese Kerbe reinhaut, der wird mit offenen Armen aufgenommen, ist doch ganz klar."
Sprecher: Zur Sommersonnenwende 1998 kam die "Artgemeinschaft" die sich im Untertitel "Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemässer Lebensgestaltung" nennt. Seit vielen Jahren organisierte die Artgemeinschaft die Hetendorfer Tagungswochen in der Lüneburger Heide. Mir fallen Zeitungsberichte über diese Treffen ein, Gegendemonstrationen, Fotos von den Ordnern der Artgemeinschaft. 1998 hatte die niedersächsische Landesregierung das Hetendorfer Tagungshaus geschlossen, weil dort der Nationalsozialismus verherrlicht werde. Die Artgemeinschaft rief ihre Mitglieder und Gäste zur Sommersonnenwende nach Ostritz bei Zittau. In ein Hotel, das direkt an der Neisse, also an der polnischen Grenze liegt. Jugendliche aus dem Haus an der Zittauer Südstraße waren dabei.
Sozialarbeiterin: "Ne Reihe von Leuten haben daran teilgenommen, allerdings im Altersschnitt von 16-23, also die Jüngeren eher nicht, da denke ich ist die Hemmschwelle noch zu groß sich in sowas reinzuwagen, aber die etwas älteren, die also auch schon 3 bis 4 Jahre also solche Geschichten auch schon im Haus erlebt haben. Die haben da mit dran teilgenommen, vor allem aber so NPD-Kreise."

Zur Definition von "rechter Jugend" bzw. "Neonazis"

.Im Zusammenhang mit der Frage um die Förderung von Neonazis durch Sozialarbeit möchten wir auf einige Begrifflichkeiten näher eingehen. Es ist auffällig, daß es eine konträre Bewegung gibt. Zum einen artikulieren sich immer mehr Leute rassistisch und reaktionär, immer mehr gerade junge Leute tendieren offen zu faschistischen -und NS-Positionen, andererseits werden die Bezeichnungen für diese Leute immer verharmlosender. Erst waren es Rechtsextreme oder Rechtsradikale, vielleicht ab und zu mal Neonazis dazwischen, mittlerweile reduziert sich das meist nur noch auf “die Rechten", was oft auch eine Eigenbezeichnung ist. Die eigene Bezeichnung oder Definition als “Rechte" oder “Rechter" scheint sich immer mehr durchzusetzen, gerade in Regionen, in denen die Faschos vermehrt auftreten oder dominant sind. Unserer Ansicht nach ist dieser Sprachgebrauch gefährlich, d.h. wenn man sich diesem Sprachgebrauch anschließt, nur noch von Rechten redet, hilft man, sie als normal zu etablieren, weil "rechts" ja zum "Ganzen" gehört wie auch "links". Die Etablierung und Normalisierung wird gefördert und damit auch die Neonaziszene insgesamt und andere ultra-rassistische Tendenzen. Deswegen sollte man aufpassen, von wem man redet und solche Verharmlosungen nicht akzeptieren. Unserer Meinung nach wäre das der Anfang vom Ende von Antifaschismus.
Zu den Begriffen “rechtsextrem" und “rechtsradikal" wollen wir auch noch kurz was sagen, weil sie in ihrem Grund tendenziös sind, weil sie von einem bestimmten Hintergrund kommen und wir ihren Gebrauch im Prinzip ablehnen. Das heißt nicht, daß man die nicht benutzen darf, aber man sollte wissen, woher die kommen und sie eigentlich nur unter Vorbehalt verwenden.
Diese Begriffe sind auch im Zusammenhang mit staatlicher Sozialarbeit zu sehen, sie stehen für eine bestimmte Gesellschaftsauffassung, die meistens von staatlicher Sozialarbeit mitgefördert oder getragen wird. Diese Gesellschaftsanalyse oder -auffassung ist eine, die von einer Akzeptanz der Verhältnisse ausgeht, die in der Folge zu einer Verharmlosung von Neofaschismus führt. Diese Bezeichnung als “extrem" oder “radikal" heißt eben zum einen, daß die Täter an den Rand der Gesellschaft gestellt werden, daß man sich von ihnen distanziert, als würde der ideelle Hintergrund ihrer Aktionen nicht auch die Meinung der Mitte der Gesellschaft darstellen. In dem man solche Begriffe benutzt, wird die politische Mitte als "goldene Mitte" freigesprochen, bzw. sie spricht sich selber frei: als Ideal der demokratischen Vernunft. Zudem ist natürlich klar, daß Rechtsextremismus mit Pendant Linksextremismus als gleichgesetzte zerstörerische Bedrohung für die Demokratie definiert werden kann, gleiche Repressionen können angewandt werden Dies lässt sich zurückführen auf den Ansatz der Totalitarismustheorie. Zum anderen ist zu sehen, daß der Begriff “rechtsextrem" in Opposition steht dazu, daß man sagt: Das sind Neonazis, oder Neofaschisten. Auch wenn es wie ein Widerspruch erscheint, die Bezeichnung ist gleichzeitig auch eine Distanzbrechung,. Man kann die Leute leichter zurückholen denn sie bräuchten ja nur das "Extreme" abzulegen, außerdem ist es so leichter, sie als Opfer darzustellen und eine Art von Sozialpflege darüber zu begründen. Allerdings muß auch gesagt werden, daß eine Art von Begriffsnotstand darüber herrscht, wie man die faschistischen Tendenzen benennt. Man kann so eine braune Jugend oder militant,- rassistische Jugend in ihren Idealen weder komplett dem Neofaschismus zusprechen , noch irgendwie “leichtem" Rechtssein. Auch muß man aufpassen, daß man den Faschismusbegriff nicht verwässert, indem man ihn dauernd benutzt.
In der Argumentation um solche Begrifflichkeiten ist letztlich aber auch zu sehen, daß diese braune Jugend de facto konstitutiver Teil der Neonaziszene ist. Das sind sie zum einen durch ihre Identifizierung mit dem kulturellen, ideologischen Teil wie z.B.:Konzerte, Klamotten usw., zum anderen durch ihre Teilnahme an Aufmärschen, an Überfällen, an Menschenjagden und an Morden. Diese Partizipation muß eigentlich immer mit genannt werden, wenn man von diesen Leuten spricht.

Die Anfänge der akzeptierenden Jugendarbeit

Jetzt kommen wir zur "akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Cliquen", die ja eine Eigenbezeichnung von ihren Erfindern ist. Wir gehen davon aus, daß alle Anwesenden wissen, was akzeptierende Jugendarbeit heißt oder schon mal davon gehört haben. Trotzdem wollen wir kurz die Entwicklung und die prägnantesten Merkmale und Konzepte skizzieren, damit wir in der Diskussion in etwa den gleichen Stand haben.
Als erstes ist die akzeptierende Jugendarbeit als Tabubruch in der alten Bundesrepublik Ende der 80er Jahre entstanden. Tabubruch in dem Sinne, daß plötzlich aktiv mit Nazi-Skins gearbeitet wurde, die vorher sozio-politisch marginalisiert waren. Und das von Leuten, die vorher die klassische aufklärerische, antifaschistische Jugendarbeit gemacht haben, die selber den Tabubruch als Tabubruch gesehen haben. Die Konzeption, wie sie heute steht, ist aus der Praxis entstanden und hat durch den Boom rassistischer und faschistischer offener Gewalt Anfang der 90er Jahre Karriere gemacht. Sie ist dann zu einem staatlichen Allheilmittel gegen Rechte oder Faschisten mutiert. Zum einen durch das bundesweite "Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt" (AgAG). Dann durch einzelne Projekte in Gemeinden und zuletzt, wenn auch nicht direkt als akzeptierende Jugendarbeit definiert, durch die Arbeit in Clubs, wo sowieso nur rechte oder faschistische Jugendliche rumhängen.

Eckpunkte des Konzeptes der akzeptierenden Jugendarbeit

Um das Denken von den Leuten, die sich das Konzept ausgedacht haben, zu verdeutlichen, möchte ich auf drei Punkte eingehen.
[Folie auf Polylux von Prof. Krafeld von der FH für Sozialwesen in Bremen]
Zusammenfassung: Grundsätze Akzeptierender Jugendarbeit
(in: Franz Josef Krafeld: Die Praxis Akzeptierender Jugendarbeit, Konzepte, Erfahrungen, Analysen aus der Arbeit mit rechten Jugendcliquen. Opladen 1996)

  1. Belehrungen wie Bekämpfungen richten gegen rechte Orientierungen und entsprechende Gewaltbereitschaften nichts aus.
  2. Notwendig ist eine Arbeit, die diejenigen Probleme in den Mittelpunkt stellt, die die Jugendlichen haben, und nicht die Probleme, die sie machen.
  3. Extreme Auffassungen, Provokationen und Gewalt sind Jugendlichen immer wieder ein wesentliches Mittel, auch dort wahrgenommen und für wichtig genommen zu werden, wo sie es eigentlich nicht ( oder nicht mehr ) erwarten.
  4. Gelingendere und befriedigendere Wege der Lebensbewältigung sind in aller Regel letztlich auch sozial verträglichere Wege.
  5. Wir müssen akzeptieren, daß die Jugendlichen selbst für sich zumeist einen 'Sinn darin sehen', sich so und nicht anders zu orientieren und zu verhalten, wie sie es tun.
  6. Die Jugendlichen werden nur dann ihre Auffälligkeiten ablegen, wenn sie für sich sinnvollere und befriedigendere Wege entdeckt haben, 'aus ihrem Leben' was zu machen.
  7. Wir begleiten und unterstützen sie bei dieser Suche nach Wegen der Lebensbewältigung.
  8. Dazu dient nicht zuletzt die personale Konfrontation mit dem tiefgreifend Anderssein, die wir ihnen bieten.
  9. Es geht nicht um das Akzeptieren von verurteilenswerten Auffälligkeiten, sondern um das Akzeptieren von Menschen mit kritikwürdigen oder verurteilenswerten Auffälligkeiten.
  10. Pädagogische Arbeit kann und darf nicht zulassen, daß gesellschaftliche Probleme zu Jugendproblemen und zu pädagogischen Aufgaben umdefiniert werden. (S.16)

Die ersten drei Punkte sind die Kernthesen des Akzeptierenden Ansatzes:.
  1. "Belehren oder bekämpfen bringt nichts". Man soll nicht aufklären, sondern erstmal nur zuhören. Im Vordergrund soll nicht stehen, die Leute in ihrer Ideologie und Praxis verändern zu wollen.
  2. . "Notwendig ist eine Arbeit, die diejenigen Probleme in den Mittelpunkt stellt, die die Jugendlichen haben und nicht die Probleme, die sie machen". Das heißt u.a., daß die Täter als Opfer aufgefaßt werden: Sie kommen in dieser Gesellschaft nicht klar und deshalb müssen sie andere Leute terrorisieren.
  3. "Die extremen Auffassungen und Provokationen sind nur Mittel, um wahrgenommen zu werden". Also eine absolute Entpolitisierung der Inhalte und Aktionen.
Ein weiterer Punkt der zehn, der uns wichtig erscheint, ist, daß Sozialpädagogik außerhalb von Gesellschaftspolitik gesehen wird. Ihre Arbeit verstehen sie nicht als politische Arbeit, sondern ist nur auf die einzelnen Personen bezogen. Durch diese Argumentation stellen sie sich für alles, was sie machen, einen Freifahrtschein aus. Weil sie ja nur ein bißchen an den Leuten “rumdoktern" und was die sonst so machen, wo sie herkommen usw., geht die SozialarbeiterInnen nichts an.

Wie man sieht, ist das eigentlich gar kein Konzept, sondern ein paar Positionen, aus denen plötzlich Wissenschaft gemacht wird. Um das zu verdeutlichen, sind hier ein paar von den Grenzen der akzeptierenden Jugendarbeit, die sie sich selber gesetzt haben.
"Wo sind Grenzen? Grenzziehungen dürfen nicht:
  1. Gängige, wesentliche oder gar zentrale Lebensäußerungen, Verhaltensstile, Symbole oder Rituale der jeweiligen Jugendszene abschneiden,
  2. Durch Cliquen hindurch verlaufen.
Eine Grenze soll und muß andererseits da gesetzt werden, "wo man selbst das Gefühl hat, etwas nicht mehr aushalten, mitmachen, mit ansehen zu können ( ohne das unbedingt auch rational fassen zu können)". ( S.28 )
Das sagt eigentlich schon alles. Es untersteht im Prinzip dem/der SozialarbeiterIn festzulegen, wo die Grenze ist. Zum anderen zeigen die Grenzen hier auch, daß sie sich selbst widersprechen. Es werden Grenzen gesetzt, die sie gar nicht einhalten können.
Wir wollen ein paar Punkte zusammenfassen, was das konkret heißt:

Zur Praxis der Akzeptierenden Jugendarbeit

R3weibl: Ganz kurz zu den praktischen Auswirkungen dieses Konzepts der akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen.
Als erstes: Die Jugendlichen, die auf der Straße auffällig sind, bekommen eigene Raume, damit sie "von der Straße weg" sind, auf der sie zu viel gestört haben und kommen in so eine Art gesellschaftliches Séparée. Innerhalb dieses Schonraums entwickeln sich die Cliquen weiter und werden gepflegt. Bands bekommen Proberäume. Laut Expertenschätzung proben momentan etwa 2/3 der Nazibands in staatlich geförderten Räumen. Jugendliche bekommen die Möglichkeit zum Kontakt mit Nazikadern, die oft auch als Führer der Cliquen in ihrer sogenannten sozialen Funktion von den SozialpädagogInnen eher unterstützt als kritisiert werden. Andere Jugendliche, die gegen Nazis eingestellt sindwerden verdrängt, auch weil in anderen Jugendprojekten die Gelder eher gestrichen als zugeteilt werden. Schließlich wird die Abnahme der Gewalt auf der Straße bejubelt, während gezieltere Aktionen von den Nazis in Kauf genommen werden.
Die SozialarbeiterInnen schützen ihre Jugendlichen. Sie sehen ihren Job als Hilfe zur Lebens- bzw. Alltagsbewältigung und räumen ihnen mehr den Ärger aus dem Weg, als eine Einstellungsänderung zum Ziel zu haben. Viel zu oft übernehmen die SozialpädagogInnen keine Verantwortung dafür, was ihr Klientel sonst so treibt. Es gibt eine vollkommene Ignoranz demgegenüber, wenn betreute Jugendlichen zu Naziaufmärschen fahren oder NPD-Plakate plakatieren solange sie nur innerhalb der Projekte funktionieren.

Zusammenfassung einiger Kritikpunkte

R2: Als letztes versuche ich die Kritikpunkte schlagwortartig anzureißenDer erste Punkt ist, daß wir sehen können, daß eine Tendenz vorherrscht von den VertreterInnen der akzeptierenden Jugendarbeit, eine Verharmlosung der Jugendlichen zu betreiben, in dem sie umschreiben: “Die sind ja eigentlich ganz liebenswert, aber sie schlagen mal über die Stränge, die sind schräg gebürstet" und so weiter.. Zugrunde liegt die Sichtweise, daß die Jugendlichen Modernisierungsverlierer seien und Opfer der Verhältnisse, und daher nicht in erster Linie selbst verantwortlich für ihr Handeln und ihre Äußerungen zu machen sind. Dem steht entgegen , daß immer wieder gesagt wird von den VertreterInnen, daß sie die Jugendlichen als ganze Menschen, als lebendige Subjekte sehen und somit ernst nehmen. Sie registrieren dabei gar nicht was die Jugendlichen tun und was alles so passiert., Wir müssen sagen, daß genau das Ausblenden des konkreten Handelns und dessen wofür sie eintreten, eigentlich das Nicht-Ernstnehmen bedeutet. Das ist ja auch die Begründung dafür, daß sie nicht in die Verantwortlichkeit für ihr Handeln genommen werden. Dieses: “Das ist ja nur um Aufmerksamkeit zu erreichen, um Zuwendung zu kriegen oder akzeptiert zu werden.” Zentraler Kernpunkt ist, daß es letztendlich nicht um die Einstellungsänderung geht. Da wird dann gesagt: “Daß würden wir ja gerne, aber das geht nicht. Wenn wir es versuchen, dann rennen wir gegen eine Wand. Wenn wir die Kader rausschmeißen, weil die viel dominanter sind als wir, dann bricht die Clique auseinander und dann können wir nicht mehr mit denen arbeiten”. Das ist dann so ein wunderbarer Zirkelschluß, der deutlich macht, daß sich letztendlich in allen Projekten, die wir kennen, genau eine Akzeptanz dessen einschleicht , was da an faschistischen Ideologien und Aktivitäten vorhanden ist und läuft. Das schließt auch das Zulassen von Kadern und deren Dominanz mit ein.
Ein Aspekt, der nach wie vor ausgeblendet wird, ist, daß es hier nicht um Jugendliche im allgemeinen geht, sondern überwiegend um männliche Jugendliche. Das führt auch dazu, daß sich in diesen Cliquen patriarchale Dominanz durchsetzten kann und reproduziert wird. Dem wird zum Teil begegnet durch Versatzstücke von Mädchen- bzw. Jungenarbeit. Da sind uns einige Fälle bekannt, die letztendlich zu einer Stabilisierung der Cliquen führten. Also Mädchenarbeit in dem Sinne: "Na ja, die Mädchen agieren eher beschwichtigend. Die sind gar nicht so militant drauf". (Was übrigens gar nicht immer stimmt.) Aber daraus wird gefolgert, man müsse die Mädchen in der Clique stabilisieren, das habe dann guten Einfluß auf die Clique und es würde sich dann alles ein bißchen beruhigen. Oder daß bei der Jungenarbeit ins Blickfeld gerückt wird, daß eine "gelingende Mannwerdung" erreicht werden soll, was gekoppelt wird an eine "gelingendere Lebensweise". Innerhalb dieses Ansatzes wird keine Auseinandersetzung um die gesellschaftlichen Machtverhältnisse geführt, die Rolle des patriarchalen Mannes wie auch der patriarchalen Verhältnisse wird ausgeblendet. Also reproduzieren diese Ansätze, wie sie uns bekannt sind, genau die bereits vorhandenen gesellschaftlich dominanten Muster. Wertvorstellungen und Hierarchisierungen werden wenig in Frage gestellt.
Gut, in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit noch einen letzten Punkt der Kritik der Akzeptierenden Jugendarbeit. Dabei geht es um die strukturelle Ebene, die oft ausgeblendet wird: Wie ist eigentlich die konkrete Arbeitssituation von SozialpädagogInnen da drin? Sie stehen häufig individualisiert einer Clique von 20/30 Leuten gegenüber. Man kann sich vorstellen, welche Dynamik da zum Teil losgetreten wird. Es ist uns auf Veranstaltungen gesagt worden: “Wir merken gar nicht wie schleichend der Prozeß der Anpassung an die Cliquen ist.” Die Dynamik solcher Projekte ist ein strukturelles Problem. Es wird gesellschaftlich nicht aufgelöst, es werden strukturell gar keine anderen Bedingungen geschaffen. Jetzt mal gar nicht angesprochen mangelnde tatsächliche Qualifikation, oft ABM-Status oder BSHG-19-Stellen Status usw. Beim Blick auf die konkreten Arbeitsbedingungen, wird klar, das kann im Prinzip kein emanzipativer oder konfrontativer Ansatz sein, der auf die Verhaltenseinstellung abzielt.
Wir machen an der Stelle einfach mal einen Punkt und gehen in die Diskussion.
Die Frage von Perspektiven unsererseits und Alternativen in den AJ-Ansätzen geht unserer Meinung nach alle an. Es handelt sich hier nicht um eine Spezialistenfrage von "KennerInnen" der akzeptierenden Jugendarbeit, sondern um eine Frage nach Strategien und politischer Praxis gegen Faschisten und die Rechtsentwicklung allgemein.
Deshalb wollen wir auch keine konkreten Vorgaben für die Diskussion machen, sondern alle auffordern sich dieser gemeinsam zu stellen.

Die Diskussion

Moderatorin: Wenn es reine Verständnisfragen gibt, dann könnt Ihr die jetzt stellen, ansonsten würden die ReferentInnen gerne mit einer Einstiegsfrage in die Diskussion gehen.

Pmännl: Ich habe eine Frage zur Perspektive. Die Broschüre und die Diskussion sind ja schon etwas älter. Hat sich da etwas verändert in der letzten Zeit? Ich habe von Sozialarbeitern gehört, die sich bei uns vorgestellt haben, die als akzeptierende Jugendarbeiter gearbeitet haben und da rausgegangen sind, weil sie es nicht mehr tragen oder ertragen konnten. Wißt ihr da mehr?

R3: Das ist schwer pauschal zu beantworten, wir wissen nicht genau, worauf das abzielt.

Pmännl: Ob Eure Broschüre etwas ausgelöst hat oder ob es Veränderungen gegeben hat?

R1: Was man allgemein sagen kann, daß in dem Moment als diese Broschüre erstellt worden ist, die akzeptierende Jugendarbeit überhaupt nicht öffentlich diskutiert wurde. Die Projekte sind gelaufen, dann gab es vereinzelt Proteste oder auch Versuche, das zu verhindern, aber es wurde nicht an die größere Glocke gehängt. Mit der Broschüre, mit Veranstaltungen, mit Initiativen an anderen Orten und von Journalisten ist eine Debatte entstanden, die die Leute, die das Konzept erarbeitet haben, unter Zugzwang gesetzt hat. So, daß in der Öffentlichkeit und zum Teil in den Medien dieses Konzept auch angegriffen und kritisiert worden ist. Aber meistens eben in die Richtung, daß es Fehler und Mängel gegeben hat z.B. durch mangelnde Ausbildung von Sozialarbeitern. Das Konzept an sich aber weiter läuft und auch eigentlich weiterhin anerkannt ist. Wenn es da noch andere Erfahrungen gibt, dann kann da gerne noch was zu gesagt werden. Das ist unsere Perspektive.

R2: Ich würde das gerne ergänzen. Ich würde nicht stehen lassen, daß das Konzept als anerkannt gilt. Weil ich denke, daß sich z.B. das AgaG außerhalb dieser Definition von akzeptierender Jugendarbeit von Krafeld sieht. Der hat ja immerhin so was gemacht, wie Bedingungen aufzustellen oder auch zumindest theoretisch Grenzen zu setzten, was es in vielen anderen Projekten gar nicht gab. Insofern kann man sagen, daß es einen Boom gab von Projekten, der von oben initiiert wurde und für den Mittel bereitgestellt wurden. In den Projekten oder Vereinen gab es Entwicklungen, die in keiner Weise hinterfragt oder wissenschaftlich begleitet wurden. Es gibt davon nur eine ganz kleine Zahl und von dieser kleinen Zahl gibt es im Grunde genommen auch nach Aussagen von denen, die zumindest in Bremen für dieses Konzept stehen, kaum ein Projekt, was alle Kriterien erfüllt. Z.T. haben wir es mit einem ziemlich theoretischen Gebilde zu tun.
Ein Beispiel, um es kurz anzureißen: In Schleswig-Holstein werden die ganzen Sachen über das Innenministerium finanziert, das auch unmittelbar eine Kontrolle auf die Projekte ausübt. Wer sich dem nicht unterwerfen wollte, konnte nicht in den Projekteverbund rein.

Pweibl: Ich find o.k., was Ihr jetzt hier gemacht habt, das war sehr informativ. Ich dachte aber, daß hier die Chance sein würde, nicht darüber zu reden, was akzeptierende Jugendarbeit ist, sondern was man ihr entgegensetzten kann. Gibt es Möglichkeiten? Wenn es die nicht gibt, inwieweit hat akzeptierende Jugendarbeit schon in andere soziale Bereiche eingegriffen? Ich habe in Leipzig die Erfahrung gemacht, daß als aufgedeckt wurde, daß das Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit einfach nicht das richtige ist, mal kurz dagegen geschossen wurde. Es wurde ein Jugendclub mehr oder weniger geschlossen, aber es hat sich nicht wirklich was verändert. In anderen sozialen Bereichen, in den öffentlichen Jugendclubs ist das kein Thema. Da wird nach wie vor mit Rechten gearbeitet und nach wie vor auch akzeptierend mit Rechten gearbeitet. Ich dachte, daß die Diskussion dahin gelenkt werden kann, welche neuen Ansätze es gibt.

R1: Unsere Idee war eigentlich auch nicht so lange was zu erzählen, wir wollten vor allen Dingen diskutieren, das ist uns jetzt leider nicht so gelungen. Wir wollten noch mal ein paar Fundamente geben, um eine Diskussion zu eröffnen. Unserer Meinung nach können wir keine Lösungen bieten, wir haben uns hier auch versprochen, zusammen eine Diskussion zu führen und nicht daß wir hier irgendwelche Supertips geben. Eine unserer Positionen ist, grundsätzlich eine Perspektive gegen diese Art von Sozialarbeit und überhaupt gegen die weitere Ausbreitung von faschistischen Tendenzen und Artikulationen zu schaffen. Wir denken, daß das konkret morgen in den AGs besprochen wird. Unsere Meinung ist, daß ein antifaschistischer und allgemeiner sozialer Widerstand von links aufgebaut wird und dagegen angeht und nicht nur auf Nazis reduziert, agiert. Deswegen dachten wir, heute wäre über zwei Fragen zu diskutieren, einmal konkret der Widerstand gegen bestehende Projekte, also auch eine Art von Erfahrungsaustausch zu machen.
In Leipzig gibt es ja das Beispiel Grünau, das wäre nett, wenn das noch mal jemand erzählen könnte, das ist ja ein Beispiel dafür, was man gegen ein konkretes Projekt machen kann. Die zweite Diskussionsfrage ist, kann Sozialarbeit überhaupt produktiv genutzt werden im Sinne von Antifaschismus bzw. radikalen AntifaschistInnen? Wir wollten das gerne diskutieren, so, daß wir alle Meinungen und Ideen austauschen.

Pmännl: Um darauf zurückzukommen, was Du gerade gefragt hast: Ob es Erfahrungen gibt mit akzeptierender Jugendarbeit oder überhaupt Sozialarbeit mit rechtsgerichteten Jugendlichen, kann ich von einer Aktion bzw. von einer Begegnung mit einem Jugendclub auf dem Gelände des Bezirksamtes im Prenzlauer Berg erzählen. Da ist in den Baracken auf dem Bezirksamtsgelände ein Jugendclub für vor allem Leute aus dem Thälmann-Park zum größten Teil aus dem rechten Spektrum geschaffen worden. Da waren sogenannte Streetworker beschäftigt. Als Jugendliche von denen verkloppt wurden, und die anderen üblichen Sachen, wie Klebeaktion etc., gab es von Antifas Recherchearbeit. Wir haben über mehrere Monate verfolgt, was abläuft, wer da ein und aus geht etc. Es gab dann eine Demonstration, um auf diesen Skandal aufmerksam zu machen, daß sogar auf dem Gelände des Bezirksamtes so was abläuft. Dort gab es eine PDS-Mehrheit. Wir sind im Anschluß an die Antifa-Demo mit dieser Clique und deren Sozialarbeiterin ins Gespräch gekommen. Außer den üblichen Erfahrungen, daß es einen runden Tisch gab mit den Sozialarbeitern, Vertretern von diesen Jugendlichen und Antifas und daß in der Öffentlichkeit darüber gesprochen wurde, ob das so weitergehen kann, existiert dieser Club heute immer noch. Die Baracken sind nicht zu gemacht worden, die Nazi-Jugendlichen haben sich diszipliniert, haben es auch mit Hilfe der Streetworker geschafft, es so aussehen zu lassen, als sei das nicht mehr ein Umschlagplatz für rechte Ideologie bzw. eine Kaderschmiede.
Um zum Schluß zu kommen: Es ist wichtig, wenn wir an diese Jugendclubs herantreten bzw. mit den Streetworkern reden, rausbekommen, was dort für ein Grad von rechter Ideologie bzw. was für Strukturen herrschen. Diese Informationen - was da genau abgeht, wie die Leute heißen - dann transparent machen, dazu gehört auch die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit. Das ganz führt dann im Endeffekt zu der Frage: Sollen wir die da raushauen? Oder sollen wir das ganze System kippen oder das ganze Bezirksamt kippen? Gibt es einen Weg das Ganze transparent zu machen? Deshalb fand ich diesen Film auch gar nicht schlecht. Unkommentiert oder nicht, ich find es gut, den Leuten und auch den Antifas den Einblick zu geben, was abläuft und die Nazis persönlich zu kennen.

Pweibl.: Das was Du davor gesagt hast, fand ich eigentlich korrekt nur der letzte Satz hat mir ein bißchen aufgestoßen. Es macht ja eigentlich nichts, wenn ich jemanden kenne, na gut, dann weiß ich, daß ist ein Nazi. Dann unternehme ich als “normaler Bürger" eigentlich nichts. Ich denke, wenn man diese Clubs entdeckt hat, daß diese Transparenz, die Öffentlichmachung sehr wichtig ist. Und nicht nur durch eine Demo oder in dem man sich vor den Club stellt, sondern genau an den Stellen: Jugendamt, Jugenddezernat, evtl. Kulturamt, Jugendhilfeausschuß. Damit man genau zu den Leuten geht, die es letztendlich entscheiden, und dermaßen Druck macht mit ständiger Präsenz. Das war, glaube ich, das einzige, was hier in Leipzig gezogen hat, daß man sich keine Termine beim Jugenddezernenten geben lassen hat, sondern daß man einfach da war und gesagt hat, wir wollen mit Ihnen reden; hat ihm halt Geschichten erzählt, die wirklich in Grünau passiert sind und ist am Anfang in der Woche zweimal dort aufgetaucht. Das war letztendlich auch das, was den “Erfolg" - es war auch kein wirklicher Erfolg - und die Auseinandersetzung in deren Köpfen gebracht hat.

Pmännl: Und wo sind die jungen Nazis heute?

Pweibl.: Die jungen Nazis sind immer noch in Grünau und es hat sich auch nicht unbedingt etwas geändert. Das Problem war, daß es nicht nur einen Fascho-Jugendhaus in Grünau gibt, sondern mehrere. Und nicht nur in Grünau, sondern in ganz Leipzig. Aber man hat sich auch nur auf diesem einen Jugendclub konzentriert, deswegen ist auch nur die Konsequenz der Schließung gekommen, obwohl die auch schon wahnsinnig schwierig war.

Pmännl: Ich kann ein Beispiel aus Halle erzählen. Ihr wart schon mal bei uns zu `ner Veranstaltung, da hatten wir das am Rande angerissen. Erstmal findet die meiste akzeptierende Sozialarbeit oder Arbeit mit rechten Jugendlichen in Projekten der offenen Jugendarbeit statt. Und wir sind in einen Jugendclub gegangen, wo sich eine Entwicklung hin zu einer rechten Dominanz abgezeichnet hat, wo sie aber noch nicht in diesem Sinne vorhanden war. Wir sind unter der Prämisse reingegangen, daß von unserer Seite keine rechte Symbolik geduldet wird und wir dort die rechten Jugendlichen mit ihrer Meinung konfrontieren. Das war so ne Clique von etwa 15 Leuten, wovon drei, vier etwas gefestigter waren, der Rest eher mitgeschwommen ist. Wir haben versucht über ein niedrigschwelliges, kulturelles Angebot die Jugendlichen mit ihrer Meinung zu konfrontieren. Es ging los mit Filmen auf einer niedrigen antirassistischen Schwelle. Dabei hat sich herausgestellt, daß es durchaus möglich gewesen wäre, die etwas gefestigteren Leute und die anderen voneinander abzuspalten. Letztendlich hat sich aber herausgestellt, daß die SozialarbeiterInnen uns in diesem Projekt ständig nur als Störfaktor wahrgenommen haben und ständig Gründe vorgeschoben haben uns rauszuschmeißen, uns rauszuekeln. Die Zusammenarbeit wurde am Ende unter fadenscheinigen Gründen aufgekündigt. Unsere Voraussetzung war eine Zusammenarbeit mit diesen SozialarbeiterInnen gewesen. Danach sind diese gefestigteren Leute eine ganze Weile nicht mehr in dem Jugendclub aufgetaucht und letzte Woche ist das erste Mal wieder aufgefallen, daß wieder rechte Symbolik aufgetaucht ist.
Es war also in dem Sinne nicht erfolgreich. Wir haben überlegt, was sich im nachhinein noch machen läßt, haben auch über Öffentlichkeitsarbeit nachgedacht, allerdings hätten wir dadurch diesen Club wahrscheinlich im negativen Sinne aufgewertet, so daß der dann noch stärker zum Treffpunkt der rechten Szene geworden wäre. Gerade auch vor dem Hintergrund, daß es in Halle mehrere Clubs gab, in denen es wesentlich schlimmer aussieht. Bei diesem hatten wir die Chance gesehen noch im Vorfeld, vor einer rechten Dominanz, einzugreifen.

Pweibl: Wenn Du von “wir“ redest, heißt das, Ihr seid offiziell als Antifa da gewesen?

[Antwort nicht ins Mikro und leider total unverständlich]

Pmännl: Um vielleicht den zweiten Punkt zu beleuchten, ob Sozialarbeit überhaupt antifaschistisch sein kann: Das möchte ich mit “ja" beantworten aus der Erfahrung, die wir in unserem selbstverwalteten Jugendzentrum gemacht haben. Seit ein paar Jahren hat sich gezeigt, daß der Vorstand und die Mitarbeiter, die getrennt sind, durch gewisse Vorgaben so was machen können. Es hat sich besonders darin gezeigt, daß wir Probleme mit dem Jugendhilfeausschuß hatten, wo auch die DVU drin sitzt und die uns zusammen mit der CDU Gelder streichen wollte und auch eine Anfrage gestellt hat. Das ist eine längere Geschichte, die ich nicht erzählen brauche. Aber dadurch konnte mit Hilfe der Sozialarbeiter das Klientel, was bei uns ist, das nicht wirklich antifaschistisch ist, politisiert werden. Wir konnten die Problematik mit der DVU genau darstellen. Dadurch konnten wir besser antifaschistisch arbeiten, als es vorher möglich war. Da haben die Sozialpädagogen stark geholfen.

R2: Der Gedanke von uns, hat auch damit zu tun, daß wir eher von einem generellen Blickwinkel der Notwendigkeit der Gesellschaftsveränderung ausgehen. Also unser Blickwinkel war nicht der, wie gehen wir unmittelbar an ganz konkrete Projekte ran, oder wie läßt sich Sozialarbeit organisieren. Wir sind eher aus der Kritik gekommen an den Auswirkungen, die solche Projekte mit sich gebracht haben. Ich denke, was daran auch wichtig ist, für diejenigen, die in solchen Projekten arbeiten oder sich das zutrauen, Kriterien zu entwickeln, die erfüllt sein müssen. Immer wieder können wir feststellen: Genau solche Projekte, die auf sich alleine gestellt sind oder in denen so ein vermeintlich wissenschaftlicher Hintergrund da war, ohne eingebettet in Zusammenhänge zu sein, die der Gesellschaft kritisch gegenüber stehen, letztendlich in der ein oder anderen Form an Veränderungswillen oder Veränderungsmöglichkeiten verloren haben. Es gibt aber Projekte, da ist Leipzig ein Bsp. oder vereinzelt andere, wo der Zugang ein anderer gewesen ist. Der Zugang nicht über Sozialarbeit sondern über: wie können wir Widerstand leisten oder uns organisieren, gemacht wird. Da kann ein Bestandteil Jugendarbeit sein, wo rechtsradikale Jugendliche mit drin sind. Nur wir haben gesagt, ein Kriterium muß in jedem Fall erfüllt sein: Es darf nicht dazu führen, daß sich Nazicliquen, -szenen etablieren können, weil das eine Ausstrahlung hat, die dahin geht, neu zu rekrutieren. Deswegen, wenn wir das ganz pointiert gerade auch mit SozialarbeiterInnen diskutieren, sagen wir: Solche Cliquen müssen zerschlagen werden. Da muß dran gearbeitet werden, daß diejenigen, die sich da rausbrechen lassen, unterstützt werden, daß die sozusagen Aussteigehilfen kriegen. Es muß versucht werden, die da abzuziehen und ganz klar die Dominanz von Kadern zu brechen. Das ist eine ganz entscheidende Aufgabe. Wir haben gesehen, daß da wo diese Aufgabe nicht angegangen wird, sondern entweder im Blickwinkel war, daß geht gar nicht, weil die uns weglaufen, wenn wir die Nazikader zurückdrängen oder insgesamt auf eine politische Veränderung zielen. Dann laufen die uns weg, dann fällt das Projekt in sich zusammen, dann treffen die sich doch wieder wo anders, wo wir keine Kontrolle haben usw. Das sind ja diese Beispiele wie Tostedt, wie sie auch in der Broschüre beschrieben sind, daß es nicht funktioniert, wenn die Perspektive nicht da ist, die Dinge aufzulösen. Sei es ganz konkret hier, ein Projekt in Grünau ist geschlossen worden, jetzt müssen die anderen angegangen werden. Da wo sich die Szene etablieren kann, da wo sie dazu beiträgt, daß sich die Strukturen festigen, muß das als eine maßgebliche Aufgabe gesetzt werden. Ob da drin dann noch so was wie Einzelfallhilfe oder Betreuung gemacht wird, muß dann vor Ort entschieden werden. Da kann man nicht so pauschal agieren. Aber die Perspektive muß klar sein und es muß sich ein Umfeld gesucht werden, daß diese Arbeit politisch begleitet und unterstützt. Das kann in der Regel nur im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Kräften sein, die genau die Substanz dieser Projekte, d.h. ganz weit gesprochen, die so eine rechte Formierung tatsächlich ernstlich in Frage stellen wollen. Wo so eine Unterstützung möglich ist, da kann auch diese Sozialarbeit Früchte tragen. In einem anderen Falle, wo das nicht gegeben ist, da läuft sie Gefahr letztendlich nur eine strukturelle Unterstützung zu geben und somit genau das zu bestärken, was eigentlich vorgeblich bekämpft oder verhindert werden soll. Das fand ich auch gut, daß deutlich wird, daß dann eigentlich nur verfeinerte Methoden der Nazis angewendet werden. Daß sie sich nicht mehr ganz so dumm anstellen, intelligentere Flugblätter verfaßt werden usw. Das sind Resultate, die an der tatsächlichen Struktur und deren politischer Zielsetzung nichts ändern.
Deswegen ist es für uns so wichtig daran zu arbeiten, daß wir Kriterien haben und nicht ein Konzept außer Widerstand zu leisten, widerständig zu sein und für was Neues einzutreten. Unsere Vorstellungen, wie sich Gesellschaft strukturieren und organisieren soll, müssen damit verknüpft sein. Sonst bleiben wir in einer defensiven Position, die sich an den schlimmsten Auswirkungen unserer Gegner abarbeitet. Und das eröffnet keine neuen Perspektiven. Ich denke da müssen wir hinkommen, diese mit zu diskutieren, das werden wir morgen sicherlich noch intensiver tun. Aber die Verknüpfung muß gewährleistet sein. Deswegen keine einfache Antwort, sondern eher Kriterien erarbeiten und versuchen, die politische und gesellschaftspolitische Perspektive mit einzubringen.

Pweibl: Mir ist das alles zu harmonisch hier. Ich fand es eine Mogelpackung von Euch, uns erst zu fragen, was wir diskutieren wollen. Wenn man den Ist-Zustand betrachtet, kann man ein paar Fragen stellen, die uns nicht so gut wegkommen lassen. Die Forderung, die akzeptierende Jugendarbeit zu bekämpfen ist erst mal richtig. Aber sind die zu, dann gibt es die Treffpunkte woanders, eine Struktur finden sie, dumm sind die zum Teil auch nicht. Also ist das Problem reduziert darauf, daß ich als Steuerzahlerin die Pro-Naziarbeit finanziere. Wenn man das Kriterium, das Du jetzt ganz stark gemacht hast, es darf keine Ausbildung von festen Kadern geben, nimmt. Was darf denn Sozialarbeit überhaupt? Was macht man mit diesen rechten Jugendlichen? Was für Kriterien gibt es denn? Glauben wir als Linke, daß es Phasen gibt bei Jugendliche, in denen sie rückholbar sind, in denen man sie überzeugen kann? Was heißt niederschwellige Angebote? Muß man als Antifa in solche Clubs gehen? Oder reicht es nicht auch als Linke? Ich hab noch ganz viele Fragen, die mir nicht richtig auf den Tisch gekommen sind. Ich finde, daß Ihr es sehr vage gehalten habt. Wahrscheinlich bewußt.
Ich fand die Broschüre vor zwei Jahren klasse. Ich hätte doch erwartet, daß ein bißchen mehr kommt. Auch von wegen staatliche Strategien, wie sieht es aus mit Repressionen? Was denken wir über diese Doppelstrategie von Repression/Integration, friedliche Koexistenz. Ich denke, daß es morgen noch Zeit gibt, sowas zu diskutieren, aber wir hätten es heute schon mal andiskutieren können. Mir ist es zu glatt in der Diskussion verlaufen. Ich würde wirklich gerne wissen, was machen wir, wenn diese Clubs zu sind? Wohin mit denen? Für mich ist nicht die Frage, machen wir diese Clubs zu, sondern sehen wir überhaupt noch eine Einflußmöglichkeit auf große Kreise dieser Jugendlichen.

R2: Wir haben noch vier Minuten Zeit, vielleicht sollten wir diese Anregung nutzen. Das ist natürlich relativ spät, wir haben ja versucht, daß Problem erst mal einzugrenzen, vielleicht ein bißchen zu ausführlich. Deine Hinweise sind sicherlich richtig, ich würde auch gerne konkret was dazu sagen. Vielleicht sammeln wir noch, ob es ähnliche Anmerkungen oder Kritikpunkte gibt, daß wir dann noch mal so eine Schlußrunde machen und gesammelt was sagen. Soweit das möglich ist. Du hast ein relativ großes Faß aufgemacht, nämlich noch mal in konkrete Geschichten reinzugehen, das ist auch richtig, nur das können wir nicht mehr umfassend machen.

Techniker: Es kann durchaus 10 bis 15 Minuten länger gehen. Normalerweise ist um 6 Schluß, aber der Raum wird erst wieder um 7 gebraucht. [Moderatorin und Tippse in Personalunion sind begeistert von dieser Anmerkung - auch der Korrekturleser, ebenso der zweite Korrekturleser]

Pmännl: Ich fühle erst mal total viel Ohnmacht zu diesem Thema. Für mich ist es eine veränderte Situation, ich hab früher im Westen gewohnt, lebe jetzt seit ein paar Jahren im Osten. Die Begriffsdefinition, die Du am Anfang vorgenommen hast, Faschos, Neonazis, Rechtsextreme, Rechtsradikale, rechte Kerle oder wie man es bezeichnen will, ist für mich nicht mehr so einfach. Wenn ich mir Gedanken über Jugendarbeit mache, dann wäre das nicht mehr in erster Linier die neonazistische Gruppe, da hab ich ein klare Konzept, sondern es ist der rechte Protest. Und das ist für mich die veränderte Situation hier, daß es eine rechte Jugendkultur, eine rechte Protestkultur gibt. Das sind für mich nicht in erster Linier gefestigte junge Menschen, sondern Menschen, die Probleme haben. So setzte es ja auch die akzeptierende Jugendarbeit an. Die machen eine Menge Probleme, aber ich glaube, die haben auch `ne Menge Probleme. Meiner Ansicht nach auch in der Sozialisation von Geschlechtern, wo wir Linke immer noch ein totales Defizit haben.
Diese rechten Jugendlichen üben viel mehr sexistische Gewalt aus, als rassistische. Das blenden wir immer wieder kolossal aus, wahrscheinlich weil wir nicht an unsere eigenen sexistischen Gewaltstrukturen rangehen wollen. Für mich stellt sich die Frage, wie will ich damit umgehen. Ganz klar, Faschos kann ich versuchen zu verdrängen, daß sie sich nicht artikulieren können. Aber wenn es eine Masse gibt und ich nicht von oben sezieren kann, was nehm ich mal raus, den Magen oder die Milz, was stört denn gerade. Sondern den gesamten Organismus sehe, daß es eine Hegemonie von rechter Subkultur i.B.a. Jugendliche gibt. Bei den Erwachsenen würde ich das schon differenzierter betrachten. Ich kann mich natürlich beruhigt auf meinen Stuhl setzen und sagen: Ich kann die Welt nicht alleine verändern, ich muß mich auch mit ein paar Sachen abfinden. Die Zusammenhänge sind vielleicht auch gerade so, daß sie nicht schnell zu verändern sind, aber ich will sie ja verändern. Was mach ich denn jetzt mit diesen ganzen rechten Jugendlichen? Akzeptierende Sozialarbeit zu kritisieren finde ich total wichtig, aber der Umkehrschluß, Grünau hat am Ende überhaupt keine Jugendarbeit mehr, kann es auch nicht sein. Dann stehen etwa 80% der Jugendlichen, die meiner Meinung nach rechtsgerichtet sind, vielleicht sind es auch nur 60%, jedenfalls die absolute Mehrheit in Grünau, wieder auf der Straße. Und die Repression auf der Straße wird noch mehr zunehmen. Haben wir wirklich was dadurch gewonnen?

R2: Die Frage ist verstanden worden, können wir gleich was zu sagen.

Pmännl: OK. soll ich mich kürzer fassen? Ich hab meinen Beitrag nicht so richtig strukturiert, in erster Linie wollt ich meine Unklarheit zum Ausdruck bringen. Für mich herrschte in dem Vortrag das Bild vor, es gehe um eine Randgruppe, aber für mich geht es hier um eine große Protestform, wo mit den gängigen Mitteln, Aussperren, Abgrenzen, Mundtotmachen, nicht mehr verfahren werden kann und wo ich keine linken alternativen Konzepte sehe.

Pmännl: Also ich denke, daß Sozialarbeit mit Rechten generell abgelehnt wird, hat ja so recht keiner gesagt, es ging um akzeptierende Jugendarbeit. Das Problem ist, daß die Sozialarbeiter die Kritikpunkte nicht aufnehmen und daß wir das Problem haben, keine eigenen Jugendclubs für Faschos aufmachen zu können oder zu wollen und daß wir dann die gefestigten Cliquen zerschlagen müssen. Eigentlich sollten die Sozialarbeiter eine Jugendarbeit machen, die die Jugendlichen mit ihrer Schieße, die sie bauen, konfrontiert. Und zwar so, daß sie auf die eingehen, daß man sie nicht verprellt und nur woanders hinschickt, weil sie sich dann außerhalb der Clubs treffen. Generell sollen die Probleme nicht verdrängt, sondern mit denen aufgearbeitet werden. Und die Probleme von denen sehe ich hauptsächlich darin, daß die halt diese rassistische und sexistische und generell faschistische Grundeinstellung haben und nicht in irgendwelchen Problemen, die man außerhalb ihrer Vorstellungen konstruieren möchte.

R2: Ich denke, wir sollten noch ein paar Punkte kurz klären. Das eine ist: Geht es hier um eine Jugendkultur, um Protest usw.? Ich denke wir haben es hier mit einer gesamtgesellschaftlichen Rechtsentwicklung zu tun. Wir verorten diese Entwicklung nicht als eine Form von Protest, als etwas, was sich rausstellt, sondern im Gegenteil als etwas, was in weiten Teilen kompatibel ist. Die Frage stellt sich viel weiter als nur von einer Jugendkultur oder von einer Jugendarbeit oder von jugendspezifischen Problemen. Das ist das eine.
Das heißt, wir müssen in Blickwinkel nehmen, diese Gesellschaft zu verändern, wenn alle Interpretationen stimmen, daß wir sagen, sie sind gar nicht so viel anders als die Eltern oder reproduzieren zum Teil das oder sie spitzen es nur zu, was auch in älteren Generationen gedacht, aber nicht in der Form ausgelebt, wird. Wenn wir diese Interpretationsmuster ernst nehmen, dann heißt das, wir können nicht dabei stehen bleiben. Trotzdem ist die Frage richtig: Was machen wir, wenn die Clubs geschlossen werden? Clubs schließen kann nicht die politische Antwort sein. Die politische Antwort ist die Auseinandersetzung um Handeln, Denken, Äußerungen dieser Jugendlichen. Das heißt, es geht nicht nur darum einen Club zu schließen, es geht darum die Präsenz in der Gesellschaft und die Formierung in der Gesellschaft zurückzudrängen. Und das auf allen Ebenen. Da ist ein Teil von, bestimmte Clubs zu schließen, der andere ist, ihnen die Präsenz und Dominanz in der Öffentlichkeit zu nehmen. Das können auch Demonstrationen sein, das können auch informelle Kreise sein, wir brauchen überhaupt kein Schema, um an diese Fragestellung ranzukommen. Wir können in die Schulen gucken oder, oder.
Insofern ist genau das Problem, wir haben es nicht mit einer einfachen Antwort, es gibt den einen Zugang, den könne wir aus einer bestimmten Profession lösen, zu tun. Wir müssen es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe benennen und sagen, die Gesellschaft bringt solche Jugendlichen hervor. Wir können nicht sagen, wie können wir an diesen Jugendlichen herumoperieren und dabei die Gesellschaft außen vor lassen. Das heißt, dieser innere Zusammenhang ist nicht zu trennen, daß ist zwar schwierig, wenn wir daraus die praktischen Antworten ableiten wollen. Das haben wir ja auch alle die letzten Jahre versucht und da agieren wir auch auf verschiedenen Ebenen.
Ich verstehe diesen Kongreß auch so, daß es ein bißchen darum geht, zu öffnen und verschiedene Ebenen wahrzunehmen, zu gucken, wo sind Verknüpfungen oder wo haben wir uns zu sehr auf bestimmte Antworten fixiert. Es könnte ja sein, daß wir zu sehr gucken, kann man da mit Jugendarbeit was machen. Es könnte sein, daß wir sagen, da muß man eine andere Methode anwenden, einen anderen Zugang wählen. Die Öffnung für gesellschaftspolitische Fragestellungen und wie wir uns darin verorten. Genauso dann auch die Frage der SozialpädagogIn, der JugendarbeiterIn, LehrerIn usw. wie organisieren sie sich? Wie schaffen sie sich die Voraussetzungen dafür, wieder handlungsfähig zu werden. Das ist nicht nur eine Geschichte, da die Jugendlichen und hier sind wir und hier ist alles OK. Wir müssen genau diesen Bezug auch für uns selber nehmen, müssen an uns auch arbeiten, was ist in unseren Strukturen und Zusammenhängen zu verändern? Wie können sie attraktiver sein? Den Blickwinkel davon weg zu nehmen, nur eine Verhinderungsstrategie zu machen, sondern selber ein gesellschaftliches Konzept und Perspektiven zu entwickeln.
In Ansätzen hab ich noch mal versucht auf die letzten Hinweise einzugehen. Wenn es um konkrete Ansätze geht, muß es unbefriedigend bleiben. Wo es aber um Perspektiven geht, da haben wir noch diesen ganzen Block 6 mit den ganzen Veranstaltungen. Ich denke, daß wir da noch mal sehr intensiv reingehen können, was heißt das für die verschiedenen Ebenen, was heißt das für Antifaarbeit, was heißt das auch für diejenigen, die sozialarbeiterisch tätig sind, wie könne sie sich darin verorten. Wie können wir stärker dazukommen, gesellschaftlichen Einfluß auf diese Entwicklung zu nehmen, präsenter sein, und unseren Widerstand besser organisieren.

Moderatorin: OK, in Anbetracht der Zeit beenden wir diesen Workshop.

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