Nie wieder Olympia! Nie wieder Deutschland!
Und schon gar nicht mit Albert Speer als Baumeister!
Ab 1931, als Albert Speer in die NSDAP eintrat, arbeitete er sich zum Lieblingsarchitekten der Partei hoch: Er bekam nicht nur alle Privataufträge der NSDAP-Kader, sondern war für die architektonische Inszenierung des Dritten Reiches der Hauptverantwortliche. Alle wichtigen Gebäude dieser Zeit - so z.B. die Olympia-Bauten in Berlin (1936) - wurden von ihm entworfen bzw. entstanden in seinem Verantwortungsbereich als Generalbauinspektor. In dieser Eigenschaft war er auch für die Verteilung von "arisierten" Wohnungen zuständig. Ab 1942 wird Speer Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion und intensiviert den Einsatz von ZwangsarbeiterInnen in der deutschen (Rüstungs-)Industrie.
Obwohl er also im Dritten Reich einen der wichtigsten und höchsten Posten inne hat, tut das seiner Karriere nach 1945 keinen Abbruch - ganz im Gegenteil: sie nimmt eine überraschende Wendung. Beim Nürnberger Kriegsverbrechertribunal gesteht er als Einziger eine gewisse, ganz allgemein gehaltene Schuld ein. Zwar sei er - als völlig unpolitischer Mensch, der nur Freude an der Architektur gehabt habe - gegen seinen Willen und ohne sein Wissen in den Nationalsozialismus verstrickt gewesen, persönliche Vergehen könnten ihm aber nicht vorgeworfen werden. So versucht er aus der Haft heraus Dokumente vernichten zu lassen, die beweisen, dass er den Befehl zur Deportation zehntausender Berliner Jüdinnen und Juden erteilte. Daraufhin kann er ganz unverschämt öffentlich verkünden: "Auch bei strengster Selbstforschung muß ich sagen, dass ich kein Antisemit war. Auch ansatzweise nicht."
Albert Speer wird auf diese Art und Weise - im Gegensatz zu seinen Mitangeklagten, die nicht abschwören und deswegen nur als Vorbild ewiggestriger Neonazis taugen - zum Miterfinder der deutschen Schuldabwehr. Schon 1966 wird er aus der Haft entlassen. Willy Brandt schickt ihm Blumen. So prominente Unterstützung hat Speer allerdings gar nicht nötig. Er veröffentlich seine Autobiografie ("Erinnerungen") und später seine geheimen Aufzeichnungen aus dem Gefängnis ("Spandauer Tagebücher"). Mit diesen beiden Büchern wird er zum Liebling fast aller Deutschen. Denn so wie Speer blicken auch sie auf ihre Vergangenheit. Sie bedauern die Niederlage, an der Hitler schuld war, fühlen sich als Opfer der Verhältnisse und von den Alliierten zu Unrecht bestraft. Sie haben vom Holocaust nichts geahnt oder gar gewusst. Sie sind natürlich keine Antisemiten, aber dass es die Juden erwischt hat, wird schon seinen Grund gehabt haben. Völlig grundlos hingegen wurden sie, die Deutschen, aber bombardiert.
Diese Gefühle bedient Speer hervorragend mit seiner Entlastungsliteratur. Er beklagt die angeblich ungerechte "Siegerjustiz", versucht, den Alliierten größere Verbrechen gegen die Deutschen nachzuweisen und projiziert alle Verbrechen des Dritten Reiches auf Hitler, von dem er aber auch gleichzeitig ein liebevolles Portrait zeichnet. Sein Fazit: Ein armer Verrückter hat die noch ärmeren und grundehrlichen Deutschen ins Verderben geführt. Speers Bücher avancieren zu Bestellern und verkaufen sich millionenfach. Er betätigt sich aber nicht nur als Literat, sondern wird einer der wichtigsten Entlastungszeugen bei weiteren Verbrechen gegen Funktionäre des Dritten Reiches. Wohlwollende Biografien erscheinen über Speer, sein Leben wird verfilmt. Wie so viele andere Verbrecher genoss er bis zu seinem Tod 1981 seinen beschaulichen Lebensabend in Deutschland. Seine Architektur wird bis heute in Ehren gehalten und unterliegt vielerorts dem Denkmalschutz - auch wenn sie als etwas "großspurig" gilt. Für andere Erfindungen, z.B. die Lichtinszenierungen, wird Speer bis heute als Avantgardist geehrt.
Sein gleichnamiger Sohn beginnt in den 60er Jahren mit seiner Karriere und tritt - zumindest fachlich - in die Fußstapfen seines Vaters. Von den Verbrechen seines Vater scheint er nicht irritiert zu sein: Stolz telegrafiert er ihm jedes Mal ins Gefängnis, wenn er einen Architekturwettbewerb gewonnen hat. Die Geschichte seines Vaters ist für den Sohn keine Peinlichkeit, sondern eine ehrbare Tradition, an die es sich lohnt anzuknüpfen. Er nennt sein Büro "Albert Speer & Partner", obwohl dieser Name unauslöschlich im Gedächtnis aller Opfer des Nationalsozialismus eingebrannt bleibt. Da es jedoch kaum Überlebende des Holocaust und der Zwangsarbeit gibt, dafür um so mehr Deutsche, denen der Name Speer nach 1945 noch vertrauter ist als davor, scheint es nur logisch, seine Firma so zu nennen.
Ansonsten mag sich Speer jun. mit seiner Familiengeschichte nicht beschäftigen. Diesbezügliche Fragen wehrt er unwirsch ab. Selbst benennt er als größte architektonische Sünde seit 1937 nicht etwa die Arbeiten seines Vaters, sondern die 60er-Jahre Visionen von der autogerechten Stadt. Ganz im Zeittrend macht der Sohn nämlich auf Ökologie, nachhaltige Stadtplanung und partizipative Demokratie; seine Visionen sind aber genauso umfassend und großspurig wie die seines Vaters - er gilt also nicht umsonst als einer der berühmtesten deutschen Architekten. Er baut in Saudi-Arabien und Algerien, konzipierte die Expo 2000 und entwickelte die Bewerbungskonzepte für die Frankfurter, Berliner und nun auch die Leipziger Olympia-Bewerbung.
Das ist zwar alles nicht ökologisch, nachhaltig und bürgernah - aber Speer versteht darunter auch etwas anderes. Seine Ökologie mündet im Lamentieren über die "Amerikanisierung" der Stadtplanung, die mehr Bausubstanz zerstört habe als der Zweite Weltkrieg. Unter Nachhaltigkeit versteht er eine Bauweise, die sich den vermeintlichen traditionellen Lebensweisen der örtlichen Bevölkerung anpasst - und mögen sie noch so reaktionär sein. So belächelt er saudi-arabische Architekten, die der westlichen Bauweise nacheifern wollten und deswegen die separaten Treppenaufgänge für Frauen vergaßen. So was könnte ihm, dem völkischen Experten, nicht passieren. Und Bürgernähe beweist Speer heute, wo er von oben herab dem dummen Volk seine Visionen verkündet. Visionen, die nichts Gutes für Leipzig verheißen: Er drohte an, aus ganz Leipzig ein olympisches Dorf zu machen. Dummes Volk, weil bislang nur er weiß, was das dann bedeutet. Er hat nämlich in Leipzig u.a. die Prager Straße verbrochen. An der DDR-Architektur bemängelte er einst die "Gesichts- & geschichtslosen Innenstädte", in denen "der Mensch orientierungslos" und einer "menschenverachtenden Leere" ausgesetzt sei. Seine eigenen Arbeiten sind jedoch in ästhetischer Hinsicht keinen Deut besser - wie unschwer zu erkennen ist, wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht.
Dass die Beauftragung von Speer für die geplante Olympiade 2012 durch die Stadt Leipzig nicht mit rechten Dingen zuging, braucht bei den ganzen Stasi- und Korruptionsskandalen wohl nicht weiter erwähnt werden. Ist auch nicht weiter schlimm, denn Speer jun. ist so borniert, nationalistisch und gefährlich wie wohl fast alle anderen seiner Zunft in Deutschland.
Der eigentliche Skandal liegt also nicht darin, dass Albert Speer jun. wie sein Vater Architekt geworden ist. Auch nicht darin, dass er die Olympiade 2012 nicht nur architektonisch gestalten will - auch wenn das nicht gerade von seinem Geschichtsbewusstsein zeugt. Der Skandal liegt darin, dass die Stadt Leipzig Albert Speer beauftragt, als sei nichts gewesen. Sie hält es nicht einmal für nötig, zu den auf der Hand liegenden Parallelen - Architekt Olympia 1936 in Berlin: Albert Speer, Architekt Olympia 2012 in Leipzig: Albert Speer - Stellung zu nehmen. Es ist zu betonen, dass auch ein anderer deutscher Architekt keinen Ausweg aus dem Dilemma geboten hätte. Denn diese Vergangenheit teilen wir alle, wenn auch nicht alle so prominent und so unverblümt unkritisch wie die beiden Speers.
Deswegen kann auch die einzige Forderung nur lauten: Nie wieder Olympia in Deutschland.
Warum wir - das Antiolympische Komitee - darüber hinaus grundsätzlich gegen Olympia sind, auch in jedem anderen Land, kann auf unserer Homepage www.nein-zu-olympia.de nachgelesen werden.
TOP
|