Home | Texte 

 

   Tatort Stadion | Leipzig | 17.03.2003_30.03.2003   

 | "Eine Schande für Leipzig" - Skandal-Derby im Kunzepark | 

Sachsen - VfB 1:0 (0:0)
Entsetzter Bürgermeister Holger Tschense denkt an Ausschluss der Öffentlichkeit Leipzig.

Ein Ortsderby unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Nach dem Skandalspiel vom Sonnabend, einem 22-minütigen Abbruch, brutalen Schlägereien und dem Einsatz hunderter Sicherheitskräfte ist nichts mehr unmöglich!
"Diese Ansammlung von Kriminellen und Rechtsradikalen ist nicht mehr hinnehmbar", sagte Bürgermeister Holger Tschense, "ein weiteres Derby mit Zuschauern unmöglich. Das werde ich dem Verband mitteilen."
Das aus dem VfB-Block angezettelte Chaos wird ein Fall fürs Sportgericht; Geldstrafen sind sicher, Platzsperren denkbar. Für beide Klubs, wie Staffelleiter Ralf Rose ankündigte. Dem VfB als Verursacher, dem gastgebenden FC Sachsen wegen der nicht gewährleisteten Sicherheit im Stadion.
Das Protokoll eines Nachmittags, der laut Tschense "eine Schande für Leipzig war" und mit einem nachvollziehbaren Leutzscher 1:0 (0:0) endete. 14.10 Uhr, handfester Beginn: Sachsen-Libero Bergner tritt Marcetic um, sieht Gelb statt Rot (1.). VfB-Profi Lenz kann's auch, Gelb nach einer Grätsche an Struck (13.). Sekunden später fliegt eine mit Kussmund ausgestattete Gummipuppe aufs Grün, ein Ordner reißt das gute Stück an sich. Schiri Peter Weise scheint beeindruckt, gleitet im Rückwärtslaufen zu Boden. Erheiterung, dann fliegen die ersten Leuchtraketen, werden Transparente ausgerollt.
"Wir sind Lokisten, Mörder und Faschisten" heißt es, "Rudolf Heß - unser Rechtsaußen" und - ganz nah an der Wahrheit: "Euer Alptraum wird wahr - wir sind wieder da."
Während weiter Fußball gespielt wird, denkt VfB-Schatzmeister Michael Merkel an Rücktritt. "Mit solchen Leuten will ich nicht in Verbindung gebracht werden." Klub-Chef Reinhard Bauernschmidt beschwichtigt seinen Kollegen nächtens bei Pasta und Rotwein, distanziert sich "in aller Form" von Tätern und Parolen. "Das sind Rechtsradikale, die die Bühne des Derbys nutzen. Die haben nichts mit dem VfB zu tun." Sachsen-Vize Uwe Thomas sieht das anders. "Diese Probleme bestehen seit Jahren, und es sind immer dieselben Chaoten. Der VfB muss das Problem anpacken und die Wurzeln zerstören." Mit ordentlichen Kontrollen wäre einiges zu verhindern gewesen, hält Bauernschmidt dagegen. "Was da alles ins Stadion geschmuggelt wurde, ist unglaublich. Und ich rede nicht von Kleinigkeiten, die man im Schuh verstecken kann." Im zweiten Durchgang landet eine schwere Holzlatte im Sachsen-Strafraum. So große Schuhe gibt es nicht. Tschense streut sich Asche aufs Haupt. "Ich war für Leibesvisitationen jedes einzelnen Besuchers. Mir wurde seitens der Einsatzleitung gesagt, dass dies nicht notwendig sei. Ein Fehler!"
Nach Heiko Cramers Kopfball zum 1:0 (48.) eskaliert die Situation, jetzt werden Leuchtraketen gezielt auf den Ehrengastbereich und Richtung Spieler gefeuert. Um 15.20 Uhr bricht der Referee die Partie ab. Während Kicker, Trainer und Betreuer in die Kabine eilen, bricht auf dem Dammsitz eine Prügelei zwischen Lokisten und Chemikern aus. Das "lageangepasste und besonnene Handeln der Beamten" (Polizeidirektion) bedeutet im speziellen Fall: minutenlanges Nichtstun. Das Entstehen der Schlägerei liegt im Auge des Betrachters. Sachsen-Fan Roger R.: "Lokis haben ältere Chemie-Fans, Frauen und Kinder angepöbelt. Dann sind wir dazwischen gegangen." VfB-Augenzeuge Thomas F. hat diese Version parat: "Die Chemiker haben die Schlägerei provoziert." Dass die verfeindeten Lager weder von einem Zaun noch von Ordnungshütern getrennt waren, löst allgemeines Kopfschütteln aus. "Ein Ding der Unmöglichkeit." Allerdings. 15.42 Uhr, die eigentlichen Hauptdarsteller kehren zurück. "Wir wollen das Spiel durchziehen", so Staffelleiter Rose, der einen Zigarillo nach dem andern durchzieht. Andernfalls hätten die Chaoten ihr via Internet verbreitetes Ziel ("Sieg oder Spielabbruch!") erreicht. Kein Sieg, auch kein Abbruch, um 16.22 Uhr pfeift Peter Weise ab und wird von seiner Beinahe-Namensvetterin, Sachsen-Geschäftsstellenleiterin Elke Weiße, freudig erregt umarmt. "Keine leichte Aufgabe, die Spieler haben sich toll verhalten", meint der Unparteiische aus Könitz. Rot für Roman Müller (75.) hatte Weise da schon vergessen. Es gab Wichtigeres. Leider.

 | Guido Schäfer, Leipziger Volkszeitung, Mo.14.10.2002 | 



 Home | Texte 

 

   Tatort Stadion | Leipzig | 17.03.2003_30.03.2003