C: Sport/Funktion/Nationalismus
Wenn man die Entwicklung des Sports als
gesellschaftlichen Teilbereich näher betrachtet, stellt man fest, dass er
aus seiner Entstehungsgeschichte heraus ein eher jüngeres Phänomen
darstellt, dessen bedeutender politischer Einfluss auf die Gesellschaft - im
Gegensatz zur sozial-formenden Komponente - immer wieder negiert wird. Diese
falsche Akzentuierung lässt sich durch die Untersuchung der Ursachen
für die Herausbildung sowie durch eine Analyse der heutigen Funktion des
Sports zweifellos widerlegen.
Der Sport ist an sich so mit der Gesellschaft verwoben, dass jede/r Sportler/in
in soziale, ökonomische und politische Prozesse eingebettet ist. Damit
werden über die Körpererziehung gesellschaftlich inhärente
Erscheinungen wie Nationalgefühl übermittelt, aber auch soziale
Verhältnisse z.B. das der Geschlechter reproduziert. Letzten Endes ist man
natürlich auch in ein soziales Gefüge (z.B. in einem Verein)
eingegliedert, in dem von klein auf die Entwicklung hin zu einem bestimmten
Individuum, welches stets im Konkurrenzkampf seine Leistungen präsentieren
soll, gefördert wird.
Der folgende Text befaßt sich sowohl mit Sport und seiner
nationalistischen Ausprägung im Allgemeinen als auch mit Olympia im
Besonderen. Im Mittelpunkt steht zu Beginn der Sport als Bürgerliche
Erfindung, der seinen ersten Höhepunkt mit der Neuinszenierung des
antiken Mythos Olympia Ende des 19. Jahrhunderts findet. Weitergehend sollen
die Funktion innerhalb des Nationalsozialismus beleuchtet und damit
zusammenhängende Kontinui-täten aufgezeigt werden. Da auch der Sport
im Laufe der Zeit einem Wandel unterzogen worden ist, wird anschließend
versucht, die aktuellen Funktionen für den heutigen Staat zu untersuchen,
wobei zumeist die Entwicklungen in Deutschland beispielgebend seien sollen.
Der moderne Sport
Den Beginn der sportlichen Betätigung, wie wir sie heute verstehen - also
zum einen die Ausdifferenzierung in die verschiedenen Teildisziplinen und zum
anderen der Charakter eines Wettstreits - ist Mitte des 18. Jahrhunderts zu
verorten. Dabei stellte der Sport zunächst eine rein elitäre
Angelegenheit dar, die in England ihre Wurzeln hatte.
Die Sportler (und es waren wirklich nur Männer) verkörperten anfangs
Vorbilder, die Ausdruck dessen sein sollten, was der Nation inne
wohnt - Sport war eine reine Offenbarung dessen: die Präsentation
der moralischen und körperlichen Fähigkeiten. Die Masse war lange
Zeit nur Zuschauer, teilweise sogar von den Sportler und Sportideologen
verhasst, da als unzähmbares Volk wahrgenommen. Aber sie sollten die
Normen und Traditionen, d.h. Moral, Mut, Kühnheit, Bestimmtheit und
natürlich auch Eigendisziplin von ihren Vorbildern übernehmen.
Die Entwicklung, die eine kapitalistische Durchdringung aller Lebensbereiche
und damit ein fortschreitendes Konkurrenzverhalten auf allen Ebenen bewirkte,
förderte dadurch kontinuierliches Training, die Reglementierung der
Wettkampfbedingungen sowie den Aufbau eines Wettkampfwesen. Die entstandenen
ersten Formen des Spitzensport waren natürlich nicht mit den heutigen
Leistungen vergleichbar, aber die Sportler stiegen durch den größer
werdendem Ruhm zu Helden der Nation auf.
Erst im 19. Jahrhundert wurde im Zuge der Verbesserung der Lebensstandards der
proletarischen Bevölkerung in den englischen Industriestädten der
Sport praktizierbar und explodierte seit dem zu einer Massenbewegung. Ausdruck
dessen ist auch die sich entwickelnde Arbeitersportbewegung, die sich teilweise
gegen die militärischen und leistungs-orienten Praktiken wehrte und nur
ihre Aufgabe in dem Aus-gleich zum Arbeitstag sah.
Auch im restlichen Europa schuf mit der Hochkonjunktur der 1880er Jahre die
materielle Voraussetzungen für den modernen Sport, wobei es zu ersten
Meisterschaften und zur Gründung von Vereinen kam. Generell betrachtet
(und diese Entwicklung hat bis heute Bestand), existieren in allen Ländern
trotz der allgemeinen Ausbreitung des Sports verschiedene Sportarten für
unterschiedliche gesellschaftliche Schichten.
Der Turner ist der Bürger mit dem Gewehr bei Fuß, der
mobilisierte Soldat zu Friedenszeiten
In Deutschland setzte sich der Sport nur langsam durch. Stattdessen entwickelte
sich, in Abgrenzung zu allen anderen Staaten und vorangetrieben durch den
Gründungsvater Friedrich Ludwig Jahn, seit 1811 eine dominante
Turnbewegung, die konträr zum Sport stand und ihn als solches ablehnte.
Das Turnen als Bewegung war mehr als nur die körperliche
Ertüchtigung, denn alle Handlungen wurden immer zugleich einem dominanten
Gemeinschaftspathos untergeordnet, der den Patriotismus zum Ziel hatte.
Sämtliche Mitglieder waren in einer bündische Form der
Organisationskultur eingebunden, die an jene der Burschenschaften erinnerte,
wobei die besondere humane und moralische Bedeutung, die dem Turnen und seiner
gemeinschaftsverpflichteten Funktion zukommen sollte, betont wurde. So
fühlte man sich für die Umsetzung der nationalen Ziele des deutschen
Volkes stets verantwortlich. Das Turnen konstituierte sich also nicht mit dem
Ziel einer Sportlichen Bewegung - die Übungen waren vielmehr
der moralischen Erziehung untergeordnet und auch nur zugelassen, solange sie
der Gemeinschaft dienlich waren.
Jahn verfasste eine Art Leibeserziehung, die im Grunde eine militärische
Ausbildung für Zivilisten war: Die Akzeptanz der sportlichen Regeln und
das Erlernen von Selbstbeherrschung und Hörigkeit gegenüber dem
Trainer oder eben auch Offizier sollte einen tüchtigen Soldaten formen,
ausgedrückt durch den damaligen Leitspruch: sich selbst zu
beherrschen, um andere zu beherrschen.
Die Frauen wurden von diesen Aktivitäten nahezu ausgeschlossen, denn nur
ein paar Übungen, die eher an Kinderspiele erinnerten, erlaubte man ihnen.
Von Anbeginn stellte das Turnen eine chauvinistische Angelegenheit dar, um der
verweichlichten Erziehung etwas entgegenzusetzen. Da Jahn dieses
spezifische System zur Nationalerziehung, Volkstumspflege und Wehrerziehung als
Reaktion auf die französische Fremdherrschaft einführte, hatte dieses
eine solch entschiedene Bedeutung inne, dass man ihm einen Beitrag zur
Gründung des deutschen Reiches 1871 zuschreibt.
Der Sport, der sich in starkem Maße in England, aber auch in ganz Europa
auszubreiten begann, wurde als undeutsch und fremdländisch charakterisiert
und als eine Dekadenzerscheinung aufgefaßt. Sittlichkeit und
Tugend ließen sich damit nicht übermitteln, da es zu einer
schrankenlosen Auslebung der Persönlichkeit kommt.
Die Kritik des Sports richtete sich aber nicht nur gegen der Spezialisierung
sowie der Leistungs- und Wettkampforientierung, sondern war zugleich auch
ideologisch verwurzelt: Man lehnte eine Gesellschaft aus Individuen mit einer
republikanischen Verfassung ab und bevorzugte eine Volksgemeinschaft, die
für die Erhaltung einer deutsch-völkischen Einheit zuständig
war. Man kann also resümieren, dass ein großer Unterschied in der
Moral des Turnens und des Sportes besteht. Während ersteres von Anbeginn
an den Staat gebunden und gleichzeitig unterwürfig war, stand beim Sport
das eigene Vergnügen im Mittelpunkt.
Der Sport konnte sich in Deutschland erst wesentlich später als in
Rest-Europa durchsetzen und sich als Nebenströmung zum Turnen etablieren.
Demnach folgte 1896 als logische Konsequenz der Verzicht des deutschen Reiches
auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen.
Einen ersten Aufwind konnte der Sport erst zu Zeiten der Weimarer Republik
verzeichnen. Zahlreiche Turnvereine wandelten sich zu Arbeitersportvereine.
Doch bis das Turnen endgültig seine Dominanz verliert, sollte es noch
mehrere Jahr dauern.
Der Fußball löste in der Bevölkerung so weitreichende
Begeisterung aus, dass es bei Spielen in den Stadien aufgrund der zahlreichen
BesucherInnen beinahe zu Ausschreitungen kam. In dieser Zeit nach dem ersten
Weltkrieg, die von vielen Wirren bestimmt war, bot der Sport mit seinen
einfachen Kategorien von Sieg und Niederlage die passende Ablenkung und
zugleich ein Mittel, das Nationalgefühl, welches vor allem durch die
Niederlage im Krieg und den Versailler Vertrag beschädigt war, zu
befriedigen. Ein Sieg gegen den Erzfeind Frankreich konnte so manche Wunde
heilen. Sebastian Haffner beschrieb in seinem Buch Geschichte eines
Deutschen den Sport als deutschen Massenwahn und zeigte die
Ähnlichkeit, die beide Erscheinungen - Krieg und Sport -
für die Gesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen in Deutschland
hatten, auf: Die Sportberichte spielten eine Rolle wie vor zehn Jahren
die Heeresberichte, und was damals Gefangenenzahlen und Beuteziffern waren, das
waren jetzt Rekorde und Rennzeiten.
Zwar diente der Sport für die Massen nicht vorrangig zur kriegerischen
Befriedigung, sondern eher zur Herausbildung der nationalen Identität und
Tugenden, aber wie Haffner treffend fortfährt: Es fiel ihnen
nicht auf, [gemeint ist die Linke, die die Übungen als Abreagieren
kriegerischen Instinkte positiv bewertete; Anm. des A.] dass die deutschen
Meister sich ausnahmslos schwarz-weiß-rote Schleifen ansteckten, obwohl
die Reichsfarben damals schwarz-rot-gold waren. Sie kamen nicht auf die Idee,
dass der Reiz des Kriegsspiels, die alte Figur des großen, spannenden
Wettkampf der Nationen, hier nur geübt und wachgehalten wurde.
Vor allem die Turnbewegung mit ihrem Verständnis von Körper und Volk
hatte einen entschiedenen Einfluß auf die Entstehung und spätere
Stabilisierung des Faschismus. Neben den vielen inhaltlichen Parallelen
verdeutlichen dies auch die personellen Kontinuitäten innerhalb der
Organisationsstruktur. Nach der Machtergreifung 1933 mußten
in den Spitzen der Verbände keinerlei Personen ausgetauscht oder
eliminiert werden.
Aber auch nach dem 2. Weltkrieg wurde ein Großteil der Verantwortlichen
in ihren Positionen belassen oder konnte im IOC Karriere machen. Die Liste
derer ist überaus lang.
Olympia '36 - Fest der Humanität,
ein Fest überzeitlicher Gesinnung
Nach zahlreichen Versuchen anderer Begeisterten dieser Spiele, die ihren
Ursprung als religiöse Zeremonie in der Antike hatten, schaffte es Pierre
de Coubertin 1896 erstmals, einen internationalen sportlichen Wettkampf zu
initiieren. Anfangs als Anhängsel der Weltausstellung in Paris
organisiert, wuchs Olympia aber schnell zu einem staatlich finanzierten
Ereignis, und stellt heute ein absolutes Medien- und Wirtschaftsspektakel dar.
De Coubertins Motivationen für die Durchführung der Spiele waren
ebenso von Nationalismus und einem Körperkult geprägt, der eine
rassische und darüber hinaus moralische Reinheit verfolgte. Dieses
Verständnis stellt zugleich den Ausgangspunkt für die spätere
faschistische Ästhetik dar. Er sah die Gesellschaft durch ihre Entwicklung
vor einem Zerfall, so dass Muskeln und Charakter
gestärkt werden müssen, denn sie sind für den am
notwendigsten, der die Welt erobern will. Die Olympiade verfolgte in
diesem Sinne also ein Duellieren der Nationen im Friedenszustand. Dieser
geschaffene Wettstreit ermöglichte also ein Messen der Nationen, ohne dass
dabei ein Krieg geführt werden mußte.
In der Zeit des 1. Weltkrieges fielen erstmals die Olympischen Spiele aus und
auch danach konnte Deutschland aufgrund fehlender Einladung nicht teilnehmen.
Erst im Jahre 1928 fuhr die deutsche Delegation nach Amsterdam und bereits zwei
Jahre später war man so weit rehabilitiert, dass sich das IOC bei der Wahl
des Austragungsortes der Olympischen Spiele 1936 für Berlin entschied.
Trotz der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten und die sich ergebende
Boykotthaltung (z.B. teilweise in den USA) stand das IOC - wie sich auch im
späteren zeigen sollte - hinter den Entwicklungen in Deutschland.
Die Nationalsozialisten, die vor der Übernahme der Herrschaft lauthals
gegen die internationalistische und damit undeutsche Olympiade in Berlin
gewettert hatten, erkannten schnell, dass ein solches Spektakel einerseits
einen unglaublichen Prestigegewinn bedeutete und andererseits im eigenen Land
eine Einheit der Volksgemeinschaft schüren kann.
Deshalb finanzierten Hitler und die Riege um ihn (u.a. Carl Diem -
Olympiaorganisator) den Bau neuer Stadien aus einem eigenen Führerfond und
schafften damit ein vollständig inszeniertes Ereignis, welches Clemens
Menze noch 1982 in seinem Buch Zur Einführung in die Schriften von
Carl Diem als ein Fest der Humanität, ein Fest
überzeitlicher Gesinnung beschreibt. So verfolgte die
Inszenierung - angefangen von dem erstmalig stattfindenden Fackelstaffellauf
von Griechenland nach Berlin sowie der Einklang von Architektur und die Art der
Durchführung der Wettkämpfe - die Schaffung eines neuen Mythos. Zu
dieser Konstruktion gehörte auch die verkündete Affinität
zwischen dem griechisches Volk mit seiner bedeutenden Kulturgeschichte und der
deutschen Rasse. Die vollständig mobilisierten Deutschen
präsentierten sich in zahlreichen Fahnenumzügen und Veranstaltungen
als ein einheitliches und dem Führer höriges Volk. Dass die Spiele
damals die komplette Nation in das Geschehen einbinden und soviel Begeisterung
schüren konnten, lag vor allem an der technisch-medialen Umsetzung, denn
Olympia war allgegenwärtig: In Zeitungen, Rundfunk und teilweise auch
schon Fernsehgeräten stand die Olympiade im Mittelpunkt der
Berichterstattung. Mit der erstmaligen simultanen Übertragung einzelner
Wettkämpfe konnte im ganzen Land eine Euphorie ausgelöst werden, die
zur Steigerung des Zusammenhaltes der Volksgemeinschaft führte. Auch die
SportlerInnen standen nicht mehr als Individuen im Vordergrund, sondern wurden
der deutschen Gemeinschaft untergeordnet, so dass von nun an (und bis heute)
täglich der Medaillenspiegel der Nation ausgewertet wurde. Durch den Sieg
Deutschlands im Vergleich der Länder ergab sich natürlich auch eine
Interpretation, die die Überlegenheit des Reiches gegenüber den
anderen Nationen herausstellte. Die Ästhetik des Staates
entfaltet Macht über die Körper: die Athleten sind ihr vollendeter
Ausdruck, die Disziplin und der Enthusiasmus der Massen deren eindrucksvollster
Beweis (Gebauer)
Die Weltgemeinschaft und insbesondere das IOC waren von den Spielen und der
gigantischen Ausrichtung so beeindruckt, dass trotz des Einmarsches der
Deutschen in die Resttschechei im Jahre 1939, was den Bruch des
Münchener Abkommen bedeutete, die kommenden Winterspiele an Deutschland
vergeben wurden. Auch der Vater der Olympischen Spiele der Neuzeit,
Pierre de Coubertain, resümierte nach den Spielen in Berlin: Hier
befestigte sich, woran ich ein halbes Jahrhundert lang arbeitete. Das deutsche
Volk und sein Führer sei bedankt für das, was sie soeben vollendet
haben. Aus Achtung vor der deutschen Organisation vermachte er dem
Olympischen Institut in Berlin nach seinem Tod 1937 sein Vermögen von 4,5
Millionen Reichsmark.
Alle olympischen Spiele nach 1936 können sich nicht vollständig von
diesen lösen. Es wurden nicht nur Elemente, wie die gewaltige Art der
Durchführung mit den gestalterischen Komponenten, übernommen (z.B.
der olympische Fackelumzug), sondern auch die Inszenierung als Medienereignis
diente beispielgebend für alles Folgende.
Generell bekam der Sport - durch den Einfluss des Nationalsozialismus und
getrieben von dem Ziel der Rassenhygiene und der Erziehung des Körpers
gegen die Dekadenz der Zeit - höchste Privilegien zugesprochen (z.B. die
tägliche Sportstunde in der Schule) und funktionierte letztendlich als
Mittel zur Wehrkraftstärkung. Damit verfolgten die Olympiade und der Sport
den gleichen Zweck: Bestätigung und Stabilisierung des Systems durch die
Schaffung eines geeinigten Volk. Natürlich mit weniger faschistischen
Methoden, aber immer noch dem gleichen Ziel folgend, wird Sport heute in
Deutschland gefördert.
Zusammenhang zwischen Sport und Krieg
Historisch betrachtet besteht zweifellos eine enge Verbindung des Sports
(gemeint ist im folgendem jegliche Art der Aktivität) zum Krieg. Besonders
in Deutschland wurde die Turnbewegung Jahns als sportliche
Betätigung speziell für militärische Zwecke konstruiert, wobei
nicht nur die körperlicher Ausbildung angestrebt war, sondern auch die
geistige Erziehung, in deren Mittelpunkt die Moral und Tugenden standen, die
aus dem Mann einen disziplinierten Soldaten formen sollte.
Zum grundlegenden Verständnis dieser Problematik sollte der Stellenwert
des Krieges und somit des Militärs zur Entstehungszeit des Turnens und des
Sports erläutert werden. Der Krieg als solcher nahm innerhalb der
Gesellschaft eine tragende Rolle ein. Innereuropäische
Auseinandersetzungen waren im Gegensatz zu heute an der Tagesordnung und auch
die Art der Kriege, bei denen große Teile des normalen Volkes an die
Front geschickt wurden oder es eben auch wollten, war grundverschieden. Demnach
muss von vornherein von einer bedeutenden Verankerung kriegerischer bzw.
militärischer Aspekte innerhalb der Gesellschaft ausgegangen werden. Die
Allgegenwärtigkeit von Kriegen ergab den unmittelbaren Zusammenhang mit
dem Sport.
Weiterhin muß man die Beziehung zwischen der Herausbildung von
Nationalstaaten, die sich dann auch als solches verstanden, und die Entstehung
des Sports beleuchten. Es existierten Konflikte (z.B. die französischen
Revolutionskriege seien hier genannt), die nicht primär expansionistisch
motiviert waren, sondern das Ziel verfolgten, innere Unruhen zu befrieden und
Einigkeit im Volk zu erzeugen, wobei zudem die Mobilisierungsfähigkeit und
Souveränität gegenüber anderen Staaten aufgezeigt werden sollte.
So weisen der Sport damals und die Kriege strukturelle Ähnlichkeiten in
ihrer Bedeutung und Rolle auf Festigung der Nation durch Bindung an die
Gemeinschaft.
Mit zunehmender Emanzipation von den traditionellen erzieherischen Werten kann
eine Aufweichung der Handhabung des Sports für die Massen beobachtet
werden. Auch die kapitalistische Durchdringung der Gesellschaft, die ebenso im
Sport den Konkurrenz- und Leistungsgedanken zunehmend als Hauptprinzip und Ziel
etablierte, führte zu einem Wandel der Auffassung sportlichen Kampfes.
Damit war das Duellieren zwischen den Individuen oder Nationen nicht mehr als
rein kriegerisch - also eine Art Ersatzkrieg in Friedenszeiten -
bestimmt, sondern der Wettstreit zum Leistungsvergleich wurde als dem Sport
inhärent und natürlich gegeben wahrgenommen.
Folgerichtig wandelte sich im Laufe der Zeit, in welcher man aus deutscher
Sicht von keinem Krieg vor der Haustür betroffen ist, auch die Intention
vom Sport und so existieren heute viel wichtigere gesellschaftliche
Funktionen, die der Sport erfüllt. (siehe Text: Sport tut
Deutschland gut, S. 34) Trotz allem kann man konstatieren, dass der
Sport weiterhin durch die Verhältnisse der Gesellschaft hervorgerufene
Aggressivität kultiviert und natürlich auch als Blitzableiter dienen
soll.
Einen heutigen existierenden Zusammenhang zwischen Sport und militärischen
Akzenten kann man trotz der beschriebenen Veränderungen immer noch
aufzeigen. Gerade Personen, die am aktiven Wettkampfbetrieb teilnehmen, werden
in den Zeremonien stark mit militärischen Ritualen konfrontiert.
Außerdem kann man feststellen, dass die Praktiken, die im Leistungssport
sowie beim Militär angewandt werden, Kontinuitäten im Bezug auf
Drill, Gehorsam und Selbstdisziplin aufweisen. Dadurch erklärt sich auch
die personelle Überschneidung im Militär und Leistungssport.
Der Sport und seine Bedeutung für den Staat
Bei der Untersuchung der Bedeutung des Sports für den Staat stellt der
Nationalismus wohl einen der bedeutendsten Faktoren dar. Im folgenden wird der
Versuch unternommen, aufzuzeigen wie die Identifizierung mit den Aktiven des
Landes von statten geht.
Wenn eine deutsche MeisterIn ermittelt wird, der anschließend im
internationalem Wettkampf auftritt, ist er/sie zugleich legitime/r
Repräsentant/in der Nation. Die mobilisierten Massen setzen sich in
Beziehung mit der Leistung des Sporthelden. Zudem gehören sie derselben
Kultur sowie derselben Nation an. Der Sportler ist damit einer von ihnen.
Demzufolge wird seine Leistung dem imaginiertem Kollektiv zugeschrieben, in dem
die Existenz von beispielsweise spezifischen deutschen Eigenschaften
manifestiert werden. Die starke Identifizierung findet statt, da während
des Wettkampfes das zum Ausdruck kommt, was der Gesellschaft inhärent sein
soll. Als kleines Beispiel wäre die Spielweise von Fußballteams, die
den verschiedenen Nationen zugeschrieben wird, aufzuführen:
Die südamerikanischen Mannschaften wie Brasilien werden dabei als
kreativ und verspielt definiert, die asiatischen Teams
als wieselflink - was im Gegensatz zur robusten, von
unerschütterlicher Kampfstärke bestimmten deutschen Spielweise steht.
Auch die Ordnung und Disziplin, die auf dem Feld herrscht, deklariert man immer
wieder als deutsche Eigenschaft.
In diesem Moment wird die Gesellschaft sich ihrer selbst bewußt und gibt
sich der propagandistischen Begeisterung eines nationalen Konsens und Einheit
hin, so dass sich alles Individuelle dem Kollektiven unterordnet. So
läßt sich auch die emotionale Spannung begründen, die sich je
nach Sieg oder Niederlage in Euphorie oder totale Unzufriedenheit auflösen
kann. Dieses Bewußtsein einer Identität schafft ein
Gefühl der Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft.
Solch ein sozial-psychologischer Mechanismus kann unterschiedlich wirksam
werden. Auf kleinere Ebene, z.B. im Betriebssport, wird dadurch die
Zugehörigkeit zur Arbeitsstelle und der Teamgeist gefördert. Im
internationalem Sport ist das erzeugte Wir-Gefühl der
Legitimität dienlich, indem es die Übereinstimmung mit dem jeweiligen
gesellschaftlich-politischen System kund tut.
Um jenes zu erreichen, werden große Zeremonien inszeniert - begleitet mit
Fahnen, glorifiziert durch Hymnen - die durch die Präsenz von
PolitikerInnen an Bedeutung gewinnen. Solch eine Zeremonie gab es erstmalig
1936, als der Sport als Medium der Selbstinszenierung der Massen aus
der Taufe gehoben wurde. Auch die mediale Übertragung wendeten
die Nationalsozialisten, natürlich auch technisch bedingt, erstmalig im
großen Stile an. Heute stellt die Fernsehübertragung das Medium
schlechthin dar, um die nationalen Ereignisse bis in jedes Wohnzimmer
hineinzutragen. Dabei herrscht seit den 80er Jahren eine Berichterstattung, die
stark nationalistisch ist, da sie sich ausschließlich auf die deutschen
SportlerInnen (bzw. jede Nation auf ihre) bezieht. Von den rassistischen und
sexistischen Kommentaren ganz zu schweigen.
Neben den politschen und den sozial formenden Funktionen ist
für eine Reihe von Menschen der Spitzensport, in Deutschland vor allem der
Fußball, sinngebend. Das ansonsten trostlose Leben wird einzig und allein
von den starken Emotionen während des Fußballspiels unterbrochen und
stellt damit die Möglichkeit dar, die Unzufriedenheit halbwegs
einzudämmen. Ganz entscheidend für die Einheit innerhalb des Vereins
ist der verfeindete Gegner. Wie Kurt Tucholsky schrieb: Es ist ein
Spiel geworden, was einmal blutige Notwendigkeit gewesen sein mag [...]Als das
Heer zerschlagen war und die Entente die Ausstellung eines neuen verbot, da
erfanden sie einen inneren Feind, und wo keiner war, da machten sie
einen. Dies bedeutet nicht, den Krieg mit einem Spiel gleich
zusetzten, sondern zeigt, dass für die meisten Menschen ein Konflikt oder
eben Wettstreit notwendig ist was dem Leben wenigstens ein bißchen
Spannung und der Person selber Selbstwertgefühl verleiht, da man ab und zu
den Feind, auch wenn er teilweise nur 90 Min. existiert, besiegen
kann.
Sport als Massenerscheinung kann dabei gesellschaftlich am Rande stehende
Gruppen integrieren (meist soziale Schwache) und ist gleichzeitig
diskriminierend. Vor allem in Deutschland beim Pöbel-Sport
Fußball haben es die als nicht deutsch angesehene Personen, wie
Homosexuelle oder Menschen anderer ethnischen Herkunft, mehr als schwer bzw. es
ist für sie unmöglich, zu dieser Gemeinschaft dazuzugehören.
Beispielhaft für die Wirkung, die sportliche Ereignisse in
Deutschland auf das Nationalitätsgefühl entfalten können, seien
die Reaktionen auf die beiden Weltmeisterschaften 1954 und 1990 zu nennen und
zu erläutern. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es durch das Wunder von
Bern, den 3:2 Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn, einen
extremen Selbstbewußtseinsschub - man war endlich wieder wer.
Begründet wurde der Erfolg vom damaligen DFB-Präsidenten mit den
Worten: Bestes Deutschtum und Führerprinzip hätten
sich bewährt. Auch die Zuschauer im Stadion reihten sich in dieser
nationalsozialistischen Kontinuität ein, indem Tausende die erste Strophe
des Deutschland-Liedes sangen.
Ebenfalls 1990 gewann die deutsche Mannschaft den Weltmeistertitel und
krönten damit die deutsche Einheit. Die entfachten neue nationale
Kräfte führten dazu, dass man sich in den folgenden Nächten nach
dem Sieg als MigrantIn kaum noch auf die Straßen trauen konnte, wollte
man nicht von einem betrunkenen, pöbelnden Mob angegriffen werden.
Bis heute wurde der mystische Dreck und die nationale Borniertheit nicht durch
die kapitalistische Durchdringung aufgehoben. Zwar kann eine Kommerzialisierung
dem in Zukunft weiter entgegenwirken, aber solange Nationen und Sport bestehen,
wird dieser stets nationalistisch aufgeladen sein. Mit der
Nationalstaatsentstehung hervor gerufen, ist sicherlich die Aufgabe des Sports
im Laufe der Zeit modifiziert, aber dennoch dient er systemunterstützend
als Pfeiler und Gehilfe des Staates im Kapitalismus.
Er wirkt als Umsetzungsmaschine von gesellschaftlich innewohnenden Verhalten
und Ressentiment, fördert die Zurichtung zu einem konkurrierenden und
leistungsorientierten Individuum, welches sich stets im Vergleich zu seiner
Umwelt setzt, und damit eine Hierarchisierung der Gesellschaft provoziert.
So erhält der Sport, neben der Kultur etc. die Rolle, das
Nationalgefühls zu fördern Teil - er legitimiert und stabilisiert
dadurch den Nationalstaat.
Oly-AG im BGR
TOP
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Ewald Lienen u.a. (Hrsg.): Oh!LYMPIA. Sport Politk Lust Frust, 1983: Berlin,
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