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Abriss Olympia oder ... Der Geschichten genug

Die Geburt des Sports aus dem Geiste des Militärs

Zu Anfang eine kleine Anekdote: Genauer gesagt der Ursprungsmythos der OS, gleichzeitig der wohl bekannteste Hochzeitsagon der Antike. Oinomaos, der König von Pisa veranstaltete Wettkämpfe mit Pferdewagen um für seine Tochter Hippodameia einen ihm genehmen Bräutigam zu finden. Dazu ließ er dem Freier erst listig einen Vorsprung um ihn dann einzuholen und von hinten mit der Lanze zu durchbohren. Da Oinomaos über die schnelleren Pferde – ein Geschenk seines Vaters Ares, seines Zeichens Kriegsgott - verfügte, brauchte es erst 13 Leichen bis sich ein noch listigerer Typ, namens Pelops fand. Der versprach dem Wagenlenker des Königs eine Nacht mit der schönen Hippodameia, wenn er des Königs Wagen manipuliere, so dass der König beim Rennen zu Tode stürze und Pelops das Rennen gewinne. Der Wagenlenker, der nach dem Betrug wohl ausgedient hatte, ward vom Fels gestoßen und zur Ehre des toten Königs wurden Leichenspiele veranstaltet, die dann den Ursprung der antiken OS darstellen.(1)
Da die Geschichte der geneigten Leserschaft dann doch etwas zu sehr nach Sport auf Leben und Tod, nach Machtpolitik und Verrat klingt, vom Frauenbild ganz zu schweigen, wurde die Geschichte schon von Pindar in der Antike etwas geschönt und in der Neuzeit dann zum Mythos vom friedlichen Ursprung Olympias mit „fair play“ und unpolitischem Sport stilisiert. Soviel nur zur ewig wiederkehrenden Mär von Humanismus und Friedfertigkeit, die jede leise Kritik der Olympischen Spiele als Ignoranz gegenüber einer friedlichen Idee stempeln will. So wird das Märchen vom friedlichen Wettkampf (zumal dem der Nationen), vom Olympischen Frieden und der olympischen Völkerverständigung erzählt, mit reichlich verzerrter Antikenrezeption versehen.
Der Hauptinhalt der Olympischen Spiele ist und war Wettkampf. Dass Wettkampf nicht Frieden ist, nie war und nie sein kann, dafür sollen hier die Olympischen Spiele stellvertretend für alle konkurrenz-, leistungs- und profitorientierten Veranstaltungen, Systeme und Ideologien stehen.
Für alle die mit Mythen, zumal von Göttern, nicht allzu viel anfangen können, beginnen die harten (!) Fakten der olympischen Spiele 776 v. Chr., die Zeit aus der die ersten Aufzeichnungen gefunden worden. Bis dahin hatten die Eleer (eine griech. Polis) schon den Führungsanspruch über die Festspielleitung von den Pisaten (s.o.) erobert, so dass die Spiele in Elis stattfanden.
Dort wurde auch der so genannte „Olympische Friede“ geschlossen, den die modernen Sportideologen ungeachtet historischer Tatsachen, hervorgezaubert haben, um uns ihren Drill als Frieden zu verkaufen. Denn „was da im Deutschen häufig anspruchsvoll als „Olympischer Frieden“ oder „Gottesfrieden von Olympia“ firmiert, wird im Griechischen auch rein sprachlich schon „eine Nummer kleiner“ ausgedrückt: Die Griechen sprachen von der Ekecheiria. (…) Im etymologischen Wörterbuch findet sich dafür die „Übersetzung“: Zustand in den die Hände zurückgehalten werden. (…) Das heißt es herrscht eine Waffenruhe, ein Waffenstillstand. (…) Es blieb den – für Ideologien offenbar anfälligeren – Deutschen vorbehalten den olympischen „Waffenstillstand“ zum „Frieden“ aufzuwerten.“
Was also seit der Wiederbelebung der OS in der Neuzeit als verklärende Legitimierung missbraucht wird, war nichts anderes als eine pragmatische Vereinbarung, über freies Weggeleit für die Sportler und Besucher der Spiele und über eine Zeit „in der verfeindete Parteien gefahrlos ihren Pietätpflichten gegenüber den eigenen Gefallenen nachkommen konnten: Bergung und Bestattung der Toten sowie in einer späteren Phase Leichenspiele“(2)
Aus der in kriegerischen Auseinandersetzungen überwiegend neutralen Stellung der Olympischen Spiele geht wohl auch die Mär von der politisch neutralen Stellung des Sports hervor.
Dies ist nur eine Mutmaßung, doch anders ist dieser absurde Gedanke nicht erklärbar.

Allein die Zusammenstellung der olympischen Disziplinen, die sich über die Zeit herausbildete ist aufschlussreich: Die Wettkämpfe setzten sich aus Laufen, Fünfkampf, Kampfsport und Wagenrennen zusammen.
Unter den Kampfsportarten war es vor allem der Faustkampf der die Brutalität antiken olympischen Sports offenbart. Geschlagen wurde auf Kopf und Gesicht, mit der nackten Faust oder mit Schlagriemen, die später z.T. mit Metallspitzen versehen wurden.
Weiterhin gab es Ringkampf, für den die Athleten durch spezielle Diäten zu schwergewichtigen Kampfkolossen gemästet wurden, und das Pankration bei dem schon mal der eine oder andere Kämpfer zu Tode kam.
Unter den Laufdisziplinen ist vor allem der Waffenlauf hervorzuheben, der sich aus der militärischen Phalanxordnung, der Schlachtaufstellung bei Kriegen, heraus entwickelte.
„Der militärische Charakter dieses Laufs war offensichtlich und sollte wohl daran erinnern, dass der sportliche Wettstreit auch der Wehrhaftigkeit des Mannes diente – das Ganze war sicher weniger ein Appell an panhellenische Verteidigungsbereitschaft als wohl vielmehr eine Mahnung an jede einzelne Polis der Agonistik (griech.: Wettkampfwesen, Anm. d. Verf.) auch aus militärischem Aspekt den ihr gebührenden Wert zuzumessen“.(3)
Spätestens hier müsste auch dem dümmsten Schäfchen bürgerlicher Ideologen das Licht aufgehen, dass sportlicher Wettkampf schon immer mehr war, als lustiges Herumtollen aus Spaß am Spiel.
Die „Königsdisziplin“, das Wagenrennen der Viergespanne war für das griechische Volk eine offenbar eindrückliche Demonstration der ökonomischen Übermacht der Teilnehmer, erst recht natürlich des Gewinners. Denn nur die Reichsten unter den Griechen konnten es sich leisten teure Pferde zu züchten und nach Olympia zu schicken. Für den Gewinner allerdings ein lohnendes Geschäft: „Nicht zu Unrecht ist behauptet worden, dass der Sieger des Wettfahrens mit dem Viergespann geradezu als der potentielle Anwärter auf die Tyranis in seiner Heimatstadt erschien.“ Außerdem half ein Olympiasieg den Adligen sich den Einfluss beim Volk zu sichern, oft wurden politische Ämter aufgrund sportlicher Erfolge vergeben und die Heimatpolais des Siegers konnte ihr Prestige ausbauen. Manipulation der Massen durch bekannte Gesichter und berühmte Namen ist keine Erfindung der Neuzeit und Sport damals wie heute nicht frei von Politik.
Außerdem kamen die Gewinner sowieso meist aus politisch und ökonomisch stärkeren Polais. „Die dort herrschende Atmosphäre des Ehrgeizes und der Prestigesucht erwies sich (…) ganz offensichtlich als ein die Agonistik förderndes Element.“(4)
An den Olympischen Spielen durfte nur teilnehmen, wer freier Grieche und männlich war. Barbaren, Frauen(5) und Sklaven waren ausgeschlossen. Schließlich ging es ja nicht um die Freude am Sport und der Ästhetik, sondern um jede Menge Geld und Macht. Ohnehin war die Teilnahme nur denen möglich, die durch das politische System begünstigt und von der Ausbeutung vor allem der SklavInnen, auf jede Art von Broterwerb verzichten konnten und so den ganzen Tag mit der „Pflege der Gymnastik und Agonistik“ verbrachten. Genauer gesagt der reichen adligen Oberschicht. Überhaupt entsprach der sportliche Wettstreit stark dem Erziehungsideal der Aristokratie. Die sogenannte Arete beinhaltete vor allem die Körperertüchtigung zum Zwecke der Wehrerziehung. Abstoßendstes Beispiel waren dafür die Spartaner. Hier begann der staatliche Zwang zum Sport, die heutige Form der Zwangswehrhaftmachung, den Schulsport, weit übertreffend, schon von Kindesbeinen an. Schon die kleinen Jungen wurden durch Sport auf ihre spätere Rolle als Krieger gedrillt und halfen so mit Sparta zur führenden Militärmacht in Griechenland zu machen.
So wurden durch den Sport nicht nur „Ideale“ wie Mannhaftigkeit, Leistung und Gehorsam in die Köpfe der Griechen gehämmert, sondern auch Militarismus und der Wille andere Menschen kriegerisch zu unterwerfen.
Letzteres wird vor allem von den Apologeten des völkerverbindenden Olympia erfolgreich vertuscht. Das Märchen von der Völkerfreundschaft durch Olympia hat seine Wurzeln ebenfalls in der verklärenden Rezeption der griechischen Antike. Heute wird das altertümliche Olympia häufig zur panhellenistischen (das heißt: alle hellenischen Polais verbindenden) Veranstaltung erklärt, bei der sich die Teilnehmer statt im Krieg eben im Wettkampf messen konnten. Das ist so nicht haltbar, denn zwar wurden, ob der Seltenheit der Möglichkeit zum persönlichen Austausch, während der OS politische Gespräche zwischen den Diplomaten der verschiedenen Polais geführt, hin und wieder auch Siege beim Wagenrennen an andere Politiker abgetreten, um so politische Zugeständnisse zu erkaufen, von einer grundsätzlich einigenden Funktion der Olympischen Spiele(6) für alle ihre Teilnehmer kann aber nicht die Rede sein. Denn grundsätzlich kann eine weitere Demonstration der Konkurrenz zwischen verschiedenen Volksgemeinschaften, wie Wettkämpfe sie nun mal darstellen, selbst wenn sie mit noch sie viel bunten Wimpeln als friedliches Gegeneinander verkauft werden, nicht den Kampf zwischen und erst recht nicht die Segregation in unterschiedliche Gruppen, seien es Stadtstaaten oder Nationen, mindern oder gar abschaffen.
Im Gegensatz zur neuzeitlichen olympischen Bewegung versuchten die Griechen jedoch gar nicht erst, ihre Wettkämpfe als Friedensfeste zu verkaufen. Auch aus der diskriminierenden Staatspolitik, die große Teile der Bevölkerung von der Olympiade ausschloss wurde kein Hehl gemacht. Sklaven war sowohl Teilnahme als auch das Zuschauen versagt, es sei denn der Herr der sie sein eigen nannte, brauchte sie als Gepäckträger. Verheirateten Frauen war es verboten die „heiligen Hallen“ auf dem Hain von Olympia zu betreten. Nun ist es nicht gerade schade, sich nicht an militaristischer Zucht, Verwertung und Ausbeutung des eignen Körpers beteiligen zu müssen, ein eindeutiges Zeichen patriarchaler Herrschaft über die Selbstbestimmung der Frau ist es aber schon. Auch konnte sich zumindest anfangs nur der reiche Adel an den Spielen beteiligen, da es einfachen Bürgern nicht möglich war die teure Reise und das zeitaufwendige Training zu finanzieren. Eine ausdrückliche Amateursklausel gab es jedoch nicht. (Diese ist eine Erfindung der neuzeitlichen Olympiaapologeten um die unteren sozialen Schichten auszuschließen) Spätestens seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. ist eine starke Beteiligung nichtadliger Sportler überliefert. „Die stärkere Ausnutzung der Sklavenarbeit (…) hatte zu einer ökonomischen Stärkung der nichtadligen Schichten geführt. Auch die Kriegstechnik war eine andere geworden: Statt der adligen Einzelkämpfer hatte sich die geschlossene Phalanx von Schwerbewaffneten durchgesetzt. Diese militärische Neuerung erforderte eine stärkere Einbeziehung breiter Schichten in die körperliche Ausbildung.“(7)
Mit dem Aufkommen des Söldnerwesens wurden die Spiele dann überflüssig und im 4. Jahrhundert n. Chr. vom christlichen Kaiser Theodosius verboten. Ein langes Kapitel der Kriegstreiberei fand sein vorläufiges Ende.

Uniform yourself

Die Funktion des Sports als Mittel zur Züchtung wehrhafter, „funktionaler“ und „funktionierender“ Menschen erkannte auch der Neubegründer der Olympischen Spiele, der französische Adlige Pierre de Coubertin. In den nationalistisch gesinnten Kreisen Frankreichs wurde noch über die Demütigung von 1870/71 gewütet und die diesem Sumpf entstammende Parole Coubertins: „Rebronzer la France“ („Frankreich wieder stärken“) wurde sein nationalistisches Lebensmotto. Zu diesem Zweck beschäftigte er sich mit dem, seiner internationalen Vormachtstellung wegen neidisch beäugten England und befand das englische Erziehungswesen als „Eckstein des britischen Weltreiches“(8). Denn nur aus der Erziehung könne „jenes Maß an Unternehmungsgeist und Tatkraft hervorgehen, das Großbritannien die Besetzung der weltpolitischen Führungsrolle ermöglichte.“(9)
Den Franzosen bescheinigte er auf diesem Gebiet eher Unfähigkeit, das existierende Schulwesen sei sowohl für die Niederlage gegen Preußen als auch für das „koloniale Unvermögen“ seines Vaterlandes verantwortlich.(10) Das englische System der Public schools, maßgeblich inspiriert von Coubertins Ikone Thomas Arnold, hingegen wies verschiedene Merkmale auf, die den im von Coubertin sozialdarwinistisch interpretierten „struggle for life“, den Konkurrenzverhältnissen des modernen Kapitalismus, benötigten Eigenschaften des Arrivismus und des Sich-Nach-Oben-Kämpfen freisetzen halfen. So leite das englische Erziehungssystem die Schüler zu so genanntem „self government“ an.
Den Schülern sollte mehr Verantwortung für ihr eigenes Handeln zukommen.(11) Das klingt ja zunächst einmal ganz gut, man möchte fast glauben, Coubertin sei wirklich der Demokrat gewesen, für den er sich ausgab. Erst nähere Betrachtung offenbart die eigentliche Überlegung hinter diesem Konzept. Denn Selbstregierung ist nicht etwa gleichzusetzen mit Selbstbestimmung.
Den mit mehr so genannter Verantwortung (bspw. ein privates Zimmer) ging auch die persönliche Haftung (oder wiederum am Bsp. des Privatraumes die bessere Lokalisierbarkeit) der Schüler einher. Die Schüler sollten also nicht mehr durch äußere Maßnahmen unterdrückt werden, sondern sie sollten die Fremdzwänge internalisieren, sich selbst im Sinne des Staates regieren, dazu gebracht werden, „als ihr eigener Polizist zu fungieren“(12). Permanente Selbstüberwachung, Selbstdisziplinierung, Selbstzwang die Regeln des neuen Systems Kapitalismus zu befolgen. Und das alles zum Wohle der Nation!
Dem Sport kommt dabei eine Transmitterfunktion zu. Denn einem gesunden Menschenverstand kommt nicht in den Sinn, sich freiwillig zur Ausbeute, bzw. als „Menschenmaterial“(13) zur Verfügung zu stellen. Hier wird der menschliche Drang zur Bewegung dazu ausgenutzt, die dem kapitalistischen System inhärenten Prinzipien des sich Bekämpfen und Überbieten als naturgegebene Notwendigkeit zu verkaufen.
Zum zweiten dient der Sport der Unterdrückung sozialer Konflikte. Denn “dem Sport ist eine ungeheure Beschwichtigungskraft eigen“(14) Sport soll an gesellschaftliche Hierarchie gewöhnen. Dadurch, dass Sportler Rangordnungen sozusagen aus der eigenen Reihe entstehen lassen (Mannschaftsführer, etc.), wird der Unterschied zwischen Regierendem und Regierten nicht als zu groß empfunden und durch die scheinbare Überlegenheit durch höhere Leistung zusätzlich legitimiert. Deshalb fand Coubertin es klüger im Sinne von Staat, Gesellschaft und Schule, einen Teil der Autorität dorthin zu verlagern, wo der Ursprung möglichen Widerstandes liegt. Stärkere Schüler sollten über schwächere Schüler herrschen. Die Anerkennung dieser Ungleichheiten bezeichnet Coubertin als „die beste Grundlage für den sozialen Frieden“(15) Was Coubertin also demokratisch nannte, ist nichts weiter als effizientere Vermeidung emanzipatorischer Konflikte oder schlicht Verarschung.
Diese theoretischen Überlegungen Coubertins reiften in ihm zum Gedanken die Olympischen Spiele der Antike unter seiner Fuchtel neu zu inszenieren.
1888 gründete er das Komitee zur Verbreitung der Leibesübungen im Erziehungswesen, dessen Präsidentschaft er dem greisen, aber überaus populären Jules Simon übertrug und besetze 1890 selbst den Posten des Vorsitzenden der Union des Sociétés Francaises des Sports Athlétiques, welche später zum bedeutendsten Dachverband der Sportvereine Frankreichs wurde.
Coubertin setzte viel taktisches Geschick ein, um die anfangs ablehnende Haltung der Sportwelt zu brechen. Gegen den Widerstand vor allem der preußischen Turner und der Protagonisten der skandinavischen Gymnastik(16) beschloss der Internationale Athletik Kongress 1894 die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit 1896 in Athen (sehr zum Ärgernis Coubertins nicht in Frankreich) durchzuführen.
Erst die zweiten Olympischen Spiele fanden dann 1900 im Rahmen der Weltausstellung in Paris statt. In Athen wurde nur „in Geschichte gekleidete Technik“(17) in Paris sollten dann auch Vorträge und Kongresse folgen um die „Erziehung der Jugend“ zu Leistung und(Wett-)Kampf fürs Vaterland auch ideologisch zu stützen.
In dieser Zeit formierte sich auch das IOC (Internationales Olympisches Komitee, bis heute oberstes Organisationsorgan der Olympischen Spiele) als so genannter „self-recruiting body“ aus 16 durchweg männlichen Repräsentanten der Oberschicht. Coubertin beschrieb das im Aufsatz Die „Treuhänder“ der Olympischen Idee so: „Wir sind nicht gewählt worden; wir ergänzen uns aus den eigenen Reihen und unsere Amtszeit ist unbegrenzt.“
Sehr demokratisch also schon immer! Aber nach Coubertin bestünde das „beste Mittel, die Freiheit zu schützen und der Demokratie zu dienen nicht immer darin, alles dem Wahlentscheid zu überlassen“(18).
Ebenfalls bereits in der Frühphase der OS bildeten sich Nationale Olympische Komitees (NOKs) die für die Teilnahme der Nationalmannshaften zuständig sind. Der Idee nach sollten sowohl IOC als auch NOKs ehrenamtlich, d.h. ohne persönlichen materiellen Vorteil arbeiten. Weiterhin entstanden Fachverbände für die einzelnen Sportarten zur Festlegung von Regelwerken, Führung von Rekordlisten, usw. und es wurde eine Olympische Charta verfasst.

Deutschland spielte dabei von Anfang an eine Sonderrolle. Das deutsch-französische Verhältnis war geprägt von nationalistischen Ressentiments und die preußischen Turner sahen den aus England stammenden Sport im Gegensatz zu ihren nationalistischen Idealen. Außer dem könne man sich nicht „an die Franzosen heranschmeißen“ Dafür stünde man „zu hoch“(19) Sie beschwerten sie sich zu dem Kongress 1894 nicht eingeladen gewesen zu sein, obwohl das wohl nicht ganz der Wahrheit entsprach und sie sowieso eine ablehnende Antwort vorausschickten. Vielmehr riefen sie „Bahn frei für das deutsche Olympia“(20) Zudem existierte der Plan statt eines baulichen Denkmals zur Völkerschlacht in Leipzig wie seitens des deutschen Patrioten-Bundes angedacht, ein lebendiges Denkmal in Form eines Sportfestes zu schaffen. Vielleicht hätten die Leipziger dann statt marschierender, turnende Nazis zu begaffen, welch süffisante Vorstellung!
Der deutsche Chemiker Willibald Gebhardt setzte sich dann ab 1895 für eine deutsche Beteiligung ein, diese wurde vom Deutschen Bund (?) vorerst mit der Begründung abgelehnt, dass die unqualifizierte Haltung der Griechen gegenüber den deutschen Gläubigern ihrem nationalen Selbstgefühl widersprechen würde, die Franzosen nicht zur Objektivität in der Beurteilung fähig seien und es in der Kürze der Zeit nicht mehr möglich sei, eine würdige deutsche Mannschaft aufzustellen, eine schlechte Vertretung bei den olympischen Spielen aber, dem nationalen Interesse schweren Schaden bringen würde. Deshalb sei ein eigener Wettkampf zu veranstalten, der aber bitte nicht Olympia heißen könne, sondern einen ordentlichen deutschen Namen brauche.(21) Das von Gebhard geschaffene Komitee zur Beteiligung Deutschland an den Olympischen Spielen bildete dann doch eine Mannschaft, die nach Athen fahren sollte.
1912 wählte das IOC dann zum ersten Mal Berlin als Austragungsort der Olympiade.
Eigentlich wollte Deutschland ja schon die Spiele 1912 nach Berlin holen, aber man entschied sich letztlich dagegen, da die Vorbereitungen für den Bau eines Stadions, des Grünewaldstadions in Berlin noch nicht sehr fruchtend waren und wollte dafür 1916 so richtig protzen. Die Revue Olympique schreibt 1909 über die Deutschen: „Kein anderes Volk kann besser als das deutsche (…) den Olympischen Spielen den Stempel disziplinarischer Gewohnheiten aufdrücken. Die Deutschen haben den Instinkt, die Neigung für Ordnung und Disziplin; sie haben deren Wichtigkeit begriffen und unterwerfen sich denselben gern. Man darf auf sie zählen, dass sie in die Zukunft der Olympischen Spiele eine strenge und zugleich intelligente Disziplin einführen werden.“(22) Sport ist nicht Spaß und Spiel und soll es offensichtlich auch nicht sein.
An den Spielen 1912 in Stockholm nahmen die Deutschen Turner trotzdem nicht teil, weil deutsches Turnen auf schwedischem Boden dann eben doch eine arge Zumutung fürs nationale Ehrgefühl wäre.
Die Einweihung des Deutschen Stadions, des „Überstadions“ für die Überdeutschen wurde mit einer Parade von 30.000 „gründlich, schematisch, kommissisch“ marschierenden Turnern und Sportlern begangen. Bekenntnis zum militärischen Drill und „Miniatur Militarismus“ lauten Urteile aus der Presse.(23) MitgliederInnen der SPD war der Zugang zum Stadion verwehrt, es gab eine Gegenveranstaltung.
Für 1915 war ein nationales Olympia in Berlin geplant, doch der Kriegsausbruch 1914 verhinderte das.
Schnell stand auch die Frage im Raum, ob denn die Spiele 1916 in Berlin überhaupt stattfinden sollten. Eindeutig geäußert hat sich dazu nur die Deutsche Turnerschaft: “Wir werden sie einfach in Deutschland nicht dulden diese Ausländer, geschweige denn ehren als Sporthelden und Rekordbrecher! Das ist vorüber! Was (…) geschehen an himmelschreienden Schandtaten gegen harmlose Deutsche (…) das alles kann selbst der beschränkteste deutsche Michel in der Frist von 2 Jahren weder vergeben noch vergessen haben. (…) Unsere deutsche Jugend kann in Zukunft nur an sich selbst erstarken.“(24)
1915 äußert sich auch der Deutsche Reichsausschuss für Olympische Spiele (DRAFOS) dahingehend, dass er ja schon immer die Schaffung eines nationalen Olympia(25), ohne böse Reichsfeinde, als seine Hauptaufgabe verstanden hat und die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen eben nur der Förderung der Leibesübungen in Deutschland dienen sollte. Und das zur Gesundung des deutschen Volkskörpers und zur Schaffung der rechten Gesinnung. Er wurde in Deutscher Reichsausschuss für Leibesübungen umbenannt, es wurden in Zusammenarbeit mit dem Alldeutschen Verband so genannte Deutsche Kampfspiele geplant und in diesem Zusammenhang wird auch die Einführung eines „Gesetzeszwangs“(26) zu Leibesübungen diskutiert. Jeder Schüler und jede Schülerin sollte eine Stunde täglich fürs Deutschtum schwitzen. Organisator und Protagonist war des Ganzen war damals schon Carl Diem.
Die Spiele 1916 fielen dann natürlich aus, statt durchs Stadion zu laufen, lagen die darauf bestens vorbereiteten Sportler im Schützengraben und mordeten fürs Vaterland.
Zum Zusammenhang von Sport und Krieg äußerte sich unser friedliebender Sportfreund Coubertin: “Schon vor Ausbruch des allgemeinen Krieges wussten wir mit Sicherheit, dass die Renaissance des Sports durch Pflege der Energien des Individuums nationale Kraft geschaffen hatte. Die Tragödie die sich nun vor unseren Augen abspielt hat das schlagend und blutig unter Beweis gestellt. Aber der Sport vermag mehr für uns zu tun…“(27) Danke, wir verzichten!

Führer, Volk und Fackellauf

Die OS unter der Naziherrschaft 1936 waren die makaberste aber prägendste Olympische Veranstaltung der Neuzeit. Heute oft rezipiert als böse Vereinnahmung und Verfälschung der guten Olympischen Idee, müssen die Olympischen Spiele 1936 ganz im Gegenteil als reinste Verkörperung der Coubertinschen Olympischen Ideale betrachtet werden.
So äußerte sich Coubertin denn auch in hellster Begeisterung über die nazideutschen Spiele: In einer Rundfunkvortragsreihe fürs Propagandaministerium verkündete er: „Das erste und das wesentlichen Merkmal des alten wie des modernen Olympismus ist: eine Religion zu sein. Durch Leibesübungen formte der Wettkämpfer der Antike seinen Körper wie der Bildhauer seine Staue und „ehrte dadurch seine Götter“. Der Wettkämpfer der Neuzeit, der gleiches tut, erhöht damit sein Vaterland, seine Rasse, seine Fahne. (…) Das zweite Merkmal des Olympismus ist, daß er Adel und Auslese bedeutet, aber wohl verstanden einen Adel der von Anfang an vollkommene Gleichheit bedeutet, der nur bestimmt wird durch die körperliche Überlegenheit des einzelnen (…) Aber eine Auslese zu sein genügt nicht, sie muss mit Ritterlichkeit verbunden sein. Ritter sind vor allem „Waffenbrüder“, tapfere energische Männer.“(28)
Die Parallelen zwischen Olympismus und Faschismus treten deutlich hervor. Antirationale, antiintellektualistische „Religiosität“, rassistischer Körperkult, Nazismus, Militarismus und Patriarchat. Es sollte zu denken geben, wenn heute wieder zigtausende Menschen auf Plätzen deutscher Städte stehen und geschickter Propaganda gehorchend, Fähnchen schwenkend, die Olympischen Ideale bejubeln.
Nachdem Deutschland als kriegsschuldige Nation von den OS 1920 in Antwerpen und 1924 in Paris ausgeschlossen wurde, setzten sich Diem und Theodor Lewald bald wieder stark für eine (nicht nur sportliche) Reintegration Deutschlands ein. Diem wollte Deutschland „einen Platz an der Sonne wiedererobern“(29) So wurden 1925 Lewald und Oskar Ruperti, damaliger Präsident des deutschen Ruderverbandes, ins IOC aufgenommen und 1928 bei den Spielen in Amsterdam nahm Deutschland wieder Teil.
Schon während des Krieges erfuhr der Sport einen enormen Aufschwung. So schnitt die deutsche Delegation ziemlich gut ab und beflügelte wieder zu großen deutschen Plänen:
Als 1930 der 28. Kongress des IOC in Berlin stattfand, nutzte Deutschland die Gelegenheit sein Interesse an der Austragung der Spiele erneut kundzutun. Es wurden eine Bewerbung und gleich noch Umbaupläne für das Deutsche Stadion in Berlin präsentiert und da Spanien, als einzig relevanter Mitbewerber wegen des anstehenden Bürgerkrieges nicht in Frage kam, fiel die Entscheidung für die Spiele 1936 tatsächlich auf Berlin.
Erklärtes Ziel der Nazis, die der Ausrichtung der OS zunächst skeptisch gegenüberstanden, war Propaganda nach außen und innen. Innenpolitisch sollte die Erfüllung der „nationalen Aufgabe“ Olympia die Volksgemeinschaft enger zusammenschweißen, es wurde ein Olympia-Proaganda Ministerium gegründet.
Das Ausland sollte durch die Aufrechterhaltung sportlicher Beziehungen beruhigt werden,(30) kurz: die kriegerischen, imperialistischen und antisemitischen Absichten der Nazis sollten verschleiert werden.
Das IOC beschloss, auf die Einhaltung der Olympischen Charta zu bestehen, und die Möglichkeit der Teilnahme jüdischer SportlerInnen zu fordern. Aus Berlin wurde dann sogar erklärt, dass jüdische SportlerInnen nicht aus deutschen Mannschaften ausgeschlossen würden. Der US-Sportfunktionär und spätere IOC Präsident Avery Brundage fand bei seiner Deutschlandreise nichts Anrüchiges an der deutschen Politik (Wen wundert's, wenn er selbst keine Juden in seinen Sportvereinen duldete!(31)) und verhinderte den geplanten Boykot. In Frankreich gab es ebenfalls eine Boykotbewegung, diese blieb allerdings ohne großen Einfluss. Einzig die kommunistische Bewegung organisierte Protest auf breiter Basis. Wie schon 1925 und 1931 in Frankfurt und Wien war für 1936 wurde eine Arbeiterolympiade in Barcelona geplant, zu der mehrere Tausend Menschen anreisten. Wegen des faschistischen Überfalls auf Spanien musste sie ausfallen, viele SportlerInnen blieben jedoch dort und traten den internationalen Brigaden zur Verteidigung gegen Franco bei. Nicht nur deshalb blieb der Widerstand in Deutschland gegen die Olympischen Spiele äußerst begrenzt. Tatsächlich nahmen sogar zwei halbjüdische Sportler für die deutsche Mannschaft teil, die den NS natürlich gelegen kamen, ihre antisemitischen Vernichtungspläne zu verschleiern. Auch dem Kommunist Werner Seelenbinder wurde die Teilnahme gestattet. 1944 wurde er im Zuchthaus ermordet und die beiden jüdischen Ehrengäste Alfred und Felix Gustav Flatow(32) fanden in KZs den Tod.
Für die Durchführung wurde das gigantische Berliner Olympiastadion errichtet. Letztlich doch nach den Plänen von Albert Speer, Hitlers Lieblingsarchitekten, erbaut(33), zeugt seine monumentale Architektur bis heute von deutschem Weltmachtstreben. ( Um jetzt Leipzigs weiter, schneller und vor allem höher zu planen wurde die Machbarkeitsstudie von dem Frankfurter Planungsbüro Albert Speer & Partner erstellt. Wie sein Vater spart der Speerjunior in dieser Studie mit Städtebaulichen Visionen nicht).
Durch Einsatz modernster Techniken, marschierender Menschenmassen und akribischster Organisation gelang es Deutschland die bis dahin gigantischsten OS zu inszenieren.
Viele von den Nazis erfundene Rituale (wie bspw. den Fackellauf) praktiziert die olympische Bewegung bis heute.

Der heiß-kalte olympische Krieg

Man lernte nicht aus der Geschichte, die Olympischen Spiele waren auch nach dem Zweiten Weltkrieg gelegenes Propagandainstrument, Ansporn zur Wehrertüchtigung und für willkommene Gelegenheit sich auf Kosten der Menschen in den austragenden Städten zu bereichern.
Der Widerstand gegen die OS hat ebenfalls Geschichte. Dabei kommen politische Demonstrationen den imageversessenen Veranstaltern meist nicht gelegen.
1968 ermordete die mexikanische Polizei über einhundert Demonstranten mit Handgranaten und durch Maschinengewehreinsatz. Diese demonstrierten zehn Tage vor den OS friedlich gegen die Spiele. Die Stadt war „gesäubert“.

Die olympischen Spiele waren jahrelang augenfälliges Symbol der Systemkonkurrenz, Mittel die „Überlegenheit“ der eigenen Diktatur zu demonstrieren und die Menschen ruhig zu stellen. So kam es den zwischen 1956 und 1984 zu spektakulären Boykotaktionen.
1956 nahmen wegen der brutalen Niederschlagung des Ungarnaufstandes und der Suezkrise, Spanien die Niederlande, die Schweiz, Ägypten und Irak nicht teil.
1956-64 war Deutschland wieder mit einer gesamtdeutschen Mannschaft vertreten. Ein Beitrag zum Weltfrieden war das freilich nicht.
Seit 1968 startete die DDR mit einer eigenen Mannschaft.
1972 in München kam es dann zu einem Massaker bei Olympia. 8 fanatische Palästinenser überfielen das Quartier der israelischen Mannschaft und richteten ein grausiges Blutbad an.
Die DDR kommentierte damals so: „Israelische Mannschaft – arabische Freischärler – Schüsse im Dorf – auch das ist Teil dieser Olympischen Spiele von München, der nicht vergessen werden kann. Und um es klarer zu sagen: Auch das ist Teil imperialistischer Umtriebe bei diesen Spielen von München. Weil Israel die Menschenrechte missachtet, weil Israel die Charta und die Beschlüsse der Vereinten Nationen mit Füßen tritt, war und ist Krieg in Nahost. Weil Israel arabische Gebiete besetzt hält, weil Israel arabische Völker unterdrückt, weil Israel arabische Menschen bedroht und arabische Dörfer mit Bomben und Terror belegt, ist Krieg in und um Nahost. Und weil westdeutsche Imperialisten und amerikanische den Israelis zur Hand gehen, gibt es Terror und Mord in und wegen Nahost. Dort also liegen die wahren Ursachen für die Vorkommnisse um die israelische Mannschaft (…) die arabischen Staaten (…) haben das Recht, alle notwendigen Mittel für die Abwehr der Aggression zu benutzen.“(34)
Antisemitismus hat eine lange Tradition in Deutschland, an den Olympischen Spielen und den Reaktionen darauf wurde das bereits zweimal auf grausame Art deutlich. Die Olympischen Spiele noch einmal in Deutschland austragen, heißt, bewusst das Risiko eingehen, dass jüdische Sportler dabei wieder Opfer antisemitischer Anschläge werden. Stärkere Kontrollen und Überwachung helfen nicht, wo Antisemitismus auch in den Führungsetagen von Politik und Justiz wieder gesellschaftsfähig ist, bzw. von dort ausgeht und Unterstützung erfährt.
1980 boykottierten die BRD und die USA dann die SU, wegen Moskaus repressiver Politik und dem Afghanistan-Konflikt. 1984 boykottierte der Ostblock die Spiele in L.A. wegen dem Nato-Doppelbeschluss und der Grenada-Invasion. 1988 gab es monatelange Diskussionen um die Spiele in Seoul.
Doch Boykott war nur eine Seite der politischen Ausschlachtung der OS.
Verhängnisvoller zumindest für die Betroffenen war der Versuch der beiden Blöcke sich gegenseitig sportlich zu überbieten. Zur Verhinderung eines möglichen Krieges hat das zwar sicher nichts beigetragen, so wichtig war Olympia dann doch wieder nicht, aber Sport wurde wieder einmal zum menschenverachtenden Propagandainstrument.
In der BRD war die Verbindung von Sport und Politik nach dem Krieg zunächst verpönt. Man gab vor doch aus der Nazi-Zeit gelernt zu haben, tat als verkenne man die dem Sport innewohnende gesellschaftliche Funktion.
Als die DDR die BRD sportlich überholte hatte man endlich einen Grund stärker staatliche Sportförderung zu betreiben. Der Sport avancierte wieder mal zum Symbol für die „Stärke“ eines Systems. Dass die ihm inhärenten Prinzipien, Leistung, Disziplin, Perfektion und Kampf die erwünschten Rückwirkungen auf den Menschen tätigten war da natürlich nur von Vorteil!
Leistungssportler (ebenso wie Showstars und stilisierte Superintellektuelle) bekommen mittels künstlicher Überhöhung durch Medien und Politik eine gewisse Vorbildfunktion zugeschoben. Sie machen vor, was mit Leistungswillen, harter Arbeit, Ausbeutung des eignen Körpers, asketischem Verzicht und dem entsprechenden Kampfgeist zu schaffen ist. Sich an ihnen orientieren, heißt dieses Denken bewusst oder unbewusst übernehmen und seine geistige wie körperliche „Produktivität“ dem System zur Ausbeute überlassen.
Der Leistungssportler selber letztlich ist Ware für Sportvereine oder Nationalmannschaften und wird dadurch nicht nur vom „Produkt“ seiner Arbeit entfremdet, sondern gleichfalls vom eigenen Körper.
Durch die „Freude an der eignen Leistung“ mit der das Sporttreiben positiv aufgewertet werden soll, machen die Mechanismen der Arbeitswelt auch vor unserer Freizeit nicht halt.
Sport ist daher nicht nur Stabilisierung sondern aktive Unterstützung von Kapitalismus und Staat. Zugegeben wurde das in der BRD natürlich nicht.
Die DDR hingegen verstand Sport explizit als Mittel zur „Formung eines neuen Menschen.“ Dem Sport kommt dabei die Aufgabe zu „Wert und Sinn des Sozialismus in der gesellschaftlichen Realität stärker auszuprägen“(35)
Man ging den „zweiten Weg zur Anerkennung“, denn die enormen Erfolge der SportlerInnen aus dem Ostblock brachten ihnen weltweite Bewunderung ein. Walter Ulbricht sprach von „Diplomaten im Trainingsanzug“. Dass diese „Diplomaten“ die entsprechende „realsozialistische“ Gesinnung mitzubringen hatten, verstand sich von selbst. Wer nicht konform ging, flog raus oder kam gar nicht erst hinein ins Sportsystem der DDR. Aber das war wahrlich kein Verlust. Nachdem 1969 der Schwimmer Axel Mitbauer als erster DDR Sportler die Flucht über die Ostsee ergriffen hatte, war klar dass das „Sicherheitsrisiko“ Leistungssportler zu erheblichen Kratzern in der sportlichen Fassade führen konnte.
Die Athleten wurden deshalb akribischst überwacht, sämtlicher Briefverkehr eingesehen, Telefonate abgehört, usw.(36)
Um als „Diplomaten“ für die DDR erfolgreich zu fungieren, mussten die Athleten freilich auch Bestleistungen vollbringen.
Dementsprechend wurde Leistungssport massiv gefördert, Schätzungen zufolge, jährlich mit mehreren Milliarden Mark.(37) Es entstand ein ausgeklügeltes System in dem alle (!) Kinder im entsprechenden Alter Rahmen medizinischer Untersuchungen vermessen wurden. Diese Daten wurden nach bestimmten Kriterien ausgewertet und wessen Maße den Anforderungen einer Sportart entsprachen, über den wurden gleich noch Akten über kognitive Fähigkeiten, Einstellungen zum Sportunterricht, Art der Betätigung in Pionierorganisationen, usw. sowie Einstellungen der Eltern und etwaige Verwandtschaftsbeziehungen ins kapitalistische Ausland angelegt. (Selbstredend auch ohne das die Betroffenen irgendein Interesse an leistungssportlicher Betätigung zeigten) Hatte man das Pech körperlich entsprechend gebaut zu sein und nicht über eine Oma in München zu verfügen wurde man den staatlichen Kaderschmieden zugeführt. Es gab bestimmte Förderstufen, Sportschulen in denen man faktisch nicht über Freizeit verfügte, gigantische Trainingspensa, usw.(38) Und für die die ganz vorn mit dabei waren gab's kleine Pillen und Spritzen. Gedopt wurde vor allem mit androgenen Stereoiden, kraftfördernden männlichen Sexualhormonen. Diese Stoffe, die nicht selten gegen den Willen oder ohne Kenntnis der SportlerInnen verabreicht wurden, führten zu irreversiblen gesundheitlichen Schäden: Bei Frauen vor allem zu Verillisierung (Vermännlichung)(39) bei Männern zu Leberschäden und Verweiblichung nach dem Absetzen der Präparate. Für diese scheußlichen Verbrechen(40) an jungen SportlerInnen wurde das Ostblock-System zu jeder Olympiade mit haufenweise klimperndem Metall belohnt.(41) In den längst nicht mehr „inoffiziellen“ Nationenwertungen bei den Olympischen Spielen nahm die DDR trotz der geringen Bevölkerungszahl vorderste Ränge ein.
So wurde auch im Kalten Krieg mit „Menschenmaterial“ gekämpft, Olympia war Schlachtfeld für ehrgeizige Diktaturen.
In vorderster Front kämpfte dabei Leipzig. Die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) und das dazugehörige Forschungszentrum für Körperkultur und Sport (FKS) bildeten zusammen die „Rote Kaderschmiede“ Hier wurden leistungssportspezifisch neue „Trainingsmethoden“ und neue „Medikamente“ ausschließlich für medaillen-relevante Sportarten ersonnen. Das alles natürlich streng vertraulich. „Am Ende unterlag die Forschung am FKS den gleichen Geheimhaltungsvorschriften wie allenfalls noch militärisch nutzbare Technologien“(42) Kein Wunder, denn hier wurde festgelegt, wer wie viel „unterstützende Mittel“(43) erhält und wie man deren Anwendung immer weiter ausbauen kann. Wer sich auf Leipziger Sporttraditionen beruft, beruft sich auf ekelhafteste Funktionalisierung des menschlichen Körpers für die Machenschaften eines diktatorischen Regimes.

Olympia – eine unendliche Geschichte?

Heute geht es im Sport nicht mehr um die Auseinandersetzung zwischen 2 „Blöcken“. Zwar werden auch heute noch ein großer Teil der Medaillen von Sportlern aus so genannten westlichen Demokratien gewonnen, weil nur hier die finanziellen Möglichkeiten zur ständigen Weiterentwicklung von Sportgeräten bestehen und es sich arme Menschen (wie schon im alten Griechenland) nun mal nicht leisten können, wegen eines in weiter Ferne winkenden olympischen Goldstückchen für den Sport ihren Beruf aufzugeben, das jedoch wird hier bei uns fein säuberlich verschwiegen. Schließlich will man den eigenen Erfolg nicht schmälern.
Die „Fronten“ liegen heute wieder zwischen Nationen. „Wir haben wieder Helden“ titelt die Bild, „Wir sind wieder wer“ brüllt der Volksmob nach der Sportschau. Die nationalen Sportstars werden von den Medien der Wirtschaft stilisiert, schließlich ist eine geeinte Sportsnation eher bereit für nationale „Standortvorteile“ den Gürtel enger zu schnallen und nebenbei lässt sich mit „Sponsoring“ auch ganz gut Werbung machen. Bei der nächsten Olympiade werden wir wieder „unsere“ Stars bejubeln können, uns abschauen, wie heut Erfolg gemacht wird, wie schlank und schön man sein kann und natürlich was man trägt, wenn man dazugehören will.
So sind die Mechanismen der Sportpolitik subtiler geworden. Der Aspekt der, Wehrertüchtigung wird weit seltener erwähnt, auch dass Sport der Reproduktion der Arbeitskraft dient, nennen die Wirtschaftsunternehmen ungern als Grund für ihr „soziales Engagement“ in der Sportförderung. Gewaltprävention und Integration heißen die neuen Schlagwörter. Wer's glaubt wird selig oder sportlich und sitzt der Verdummung auf, die sich seit fast 3000 Jahren kaum geändert hat.
Gegen silberne Olympias und goldene Versprechen!

Pjotr König, gestrauchelte HürdenläuferIn.




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(1) Weeber, Karl-Wilhelm, Die Unheiligen Spiele, München 1991, S. 90f.
(2) ebd. S. 141ff.
(3) Ebert, Joachim und Autorenkollektiv: Olympia, Von den Anfängen bis zu Coubertin, Leipzig, 1980, S. 53.
(4) ebd. S.85
(5) verheirateten Frauen war die Anwesenheit bei den Spielen unter drakonischen Strafen verboten. Bei Wagenrennen jedoch wurde nicht der Lenker des Wagens zum Gewinner ernannt sondern der Besitzer der Pferde. Das konnte durchaus auch eine Frau sein.
(6) Selbst das wäre nur dann ein Beitrag zu mehr Frieden gewesen, wenn man die Hellenen als abgeschlossenes System ohne Wechselwirkung mit Außenstehenden konstruiert. Das heißt in einer Übertragung auf heute würden den einzelnen Stadtstaaten Nationalstaaten entsprechen, so dass Panhellenismus dem Gedanken des Internationalismus entsprochen hätte. Da es neben den Griechen aber natürlich die so genannten Barbaren (abwertender Ausdruck für Menschen aus einer anderen Kulturgemeinschaft) gab, kann Panhellenismus in der Übertragung auf die Gegenwart ebenso mit Nationalismus verglichen werden, insofern er die Hellenen als „Kulturnation“ in rassistischer Abgrenzung zu anderen Völkern konstatiert hätte.
(7) Weeber, a.a.O., S. 74.
(8) Coubertin, Pierre de, 21 Jahre, S. 30, zitiert nach Schönknecht, Hans Joachim, Baron Pierre de Coubertin, der Schöpfer der modernen Olympischen Bewegung, in Lennartz, Karl und Mitarbeiter, Die Olympischen Spiele 1896 in Athen, Erläuterungen zum Neudruck des Offiziellen Berichtes, Kassel, 1996, S. 31.
(9) Schönknecht, ebd.
(10) Alkemeyer, Thomas, Vom Wettstreit der Nationen zum Kampf der Völker, Aneignung und Umdeutung der „Olympischen Idee“ im deutschen Faschismus, Berlin, 1994, S. 71.
(11) Das ist nicht als Ausweitung etwa der frei verfügbaren Zeit der Einzelnen zu verstehen. Zu Bestrebungen die Freizeit aus medizinischen Gründen zu erhöhen, äußerte Coubertin: „Niemals! Freizeit und Ferienzeit werden in beklagenswert schlechter Weise ausgenutzt; von Sport keine Spur. Lasst uns zunächst eine sinnvolle Ausnutzung planen dann können wir sie auch verlängern.“ (vgl. Der Olympische Gedanke, S. 133).
(12) Alkemeyer, a.a.O., S. 83f.
(13) zu Coubertins Verbindung zwischen Krieg und Sport siehe unten.
(14) Coubertin, Pierre de, Der Olympische Gedanke, Reden und Aufsätze, Stuttgart 1966, S.99.
(15) ebd. S.56.
(16) kritisiert wurde vor allem Kampf- und Hochleistungsprinzip, Coubertin erwiederte: Bereits für die militärische Macht der alten Römer sei es ursächlich gewesen, dass Sport dort nicht „wissenschaftlich gezügelt“ betrieben wurde
(17) Coubertin, Pierre de, Olympische Erinnerungen, Frankfurt 1959, S. 51, zitiert nach Schönknecht, a.a.O., S. 33
(18) Coubertin, Der Olympische Gedanke, Reden und Aufsätze, Stuttgart, 1966, S.20.
(19) Eckler, Gebhard, Deutsche Turnzeitung, vom 16.05.1895 zitiert nach Lennartz, Karl, Die Olympischen Spiele 1896 in Athen, Neudruck zum offiziellen Bericht, S. 95f.
(20) Schmidt, Ferdinand August, Deutsche Turnzeitung vom 14.11.1985 zitiert nach Lennartz, ebd.
(21) Sitzungsprotokoll des Bundes am 18.11.1895, zitiert nach Lennartz, ebd.
(22) Revue Olympique, 1909, S. 102-105, zitiert nach Lennartz, Karl, Die VI. Olympischen Spiele Berlin 1916, Köln, 1978, S.9.
(23) Pressestimmen zur Einweihung des Deutschen Stadions im Berliner Grunewald, Daily mail, Vorwärts, Frankfurter Zeitung, zitiert nach Lennartz, 1978, S. 44ff.
(24) Schmidt, Ferdinand August, Körper und Geist 23, 1914/15 S. 147 zitiert nach Lennartz, 1978, S.183.
(25) erstmalig durchgeführt 1922
(26) Diem, Carl, Vortrag vom 25.1.1917, Stadion-Kalender 3.4.5. 1917-1919, S. 31-32. zitiert nach Lennartz, 1978, S.195
(27) Coubertin, Pierre de, 25.2.1918, Der Olympische Gedanke, Reden und Aufsätze, Stuttgart 1966, S.52.
(28) Coubertin, Pierre de, Die Philosophischen Grundlagen des modernen Olympismus, 1935, Der Olympische Gedanke, Reden und Aufsätze, Stuttgart 1966, S.150.
(29) Diem, Carl, 1925, zitiert nach Alkemeyer, a.a.O. S.235.
(30) auch bei einer Olympia-Werbekampagne für die Stadt Leipzig, ist u.a. „Keine Angst vor Deutschland GmbH“ Initiator
(31) Volxsport statt Olympia, Berlin, 1992, S. 21.
(32) Beide Olympiasieger der ersten neuzeitlichen Olympiade in Athen 1896.
(33) Der Bau den Werner March entworfen hatte fand Hitler zu modern, deshalb musste kurzfristig umgebaut werden.
(34) Heil, Alfred, Spiele der XX. Olympiade München 1972, Hg. Gesellschaft zur Förderung des olympischen Gedankens in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1974, S.19.
(35) Sieger, W. Die sozialistische Körperkultur als historisch neue Qualität, in Körperkultur und Sport in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft der DDR, Leipzig, 1978, S.7ff, zitiert nach Schneider, Heike, Olympische Spiele – Spielball im Kräftefeld von Sport, Politik und Publizistik, S. 110.
(36) Siehe auch: Spitzer, Giselher, Gläserne Sportler, Nachwuchsleistungssport als Sicherheitsrisiko, in: Hartmann, Grit, Goldkinder, Die DDR im Spiegel ihres Spitzensports, Leipzig, 1997, S. 127ff.
(37) Vgl. Schneider, Heike, Olympische Spiele – Spielball im Kräftefeld von Sport, Politik und Publizistik, S. 111.
(38) Siehe auch Hartmann, Grit, Wie das Gold geschmiedet wurde, Goldkinder, Die DDR im Spiegel ihres Spitzensports, Leipzig, 1997, S. 109ff.
(39) damit zu pharmakologisch erzeugten Intersexe, d.h. Frauen mit männlichen Geschlechtsmerkmalen
(40) hier soll nicht verschwiegen werden, dass viele Sportler die Präparate auch einnehmen wollten, sogar ein regelrechter Schwarzmarkt dafür entstand
(41) das soll ebenfalls nicht heißen, dass andere Länder nicht gedopt hätten, nur kann der Ostblock dabei getrost als führend betrachtet werden
(42) Hartmann, Grit, Trainerschule DHfK und Forschung am FKS, in: Goldkinder, Die DDR im Spiegel ihres Spitzensports, Leipzig, 1997, S. 133.
(43) Interne Bezeichnung für Doping v.a. mit androgenen Stereoiden