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Eine ganz normale deutsche Familie

Über den Skandal, dass es keinen Skandal gibt, dass Albert Speer – nach 1936 in Berlin – zum zweiten Mal Olympia – 2012 in Leipzig – bauen darf
      „Die immer gleiche Rasterarchitektur der Geschäfts- wie der Wohnbauten hat offenbar nicht nur die Unterschiede zwischen einer norddeutschen Handelsmetropole und einer süddeutschen Bischofsresidenz eingeebnet, sondern auch dem Profil deutscher Städte etwas von internationaler Gesichtslosigkeit verschafft.“
      Albert Speer sen. (1964)(1)

      „Die rings um die Erde einander immer ähnlicher werdenden Stadtstrukturen führen zum Verlust lokaler Eigenständigkeit. ... Daß die Wohnungen von Hamburg bis Garmisch in Größe und Ausstattung immer ähnlicher werden, läßt sich bei gleichen Ansprüchen nicht verhindern. Aber warum müssen Städte auch gleich aussehen? Anstatt landschaftliche und andere Eigenheiten zu betonen, haben wir, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bisher nur nivelliert und modernisiert.“
      Albert Speer jun. (1992)(2)
Das Anti-Olympische Komitee Leipzig (AOK)(3) rief im vergangenen Monat zu einer Aktion auf dem Gelände der Neuen Messe auf. Dort sollte am 20. Februar 2004 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Planwerk Olympia 2012“ unter dem Motto „Großveranstaltungen als Motor der Stadtentwicklung“ u.a. mit dem Chefplaner und -architekten der Leipziger Olympiabewerbung, Albert Speer, diskutiert werden. Die Aktion musste mangels Beteiligung ausfallen. Das lag aber nicht an der Kürze der Mobilisierung, sondern an der bewussten Ignoranz der Leipziger Szene, die sich zwar antideutsch dünkt – und sich dieses Bekenntnis auf die Fahnen geschrieben hat, aber außer dem gelegentlichen Schwenken dieser Fahnen, nicht viel damit anfangen kann. Die gleichlautenden Reaktionen auf das Mobilisierungsflugblatt lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Das ist doch Sippenhaft, der Speer kann doch nichts für seinen Vater. Und: Das ist doch Personalisierung, ob der Speer oder jemand anders, ist doch egal. Diese Einwände sind in etwa so dümmlich, wie das typisch deutsche Lamento, dass die Kollektivschuldthese doch rassistisch, weil deutschfeindlich, wäre – obwohl niemals eine Kollektivschuldthese postuliert wurde. Auch in diesem Fall linker Verdrängungskünste wurde sich erst ein Argumentationsmuster konstruiert, um sich dann um so besser davon abgrenzen zu können. In dem Flugblatt fand weder die Sippenhaft auf den Sohn des Naziarchitekten Anwendung, noch wurde der Eindruck erweckt, das Problem bestünde in der Person Speer. Vielmehr wurde kritisiert, dass Speer jun. eben nicht nur glaubt, für sich – wie es ja fast alle tun – die Gnade der späten Geburt in Anspruch nehmen zu können, sondern sich sogar positiv auf seinen Vater bezieht. Betont wurde, dass Speer als Architekt „so gefährlich wie wohl alle anderen seiner Zunft“ und eben kein Nazi sei. Der Skandal, so im Flugblatt weiter, liege aber darin, dass die Stadtverwaltung „nicht nur Olympia nach Leipzig holen will, sondern dann ausgerechnet Albert Speer mit der Konzeption und Bauleitung beauftragt, als ob nichts gewesen wäre.“
Zugegebenermaßen wurden diese Punkte im Flugblatt nicht weiter ausgeführt – was mit der Kürze der Vorbereitungszeit zu tun hatte. Dies ist nun aber den antideutschen und sonstigen Linken nicht Ansporn für eigene, weitere Recherchen, sondern wird als Anlass genommen, um gegen das AOK zu pöbeln und auf Stammtischniveau Täterschutz zu betreiben.(4) Wieso findet eine Linke, die auf Demos „Morgenthau, der war schlau“ ruft, nichts dabei, dass sich Vater wie Sohn mit ihren Olympiakonzeptionen einen ruhmreichen Namen gemacht haben und mit ihrem arisiertem Geld weiteren Reichtum anhäufen? Wieso wird die richtige Erkenntnis, dass sich die Speersche Familiengeschichte in ähnlicher, wenn auch oft nicht in so prominenter Form, millionenfach in Deutschland abgespielt hat, nicht gegen die Deutschen und damit auch gegen Speer gewendet, sondern als entlastendes Argument ins Feld geführt? Wieso ist, völlig in Unkenntnis der Wirklichkeit, davon auszugehen, dass der Sohn von Albert Speer eben nur ein Apfel sei, der weit genug vom Stamm gefallen ist? Wieso führt die Tatsache, dass der Skandal nicht darin liegt, dass die Antigraffiti-Schutzschicht des Holocaust-Mahnmals von einer Firma stammt, die das Zyklon B hergestellt hat, sondern darin, dass es keine deutsche Firma geben wird, die nicht in der einen oder anderen Weise vom Holocaust profitiert hat, wieso führt also die nun analoge Tatsache, dass Albert Speer nicht durch einen besseren, unbelasteten deutschen Architekten ausgewechselt werden kann, nicht zu der klaren Haltung, dass unter solchen Umständen keine Olympiade in Deutschland stattzufinden hat, sondern zu der anything-goes-Einstellung: Lasst den Speer mal machen...?
Der folgende Geschichtsexkurs ist für diejenigen gedacht, die in sich die leise Ahnung noch nicht abgetötet haben, dass Antideutsch mehr ist, als das CEE IEH im heimischen Bücherregal (antikes Stück vom Opa oder IKEA-Modell vom Geld der Oma?) zu sammeln und öden antideutschen Veranstaltungen im Conne Island zu Massenaufläufen werden zu lassen.

Albert Speer sen.

Ab 1931, als Albert Speer in die NSDAP eintrat, arbeitete er sich zum Lieblingsarchitekten der Partei hoch: Er bekam nicht nur alle Privataufträge der NSDAP-Kader, sondern war für die architektonische Inszenierung des Dritten Reiches der Hauptverantwortliche. Alle wichtigen Gebäude dieser Zeit – so z.B. die Olympia-Bauten in Berlin (1936) – wurden von ihm entworfen bzw. entstanden in seinem Verantwortungsbereich als Generalbauinspektor. In dieser Eigenschaft war er auch für die Verteilung von “arisierten” Wohnungen zuständig. Außerdem organisiert und choreographiert Speer ab 1933 alle Großkundgebungen und Aufmärsche der NSDAP. Ab 1942 wird Speer Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion und intensiviert den Einsatz von ZwangsarbeiterInnen in der deutschen (Rüstungs-)Industrie. Zum Kriegsende ist Speer – zumindest informell – nach Hitler der zweitwichtigste Mann in der NS-Hierarchie.(5)
Obwohl er also im Dritten Reich einen der wichtigsten und höchsten Posten inne hat, tut das seiner Karriere nach 1945 keinen Abbruch – ganz im Gegenteil: sie nimmt eine überraschende Wendung. Beim Nürnberger Kriegsverbrechertribunal gesteht er als Einziger eine gewisse, ganz allgemeingehaltene Schuld ein. Zwar sei er – als völlig unpolitischer Mensch, der nur Freude an der Architektur gehabt habe („Für die Politik habe ich mich nie interessiert, der Aufbau der Rüstung war nur eine organisatorische Herausforderung für mich“ 113(6)) – gegen seinen Willen und ohne sein Wissen in den Nationalsozialismus verstrickt gewesen, persönliche Vergehen könnten ihm aber nicht vorgeworfen werden. Um diesem Bild Plausibilität zu verleihen, versucht er aus der Haft heraus Dokumente vernichten zu lassen, die beweisen, dass er den Befehl zur Deportation zehntausender Berliner Jüdinnen und Juden erteilte.(7) Daraufhin kann er ganz unverschämt öffentlich verkünden: “Auch bei strengster Selbstforschung muß ich sagen, dass ich kein Antisemit war. Auch ansatzweise nicht.” (40). Er behauptet, es gebe keine einzige ihn belastende Äußerung, kein einziges belastendes Dokument – und deswegen habe er zu Kriegsende auch nichts vernichten lassen, sondern alles „den Amerikanern als Studienmaterial übergeben“. Die verschlagenen Amis jedoch dankten es ihm mit einer Anklage und verwendeten sogar Teile seines nur wissenschaftlich zu verwertendes Studienmaterials, „um mich des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu überführen.“ (56)
Albert Speer wird auf diese Art und Weise – im Gegensatz zu seinen Mitangeklagten, die nicht abschwören und deswegen nur als Vorbild ewiggestriger Neonazis taugen – zum Miterfinder der deutschen Schuldabwehr.(8) Schon 1966 wird er aus der Haft entlassen. Willy Brandt schickt ihm Blumen. So prominente Unterstützung hat Speer allerdings gar nicht nötig. Er veröffentlich seine Autobiografie (“Erinnerungen”) und später seine geheimen Aufzeichnungen aus dem Gefängnis (“Spandauer Tagebücher”). Mit diesen beiden Büchern wird er zum Liebling fast aller Deutschen.(9) Denn so wie Speer blicken auch sie auf ihre Vergangenheit. Sie bedauern die Niederlage, an der Hitler schuld war, fühlen sich als Opfer der Verhältnisse und von den Alliierten zu Unrecht bestraft. Sie haben vom Holocaust nichts geahnt oder gar gewusst. Sie sind natürlich keine Antisemiten, aber dass es die Juden erwischt hat, wird schon seinen Grund gehabt haben. Völlig grundlos hingegen wurden sie, die Deutschen, aber bombardiert.
Diese Gefühle bedient Speer hervorragend mit seiner Entlastungsliteratur. Er beklagt die angeblich ungerechte “Siegerjustiz”, versucht, den Alliierten größere Verbrechen gegen die Deutschen nachzuweisen bzw. die Verbrechen als in den Traditionen der europäischen Moderne stehend zu relativieren (530) und projiziert alle Verbrechen des Dritten Reiches auf Hitler („Der Krieg selber war immer nur die Idee und das Werk Hitlers“, 221), von dem er aber auch gleichzeitig ein liebevolles Portrait zeichnet (634). Sein Fazit: Ein armer Verrückter hat die noch ärmeren und grundehrlichen Deutschen ins Verderben geführt. Ein anderer Erklärungsversuch macht aus Hitler ein „Dekadenzproblem“, die große Anhängerschaft sei eine Folge der „Zersetzung der moralischen Lebenskraft des deutschen Bürgertums“ (550). Speers Bücher avancieren zu Bestellern und verkaufen sich millionenfach.(10) Er betätigt sich aber nicht nur als Literat, sondern wird einer der wichtigsten Entlastungszeugen bei weiteren Prozessen gegen Funktionäre des Dritten Reiches. Wohlwollende Biografien erscheinen über Speer, sein Leben wird verfilmt. Viele, auch kritische und nicht-deutsche Historiker, die über den Nationalsozialismus geforscht haben, beziehen sich positiv auf Speer: Er wird einerseits als seriöse Quelle genutzt, wenn es gilt über das Innenleben des Regimes zu berichten, andererseits für seinen „Widerstand“ gegen das Dritte Reich geschätzt. So wird anerkennend berichtet, dass er sich erfolgreich der Politik der verbrannten Erde(11)  widersetzt habe. Die Motivation für diese scheinbar humanistische Politik Speers, die unzerbrechliche Treue zum deutschen Volk und der ewige Glaube an eine leuchtende Zukunft für Deutschland, wird dabei ausgeblendet oder sogar lobend erwähnt. Speer legte damit als erster vor Kriegsende den Grundstein für einen erfolgreichen Wiederaufbau, für das „Wirtschaftswunder Deutschland“, für eine neue Weltmachtrolle Deutschlands. Speer ist derjenige, dem es in materieller wie ideologischer Hinsicht gelingt, das nationalsozialistische Regime in die bundesrepublikanische Nachkriegszeit zu transformieren, d.h. einen wirklichen Bruch mit den faschistischen Kontinuitäten zu vermeiden und, anknüpfend an die „Errungenschaften“ des Dritten Reiches, ein neues Deutschland aufzubauen.
Wie so viele andere Verbrecher genoss er bis zu seinem Tod 1981 seinen beschaulichen Lebensabend in Deutschland. Seine Architektur wird bis heute in Ehren gehalten und unterliegt vielerorts dem Denkmalschutz – auch wenn sie als etwas “großspurig” gilt. Für andere Erfindungen, z.B. die Lichtinszenierungen, wird Speer bis heute als Avantgardist geehrt.

Schauen wir uns die von Speer direkt nach 1945 in seinen Tagebüchern entwickelte Verdrängungs- und Verleugnungsstrategie einmal genauer an, weil sie so unheimlich aktuell ist und sich erst in den letzten Jahren endgültig öffentlich entfalten konnte. Gleichzeitig lässt sich damit auch erklären, warum weder sein Sohn ein Problem mit Albert Speer hat, noch die Stadt Leipzig mit seinem Sohn.(12)

Speer ahnte oder wusste nichts vom Holocaust und anderen NS-Verbrechen (z.B. Euthanasie, Menschenversuche im KZ), weil die Fachleute der Vernichtung nicht miteinander darüber geredet hätten: Die direkten Täter des Holocaust erzählten Speer nichts von ihrem Tun, „so wenig, wie ich ... je offenbart hätte, daß wir an Raketen arbeiteten, die London in Schutt und Asche legen sollten.“ (44) Der Holocaust ist für Speer aber schon deswegen ein Rätsel, weil Hitler der einzige Antisemit in ganz Deutschland war. Sowohl für die Führungskader des Dritten Reiches legt er die Hand ins Feuer als auch für das gemeine Volk: Wenn Hitler antisemitische Reden schwang, dann war „die gesamte Runde, nicht nur die niederen Chargen, sondern Generale, Diplomatenvolk, Minister und schließlich ich selber“ in einer gewissen „Verlegenheit ..., wie wenn man einen nahestehenden Menschen bei einer peinlichen Selbstenthüllung beobachtet“ (46). Das Volk hingegen tat mehr, als nur „ernst und düster vor“ sich hin zu sehen und beflissentlich darüber hinweg zu gehen (46), wie die „gesamte Runde“, sondern leistete Widerstand. So weiß Speer davon zu berichten, dass selbst noch 1941 der Judenstern nicht zur gewünschten Stigmatisierung der Juden innerhalb der deutschen Volksgemeinschaft führte, sondern zur anteilnehmenden Sympathie seitens der deutschen Volksgenossen anstiftete (401).
Da er sich also nicht die Finger schmutzig gemacht hat, kann er sich auch nach 1945 ungebrochen auf seine Arbeit im Dritten Reich beziehen. „Als Leiter des Amtes ‘Schönheit der Arbeit’ war ich für einen Teil dieser Programme [der technischen Welt ein ‘humanes’ Antlitz zu geben. Beispiel: Fachwerkhäuser als Autobahnraststätten] verantwortlich und ich verschweige nicht, dass mich alles, was ich in dieser Eigenschaft unternahm, noch heute mit ungebrochener Genugtuung erfüllt” (585). Er lässt sich Bücher und Zeitschriften über Architektur ins Gefängnis schicken und setzt – allerdings fast nur im Geiste – seine Arbeit fort: sinniert über die Verwendung von Glas und Licht (636), arbeitet zum Thema Anteil der Fensterfläche in verschiedenen Epochen, hetzt weiter gegen Bauhaus und jüdische Architekten (die inzwischen in den USA erfolgreich sind), Hochhäuser und moderne Architektur („ging an den sozialen Problemen der Krisenjahre unbewegt vorbei“ 417), plant seine Karriere nach der Entlassung und bedauert, dass er nicht mehr solchen Ruhm wie vor 1945 erlangen wird. Stolz nimmt er zur Kenntnis, dass er in der Fachliteratur „als einer der Väter der Lichtarchitektur“ genannt wird und merkt scheinbar selbstkritisch an: „Merkwürdig berührt mich der Gedanke, daß die gelungenste architektonische Schöpfung meines Lebens eine Chimäre ist, eine immaterielle Erscheinung.“ (636-637) Gegen seine großen Widersacher, wie die Architekten van der Rohe und Gropius, die mit ihren Entwürfen angeblich nur provozieren wollen und einen „Universalstil ..., der von London bis Tokio, von New York bis Rio reicht“ geschaffen hätten, wendet er ein: „Mag nun gut oder schlecht sein, was wir im Sinn hatten, so glaube ich doch, daß die Menschen ein Bedürfnis nach ummauertem Raum haben und daß ein Haus vor allem ein Haus sein soll. Es läuft auf die Frage hinaus, ob die Wohnbedürfnisse der Menschen wirklich veränderbar sind und ob ihr Glück stärker von der Geborgenheit oder von der Luxzahl abhängig ist.“ (418) Er hingegen will mit seiner Architektur „gegen den Größenwahn des Industriezeitalters“ protestieren, die „einfachen, handwerklich sauberen Häuser“ bilden den Gegenpol zu den „Wolkenkratzern und Industriebauten“ (113).
Er frönt weiter seiner Mischung aus antimoderner Technikfeindlichkeit, die er mit dem industriell betriebenen Holocaust begründet, und faschistischer Technikbegeisterung. „Jeder Fortschritt erschreckt mich nur noch. Und eine Meldung wie die Nachricht vom ersten Satteliten läßt mich nur an neue Vernichtungsmöglichkeiten denken und erweckt Angst in mir.“ (470) Dass es aber in erster Linie er selber war, der mit seinen Rüstungsprojekten alle Vernichtungsmöglichkeiten, die die Technik bietet, ausgelotet hat, verdrängt er – obwohl es gleichzeitig präsent ist. Wenn es nämlich darum geht, gegen die DDR-Misswirtschaft zu hetzen, dann schreibt er, dass es ein Skandal ist, dass in Betrieben, in denen vor 1945 „die ersten Düsentriebwerke der Welt auf dem Prüfstand [liefen,...] die ersten Raketen der Welt erprobt [und...] die ersten Kunststoffe entwickelt [wurden]“ sich jetzt „Kommissionen mit Problemen herum[schlagen], die zu Beginn des Jahrhunderts Handwerker lösten: ein Kohlebadeofen mit Mischbatterie!“ (505)

Weil er sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, ist natürlich auch der Nürnberger Prozess eine Farce. Vor allem nach Ausbruch des Vietnam-Krieges und dem sowjetischen Einmarsch in Budapest ist für Speer klar, dass in Nürnberg eine üble Siegerjustiz betrieben wurde. Speer hätte sich ja eine Vereinheitlichung des Völkerrechts gewünscht – und damit auch die Anklage der USA und der UdSSR vor dem Internationalen Strafgerichtshof, für den Speer schon kämpfte, als dessen Name noch nicht einmal geboren war. Aber nicht nur für Vietnam und Budapest seien die Alliierten zu verurteilen, sondern auch für ihre, die Deutschen übertreffenden Untaten im Zweiten Weltkrieg. „Nicht der Vernichtungswille der Alliierten war größer als der deutsche, sondern die Vernichtungskapazität ... Der Hass und die Entschlossenheit, den Gegner mit allen Mitteln zu vernichten, war hier wie dort gleich groß. Das eben macht einen Prozess von Sieger über Besiegte problematisch“ (84) Und schon gleich nach dem Krieg gingen die Verbrechen der Alliierten (die „problematische und mancherorts einfach unmenschliche“ Zwangsarbeit für deutsche Kriegsgefangene) weiter, die schwerer wiegen, als die von Speer praktizierte Vernichtung durch Arbeit, da „in unserem Falle die Rechtslage noch nicht ganz klar sein mochte: jetzt, nach den Nürnberger Urteilen, sind solche Maßnahmen ohne Zweifel ein Vergehen gegen internationales Recht ... Indem der Gerichtshof sie [die Zwangsarbeit] aber als Verbrechen verurteilte, verpflichteten die Alliierten sich dazu, diesen Grundsatz auch ihrerseits zu beachten.“ (94) Ungeniert behauptet Speer dann sogar noch, dass es die Schuld der Alliierten gegen Deutschland im Ersten Weltkrieg war, dass es zum Dritten Reich kam. Wäre nämlich schon damals in einem Kriegsverbrecherprozess Zwangsarbeit geächtet worden, hätte Speer dies als Meßlatte für sein eigenes Verhalten nehmen können – und keine Zwangsarbeiter eingesetzt.
„Die abgeleistete Strafe setzt mich zunehmend ins Recht“ (169) verkündet Speer siegessicher – und trifft damit den heutigen Zeitgeist, der Kriege wegen Auschwitz ermöglicht. Dabei haben weder die Deutschen noch Albert Speer jemals für ihre Taten gebüßt. Den Deutschen ging es materiell und ideell nach 1945 immer besser als den wenigen Opfern, die überhaupt noch überlebt hatten. Und selbst Speer bekam nie eine Strafe, die diesen Namen verdient. Sein Gefängnis glich, und das beschreibt Speer akribisch, einem Luxushotel mit vielen Freiheiten und Vorzügen. Die 50 Angestellten sind nett und helfen den sieben Gefangenen, wo sie nur können. “Noch nie in meinem Leben habe ich so aufwendig gewohnt.” (264) Sie riskieren ihren Job, um Briefe raus und Bücher, Alkohol und Schokolade rein zu schmuggeln, sie spaßen und scherzen mit den Gefangenen, die im Prinzip Narrenfreiheit genießen (268). Widersetzt sich Speer einer Anweisung und begründet dies damit, dass er keinen Mitgefangenen schaden will, erntet er für seine Kameradschaft nur Verständnis und Unterstützung. Ab und zu kommen hohe Würdenträger vorbei und erkundigen sich nach dem Wohlbefinden der Gefangenen oder bezeugen ihre Ehrerbietung vor dem großen Architekten und den heldenhaften Militärs. Speer kann sich also nicht beschweren und genießt das beschauliche Leben als erfolgreicher Gärtner, gefragter Architekt(13), gewissenhafter Gefängnispsychologe und -ethnologe(14), Erzieher(15), sportlicher Erdumrunder(16) und einzig kompetenter Hitlerbiograph(17). Nur die Gefangenen machen sich untereinander das Leben zur Hölle, weil jeder sich als was besseres dünkt. Speer, der dies alles analysiert, glaubt deswegen auch, besser zu sein, nicht nur besser als die dummen Wärter, die seine geistreichen Witze nicht verstehen (516), sondern auch besser als die NS-Führungskader, die im Knast langsam an Haltung verlieren, durchdrehen und sich nur noch für ihr „persönliches Schicksal und die Speckseiten der Freundin zu interessieren zu scheinen.“ „Die Zukunft des Landes“, so konstatiert Speer mit Enttäuschung, berühre seine Kameraden nicht mehr (97). Speer hingegen bliebt auch im Gefängnis ein Politiker von Weltrang und analysiert, dass Stalin Deutschland in die Hände des Westens, „dem Geist blanker Aufklärung“ trieb, obwohl die Deutschen dem Westen „immer mißtraut, ihn als seicht, rationalistisch zurückgewiesen“ haben. „Jetzt wird Deutschland, das sich dem so lange widersetzt hat, vom Westen auch innerlich erobert“ (364).
Obwohl sich also die Wärter wie verständnis- und liebevolle Lehrer benehmen, weil sie nicht begreifen, dass die Bande nicht umerziehbar ist, hat Speer Detailkritik zu üben: „Es stört mein Gefühl, wie“ mit einem Mitgefangenen umgegangen wird, weil ein Wärter „ihn wie einen aufsässigen Schuljungen abkanzelt. Wenn man schon seinen militärischen Rang nicht achtet, sollte ein Jahrzehnte Jüngerer wenigstens die Würde des Alters respektieren” (405).

Da er aber völlig zu Unrecht im Gefängnis sitzt – schließlich sind alle seine ehemaligen Mitarbeiter inzwischen wieder in leitende Positionen aufgerückt (234) und bieten ihm an, nach der Entlassung in ihren Architekturbüros anfangen zu können – kann diese gute Behandlung ihn nicht milde stimmen. So versucht er wenigstens, das schwere Schicksal anderen zu ersparen. Er wird zum wichtigsten, weil aussagebereiten und reuigen Entlastungs-Zeugen der Anklage. „Als ehemaliger Reichsminister [ist ...] es meine Pflicht, meinen Mitarbeitern und nicht den Anklägern zu helfen.“ (82) Er verachtet nur jene, die die Kameradschaft verraten und wirklich aussagen. „Meine ehemalige Sekretärin ... ließ mich wissen, daß Otto Saur im Prozeß gegen Krupp [den Speer kurz zuvor mit allen Kräften verteidigt hatte] als Kronzeuge der Anklage aufgetreten ist. ... Ich wünsche es niemandem, aber wenn einer meiner engeren Mitarbeiter einen Prozeß verdient gehabt hätte, dann ist es Saur.“(18) (163-164)
Speer hingegen hätte statt der Haft ein Bundesverdienstkreuz für seinen aktiven Widerstand verdient.(19) So wird für eine Freilassungspetition eine Liste mit 25 „ausländischen Arbeitern gesammelt ..., die ich aus dem Konzentrationslager geholt hätte.“ Er schreibt es im Konjunktiv, weil es sich in Wirklichkeit um „dreißig- bis vierzigtausend Arbeiter im Monat“ gehandelt habe, die „die SS immer bedenkenloser unseren Fabriken“ entzog, obwohl sie dringend für die Rüstungsindustrie benötigt wurden, wie Speer Hitler dann 1944 unmissverständlich klar machte (240) – schließlich ging es um den großen Endsieg. Schindlers Liste hätte also schon 1975, unmittelbar nach dem Erscheinen der Tagebücher, gedreht werden können. Denn er rettete nicht nur massenhaft Zwangsarbeiter aus den Konzentrationslagern, von denen er allerdings keine Kenntnis hatte, sondern unterstützte auch den konservativen Widerstand, indem er ihn nicht verriet. Er war zwar in die Umsturzpläne gar nicht eingeweiht, aber er hörte einmal, wie Stauffenberg die NS-Führer als Opportunisten, Psychopathen und Idioten bezeichnete – „und einen Augenblick war ich entsetzt. Denn wir übten alle gelegentlich Kritik ... aber solche Worte versagten wir uns. ... Aber ich habe ihn immerhin nicht verraten.“ (283) Belohnt wird er mit einem Ministerposten auf der Liste der Verschwörer. Daraus wurde jedoch nichts, also hielt Speer weiterhin zu Hitler und zu seinen Schützlingen, die er vor dem Tod im KZ bewahrt hatte: „Die Loyalität nach allen Seiten hin, die ich übte, zu Hitler wie zu Stauffenberg, zu den Zwangsarbeitern, die ich gut behandelte, und zu Sauckel, der sie mir zutrieb – was war das anderes als eine Form der Lauheit.“ (284) Mal abgesehen davon, dass Sauckel Speer keine Zwangsarbeiter zutrieb, sondern Speer sie anforderte und sie auf Anweisung von Speer zu Tode gequält wurden, fällt doch auf, dass Speers einziges Problem mit der Geschichte sein ramponiertes Images(20) ist: Er steht nicht als der Held da, der er zeitlebens sein wollte. Kleine Heldengeschichten hat er nichtsdestotrotz vorzuweisen: „Als wir Weihnachten 1942 in der Nähe von Bordeaux feierten, wurde mir während des Essens vom Leiter des Bauabschnitts erzählt, daß eine Gruppe ehemaliger sogenannter Rotspanier [Kommunisten und Anarchisten, die im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft hatten], die in einem unweit gelegenen Lager interniert seien, mich eingeladen hätte. Ohne Begleitkommando der SS ... führ ich ... in dieses Lager. Die Feier hatte bereits begonnen. ... Volkstänze und andere folkloristische Darbietungen schlossen sich an, jeweils von stürmischen Applaus begleitet, während ich selber die etwas steife Stimmung mir gegenüber erst auflockern konnte, als ich ein größeres Kontingent von Zigaretten und Wein austeilen ließ. Diese Spanier ... saßen inzwischen fast drei Jahre hinter Stacheldraht fest. Es waren sympathische, tapfere Gesichter, wir blieben bis in den späten Abend zusammen, der Abschied war fast herzlich.“ (251-252). Es versteht sich wohl von selbst, dass sich Speer anschließend bei Hitler für die Spanier im KZ (von deren Existenz er bis Kriegsende keine Ahnung hatte, denn beim Weihnachtsfest im KZ wurde zu viel Wein gesoffen) einsetzte. Denn: wer Volkstänze kann und „einen jahrhundertealten Hass gegen die katholische Kirche abreagierte, die dieses spanische Volk immer unterdrückt hat“, kann kein böser Mensch sein. Hitler erhoffte sich, die Häftlinge gegen Franco einsetzen zu können und „gab noch am gleichen Tag Anordnung, die ‘Rotspanier’ gut zu behandeln.“ (253)
Richtig mutig wird Speer allerdings erst nach 1953. Er bezeichnet Hitler in seinem Tagebuch als Verbrecher und notiert dazu: „Aber daran ist kein Vorbeikommen. Entweder schreibe ich, wie ich es heute sehe, oder ich lasse es. Bestimmt werde ich dabei manchen Freund verlieren und vielleicht keinen neuen hinzugewinnen.“ (345) Es ist kein Vorbeikommen daran, weil Hitler mit dem deutschen Volk und seinem „gesunden Volksempfinden“, dem Speer wieder zu seinem Recht verhelfen will, „Schindluder“ getrieben hat (400). Hitler hat alle Ideale verraten. „Das Volk, das ihn liebte, die deutsche Größe, die er im Munde führte, das Reich, dessen Vision er beschwor – das alles bedeutete ihm im letzten nichts.“ (531). Hitler hat solche Geistesgrößen, wie ihn selbst, ins Verderben geführt. „Alles kann ich mir vielleicht verzeihen: Sein Architekt gewesen zu sein, das lässt sich vertreten; dass ich als sein Rüstungsminister tätig war, dafür könnte ich mich rechtfertigen. Es ist auch eine Position denkbar, von der aus sich die Beschäftigung von Millionen von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in der Industrie verteidigen läßt, auch wenn es nie meine Position gewesen ist. Aber schlechterdings ohne Schutz stehe ich da, wenn ein Name wie der von Eichmann fällt.“ (531) Für den „krankhaften Hasser“ Hitler, der vom Antisemitismus getrieben war, schämt er sich vor seiner Frau und fragt sich, wie er es seiner Tochter Hilde erklären soll, „die mit dem ganzen Feuer ihrer zwanzig Jahre Briefe und Appelle verfaßt, Sympathien zu mobilisieren versucht, Reisen unternimmt und interveniert, um den Vater freizubekommen“ (531-532).

Im Gefängnis wird Speer zum verständnisvollen Völkerkundler: So bemerkt er, dass die jüdischen und schwarzen Wärter „als erste die feindselige Schranke [zwischen Wärter und Bewachte] überwanden. Sie schienen uns, nicht zuletzt aufgrund eigener Erfahrung, als Unterdrückte anzusehen, denen Mitgefühl zukomme.“ (42) So wird Deutschland bei Speer zum „nigger of the world“, der – und dafür steht ja auch das Spandauer Gefängnis – von den Amis, Briten, Russen und Franzosen unterdrückt wird. Aber auch der Feind will analysiert sein. Die Russen sind brutal und schlau, die Amis harmlos und ungebildet (409). Speer verteilt Sympathiepunkte: Es gewinnen die französischen Wärter, gefolgt von den Russen, gleich auf mit den Briten, und abgeschlagen auf dem letzten Platz landen die Amis (543). Dies deckt sich zwar nicht mit dem beschriebenen Knastalltag (die Amis sind am nettesten, unkompliziertesten und zollen Speer die meiste Anerkennung für seine Arbeit), korrespondiert aber mit der Speerschen Theorie, dass die normalen Russen eigentlich ganz in Ordnung seien, aber von sadistischen Stalinisten tyrannisiert werden (wie die Deutschen unter Hitler), während die Amis keinen Befehl und Gehorsam kennen und sich deswegen zu eigentlich ganz annehmbaren Chefs böse Untergebene gesellen. Trotzdem konstruiert Speer eifrig Landhäuser für seine Wärter und beachtet dabei sogar landestypische Eigenheiten. Den Amis pflanzt er z.B. eine große Nationalflagge in den Garten, die „das amerikanische Nationalbewusstsein darstellen [soll], das mir bei Soldaten und Offizieren oft in erstaunlicher Form, nicht selten auch in Auswüchsen entgegentritt.” (81) Speer fühlt aber nicht nur die Liebe des schwarzen Volkes mit dem ebenfalls kolonialisierten und versklavten deutschen Volk – so beschwert er sich z.B. über die jederzeit verweigerbare und von ihm trotzdem so bezeichnete Zwangsarbeit im Gefängnis und ganz allgemein über die Zwangsarbeit für deutsche Kriegsgefangene und fragt anklagend: „Wo ist hier der Richter?“ (55) –, sondern er praktiziert auch aktiv die Völkersolidarität. Generös berichtet er, wie er einen litauischen Wärter, der ihn geschlagen habe, nicht denunziert, damit er nicht seinen Job verliert, „weil, wie ich ihm sage, er sein Vaterland verloren habe.“ (82) Deswegen hat Speer ganz recht, wenn er schreibt: „Ich war kein Antisemit, das Rassedenken schien mir stets eine Schrulle; ich hielt auch nie etwas von der darwinistischen Totschlagstheorie“ (609). Speer ist nämlich gebildet genug, um zu wissen, dass sich die deutsche Volksgemeinschaft auch ohne das rasende, irrationale Ressentiment gegen Juden, Slawen, Bolschewisten, Amis und Asoziale hätte durchsetzen können – nämlich mit einem wohlüberlegtem Überlegenheitsgefühl gegenüber jenen, was dann aber nicht antisemitisch, rassistisch oder darwinistisch ist, sondern philosemitisch, antirassistisch und sozial. Getreu der Devise: Ich weiß am besten, was für die Juden/Neger/Penner gut ist, denn ich habe sie durchschaut und werde ihnen helfen. Deswegen kann Speer selbst den Kalten Kriegern fünf Jahre nach Kriegsende aus dem Gefängnis heraus noch eine Lektion erteilen. „Westliche Wärter führen nach den Erfolgen ihrer Seite in Korea dumme Reden: ‘Man muß alle Russen totschlagen!’ Schon stimmen manche Mitgefangenen ein. Gelegentlich halte ich den einen wie den anderen entgegen, daß sie auf dem besten Wege seien, den Unterschied zwischen der Bekämpfung einer Doktrin und eines Volkes wieder zu vergessen. Jetzt sagt dieser und jener .. ich sei prokommunistisch. Die Anschauungen, zu denen ich während der Nürnberger Prozesse... gelangte, fangen an, unmodern zu werden.“ (248) Speer – ganz der Pazifist – wünscht sich hingegen nur eins: „Wenn nur kein Krieg kommt!“ (248)

Vater und Sohn I – Das Vermächtnis

Die sechs Kinder von Albert Speer sind mitten im Machtzentrum des Dritten Reichs aufgewachsen. Das älteste Kind, nämlich Albert Speer, war zum Ende des Dritten Reichs zehn Jahre alt. Die Familie Speer hat auf dem Obersalzberg einen Landsitz. „Wie ausgelassen waren meine Kinder, wenn ich Zeit hatte, sie mit dem schnellen BWM-Sportwagen ... auf das Adlernest Hitlers zu fahren.“ (207) Die Kinder Speers werden zu den wichtigen Feiern und Veranstaltungen der Führung mitgenommen. So geben sie zu Hitlers Geburtstag ein Ständchen und überreichen Blumen an den Führer. Die Fotos vom kinderlieben Hitler, der Albert Speer jun. den Kopf tätschelt, erscheinen anschließend in den Zeitungen des Reichs (99).
Nach der Verhaftung 1945 reißt der Kontakt von Speer zu seiner Familie nicht ab. Ganz im Gegenteil nimmt der Vater regen Anteil am Leben seiner Kinder. Das Verhältnis ist zwar sehr sachlich, distanziert, was aber nicht an politischen Meinungsverschiedenheiten liegt – denn darüber wird nicht berichtet und Speer berichtet in seinem Tagebuch auf über 660 Seiten über ausnahmslos alles –, sondern am patriarchalen Rollenverständnis des Vaters. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Kinder wegen ihrem Vater in Konflikt mit ihrer Umwelt geraten. So zieht die Familie Speer 1947 in das Haus der Großeltern väterlicherseits in Heidelberg und wird „überall mit Sympathie behandelt.“ (101)
Das Schulzeugnis von Albert jun. wird ins Gefängnis geschickt (93), ein anders Mal sind es Laubsägearbeiten von Albert, die seinen Vater zu Weihnachten beglücken (52),1952 schreiben Albert und die Tochter Hilde ihrem Vater stolz über ihren ersten Ballabend. „Sie haben bis vier Uhr morgens gebummelt. Ihr Brief strömt über von Glück und Erwartungsgefühlen. Sie haben das Leben wirklich noch vor sich.“ (275) Damit sie sein Erbe fortsetzen können, stellt er aus seinem Vermögen für jedes Kind 60.000 DM zur Verfügung und weist an, dass sie davon studieren sollen. (346). Albert besucht seinen Vater ein paar Mal im Gefängnis (die Besuchszeiten sind recht eingeschränkt). Mit 18 Jahren ist Albert sehr erregt, dass er seinen Vater sehen darf (348), mit 26 Jahren drückt Albert seinem Vater entgegen der Gefängnisordnung herzlich die Hand (548). Drei seiner Kinder spielen 1954 für ihren Vater eine Schallplatte ein – Albert betätigt sich dabei als Cellist (406). Der Vater kauft seinen Kindern einen Dackel, lässt sich die Fotos schicken und bedenkt das Vieh zu Weihnachten mit einer Wurst, wovon die Kinder wiederum freudig berichten (367, 396, 407). Im Januar 1960 notiert der Vater im Tagebuch nach einem Besuch von Albert: „Wir behandelten seine Studienprobleme; er will Architekt werden. Bevor wir uns privaten Dingen zuwenden konnten, war die halbe Stunde vorbei.“ (520) Studienprobleme scheint es allerdings nicht zu geben, denn schon im November 1960 gratuliert der Vater seinen Sohn bei einem erneuten Besuch zur Erlangung des Diploms (534). Dann geht es Schlag auf Schlag: 1962 gewinnt Albert jun. seinen ersten Architekturwettbewerb und der Vater nimmt es stolz zur Kenntnis (567). Weitere berufliche Erfolge übermittelt Albert teilweise im Monatsrhythmus seinem Vater telegrafisch (652, 646, 653). Nach der Entlassung zieht sich die gesamte Familie für 14 Tage auf ein Landhaus in Schleswig-Holstein zurück. Alle verzweifelten Bemühungen, ihren Vater vor Ablauf der Haftstrafe von 20 Jahren freizubekommen, haben trotz Petition der Heidelberger Bürger, trotz der vom Auswärtigen Amt finanzierten Reise der Ehefrau nach Moskau, trotz dem Vorsprechen von Tochter Hilde bei allen wichtigen deutschen und ausländischen Politikern und sonstigen Honoratioren, trotz des volksgemeinschaftlichen Engagements quer durch Deutschland nichts genutzt. Doch nun weilt der Vater wieder unter ihnen und schaut, wie sie sein Vermächtnis an die Nachwelt, ausgesprochen im Schlusswort beim Nürnberger Prozess, erfüllen: „Wertvolle Menschen lassen sich nicht zur Verzweiflung treiben. Sie werden neue, bleibende Werke schaffen, und unter dem ungeheueren Druck, der auf allen lastet, werden diese Werke von besonderer Größe sein.“(21) Es lässt sich ohne Abstriche behaupten, dass Albert Speer jun. diesen Anspruch aufs mustergültigste eingelöst hat.

Albert Speer jun.(22) 

Die Geschichte seines Vaters ist für den Sohn keine Peinlichkeit, sondern eine ehrbare Tradition, an die es sich lohnt anzuknüpfen. Er nennt sein Büro “Albert Speer & Partner”(23), obwohl dieser Name unauslöschlich im Gedächtnis aller Opfer des Nationalsozialismus eingebrannt bleibt. Da es jedoch kaum Überlebende des Holocaust und der Zwangsarbeit gibt, dafür um so mehr Deutsche, denen der Name Speer nach 1945 noch vertrauter ist als davor, scheint es nur logisch, seine Firma so zu nennen.
Ansonsten mag sich Speer jun. mit seiner Familiengeschichte nicht beschäftigen. Obwohl es auf der Hand liegt, sich – wenn schon nicht aus biografischen Gründen, so doch aus fachlichen – mit den Arbeiten seines Vaters zu beschäftigen, findet sich bei Albert Speer nichts davon. Ganz im Gegenteil: Als größte architektonische Sünden seit 1937 (!) benennt er nicht etwa die Arbeiten seines Vaters, sondern die 60er-Jahre Visionen von der „autogerechten Stadt“, „Wohnmaschinen“, „Wiederaufbau mit Hochhäusern“, „Hauptbahnhofsüberdachungen“ (13)(24). Ganz im Zeittrend macht der Sohn nämlich auf Ökologie, nachhaltige Stadtplanung und partizipative Demokratie; seine Visionen sind aber genauso umfassend und großspurig wie die seines Vaters – er gilt also nicht umsonst als einer der berühmtesten deutschen Architekten. Er baut in Saudi-Arabien und Algerien, konzipierte die Expo 2000 und entwickelte die Bewerbungskonzepte für die Frankfurter, Berliner und nun auch die Leipziger Olympia-Bewerbung.(25)
Das ist zwar alles nicht ökologisch, nachhaltig und bürgernah – aber Speer versteht darunter auch etwas anderes. Seine Ökologie mündet im Lamentieren über die “Amerikanisierung” der Stadtplanung (117), die mehr Bausubstanz zerstört habe als der Zweite Weltkrieg (66)(26). Unter Nachhaltigkeit versteht er eine Bauweise, die die Armut „gerecht“ verwaltet und die sich den vermeintlichen traditionellen Lebensweisen der örtlichen Bevölkerung anpasst – und mögen sie noch so reaktionär sein. An einem Hotel in der Elfenbeinküste kritisiert er den Stromverbrauch, der so hoch sei wie der einer ganzen Provinz – ihn stört weder die Unterversorgung der Provinz noch die Verschwendung im Hotel, sondern nur das Missverhältnis zwischen den beiden innerhalb eines Landes (67). Er belächelt saudi-arabische Architekten, die der westlichen Bauweise nacheifern wollten und deswegen die separaten Treppenaufgänge für Frauen vergaßen. Die „Wohnhochhäuser nach westlichen Vorbild ... widersprechen den Lebensbedingungen der Saudis, abgesehen davon, daß ihre komplizierten technischen Einrichtungen wie Lifte und Wasserversorgung auf die Dauer kaum zu unterhalten sind.“ (66) So was könnte ihm, dem völkischen Experten, nicht passieren. Er hat nämlich von seinem Vater nicht nur gelernt, dass die islamistische Moral wichtiger als das Grundrecht auf Wasser ist, sondern auch folgendes: „Mit der kritiklosen Übernahme europäischer und amerikanischer Bauformen wird in den Entwicklungsländern kulturelles Erbe vernichtet. Das aus den heimischen Bedingungen ‘gewachsene’ Bauen ... ist überall in der Welt in höchster Gefahr. ... ganze Anlagen werden abgerissen. Es gehört keine prophetische Gabe dazu, wenn man voraussagt, daß die nächsten Generationen in den Entwicklungsländern allen denen, die heute bedingungs- und bedenkenlos ‘westliche’ Bauformen ohne Rücksicht auf die Konsequenzen kopieren, eine Todsünde wider ihre Kultur und ihre Geschichte und somit wider ihren nationalen Stolz ankreiden werden. ... Uniformität unterdrückt die Identität von Stadtbewohnern. Wo die Städte vor noch gar nicht langer Zeit unverwechselbar waren, breitet sich heute eine überall ähnliche Mischung unterschiedlichster Stile und Elemente aus, geht der ureigene Charakter verloren. ... In den Entwicklungsländern verhindern die örtlichen, westlich ausgebildeten Baubürokratien immer wieder den Ansatz zu einem eigenen, sich auf lokale Baumaterialien und überliefertes Handwerk stützenden Wohnungsbau. ... In den Entwicklungsländern, mehr noch als bei uns, plant man immer wieder Übertriebenes, um nicht zu sagen Größenwahnsinniges. ... Wenn dort nicht rechtzeitig und auf die Bedürfnisse bezogen geplant und gebaut wird, entstehen Krisenherde, die detonieren können wie Bomben.“ (65-70) In dieser schon 1980 im Auftrag der Bundesregierung erstellten Studie zum Thema „Entwicklungshilfe durch Planen und Bauen – aber wie?“ verschmilzt Speer die Gedankenwelt seines Vaters mit den neuen und prophetisch klingenden Anforderungen an die deutsche Außenpolitik. „Die Bundesrepublik Deutschland muß in den nächsten Jahren in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens, eine Botschaft bauen. Gerade in diesem Land, das Öl im Überfluß hat, könnte mit neuen Baumethoden und Materialien sowie durch Ausnutzung der Sonnenenergie eine Art Markstein gesetzt werden, der große Multiplikatorwirkung erzielt. Der Begriff der ‘Repräsentation’ kann da zusätzlichen, neuen Inhalt gewinnen.“ (70).
Der selbsternannte Experte der Gesellschaft für bedrohte Bauweisen, der mit den Bomben in der Dritten Welt droht, um sich selbst mehr Aufträge zuzuschanzen, bei denen zwar nicht an Geld, Strom und Wasser(27), aber eben auch nicht an getrennten Treppenaufgängen gespart wird, sorgt sich– ganz im Sinne seines Vaters – um die Vielfalt und Einzigartigkeit deutscher Städte. „Lebensqualität besteht ... auch aus der Qualität und Vielfältigkeit der gebauten Umwelt. ... Stadtgestaltung bedingt die Auseinandersetzung mit örtlichen Besonderheiten.“ (79) Zu verhindern sei „das weitere Hineinfressen der Städte in die Landschaft“, um das drohende „Auseinanderfallen der Funktionszusammenhänge“ und „die Zerstörung der Struktur der Innenstädte“ (117) aufzuhalten. Er bezeichnet diese Entwicklung als „Amerikanisierung“ und hält dagegen: „Die Innenstadt verkörpert im wesentlichen das Ambiente und die Identität einer Stadt. Dies muß sich sowohl in der baulichen wie auch in der funktionalen Ausprägung nach außen darstellen. Baulich bedeutet dies, daß man sich nicht am ‘Einheitsbrei’ der austauschbaren westdeutschen Fußgängerzonen-Innenstädte orientieren soll, sondern eigenen Charakter, eigene Architektur, eigene Gestalt entwickeln muß.“ (118). Speer schrieb dies alles 1991 in der F.A.Z. in Bezug auf Leipzig und wurde dann mit der Neugestaltung der gesamten Prager Straße belohnt. Es ist zwar unklar, was der Charakter der Stadt Leipzig sein soll bzw. ob eine Stadt überhaupt einen Charakter haben kann, die Prager Straße – eine der hässlichsten und imperialisten Straßen der Stadt – aber als Ausdruck genau dessen zu bezeichnen, ist eine Unverschämtheit. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Albert Speer im gleichen Beitrag der DDR-Architektur vorwarf, zu „gesichts- und geschichtslosen Innenstädten geführt“ zu haben, „die hauptsächlich geprägt sind durch maßstablose Gebäude, riesige, leere Verkehrsflächen und mit Blumenrabatten dekorierte öffentliche Räume“, wo der Mensch „orientierungslos ... in immer ähnlich aussehenden Innenstadtfragmenten“ bzw. in der „menschenverachtenden Leere“ verloren sei (116). Die „menschenverachtende Leere“ allerdings geht heute allein auf das Konto von Albert Speer. Er beriet nämlich die Stadt 1992 und prophezeite ihr, dass sie viel mehr Büroräume bräuchte (127) – woraufhin er verteilt im gesamten Stadtgebiet seine vom Vater so geschmähten Hochhäuser hinsetzen durfte. Aber irren ist menschlich. Unmenschlich hingegen sind die Aktiengesellschaften. „Die Investorenpersönlichkeit, die selbst bereit ist, Risiko zu tragen und zu entscheiden, wird abgelöst von anonymen Geldverwaltungsgesellschaften, die sich in Unflexibilität und fehlender Entscheidungsfreude immer mehr dem Verhalten öffentlicher Verwaltung annähern.“ (99) Speer wettert gegen die „aufgeblähte Verwaltungsbürokratie ... Ressortegoismen, Grabenkriege zwischen Dezernaten, ... Atomisierung der Verantwortlichkeiten, ... ständige Bedenkenträger, neue, immer perfektere Vorschriften und Gesetze in einem nicht mehr zu durchschauenden Ausmaß“. Er hat die Demokratie mächtig satt, da sie die innovative Stadtplanung nur behindere. „Die Vertrauenskrise zwischen Bürger und Rathaus ist längst Tatsache.“ (99) Der Ruf nach einem neuen Führer? Nein: Speer fordert vielmehr mehr Bürgerbeteiligung und Fachverstand durch Experten wie ihn, statt Politik und Bürokratie (77). Albert Speer trat zwar in beruflicher wie in ideologischer Hinsicht in die Fußstapfen seines Vaters, aber er ist kein Nazi. Das liegt wohl eher an der von beiden stets beklagten „Amerikanisierung“ Deutschlands, als an einer kritischen Auseinandersetzung des Sohns mit seinem Vater. Unter den geänderten Bedingungen konnte der Nachfolger nur kleine Schritte machen – und hat sich nun aber zu einem der wichtigsten Architekten hochgearbeitet. Sein Vater würde nicht alles gut finden, was der Sohn gebaut hat – aber es ist ganz in seinem Sinne. Noch ist der größte Menschheitsfeind für den jungen Speer nur der Lärm in den Großstädten(28) und das drängenste Problem das „Fremdparken auf Gehwegen“ (113), sprich die urbane Lebensqualität für die Bürger. Es steckt aber gewiss noch mehr in ihm – und wir werden davon hören.

Vater und Sohn II – Die Erfüllung

„Jene Gebiete [die Ostprovinzen des Deutschen Reichs] waren doch auch in kultureller, handelspolitischer und allgemeinpsychologischer Hinsicht die Verbindung Deutschlands mit Rußland sowie überhaupt mit dem Osten. ... Der Osten Deutschlands war das große Durchgangstor zwischen westlichem und östlichen Geist. Das ist nun nicht mehr.“
Albert Speer sen. (1954)(29)

„Die Aufhebung der politischen Zwangsgrenzen im Osten macht erneut deutlich, daß Deutschland in der Mitte Europas liegt, mit entscheidenden geographischen Standortvorteilen für die wachsenden internationale Verflechtung und Zusammenarbeit.“
Albert Speer jun. (1989)(30)

Ausklang

Speer jun. ist so borniert, nationalistisch und gefährlich wie wohl fast alle anderen seiner Zunft in Deutschland. Der eigentliche Skandal liegt also nicht darin, dass Albert Speer jun. wie sein Vater Architekt geworden ist. Auch nicht darin, dass er die Olympiade 2012 nicht nur architektonisch gestalten will – auch wenn das nicht gerade von seinem Geschichtsbewusstsein zeugt. Untragbar wird Speer allerdings aufgrund seines völlig unkritischen Verhältnisses zu seinem Vater. Er hat in persönlicher und ideologischer Hinsicht nie den Bruch mit seinem Vater und seiner eigenen Kindheit vollzogen.
Der eigentliche Skandal liegt jedoch darin, dass die Stadt Leipzig Albert Speer beauftragt, als sei nichts gewesen. Sie hält es nicht einmal für nötig, zu den auf der Hand liegenden Parallelen – Architekt Olympia 1936 in Berlin: Albert Speer, Architekt Olympia 2012 in Leipzig: Albert Speer – Stellung zu nehmen. Nicht nur die Täter des Dritten Reiches, sondern auch die wenigen noch lebenden Opfer können sich daran erinnern, wie Adolf Hitler dem 8-jährigen Speer über den Kopf streichelt und das Foto als Beweis für Hitlers Kinderliebe in allen Zeitungen des Reiches erschien.
Es ist zu betonen, dass auch ein anderer deutscher Architekt keinen Ausweg aus dem Dilemma geboten hätte. Denn diese Vergangenheit teilen wir alle, wenn auch nicht alle so prominent und so unverblümt unkritisch wie die beiden Speers. Deswegen kann auch die einzige Forderung nur lauten: Nie wieder Olympia in Deutschland.

Anti-Speer-Speerspitze im AOK, 02.03.2004
http://www.nein-zu-olympia.de

Fußnoten

(1) Albert Speer: Spandauer Tagebücher, Propyläen: 1975, S. 616
(2) Albert Speer: Die intelligente Stadt, DVA: 1992, S. 66, 79
(3) http://www.nein-zu-olympia.de. Dort ist auch das Flugblatt dokumentiert, was bei der Veranstaltung auf der Messe verteilt wurde (http://www.nein-zu-olympia.de/html/texte/flugi200204.htm).
(4) Dass der gleichnamige Sohn von Albert Speer, der mit der Namensgebung seiner Firma seinem Vater huldigt, von der Stadt Leipzig mit den Olympiaplanungen beauftragt wurde, ist in Leipzig seit mehreren Jahren allgemein bekannt. (siehe z.B.: Jungle World 28/2001)
(5) Der Nürnberger Prozeß, Digitale Bibliothek 1999, S. 81
(6) Alle folgenden Seitenangaben beziehen sich – sofern nicht anders angegeben – auf die Spandauer Tagebücher. Schon in diesen Tagebüchern entlarvt sich Speer selbst genügend. Allerdings ergibt ein Abgleich mit weiteren Dokumenten über Speer und seinen Aussagen vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, dass selbst da, wo es in den Spandauer Tagebüchern nicht herauszulesen ist, Speer lügt, verdrängt und verharmlost. Nicht trotz, sondern gerade deswegen gelten die Tagebücher heute in Deutschland als wichtige Quelle über das Dritte Reich, fehlen in keiner Bibliothek – mag sich auch noch so klein sein – und werden auf diversen Internetseiten wärmstens empfohlen. Ein Abgleich der Tagebücher mit anderen Quellen wird in diesem Text aus Zeit- und Platzgründen nicht vorgenommen.
(7) Otto Köhler: Wirkliche Verbrecher: Der gute Nazi. Konkret Nr. 10/1997, S. 60
(8) Nach Auswertung der Protokolle der Nürnberger Prozesse kommt Jörg Friedrich (ja, genau der, der inzwischen erkannt hat, dass es erfolgversprechender ist, für die Deutschen zu schreiben) zu dem Schluss, dass Speer der „Pionier der deutschen Vergangenheitsbewältigung“ ist: „Die geteilte Verantwortung hat auch ein geteiltes Resultat: Im persönlichen Sektor ist niemals Schuld zu finden. Die Gesamtverantwortung, weil man dabei oder dafür gewesen war, wird nobel akzeptiert. Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Das einzige, was hier hilft, ist tätige Reue...“ (Jörg Friedrich: Die kalte Amnestie. NS-Täter in der Bundesrepublik, Piper: 1994, S. 55)
(9) Schon vor Veröffentlichung seiner Bücher ist Speer aufgrund seiner Haltung nach Dönitz, Schacht und Göring der viertbeliebteste NS-Verbrecher. 1952 gaben in einer Umfrage des Allensbacher Instituts 30% der befragten Deutschen an, dass sie von Speer eine positive Meinung hätten, nur 9% hatten eine negative. (342)
(10) Selbst in den USA kann Speer 19 Millionen seiner antiamerikanischen Spandauer Tagebücher verkaufen. (Hark Bohm: Geheim im III. Reich, konkret 03/1982, S. 105)
(11) Hitler ordnete bei Kriegsende an, die gesamte Infrastruktur in Deutschland zu zerstören, da sein Volk ihn enttäuscht und damit sein Lebensrecht verwirkt habe und um den alliierten Streitkräften nichts in die Hände zu geben.
(12) Hinzu kommt, dass der nationalsozialistische Charakter von Speers Architektur kaum hinreichend analysiert wurde. Meist ist die Rede davon, dass die unpolitische Handwerksfähigkeit und das ahistorische Kunstverständnis des Albert Speers von den Nazis missbraucht wurde. Deswegen wurden etliche Ideen von Speer nach 1989 für die Berliner Stadtplanung – z.B. die Ost-West-Achse – wieder aufgegriffen. (siehe Jungle World 04/2001 und 07/2002).
(13) Auch wenn er es etwas unter seinem Niveau findet, amerikanischen Wärtern Landhäuser zu entwerfen, wo er doch zu größerem berufen ist.
(14) Er steht über allen und beschreibt in einem arroganten Tonfall die Schwächen der Gefangenen und die „rassischen“ Eigenheiten der Wärter.
(15) So beschließt Albert Speer, dass sein Sohn Albert ein Handwerk erlernen soll, damit er nicht so vergeistigt, sondern sich mit ehrlicher Arbeit sein Geld verdienen kann. (93)
(16) Er wandert im Gefängnishof täglich mehrere Kilometer, deren Anzahl er genau notiert und stellt sich vor, einmal die Erde zu umrunden. Deswegen kann er dann davon schreiben, er wäre gerade in der sibirischen Tundra oder in Mexiko.
(17) Als solchen sieht er sich, weil es niemand anderen mit den drei wichtigen Voraussetzungen gibt: lebend, objektiv, nah genug dran.
(18) Speer ist vor allem sauer, dass Saur „mich am Ende durch dienernde Schönrednerei bei Hitler ausmanövriert hatte. ... In dem Testament, das er kurz vor seinem Tode verfasste, hat er mich dann auch als Rüstungsminister abgelöst und Saur zu meinem Nachfolger ernannt.“ Diesen Vertrauensbruch konnte Speer nicht verwinden und intrigierte seitdem mit allen Mitteln gegen Saur. (59-61)
(19) Nazi gewesen zu sein, wurde zur wichtigsten Zulassungsvoraussetzung für diese höchste Auszeichnung der BRD. Speer ging leider leer aus. Es sollte ihm posthum verliehen werden.
(20) An anderer Stelle fragt er sich: „Und welches Licht wirft das auf mich!“ (61)
(21) Die kalte Amnestie, S. 55
(22) Über den Sohn lässt sich nicht so ausgiebig berichten, da er noch nicht im Knast saß und somit seine Tagebücher nicht veröffentlicht wurden. Folgende Ausführungen stützen sich deswegen auf Interviews mit und Zeitungsartikel über Albert Speer, seine Homepage, seine Publikationsliste und sein Buch.
(23) http://www.as-p.de/
(24) Alle folgenden Seitenangaben beziehen sich – sofern nicht anders angegeben – auf Die intelligente Stadt
(25) In Frankfurt scheiterte er allerdings mit seinen Plänen – die Stadt ist einfach zu modern und pluralistisch. In Leipzig hingegen „war eine hundertprozentige Begeisterung ... vorhanden“, wie er anerkennend in einem Interview hervorhebt. („Speers Freude über Leipzigs Sieg“, Frankfurter Rundschau, 15.04.2003)
(26) Der Vater schrieb in den Tagebüchern: „Jetzt sehe ich in den Zeitungen, daß Hochhäuser nicht nur in den mittelgroßen Städten ... entstehen, sondern auch in den malerischen Städtchen in der Lüneburger Heide ... Manchmal kommt es mir so vor, als finde hier eine zweite und von eigener Hand ausgeführte Verwüstung Deutschlands statt.“ (616-617)
(27) Entgegen seiner Verlautbarungen baute er natürlich im Trikont nur repräsentative Projekte mit nationaler Relevanz: Hauptstädte (Nigeria, 1987), Botschaftsviertel (Riad, 1977-1985), Ministerien (Nigeria, 1992), gehobene Wohnviertel usw. Analog dazu seine Aufträge in Deutschland. (203-205)
(28) Während für den Vater der Kampf gegen den Lärm nur eine marginale Rolle gespielt hat. Als Leiter des Amtes „Schönheit der Arbeit“ verabschiedete er am 11. Februar 1936 einen entsprechenden Aufruf gegen den Lärm und andere unschöne Erscheinungen am Arbeitsplatz. (Manfred Overesch u.a., Das Dritte Reich, Droste, S. 260)
(29) Spandauer Tagebücher, S. 364
(30) Die intelligente Stadt, S. 168
 
 
Zuletzt geändert: 20.02.2006 | www.nein-zu-olympia.de