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Olympia und die Leipziger Stadtentwicklung

Hausbesetzungen, Auseinandersetzungen mit Immobilienunternehmern und der Kampf gegen stadtteilzerstörende Großprojekte waren in der Vergangenheit immer wieder Bezugspunkte für linke, emanzipatorische Bewegungen. Der Grund dafür liegt, abstrakt gesprochen, im Widerspruch zwischen kollektiver Nutzung und privater Aneignung der städtischen Umwelt. Städtische Infrastrukturen wie Straßen, Schulen, Wohnungen und Parks werden zwar kollektiv genutzt, sie sind aber gleichzeitig Gegenstand von Interessenkonflikten, die aus dem Verhältnis dieser Nutzung zu privaten Kapitalinteressen resultieren. Stadtentwicklung ist darum immer ein Gegenstand politischer Konflikte, in denen generelle Herrschaftsstrukturen zu Tage treten. Fasst man linke Interventionen in diesem Konflikt zusammen, kann man sagen, dass sie sich (mehr oder weniger reflektiert) im allgemeinen für ein egalitäres „Recht auf Stadt“ und gegen die Verwertungslogik von Kapitalinteressen positioniert haben. Sie waren zudem immer dann erfolgreich, wenn es gelang, die Haltung zu dem konkreten Interventionsfeld (z.B. Mieterhöhungen, Großprojekte) auf diesen Grundkonflikt zuzuspitzen.
Obwohl sich die Leipziger Olympiabewerbung problemlos in diese Konfliktstruktur einordnen lässt, ist die Haltung der Leipziger Linken zu diesem Thema bislang erstaunlich abstinent geblieben. Das liegt zum einen sicher daran, dass die Konjunktur von stadtpolitischen Themen innerhalb der deutschen radikalen Linken bereits mehr als ein Jahrzehnt zurück liegt. Gerade Jüngere haben daher kaum noch einen lebendigen Bezug zu diesem Thema. Viel schwerer wiegt zum anderen wohl, dass bislang kaum kritische Informationen zum Leipziger Olympiaprojekt an die Öffentlichkeit gelangt sind. Die Opposition gegen Olympia bezieht sich eher auf grundsätzliche Argumente. Sie steht daher eher neben der Linie der Leipziger Stadtregierung, die praktisch in ihrer Deutungshoheit nicht angegriffen wird.
Aufgabe dieses Artikels ist es darum, dieses Manko anzugehen und zu erklären, warum Olympia nicht nur generell für Standortlogik und Leistungsprinzip steht – sondern in welchen Bereichen Olympia konkret mit einer Verschlechterung von Lebensbedingungen in Leipzig verbunden ist. Eine solche Auseinandersetzung kann natürlich nicht abstrakt, sondern nur vor dem Hintergrund der tatsächlichen Stadtentwicklungsprobleme, geführt werden. Aus diesem Grund werden zunächst ein paar Grundlinien der Leipziger Stadtentwicklung erklärt. Darauf aufbauend werden dann die wesentlichen Knackpunkte des Olympiakonzeptes ins Visier genommen und zu guter Letzt eine Wertung und Einordnung versucht.

Schrumpfstadt Leipzig

Leipzig war bis 1990 im wesentlichen eine Industriestadt, die vor allem von Maschinenbau, chemischer, polygraphischer und Textil-Industrie geprägt war. Im Zuge von Währungsunion und Treuhandprivatisierung kollabierte diese wirtschaftliche Basis komplett. Die seitdem immer wieder neu aufgelegten Versuche, Leipzig als „Medienstadt“, „Finanzzentrum“ oder „Messemetropole“ ein neues wirtschaftliches Profil zu geben, waren bislang nicht sonderlich erfolgreich. Ob die bevorstehende BMW-Ansiedlung das Blatt grundlegend wenden wird, ist noch Spekulation.
Leipzig leidet also seit rund zehn Jahren unter einem wirtschaftlichen Niedergang und als Konsequenz an einer hohen Arbeitslosigkeit (rd. 19%), niedrigen Masseneinkommen und zunehmender Verarmung. Zudem hat die Stadt, wie fast alle ostdeutschen Kommunen, in den 90er Jahren einen dramatischen Bevölkerungsrückgang hinnehmen müssen. Mit dem Zusammenbruch der Industrie sind nicht nur bedeutende Bevölkerungsteile in den Westen abgewandert, sondern zudem wurden im Umland auch noch massenhaft neue Wohnungen gebaut, in die vor allem junge Familien abwanderten. Zusätzlich sank die Geburtenrate seit 1990 (wie überall in der Ex-DDR) radikal ab, was dazu führte, dass sich das Verhältnis zwischen Leuten die sterben und Leuten, die neu geboren werden, rapide verschlechtert hat. In diesem Punkt ist ab 2010/2015 eine weiterer Abwärtsknick abzusehen, weil dann die geburtenschwachen Nachwendejahrgänge ins Haushaltsgründungsalter kommen und demographisch stärker zu Buche schlagen. Weitere Bevölkerungsverluste und eine zunehmende Überalterung sind daher vorprogrammiert.
In der Kombination dieser Entwicklungen hat Leipzig (nach altem Gebietsstand) seit 1990 rund ein Fünftel seiner Bevölkerung verloren. Da gleichzeitig Wohnungen neu gebaut oder leerstehende Wohnungen saniert wurden, hat sich ein gewaltiger Wohnungsleerstand entwickelt, der nach Angaben der Stadt zur Zeit bei etwa 60.000 Wohnungen liegen soll. Leipzig gilt damit, auch in Ostdeutschland, als „Leerstandsmetropole“. Der Leerstand konzentriert sich dabei sowohl in der Gründerzeit (vor allem im Osten und im Westen Leipzigs), als auch in der Platte und führt in den betroffenen Vierteln zu einer Verslumung der physischen Infrastruktur, zum Wegzug von Gewerbeeinrichtungen (Bäcker, Fleischer…) und zu einer Konzentration sozial schwacher Haushalte. Um dieser Entwicklung entgegen zu treten, haben Stadtverwaltung und große Wohnungsunternehmen Pläne entwickelt, die auf den Abriss von 7000 Wohnungen bis 2005 und weiteren 20.000 in mittlerer Zukunft zielen. In der Praxis klappt aber auch dieser Abriss nicht richtig. Einige Genossenschaften wollen gar nicht abreißen, die LWB reißt immer mehr dort ab, wo sie will und die Lebensbedingungen in den betroffenen Vierteln verschlechtern sich sukzessive.
Versucht man die Probleme der Leipziger Stadtentwicklung zusammenzufassen, kann man also feststellen: Leipzig ist eine arme Stadt mit einer armen Bevölkerung, die in den letzten zehn Jahren erheblich geschrumpft ist und langsam weiter zurück geht. Leipzig hätte damit alle Hände voll zu tun, um in den am stärksten von Problemen betroffenen Vierteln anständige Lebensbedingungen zu gewährleisten, bzw. wieder herzustellen.
Wie verhält sich diese Lage nun zu den Projekten der Leipziger Olympiabewerbung? Schon eine kurze Übersicht zeigt, dass die Behauptung der Stadtverwaltung, „die Erfordernisse der Nachnutzung sowie der kommunalen und regionalen Gesamtentwicklung sind Maßstab für alle Aus- und Neubauten“ (Machbarkeitsstudie) bestenfalls Nonsens ist. Bereits auf einer sehr allgemeinen Ebene ist es widersinnig, einerseits wirtschaftlichen Niedergang und schrumpfende Bevölkerung zu konstatieren und andererseits einen enormen Bedarf an zusätzlichen Wohnungen, Büros und Infrastrukturen zu behaupten. Betrachtet man die geplanten Projekte noch deutlicher, wird noch klarer, dass die Mehrzahl der geplanten Projekte keinesfalls eine Antwort auf die Probleme der Bewohner Leipzigs ist, sondern vor allem die Standortinteressen der Wirtschaft, die Profilneurose von Politikern und die Geschäftsinteressen der lokalen Immobilienlobby bedient.

Lindenauer Hafen –
Hochsicherheitslofts statt Grünfläche

Am deutlichsten wird das am Lindenauer Hafen. Dieses Gebiet ist eine Industriebrache, auf der auf mehr als 40 Hektar rund um das alte Hafenbecken das Olympische Dorf zur Unterbringung der Sportler gebaut werden soll. Geplant ist ein modernes Stadtquartier in gehobener Ausstattung der 3-Sterne-Kategorie mit modernster Sicherheitstechnik, fingerprint-access-gesteuerten Wohnungstüren und monitorgesteuerten Gegensprechanlagen. Nach Ende der Veranstaltung soll das Gelände von der LWB vermarktet und dem Leipziger Wohnungsmarkt zugeführt werden. Man rechnet mit Wohnungen für 8.000-10.000 Bewohner.
Pikant ist dabei zunächst, dass Stadt und Land auf der einen Seite Energie und Geld darein stecken, bis 2005 fast 7.000 Wohnungen abzureißen – um an einer anderen Stelle 5-6.000 Wohnungen neu aufzubauen. Mit dem Ende der Olympischen Spiele kann man sich also freuen, viel Geld ausgegeben zu haben, um ein Problem räumlich zu verschieben. Noch schöner ist sicher, dass diese Wohnungen im oberen Preissegment gebaut werden – also für eine Klientel, die angesichts des entspannten Wohnungsmarktes nun wirklich keine Probleme hat, sich in Leipzig zu versorgen. Dass diese Operation zudem nicht, wie sonst üblich, von gewerbsmäßigen Immobilienentwicklern, sondern von der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft durchgeführt wird, ist dabei die Krönung. Da sich aber nicht nur die LWB auf die neuen Verdienstmöglichkeiten einstellt, sondern auch die umliegenden Hausbesitzer auf die neue Konkurrenz, führt das schon jetzt zu einer Abwartehaltung. Gerade in Grünau sind die Vermieter angesichts des Bevölkerungsrückgangs schon jetzt außerordentlich unsicher, ob es sich lohnt, noch irgendwelches Geld in ihre Gebäude zu stecken. Die Bevölkerung muss daher unter Ausstattungs- und Instandhaltungsmängeln leiden. Entsteht in unmittelbarer Nähe ein weiteres Wohnungsangebot, dürfte sich diese Situation noch verschlimmern.
Darüber hinaus ist in den letzten Jahren auf dem ehemaligen Industriegelände ein Grüngebiet entstanden, dass von der Bevölkerung rege genutzt wird. Umweltexperten berichten auch von Brut- und Nistplätzen vom Aussterben bedrohter Vogelarten, von besonderer Fauna und einem einzigartigen Biotop. Wird das olympische Dort gebaut, geht dieser einzigartige Grünraum verloren und die Bevölkerung in den umgebenden Wohnvierteln verliert ein Erholungsgebiet.
Problematisch wird die Situation auch für die am Rande des Hafens gelegenen Kleingärten, die innerhalb der vom IOC vorgeschriebenen Sicherheitszone liegen. Ihre Zukunft ist zumindest noch ungeklärt.
Man kann also festhalten, dass am Lindenauer Hafen keineswegs „die Bedürfnisse der Stadtentwicklung“ im Mittelpunkt stehen. Auch davon, dass „Flächenschonung und ökologische Verträglichkeit“ „Richtschnur für Standortwahl und Dimensionierung der Olympiabauten“ sind, kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil werden Biotope vernichtet, der Bevölkerung ein wohnungsnaher Freiraum genommen und die Probleme auf dem Leipziger Wohnungsmarkt verschärft.

Was passiert im Olympiapark?

Bezüglich dieses Neubaus ist es in der Wiege der ostdeutschen Demokratiebewegung kaum möglich, exakte Auskünfte zu erhalten. Die Pläne, was im Herzstück der Leipziger Olympiaplanung gebaut werden soll, ändern sich fast wöchentlich und werden, wenn überhaupt, nur mit Zeitverzögerung vorgestellt. Sicher ist z.Z. folgendes:
- In unmittelbare Nähe des Zentralstadions wird ein neues Olympiastadion gebaut, mit einer Kapazität von über 80.000 Plätzen. Nach den Spielen soll das Stadion auf 20.000 Plätze zurück gebaut werden.
- Gleich nebenan wird es ein neues Schwimmstadion geben.
- Weitere Einrichtungen für Bogenschießen, Fünfkampf, Fußball, Gehen, Leichtathletik, Marathon, Radfahren, Rudern, Schießen, Schwimmen, Tischtennis, Wasserball werden beiderseits des Elsterflutbeckens platziert.
Da genaue Pläne für all diese Einrichtungen noch nicht bekannt sind, ist es nur schwer möglich, eine wasserdichte Einschätzung zu entwickeln. Trotzdem sind einige Probleme offensichtlich:
Zum ersten schiebt sicher der Olympiapark wie ein Riegel durch einen bestehenden Grünzug. Er verbessert also nicht die städtebaulichen Qualitäten Leipzigs, sondern verschlechtert diese. Darüber hinaus ist das für die Ruderwettbewerbe anvisierte Elsterflutbecken zu kurz und von (in internationalen Wettkampfstandards nicht vorgesehenen) Brücken unterbrochen. Soll es an internationale Standards angepasst werden, muss es erweitert werden. Das kann nur auf Kosten des umgebenden Waldes geschehen.
Die Bebauung der Uferstreifen ist zudem aus Sicht des Hochwasserschutzes problematisch. Insbesondere beim Schwimmstadion ist die Ausführung noch unklar. Zu befürchten ist, dass bei seinem Bau auf die eine oder andere Weise die betonierte Einfassung des Elsterflutbeckens verstärkt wird. Bei dem nächsten Hochwasser würde das Elsterflutbecken wie eine Pipeline wirken, so dass das Hochwasser dort schnell durchschießen und sich dahinter in Gohlis ausbreiten würde.
Die verkehrsmäßige Erschließung soll z.T. über eine neue S-Bahn Linie erfolgen, die Olympisches Dorf und Olympiapark miteinander verbindet. Wozu eine schrumpfende Stadt eine zusätzliche S-Bahn-Linie braucht, wo diese verläuft, wie ihr Betrieb nach den Spielen finanziert werden soll – ist unbekannt. Weitere Verkehrs-Baumaßnahmen betreffen ein Tunnelprojekt in der Jahnallee, den Ausbau des Flughafens und den Ausbau der A38. Von der Idee, dass Verkehrsprobleme auch durch Verkehrsvermeidung angegangen werden können, ist in der Planung kaum etwas zu spüren.
Auch im Herzstück des Leipziger Olympiakonzeptes kann man also zusammenfassen, dass von dem Versprechen, die Olympiaprojekte passten sich in die Bedürfnisse der Leipziger Stadtentwicklung ein, bei genauerer Betrachtung nicht viel zu halten ist. Weiterhin sind die Pläne im Olympiapark nur unter Inkaufnahme von Verlusten von Lebensqualität für die Bewohner realisierbar. Sie beinhalten zudem eine Reihe von Risiken (Hochwasserschutz), die bis jetzt kaum prognostizierbar sind.

Spitzensport versus Breitensport

Eine weitere, von der Lokalpresse eifrig genäherte Hoffnung ist die Verbesserung des Sportangebotes in Leipzig durch Olympia. Auch hier sprechen die Fakten eine andere Sprache.
Erstens benötigt Leipzig, weil es eine relativ kleine Stadt ist, niemals so viele Sportstätten, wie für Olympia gebraucht werden. Das gilt insbesondere für die Einrichtungen in regional eher unpopulären Sportarten wie Bogenschießen oder Baseball. In all diesen Fällen, und das betrifft einen Großteil des Programms, werden die Wettkampfstätten nach Ende der Veranstaltung wieder abgerissen werden müssen.
Für den schmalen Rest – vor allem das auf 20.000 Plätze zurück gebaute Olympiastadion, das Schwimmstadion und eine Anzahl von Hallen auf der neuen Messe – sind Nachnutzungskonzepte völlig ungeklärt. Kommerzielle Sportveranstalter hoffen zwar, mit dieser Infrastruktur in Zukunft öfter sportliche Großereignisse nach Leipzig holen zu können, in wie weit diese Hoffnung berechtigt ist, steht aber in den Sternen. Aus ehemaligen Olympiabewerberstädten ist hingegen eine Vielzahl an Beispielen bekannt, in denen öffentliche Haushalte kräftig nachfinanzieren mussten, um Konkurse der Betreiber zu verhindern.
Eine Handvoll zentral gelegener Großeinrichtung hat zudem auf die Situation des Breitensports unmittelbar überhaupt keine Auswirkungen. Denn die Mehrheit der Breitensportler trainiert nicht in irgendwelchen Spezialeinrichtungen, sondern in wohnortnah gelegenen Schulsporthallen oder Sportplätzen. Gerade in diesem Feld hat Leipzig aber Probleme das bestehende Sportangebot zu erhalten. Im letzten Jahr sind darum die Mittel für die Unterstützung der bestehenden Sportvereine um rund eine halbe Millionen Euro gekürzt worden. Selbst im Sportbereich geht die Leipziger Olympiabewerbung also zu Lasten der Bewohner.

Hauptsache Arbeit?

Als letztes Generalargument wird von Leipziger Olympiabefürwortern schließlich die Behauptung vorgetragen, durch Olympia würden Arbeitsplätze geschaffen. In diesem Zusammenhang wird zum einen darauf verwiesen, dass Olympia ein riesiges Geschäft sei, das Wachstumseffekte für die Veranstalterregion mit sich brächte. Zum zweiten wird auf die mit der Vorbereitung auf die Spiele einhergehenden Verbesserung der Infrastruktur verwiesen, die zu einer nachhaltigen Stärkung des Standortes im überregionalen Wettbewerb um Investoren führen würde.
Dass Olympia ein riesiges Geschäft ist, ist kaum zu bezweifeln. Fraglich ist jedoch, wer bei diesem Geschäft die Kosten trägt und bei wem die Gewinne ankommen. Die bisher von der Stadt vorgelegten Gutachten argumentieren in diesem Punkt ausschließlich auf einer hoch aggregierten, volkswirtschaftlich abstrakten Ebene. Ihre Message ist, salopp formuliert: durch Olympia wird Geld in die Stadt gespült und davon haben alle etwas. Fragt man genauer nach, sind sichere Beschäftigungseffekte aber nur für den Zeitraum bis zum Ende der Spiele und nur für die Bereiche Tourismus, Beherbergungsgewerbe, Sicherheitsdienste und Bauwirtschaft prognostizierbar – also für Branchen, die für niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und unsichere Beschäftigungsverhältnisse berüchtigt sind.
Bleibt also die Idee, durch ein Bereitstellen von Infrastruktur und Büros mehr Dienstleistungsfirmen nach Leipzig zu holen. In diese Richtung zielt vor allem das Medienzentrum, das direkt neben dem Hauptbahnhof auf 84.000 Quadratmetern Platz für 17.000 Medienvertreter bieten soll. Dass das Kapital schon komme, wenn man nur hochwertige Wohnungen, Büroimmobilien und eine tolle Autobahnanbindung bereitstellt, ist allerdings regionalökonomisch infantil. Ohne tiefer auf die Bedingungen von Standortentscheidungen eingehen zu können, sei darauf hingewiesen, dass Leipzig mit einer solchen ausschließlich angebotsorientierten Politik schon einmal gescheitert ist. Es ist erst wenige Jahre her, dass die Leipziger Stadtregierung in dem Glauben, mit einer forschen Expansion von Büroflächen zweitgrößter Finanzplatz Deutschlands werden zu können, mit den kürzesten und auflagenfreiesten Baugenehmigungen die Immobilienspekulation anheizte. Das Finanzkapital kam bekanntlich nicht, die leeren Büros stehen immer noch herum.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Olympia durchaus für eine Standortpolitik steht, die ausschließlich von der Idee getragen ist, mit dem Speck nach dem Schwein zu werfen. Von einer Einbettung der Projekte in eine wie auch immer geartete Strategie von regionaler Entwicklung ist bislang nichts zu sehen und die wenigen sicheren Arbeitsmarkteffekte betreffen prekäre, schlecht bezahlte „McJobs“.

Eigendoping als Stadtpolitik

Die Olympiabewerbung Leipzigs ist also in einigen Bereichen mit einem Verlust an Lebensqualität für die Bewohner der Stadt verbunden, in anderen Bereichen geht sie mit hohen Risiken einher und die Gewinne des ganzen Unternehmens sind unsicher. Angesichts dieser Einschätzung stellt sich logisch die Frage, warum in aller Welt die Leipziger Eliten Olympia unbedingt wollen. Versucht man sich dieser Frage zu nähern, ergibt sich ein Bild, dass die Olympiabewerbung eher als Versuch des aggressiven Eigendopings, denn als (wie auch immer zu beurteilendes) kohärentes kommunalpolitisches Konzept erscheinen lässt.
Die Olympiabewerbung ist dabei nicht Bestandteil und Ergebnis einer Stadtentwicklungsplanung, sondern diese wird umgekehrt auf das Großereignis zugeschnitten. Nach jahrelangen Misserfolgen und Problemen scheint der kommunale Planungsapparat genug von frustrierender Kleinarbeit zu haben und konzentriert sich auf glamouröse Großereignisse. Statt kleinteiliger Arbeit an sozialen Problemen gibt es jetzt wieder Spatenstiche und Sektempfänge. Für den politischen Erfolg wird dabei weniger das tatsächliche Ergebnis wichtig, als die Wahrnehmung Leipzigs in den Medien.
Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist die zusehend schwindende Neigung der Leipziger Eliten, Realitäten überhaupt noch zur Kenntnis zu nehmen. Wer Rathausstatements und Medienberichte verfolgt, wird Leipzig fast nur noch als junge, dynamische, von „Aufbruchstimmung“ geprägte „Boom-Region im Osten“ kennenlernen. Die Aufgaben, die sich mit der Schrumpfung, dem ökonomischen Niedergang und der sozialen Verelendung stellen, verschwinden immer mehr von der Agenda. Gerade Olympia wirkt dabei als starkes Amphetamin, das die Auseinandersetzung mit der deprimierenden Gegenwart durch eine beschwingte, geträumte Zukunft ersetzt. Wie immer in solchen Fällen ist der Kater vorprogrammiert.

Demokratie oder Olympia

Dass man in Leipzig von all diesen Problemen kaum etwas erfährt, liegt in der Verknüpfung aus hausgemachter Verblendung und Vorgaben des IOC begründet. Denn mit der Ausrichtung zentraler Stadtentwicklungsthemen auf die Maßgaben einer Olympiabewerbung verschwindet zusehends auch die Fähigkeit, die üblichen Bürgerbeteiligungsverfahren überhaupt noch zuzulassen. Um im Wettbewerb mit den anderen Bewerberstädten beim IOC keine Unsicherheiten aufkommen zu lassen, wird Geschlossenheit demonstriert und werden Störquellen ausgeschaltet. Die „normale“ Beteiligung von Bewohnern und Stadtrat wird dabei sukzessiv aus der Entscheidung über die Stadtentwicklung ausgeschlossen. Die Handlungsautonomie geht dabei auf Sonderplanungsmaßstäbe über, die ihr Handeln nicht an breiteren Konzepten der Stadtentwicklung, sondern an den Notwendigkeiten eines erfolgreichen Bewerbungsverfahrens ausrichten. Bewohner und Lokalpolitiker werden dabei nur als Jubelkulisse gebraucht, um dem IOC den Eindruck einer überwältigenden Zustimmung zu vermitteln. Sie werden nicht informiert und erst recht nicht gefragt.

N.Ante




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