|
Sport
– die völkischste Versuchung, seit es Zivilgesellschaft gibt?
In Leipzig tobt seit Monaten ein Streit um den vom
Bündnis gegen Rechts (BGR) verwendeten Begriff der
Zivilgesellschaft zur Beschreibung gesellschaftlicher
Verhältnisse in der BRD. Die Antideutsche Kommunistische Gruppe (AKG)
kritisierte den Begriff vor allem angesichts solcher politischen
Phänomene wie des Aufstandes der Anständigen, der
Friedensbewegung gegen den Irakkrieg und der Antiglobalisierungsbewegung
als verharmlosend und anbiedernd, da sie darin eher die altbekannte deutsche
Volksgemeinschaft zu erkennen glaubt, die sie (im agitatorischen
Überschwang oder besonnen analytisch je nach
Fraktionszugehörigkeit) auch gern mal als
nationalsozialistische tituliert. Im folgenden soll es darum gehen,
am Beispiel Sport, Olympia und insbesondere der Leipziger Bewerbung zu
untersuchen, ob es sich bei der größten deutschen Massenbewegung
(die Sportvereine sind die mitgliedstärksten, die Zustimmung zu Olympia
ist in Leipzig größer als zu fast jeder anderen gesellschaftlichen
Frage, Sportübertragungen im Fernsehen erreichen die höchsten
Einschaltquoten, der Rote Stern mobilisiert zu seinen Spielen mehr Zecken, als
alle linken Gruppen zu ihren Demos, nichts bewegt die Deutschen mehr als Sport
sowohl körperlich als auch geistig, ...) um eine völkische,
nationalistische, zivilgesellschaftliche oder völlig andere handelt.
Was nicht weiter diskutiert werden muss
Neben lesenswerten Passagen zum Verhältnis von Nationalismus und Olympia
enthielten die beiden NOlympia-Ausgaben der Zeitschrift aus dem Umfeld des
Roten Sterns (www.roter-stern-leipzig.de), Prasses Erben, einigen
Unsinn bezüglich der Leipziger Olympia-Bewerbung. In der Titelstory der
Ausgabe Nr. 16 (2003) steht zu lesen: Wie zu DDR-Zeiten wird dabei
über die Köpfe der Bevölkerung hinweg angeboten, was die Region
zu bieten hat, aber nicht nur Kulturgüter, Arbeitskraft und alles, was
sich zu Westgeld machen lässt ... sondern diesmal wird die
Bevölkerung selbst verkauft ... Die zur politischen Macht
emporgeschleimten DDR-Kinder in den heutigen Führungspositionen holen die
alten Ost-Tricks aus der Tasche und unterbieten wie zu alten Zeiten die
kapitalistische Konkurrenz durch die amoralische Aufgabe von Würde,
Identität und Traditionen ihrer Stadt mit ihren Bürgern (S. 8).
Mal abgesehen davon, dass solch dummes Geschwafel auch im LVZ-Leserforum oder
in diversen Nazi-Mailinglisten sowie an jedem deutschen Stammtisch zu vernehmen
ist: Tiefensee als stalinistischer Sklavenhalter, der die LeipzigerInnen an
Porsche und IOC verkauft. Das ist nicht nur realitätsfern, sondern einfach
nur lächerlich. Es soll ja gar nicht abgestritten werden, dass die
Leipziger IOC-Bewerbung mehr als nur dezent Ostmief verbreitet oder dass
Tiefensee & Co. verachtenswerte und zu kritisierende
Charaktermasken sind. Doch hinter dem Verweis auf den postulierten
Ausverkauf einer vermeintlichen Moral, Würde oder Tradition (und das nur
des Geldes wegen) verbirgt sich das reaktionäre Ressentiment gegen die
kapitalistische Moderne.
Der Text im Prasses Erben fährt hingegen unbeeindruckt fort:
Mit der Konstruktion von Volkswillen, Schicksalsgemeinschaft und der
Schürung von Regionalpatriotismus beleben sie [die PolitikerInnen] die
Wesenheiten, die dem Gedanken von olympischen Bewegungen, von demokratischen
Bürgerbewegungen u.ä. direkt entgegenstehen ... (S. 9). Den
PolitikerInnen wird also die geheimnisvolle Manipulation der Bevölkerung
unterstellt, obwohl die LeipzigerInnen für ihren Lokalpatriotismus die
PolitikerInnen gar nicht benötigen, sondern sich mit dem Prasses
Erben zufrieden geben könnten: Egal ob man sich in die
Fänge von Großkotzen wie Bauherren und Fußballpräsidenten
begibt, von kriminellen Bauunternehmern oder Spekulanten. Was aus den
Bürgern mit ihrem Flair, mit ihren Traditionen, mit ihrer Eigenart wird,
ist egal. ... Auf Kosten der Leipziger bringen Bonzen, angereiste (!)
Karrieristen, arschkriechende Aufsteiger und skrupellose Geschäftemacher
ihre Schäfchen ins Trockene (S. 9) und Prasses
Erben erweist sich an dieser Stelle als völkischer Wolf im
links-alternativen Schafspelz.
Weiter hinten, in einem anderen Text, erfahren die Prasses
Erben-LeserInnen, dass das IOC eine der letzten patriarchalen
Festungen, die sich fortwährend durch korruptes Gebaren auszeichnet
(S. 17), sei. Sicher ist das IOC korrupt, patriarchal und hat eine
unaufgearbeitete faschistische Geschichte aufzuweisen (und ist deswegen auch zu
kritisieren) es aber als letzte Festung statt als normale Institution zu
bezeichnen, dient mehr einer personalisierenden Feindbildkonstruktion als einer
aufklärenden Analyse der Verhältnisse.
In Prasses Erben Nr. 17 (2003) erscheint eine Reaktion auf die
beiden von mir zitierten Texte aus der Ausgabe Nr. 16. Die patriotischen
Untertöne scheinen dem wertkritischen Autor nicht weiter aufgefallen sein;
lediglich die ebenfalls aufgestellte Behauptung, dass der Sport durch
Sponsoring seine hehren Ideale verrate, und die Verklärung des
Arbeitsports ist ihm eine Erwiderung wert. Allerdings erfolgt diese
nicht dahingehend, dass die Kommerzialisierung des Sports diesen
zumindest der Tendenz nach aus der nationalistischen Umklammerung
befreit habe, der Arbeitersport hingegen den Nationalismus auch in der
Arbeiterklasse verankerte nein, ein Wertkritiker begreift
Realsozialismus, Nationalsozialismus und bürgerliche Gesellschaft als eine
Soße; gemeinsames Ziel sei jeweils die Verinnerlichung des
Leistungsprinzips (S. 23) gewesen: Sport ist explizit
kapitalistisch und bereits die Keimform des Vernichtungskrieges. Es handelt
sich hier um eine Logik ... Sportplatz und Schützenplatz gehören
untrennbar zusammen. (S. 22) Selbst wenn Kriege eine Folge der
kapitalistischen Gesellschaft sind und zumindest bei Turnvater Jahn
Sport der Wehrertüchtigung dient so ist Sport und Krieg oder
Kapitalismus und Krieg nicht identisch oder kausal auseinander ableitbar. Sport
ganz allgemein als Keimform des Vernichtungskrieges zu bezeichnen, ohne den
deutsch-antisemitischen Gehalt des historisch einmaligen Vernichtungskrieges
(Ostfeldzug der deutschen Wehrmacht) klar zu benennen, deutet auf eine
Verdrängung bzw. Universalisierung deutscher Schuld hin. Für die
postmodernen Gesellschaften mit ihren Berufsarmeen von einer engen Verquickung
von Sport und Krieg auszugehen (auch wenn 40% bei der Sommer- bzw. 70% bei der
Winterolympiade der deutschen MedaillengewinnerInnen Angehörige der
Bundeswehr sind), ist schlicht falsch; genauso wie es verkürzt ist, die
Transformation des Sports in Analogie zu den postfordistischen
Arbeitsverhältnissen nicht zu analysieren und deswegen die Funktion des
Sports lediglich als Legitimierung und Effektivierung von Herrschaft,
Disziplinierung und Anheizung zu Leistung zu beschreiben (S. 22).
Die Zivilgesellschafts-Theorie
Das BGR Leipzig (www.nadir.org/bgr), 1995 als Antifa-Gruppe unter dem Namen
Bündnis gegen Rechts gegründet, sah sich in der Folge des
rot-grünen Wahlsieges 1998 mit neuen politischen Rahmenbedingungen
konfrontiert. Als Eckpunkte seien der staatlich verordnete Antifasommer (2000),
die Debatte um das Einwanderungsgesetz, der Krieg gegen Jugoslawien (2001), der
offensive Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zum Zwecke ihrer
Instrumentalisierung und die antiamerikanische Friedensbewegung (2003) genannt.
Die national befreiten Zonen im Osten, gegen die sich die Politik
des BGR richtete, waren plötzlich nicht mehr Avantgardemodell für
eine rückwärtsgewandte Politik, die Nazis fungierten nicht mehr als
Stichwortgeber wie während der Asyl-Debatte 1990-1993, sie waren nicht
mehr länger der Grund, warum die normaldeutsche Geltungssucht sich nur
verschämt Luft zu verschaffen suchte, weil die Parallelen zu
offensichtlich gewesen wären; vielmehr bildeten die aktuellen Nazis und
die deutsche Vergangenheit die Negativfolie, an der sich ein geläutertes
Deutschland abarbeiten konnte, um einen alternativen Nationalismus umso
selbstbewusster entwickeln zu können. Weltpolitische Geltung wurde mit
Verweis auf Auschwitz eingefordert, innenpolitisch sollten Green Card und
NPD-Verbot die deutsche Normalisierung deutlich machen.
Das hieß für das BGR: Zeit für neue Analysen nicht, weil
die alten falsch gewesen wären, sondern weil sie von der politischen
Entwicklung der BRD überholt worden waren. Nicht in affirmierender,
sondern kritischer Absicht, wurde die Entstehung einer deutschen
Zivilgesellschaft konstatiert und in verschiedenen Kampagnen sowie Aktionen
angegriffen. Kennzeichnend für die öffentliche Artikulation der
Zivilgesellschaft (mittels Demonstrationen, Lichterketten, Bürgerfesten
u.ä.) sei die anlassbezogene Selbstmobilisierung nach Anstoß von
oben, in Wechselwirkung mit staatlichen Institutionen bzw. in
Übereinstimmung mit staatlichen Interessen ohne selbst eine
staatliche Bewegung zu sein. Im Mittelpunkt steht die Präsentation eines
besseren Deutschlands im Interesse der Standortpolitik und der
außenpolitischen Handlungsfähigkeit. Von staatlicher Seite wird die
Zivilgesellschaft nach Vorbild anderer westlicher Staaten herbeigeredet,
-geschrieben und -gesehnt, damit sie verloren gegangene ideelle (traditioneller
Nationalismus, bürgerliche Moral, Religion) und materielle (Sozialstaat)
Sicherungen ersetzen kann. Der Staat begreift sich eben nicht mehr als
wichtigster gesellschaftlicher Akteur, der totalitär überall
intervenieren muss, sondern will als aktivierender Staat auf gesellschaftliche
Ressourcen, wie die ehrenamtliche Arbeit in NGOs, Vereinen und
Organisationen, zurückgreifen können. Getreu den Prinzipien der
Subsidiarität organisiert sich die Zivilgesellschaft auf regionaler oder
lokaler Ebene und agiert zwar nicht gegen den Staat, aber zu großen
Teilen unabhängig von ihm. Die Zivilgesellschaft, die ihren Ausgangspunkt
1968 und bei den sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre nahm, kam mit der
rot-grünen Bundesregierung zur vollen Entfaltung. Sie besitzt eine
schicht- und ideologieübergreifende Attraktivität, da sie
Eigenverantwortung, Basisdemokratie, Fortschritt, Menschenrechte und weitere
zivile Werte in den Mittelpunkt ihres Selbstverständnisses stellt
und die Deutschen mit ihrer Geschichte versöhnt. Die Zivilgesellschaft
glaubt, Deutschland fit machen zu müssen für die Herausforderungen
der Zukunft, zu befreien vom Mief der Vergangenheit, ein gesundes
Nationalbewusstsein zu etablieren. Die Zivilgesellschaft ist das
innenpolitische Pendant zum außenpolitischen Menschenrechtsimperialismus.
Die Bezeichnung des vorherrschend betriebenen Integrationsmodells als
Zivilgesellschaft heißt nicht, dass es keine Elemente der
Volksgemeinschaft mehr gäbe in weiten Teilen der deutschen
Bevölkerung sind faschistische Ideologeme latent bis manifest
ausgeprägt. Als Beispiel dafür seien die Erinnerungsabwehr,
Antiamerikanismus, Antisemitismus oder der Arbeitswahn genannt. Der Unterschied
zwischen Volks- und Zivilgesellschaft ist jedoch die Frage, ob nahtlos an diese
Vorstellungen angeknüpft wird und sie verstärkt, vereinheitlicht und
brutalisiert werden (Volksgemeinschaft), oder ob die Vorstellungen für die
gesellschaftlichen Diskurse nur noch eine marginale Bedeutung besitzen, indem
zwar sporadisch auf sie Bezug genommen wird, ansonsten aber demokratische,
humanistische und zivilisatorische Werte (im beschränkten, weil
kapitalistischen Sinne) propagiert werden. Außerdem schließen sich
völkisches und zivilgesellschaftliches Engagement weder organisatorisch
noch inhaltlich gegenseitig aus, wie sich an der Debatte um das geplante
Vertriebenenzentrum zeigen lässt.
Die markanten Differenzen, die in der Ausprägung der Zivilgesellschaft in
den USA und der BRD zu konstatieren sind, sind Beleg für die historischen
Kontinuitäten seit dem 19. Jahrhundert bis in die heutige Zeit die
deutsche Zivilgesellschaft kann ihre Herkunft aus der Volksgemeinschaft nicht
verleugnen; sie ist auch nicht davor gefeit, wieder in die barbarische
Volksgemeinschaft umzukippen. Wer aber die deutsche Zivilgesellschaft
angemessen kritisieren und angreifen will, darf nicht in alten
Erklärungsmustern verharren, sondern muss vielmehr das besonderen
Potential des neuen Vergesellschaftungsmodells, das neue Verhältnis von
Staat und Bevölkerung, begreifen. (ausführlicher in: Phase 2, Nr.
2/2001 und 8/2003)
Die Volksgemeinschafts-Theorie
Da es die AKG (www.akg-leipzig.info) bis heute nicht geschafft hat zu
bestimmen, was sie mit ihrem Schlagwort Volksgemeinschaft
überhaupt meint (die diesbezüglichen Polemiken und Essays geben nicht
viel her, enthalten weder Begriffsbestimmung noch Analyse), muss an dieser
Stelle auf andere Texte zurückgegriffen werden, die repräsentativ
für die Postfaschismus-These, also das Fortdauern faschistischer Politik
und der Volksgemeinschaft im demokratischen Staat, sind. (Eine
Volksgemeinschaftstheorie, die ohne die Begriffe des Faschismus oder
Postfaschismus auskommt und somit einer gesonderten Betrachtung bedürfte,
ist mir aus der Literatur nicht bekannt.)
Ulrich Enderwitz (Streifzüge 2/2001, S. 6, Kritik & Krise 6/1993, S.
14) benennt drei Eigenschaften, die den Faschismus kategorisieren:
Versöhnung von Kapital und Arbeit, d.h. Auslöschung des
Klassenkampfes nicht mittels Gewalt, sondern durch die Verinnerlichung
in den Individuen; Schaffung eines Feindbildes, welches für diejenigen
Kräfte steht, die sich nicht dem Klassenkompromiss unterordnen (im Dritten
Reich: die Jüdinnen und Juden); Inszenierung von
Großveranstaltungen. Damit der Staat die revolutionäre
Arbeiterklasse in Schach halten kann, müssen sich faschistische
PolitikerInnen so Enderwitz weiter als eigentliches
revolutionäres Subjekt stilisieren und sich von der bürgerlichen
Klasse, ihrem eigentlichen Fundament, emanzipieren. Diese drei oben genannten
faschistischen Elemente sieht Enderwitz bis in die heutige Zeit fortwirken,
andererseits weil ihm der Nachweis nicht so recht gelingen mag, dass dem
wirklich so ist gesteht er ein, dass im Moment bürgerliche
Demokratie gespielt wird. Allerdings seien die faschistischen Strategien
präsent und sobald es zur Krise kommt, kämen sie auch wieder zur
Anwendung.
Diese Faschismus-Definition wirft natürlich einige Probleme auf. Auf diese
Art und Weise ließen sich die meisten modernen Gesellschaften als
faschistische beschreiben. Das Fehlen revolutionärer Klassenkämpfe in
allen entwickelten kapitalistischen Staaten deutet auf einen erfolgreichen
Klassenkompromiss hin, kollektive Feindbilder gibt es zuhauf (erinnert sei an
den Antikommunismus während des Kalten Krieges) und
Großveranstaltungen gehören zum Alltag. Aus der Definition fallen
allerdings genau jene Regimes heraus, die die deutsche Linke (z.B. Chile ab
1973) bzw. ihr antideutsches Spaltprodukt (z.B. Irak bis 2003) im
tagespolitischen Geschäft gern als faschistisch denunziert. Denn in diesen
Ländern gestaltete sich die Versöhnung von Kapital und Arbeit nicht
als friedlicher (d.h. von den Menschen selbst vorangetriebenen) Vorgang,
sondern wurde gegen den Willen des Großteils der Bevölkerung brutal
von oben durchgesetzt.
Aus der faschistischen Potenz in Krisenzeiten eine aktuelle faschistische
Realität abzuleiten, die lediglich ein Spiel mit der Demokratie sei, ist
albern. Denn dann kann umgekehrt auch das Dritte Reich als bürgerliche
Demokratie, in der lediglich mit dem Faschismus gespielt wurde, bezeichnet
werden. Solche Verrenkungen bringen analytisch nicht viel, werden vom
Bahamas-Autor Uli Krug aber noch auf die Spitze getrieben: Vielleicht ist
es so, dass der einstmals kollektiv organisierte Amoklauf (der Judenverfolgung)
sich in den Alltag aller Einzelnen verlagert, und dort fast schon
entideologisiert sich in wahllos scheinender Gewalttätigkeit und
Diskriminierung austobt ... (Streifzüge 2/2001, S. 7) Uli
Krug entlarvt also nicht den Diskurs um die zunehmende, natürlich
unpolitische Gewalttätigkeit der Gesellschaft als protofaschistisch, wie
es eigentlich seine Aufgabe wäre, sondern fällt auf diesen herein,
und sieht die BRD in einem Meer der Gewalt versinken. Im weiteren zitiert er
zustimmend Georg Seeßlen: Die Faschistierung der Wahrnehmung und
der Handlungsanleitungen war bei vielen deutschen Menschen ... 1945 noch gar
nicht abgeschlossen. Es ist möglich, dass es 1965 mehr echte Faschisten in
Deutschland gab (ich vermute, in beiden Teilen des Landes) als 1945, und 1985
noch einmal mehr als 1965 (ebd.) Lassen wir mal die exzessive Verwendung
des Konjunktiv beiseite: Hier wird also plötzlich aus dem bloßen
Spiel mit der Demokratie plötzlich der echte Faschismus, während das
Dritte Reich nur die Generalprobe war. Nur, was war dann gleich noch mal
Faschismus? Uli Krug erklärt es auf der nächsten Seite im gleichen
Text: Die Kontrolle der BürgerInnen, ob sie ihre Zähne putzen
und die Verteuerung der medizinischen Leistungen, falls sie es nicht getan
haben. Faschismus ist also die Differenz von 40% und 50% bei der
Eigenbeteiligung an den Kosten der eigenen Zahnkronen und plötzlich
nicht mehr z.B. das Herausbrechen der Goldkronen der Jüdinnen und Juden,
bevor oder nachdem sie ins Gas geschickt wurden. Uli Krug will mit dem
Zahnarztbeispiel auf die Staatsfixiertheit und die Verschmelzung von Staat und
Gesellschaft hinweisen, die für ihn der Gradmesser für Faschismus
ist. Die Identifikation der BürgerInnen mit dem bürgerlichen Staat
macht aber diesen genauso wenig automatisch zu einem faschistischen, wie
andersherum die fehlende Identifikation der Bevölkerung mit einer
faschistischen Diktatur aus jener eine vorbildliche Demokratie macht.
Während Enderwitz bei seiner Faschismusthese an Haider und Stoiber denkt,
meint Uli Krug Schröder und Tiefensee (sofern er ihn kennen würde).
Beide liegen falsch: Die faschistische Ideologie [war] eine
revolutionäre Ideologie, da ihre Prinzipien einen scharfen Schnitt zur
alten Ordnung der Dinge bedeuteten. Dynamisch, aktivistisch und erfüllt
mit einem Geist der Rebellion, der sichtbar gegen die Anhänger der
etablierten Ordnung gerichtet war, praktizierte der Faschismus ein
populistisches Elitedenken, das nichts als Abscheu für die alte
europäische Aristokratie empfand. Der Faschismus vertrat den Kult der
Jugend, der Brutalität und der Gewalt, und er wollte sowohl einen neuen
Menschentyp als auch eine neue Zivilisation schaffen, in der eine moderne
Ritterschaft die Herrschaft über die liberalen Bürger und die
dekadenten, konservativen Aristokraten ausüben würde. Gekrönt
würde all dies durch einen totalitären Staat, der in den Händen
des Führers das perfekteste Instrument werden würde, das jemals zur
Schaffung einer neuen Ordnung erdacht wurde. (Zeev Sternhell:
Faschistische Ideologie, Berlin: 2002, S. 107 f.) In diesem Sinne sind Haider
und Stoiber konservative, Schröder und Tiefensee sozialdemokratische
Populisten, die sich faschistischer Politikelemente bedienen, aber genauso
wenig faschistisch sind, wie das politische System, welches sie
repräsentieren. Die genannten PolitikerInnen (eingeschränkt bei
Haider) sind gemäß der faschistischen Ideologie zu bekämpfende
Feinde, weil sie für das System stehen. In diesem Sinne gibt es in
Deutschland auch über die organisierten Nazis hinaus etliche FaschistInnen
und an deutschen Stammtischen faschistoide Diskurse, aber eben keine
Volksgemeinschaft. Tiefensees Anti-Nazi-Proteste, die dem antideutschen Autor
Sven Weicher (Phase 2, 9/2003) als Beleg für dessen
Führer-Qualitäten dienen, sind so bürgernah wie die
bayerischen CSU-Abgeordneten, denen reihenweise der Führerschein wegen
Trunkenheit am Steuer entzogen werden muss: Die Aktionen dienen nicht dazu, die
Massen gegen den Staat aufzuhetzen, sondern sie wieder mit dem Staat zu
versöhnen.
Am Beispiel der individualisierten Form der Euthanasie, welche Uli Krug
für seine Faschismusthese heranzieht, lässt sich der Unterschied
zwischen Volksgemeinschaft und Zivilgesellschaft deutlich machen. Die
Euthanasie behinderter und alter Menschen von staatlicher Seite war ein
wichtiges Strukturelement faschistischer Ideologie und nationalsozialistischer
Politik. Der Euthanasie-Diskurs unter den WissenschaftlerInnen war allerdings
in fast allen westlichen Demokratien so weit fortgeschritten wie im Ende der
Weimarer Republik in Deutschland. Lediglich die totalitäre Allmacht des
Staates im Dritten Reich verhalf diesen wissenschaftlichen Ideen zur
praktischen Durchsetzung. Während es aufgrund der Erfahrung im Dritten
Reich nach 1945 zu einer Richtungsänderung in Deutschland kam (von Bruch
zu sprechen, wäre zu viel), setzte sich die entsprechende Politik in
anderen Staaten unbeeindruckt fort so wurden in Schweden bis in die 70er
Jahre behinderte Menschen zwangssterilisiert. Inzwischen ist die Niederlande
mit ihrem liberalen Sterbehilfen-Gesetzen das Vorreiter-Land
bezüglich Selbsttötung unrentabler Menschen allerdings nicht
von oben verordnet, sondern selbstbestimmt. Das liegt aber daran,
dass Euthanasie auch ein wichtiges Merkmal neoliberaler Wirtschaftsdiskurse
ist. Es ist also zum einen zu unterscheiden zwischen der Euthanasie-Praxis im
Dritten Reich und der in der Niederlande, zum anderen zwischen dem
Vorhandensein faschistoider Politikelemente und faschistischer Politik.
So mag die Begeisterung bei der MDR-Olympia-Gala in der Leipzig-Arena oder die
Feier auf dem Markt nach der NOK-Entscheidung für Leipzig einen Hauch von
Reichsparteitag oder nationalsozialistischen Massenaufmarsch gehabt haben, eine
Volksgemeinschaft im ursprünglichen Sinne hat sich da gewiss nicht
zusammengefunden: Eine durch und durch völkische Gemeinschaft
nämlich, die aus sich selbst heraus von einer allumfassenden Sache (der
faschistischen Ideologie) überzeugt ist, und bereit, dafür zu sterben
und zu töten. So überzeugt, dass die NS-Machthaber im Dritten Reich
des öfteren bremsen mussten, weil das Volk im Überschwang über
die Stränge schlug. Heute hingegen, zumindest gemessen an dem soeben
ausgeführtem: eine anlassbezogene Begeisterung bei einem bestimmten Event,
zu dem die Leute nur hingehen, wenn nicht der Friseur-Termin dazwischen kommt.
Die Menschen auf dem Markt oder in der Leipzig Arena mobilisiert bzw. verbindet
nicht an erster Stelle eine völkische Idee (weil sie gar keine gemeinsame
teilen), sondern ein Konglomerat unterschiedlicher Hoffnungen, die sie mit der
Olympia-Idee verknüpfen: ist es bei den einen diejenige, dass im eigenen
langweiligen und sinnlosen Leben mal etwas Großes, Erhabenes passiert
und sei es nur die leibhaftige Teilnahme an Olympia , so
träumen andere egoistisch von Arbeitsplätzen, lokalpatriotisch von
Leipzig kommt, nostalgisch von einer Entschädigung für
die erlittenen Wende-Kränkungen, nationalistisch von dem damit
verknüpften Ansehen für Deutschland. Natürlich lassen sich bei
den Olympia-begeisterten Menschen auch völkische Gedanken hervorkitzeln,
da sie in den meisten Gehirnen herumspuken, aber dies wird weder von den
ProtagonistInnen getan, noch sind diese Gedanken der wichtigste
Motivationsgrund für die Massenaufläufe.
Ein paar soziologische Studien
Warum bei den Leipziger VerfechterInnen der Volksgemeinschaftstheorie der
polit-soziologische Ansatz des BGR so verpönt ist, mag nicht ganz
einleuchten. Immerhin wurde die Kritische Theorie am Frankfurter Institut
für Sozialforschung entwickelt und selbst der antideutsche Polemiker
schlechthin, Wolfgang Pohrt, unterzog sich noch 1990 der Mühe, eine
umfangreiche soziologische Studie über die Chancen für einen
neuen Faschismus als Gemütsbewegung in Deutschland (konkret)
durchzuführen. Ist es pure Faulheit oder die heimliche Ahnung, dass die
Wirklichkeit mit den eigenen Thesen schwerlich in Übereinstimmung zu
bringen ist?
Die erste Studie stellte dankenswerter Weise die Satire-Zeitschrift titanic
zusammen. Zur Entscheidung über den Austragungsort der Fußball-WM
2006 verschickte die titanic im Juli 2000 fingierte Bestechungsbriefe an die
FIFA, in denen den FIFA-Mitgliedern Schwarzwälder Spezialitäten, wie
Wurst, einen Bierkrug und eine Kuckucksuhr, versprochen wurde. Trotz oder wegen
des Bestechungsskandals erhielt Deutschland die WM bei der BILD-Zeitung
war dies allerdings kein Grund zur Freude, sondern Anlass, um gegen die titanic
zu hetzen. Die BILD-LeserInnen wurden aufgefordert, bei der titanic anzurufen
und ihre Meinung zu sagen. Die Anrufe veröffentlichte die titanic auf
CD-Rom. Die AnruferInnen outen sich durchweg als Teil der Volksgemeinschaft:
Sie sammeln Unterschriften gegen die titanic, wollen die Zeitung verbieten oder
bestrafen (Das Geld in einen Topf für arme Länder), geben
Tipps, welche Art von Satire zulässig ist, beschimpfen die RedakteurInnen
als Vaterlandsverräter, Bastarde, arrogante Wessies oder Nestbeschmutzer
und wollen sie auf den elektrischen Stuhl hinrichten lassen (oder: Kopf
kürzer, verbrennen etc.), verkaufen die titanic nicht mehr an ihren
3 Kiosken. Sie melden sich mit Ich soll mal hier anrufen. Das stand
in der BILD, Ich hab noch nirgends angerufen, aber da muss ich mal
anrufen, weil mich das geärgert hat, Der Journalismus ist auch
nicht mehr das, was er mal war, Grüß Gott,
Bitte setzen sie sich dafür ein, dass den Schmierfinken das Handwerk
gelegt wird oder Mein Name tut nichts zur Sache.
Studie Nummer 2: Im LeserInnen-Forum der Leipziger Volkszeitung
(www.lvz-online.de) ist die Leipziger Olympia-Bewerbung mit über 400
Einträgen innerhalb von ca. zwei Monaten das meist diskutierte Thema. Hier
ist die Zivilgesellschaft (pro Olympia) der Volksgemeinschaft (pro
Verschwörungstheorie) zahlenmäßig eindeutig unterlegen.
Diskutiert wird eigentlich gar nicht über Olympia, sondern nur über
das zu hohe Jahresgehalt des Geschäftsführers der Leipzig 2012 GmbH
oder dessen Stasi-Verstrickungen, über die Gründe für die
Enthüllung eben jener oder die Gründe für die Duldung der
Stasi-Vergangenheit durch Tiefensee. Gefordert wird mehr Einigkeit im
Organisationsteam oder mehr Streit damit der Wahnsinn 2004
endet. Die am häufigsten vorkommenden Redewendungen gehen so: Ich
denke mal, das ist gewollt, von wem auch immer, Wer oder was steckt
wirklich dahinter?, Und der (wahrscheinlich) nächste kommt n i
c h t aus dem Osten! Ein Schelm, wer Arges dabei denkt..., Das Ziel
ist, 2004 aus dem Bewerberkreis heraus zu fallen. Das ist auch das geheime Ziel
des NOK. Die finanziellen Mittel würden noch einschneidendere
Maßnahmen vor allem im sozialen Bereich erfordern. Das ist aber bei
Wahrung des sozialen Friedens nicht durchsetzbar
Studie Nummer 3: Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach
(April/Mai 2003). Über die NOK-Entscheidung freuen sich im Osten 91%, im
Westen 52% der Befragten. Leipzig gewann, weil es die beste Stadt war
Ost: 41%, West 13%, oder nur wegen dem Ostbonus: Ost: 42%, West: 68%. 40% im
Osten glauben an einen Sieg beim IOC, 12% im Westen.
Studie Nummer 4: Vor der NOK-Entscheidung war Leipzig, die Stadt mit den
geringsten Chancen gemessen an den IOC-Kriterien , Liebling der
Deutschen: 30% votierten in einer Umfrage für Leipzig (mdr sputnik-Meldung
vom 26.3.2003), 92% der LeipzigerInnen und 70% der BundesbürgerInnen
befürworten die Olympia-Kandidatur (LVZ 17.7.2003)
Studie Nummer 5: Die Berichterstattung in der Leipziger Volkszeitung (LVZ).
Scheinbar jeden Tag berichtet die LVZ über Olympia, zumindest schafft sie
es immer, das Olympia-Logo, welches die Texte markieren soll, irgendwo unter zu
bringen: In den Texten geht es dann um Straßen- oder Wohnungsbau, normale
Sportevents, Finanzpolitik u.ä. der Event wird eher zwanghaft damit
in Verbindung gebracht, oft nur in einem Satz. Die eigentliche
Olympia-Berichterstattung ist als völlig unkritisch, aber wenig euphorisch
zu kennzeichnen. Die LeserInnen werden gelangweilt mit Artikeln über den
Olympia-Shop (4.000 verkaufte T-Shirts), Berichten über Tiefensees
Terminkalender und weiterer öder Hofberichtserstattung, Olympia-Aktionen
wie Bürger machen Power für 2012 (50 TeilnehmerInnen)
oder Miss Olympia und ihre Autogrammstunde, ewigen Finanzfragen und dem
Hick-Hack um die Posten in den diversen Olympia-Gremien, den opportunistischen
Versuchen, auf den Olympiazug aufzuspringen (Fischer Art malt ein Olympia-Bild,
der ADFC fordert mehr Radwege für Olympia, die PDS kritisiert angesichts
Olympia die Geldkürzungen im Sportbereich, Bündnis 90/Grüne und
Umweltverbände entwerfen ein Konzept für eine ökologische
Olympiade). Lediglich die LVZ-Reihe Nachdenken über Leipzig
hebt sich von der an sich sachlichen, aber bornierten Berichterstattung ab.
Angeregt vom Universalgelehrten Walter Jens sollen
Künstler, Wissenschaftler, Philosophen ... Denker, Lenker, Macher
des Landes und darüber hinaus den Fragen Was war Leipzig? Was
ist Leipzig? nachgehen. Die dort gebotene Sinnstiftung ist von
unterschiedlicher Qualität: Den Auftakt macht Erich Loest, der seinen
wahrlich faschistoiden Visionen freien Lauf lässt (10.5.2003): Leipzig und
Halle sollen zusammenwachsen, Olympia soll im Herzen der neuen Stadt (da, wo
jetzt Schkeuditz, Flughafen und Kuhwiese davon träumen, irgendwie
mitteldeutsch und interkontinental zu sein) angesiedelt
werden: Als Kern ein Platz, der auf alle Sinne wirkt ... ein wenig
größer noch als unser gutes altes Augustusgeviert, natürlich
nicht verhunzt durch Milchtöpfe und andere Kinkerlitzchen, ein Platz der
Plätze wie Moskaus Rotes Forum und somit etwas, das weder Madrid, noch
Hamburg oder New York aufweisen können. Weltstars von Architekten aller
Richtungen müssten sich zusammentun, um zu entwerfen, welche Bauten ihn
säumen sollen, von welch gemeinsamen Stil dieses Jahrtausend, von welcher
Höhe und mit welchem Stein, weniger Stahl und Glas und als Schreckgespenst
immer den Potsdamer Platz Berlins vor Augen. Hierher müssen in 100 Jahren
noch die Reisegruppen pilgern und die Augen aufreißen und ihre Kameras
klicken lassen. ... In einer bescheidenen Parkanlage nahebei das
Wolfgang-Tiefensee-Denkmal ... in diesem Ton geht der ganze Text
weiter und kulminiert im Traum von der Vereinigung von Sachsen, Sachsen-Anhalt,
Thüringen und Brandenburg zu einem Bundesland mit der Hauptstadt in
Leipzig-Halle und dem Regierungssitz auf dem Olympia-Gelände. Albert
Speer, Architekt der Olympiade 1936 in Berlin, hätte seine Freude an Loest
gehabt. Und ausgerechnet Speers Sohn wurde mit seinem Planungsbüro
Albert Speer & Partner beauftragt, die Machbarkeitsstudie
für die Leipziger Bewerbung zu erstellen (Junge World, 4.7.2001). Andere
AutorInnen der LVZ-Reihe bleiben hingegen auf dem Boden der Realität. So
fordert eine Stadtforscherin sogar das Zulassen der Subkulturen in
Connewitz und Plagwitz im Interesse einer ausgewogenen Stadtentwicklung
(19.7.2003). Oder wir erfahren von Franz Beckenbauer in einem Interview, dass
er Olympia so toll findet, weil da der Schwarze neben dem Chinesen und
dem Europäer sitzt (2.7.2003).
Auffällig ist an der LVZ-Berichterstattung, dass kaum über die
anderen Bewerberstädte berichtet wird, die Olympiade 1936 eigentlich nie
Thema ist (nur beiläufig wird erwähnt, dass auch 1936 kompakte
Spiele stattgefunden hätten und Leni Riefenstahls Film über
Olympia zu den zehn besten Filmen der Geschichte gehört), die
Berichterstattung alles in allem eher dem eines unbedeutenden Provinzblattes
gleicht, welches sich nicht einmal für nationale Belange interessiert.
Studie Nummer 6: Die Leipziger Bewerbung. Unter der Rubrik
Philosophie ist auf der offiziellen Leipziger Olympia-Seite zu
lesen: Die friedliche Revolution von 1989 habe sich tief in
die Erinnerung der Menschen eingegraben. Daraus leiten die Leipzigerinnen und
Leipziger ihr hohes Selbstbewusstsein ab und halten die Idee der
Völkerverständigung, der Internationalität und des Friedens
wach, Leipzig bewirbt sich gerade deshalb um die Olympischen Spiele. Hier
werden die Ideale Pierre de Coubertins greifbar. Ansonsten gibt sich die
Leipziger Olympia-Philosophie sehr wortkarg; die fünf guten
Gründe ... für die Olympiaregion Leipzig werden mit jeweils nur
zwei, drei Sätzen abgehandelt. Unter der Überschrift Leipzig
Kultur von Welt ist da z.B. zu lesen: Sachsens Kultur ist
die Wiege für weite Teile der deutschen und europäischen Kultur. Hier
lebten und arbeiteten Komponisten wie ..., der Wegbereiter der Reformation ...,
... oder ... läuteten die Neuzeit und das Zeitalter der Aufklärung
ein. Verleger, Dichter und Künstler fanden und finden in Sachsen ihre
Heimat. Ähnlich nichtssagend sind die weiteren Gründe:
Heimat für Olympia ... Entwicklungen haben Raum ... Wettbewerbe mit
Sportsgeist ... Bewegung und Fortschritt. Die Frage nach der Olympiade
1936 beantwortet die Internetseite lapidar mit einem error 400: Bad
Request.
Schlussfolgerungen
Die titanic-CD und das LVZ-Internetforum legen nahe, dass wir es heute mit den
gleichen Deutschen zu tun haben wie zwischen 1933 und 1945. Ein Unterschied ist
allerdings, dass es die Deutschen von heute bei verbalen Beschimpfungen
bewenden lassen. Weder die Titanic noch Tiefensee, Thärichen oder die
Telekom müssen mit tätlichen Angriffen rechnen. Wichtiger scheint
jedoch zu sein, dass diese harmlosen Verrückten die Minderheit bilden.
Während 92% der LeipzigerInnen Olympia gut finden und sich recht wenig
für Stasi-, Wessi- und sonstige Verstrickungen interessieren,
interessieren sich die LVZ-DiskutantInnen wenig für Olympia und umso mehr
um ihre private Paranoia, die um zur kollektiven zu werden noch
lange reifen und sich vereinheitlichen müsste. Die 92% treten zu den
inszenierten Jubelevents an, im Alltag hingegen wird Olympia für sie erst
2012 eine Rolle spielen.
Prinzipiell kann konstatiert werden, dass eine genaue Bestimmung, was sich in
der Olympia-Bewerbung widerspiegelt, schwer vorzunehmen ist. Anders als bei
homogeneren Erscheinungen, die sich von selbst eher im politischen Bereich
verorten, wie die Aufmärsche der Friedensbewegung, mischen sich bei der
Leipziger Olympia-Begeisterung mehrere Stränge.
Zu nennen wären die folgenden: An erster Stelle scheint ein
Lokalpatriotismus zu stehen, der sich über die Stadt, das Bundesland oder
oft über den Osten definiert. Die Kränkung, die die Ossis mit 40
Jahren DDR und Wende zu erfahren haben glauben, vermischt mit dem Gefühl,
dass Leipzig als Großstadt mit Tradition, Messe, 89er-Geschichte und
Porsche-Ansiedlung den Wessis Paroli bieten kann, führt zum typischen
Leipziger Größenwahn. Dem tendenziell entgegen steht die
gesamtdeutsch-nationalistische Position, die sich von der Leipziger
Olympia-Bewerbung einen Fortschritt Richtung Innere Einheit und
außenpolitische Reputation (mit der ersten normalen Olympiade
in Deutschland in der Wendestadt, die das ermöglicht hat) erhofft. Nicht
ohne Grund wurde von Anfang an die Leipziger Olympia-Bewerbung vom
Innenministerium favorisiert, obwohl die anderen deutschen Mitbewerber auf dem
internationalen Parkett u.U. größere Chancen gehabt hätten.
Weniger wichtig scheinen zumindest nach innen
zivilgesellschaftliche Elemente bei der Olympia-Bewerbung zu sein. Nun ist die
moderne Olympia-Idee zwar prädestiniert dafür, allerdings ist der
Sport an sich nun nicht gerade das Feld der Zivilgesellschaft und in der
momentanen Phase der Bewerbung scheinen sich nur die diversen
Umweltverbände in diese Richtung zu engagieren.
Aus völkischen Gründen findet wohl kaum jemand Olympia gut; die
überzeugtesten ProtagonistInnen der Volksgemeinschaft dürften von
Kommerz, Doping und Völkerverständigung genug angeekelt sein.
Ähnlich ging es ja den Nazis, die vor 1933 gegen die geplante Olympiade in
Berlin hetzten. Die weniger standfesten VolksgenossInnen sind allerdings bei
den Massenaufläufen gern gesehen Interviews sollten sie dort aber
besser nicht geben.
Wichtiger scheinen banale kapitalistische Interessen zu sein, die
höchstens patriotisch eingekleidet werden: Die LeipzigerInnen träumen
von Arbeitsplätzen und Events, die die öde Arbeitslosigkeit oder das
stupide Arbeitsleben auflockern. Die Leipziger Stadtverwaltung träumt von
staatlichen Investitionen, die bis 2005 reichlich in die Region fließen
werden und die dann, verbunden mit dem Image-Gewinn, auch ohne Olympia
dazu beitragen, dass sich mehr Wirtschaft in Leipzig ansiedelt. Außerdem
träumt sie davon, dass die Bevölkerung vor lauter Träumerei
nicht ob der Arbeit oder eben der Arbeitslosigkeit aufmuckt.
Last but not least bleibt festzuhalten, dass große Sportereignisse auch
unabhängig von ideologischen Gründen eine große
gesellschaftliche Integrationskraft besitzen quer durch alle Schichten
wird Sport getrieben und Olympia toll zu finden, ist für eigentlich alle
vernunftbegabten Menschen eine Selbstverständlichkeit...
So werden wir bei der weiteren Bewerbung wie auch bisher folgendes erleben:
Eine Melange aus völkischem und nationalistischen Mob, der eben
nicht vordergründig wegen der ersten und nicht ausschließlich wegen
der zweiten Eigenschaft zusammen mit dem Rest der Bevölkerung auf
Geheiß des Leipziger Protagonisten der Zivilgesellschaft, Tiefensee,
Leipzigfähnchen schwenken und sich trotz aller
Intellektuellenfeindlichkeit mit dem Cello-Spiel des Chefs anfreunden wird. Der
Chef hingegen wird alle Register ziehen, um bis 2005 den Aufbau Ost zumindest
in Leipzig zu Ende zu bringen. Es wird viele Sportevents geben, die am
Wochenende davon ablenken, dass in der Woche andere Dinge wichtiger sind.
Nach außen wird sich Leipzig als weltoffene Stadt mit Sporttradition
(DHfK) und Wende-Geschichte (wobei eher mit der friedlichen
Revolution als mit der nationalen Wiedervereinigung hausieren gegangen
wird) präsentieren und die Bundesregierung wird sich zwar für
Leipzig ins Zeug legen, weil Olympia schon ganz nett ist. Aber viel hängt
nicht dran, denn wichtiger sind Kerneuropa, Friedensmacht und Krieg führen
und Olympia kommt früher oder später schon von ganz alleine in
die neue Weltmacht Deutschland, da muss sich niemand ernsthaft Sorgen machen.
Nach innen wird auf die Arbeits-, Sportevent-, Ossi-, Leipzig-, Sachsen- und
Deutschland-Karte gesetzt und ekliges Gesocks angelockt, welches sich
gefälligst als Statist in der Leipzig-Arena oder als Stimmvieh in
Meinungsumfragen zu betätigen hat denn eine so
menschliche Präsentation wie die New Yorker Bewerbung
(www.nyc2012.com) würde Leipzig nicht mal im virtuellen Raum
hinbekommen.
Entgegen 1936 würde eine Olympiade in Leipzig keine Lockerung der
Repression, sondern eine Verschärfung bedeuten. Immerhin weiß die
LVZ (17.7.2003) realistisch die einzigen drei Pluspunkte der Leipziger
Bewerbung gegenüber den anderen Städten, gemessen an den 25 Punkten
des IOC-Fragenkataloges, zu bestimmen: 1. Unterstützung durch die
Regierung, 2. Öffentliche Meinung, 3. Innere Sicherheit. Leipzig wird also
die Olympiade nicht bekommen, in Leipzig wird das für einige Aufregung und
sich verbal äußernden Hass auf die deutschfeindlichen
Mafiaorganisationen IOC, Stasi und Systempresse sorgen, die alles vermasselt
haben (das AOK-L ist für ein veritables Feinbild zu unbedeutend), und der
Rest des Landes wird aufatmen, dass die an sich nette und wegen der Messe nicht
völlig unbedeutende Stadt an der Pleiße endlich wieder zur Vernunft
kommt.
Olympia-AG im BGR
TOP
|
|
|