Tatort Stadion | Leipzig | 17.03.2003_30.03.2003 |
Während in Deutschland Ende der 90iger Jahre der Ultra`Boom ausbrach und
ein spürbarer Ruck durch die Fankurven der Nation ging, schien die
Chemie-Fanszene an dieser Entwicklung vorbeizulaufen - die Szene
mittlerweile zu alt und Fannachwuchs kaum vorhanden. Kurzum, die
Atmosphäre im Stadion war schon lange nicht mehr die, die es mal war.
Der Hauptgrund für diese Entwicklung war die anhaltende sportliche
Erfolglosigkeit,
schaffte man schon 90/91 die Qualifikation zur 2. Bundesliga nicht, war es
auch in den Folgejahren schlecht um die sportliche Entwicklung bestellt.
Viele Gönner, Präsidenten und Trainer kamen mit großen Plänen, doch
hinterließen meist noch größere Enttäuschungen.
Anders die sportliche Entwicklung des Lokalrivalen und Erzfeindes
„VfB Leipzig“, der bis Mitte der 90iger in der Bundesliga
spielte und somit sportlich einiges mehr zu bieten hatte, als der Verein
im Leipziger Westen. Zu dem fokussierte sich im Leipziger Süden ein
erhöhtes Krawallpotential, was den VfB Leipzig schnell zur Mode unter
Jugendlichen machte bzw. macht. Chemie hielt sich zwar viele alte Fans in
ihren Reihen, doch den Fannachwuchs zog es schon längst nicht mehr nach
Leutzsch.
Für die Situation bezeichnend waren es dann auch nicht die Stehränge, von
denen die Mannschaft unterstützt wurde, sondern ein Sitzplatzbereich,
genauer gesagt der Dammsitz. Ein richtiger Fanblock war es, zumindest Ende
der 90iger Jahre, aber nicht. Zu sporadisch die Anfeuerungsrufe, zu
unterschiedlich die Meinungen der dort Stehenden bzw. Sitzenden (worin das
Problem bestand) Fans und letztendlich der hohe, für Jugendliche kaum
erschwingbare Preis, waren Gründe. Wahrlich keine gute Zeit, für eine
Fanszene, die zu DDR Zeiten zu den größten und gefürchtetsten des Landes
zählte. Allein der Anblick des Fahnenmeers auf dem Norddamm, hier in den
70 Jahren sagt wohl mehr als tausend Worte.
Kurz vor dem Jahrtausendwechsel drehten sich glücklicherweise sportlich
die
Zeichen -der Lokalrivale wurde bis in die 4. Liga durchgereicht und man
selbst schaffte die Qualifikation für die zweigleisige Regionalliga.
Erstmals stand man seit Jahrzehnten !!! sportlich vor dem Erzfeind. Diese
Konstellation ließ nach langer Zeit einen Ruck durch die Fanszene gehen.
Es formieren sich mehr Jugendliche in eher 3. Halbzeit angehauchten
Gruppen wie den Metastasen und den „Weißenfelser Jungs“
(gleichwohl die WSF Jungs schon seit Anfang der 90iger aktiv waren) und in
Sachen Stimmung gründete sich eine gewisse Gruppe namens Diablos.
Womit wir beim eigentlichen Thema des Berichtes angelangt wären, den
DIABLOS. Alles begann ungewöhnlicherweise im Juli 2000 mit einer recht
fruchtbaren Diskussion zum Thema „Heimspielstimmung“ im
Internet-Forum von (www.sachsen-leipzig.de). Über diese moderne
Kommunikationsplattform lernten sich einige jugendliche Fans kennen, die
fest entschlossen waren, die Atmosphäre, im ehemals Leutzscher-Hölle
genannten, Alfred-Kunze-Sportpark zu verbessern. Viel traute man ihnen
sicher nicht zu, um so erstaunlicher ihre Entwicklung.
Ihre erste Aktion hatte die bis dato 7 köpfige und noch namenslose Gruppe
zum 3.Ligadebut gegen den Dresdner SC. Genauer gesagt war es eine
Flugblattaktion, die nach dem Motto „Sitzen ist fürīn Arsch“,
einen gemeinsamen Fanblock vorschlug. Natürlich fand sich nach dieser
Aktion nicht sofort ein neuer Fanblock ein, erst im Laufe der Saison,
durch die ersten optischen Aktionen bedingt, trafen sich auf dem oberen
Norddamm gezielt junge Chemiefans. Vom Ultra`Gedanken war man noch weit
entfernt, vielmehr war man eine kleine Supportersgemeinschaft, die noch
nicht mal einen Namen hatte. Dies änderte sich dann auf der ersten
Mitgliedsversammlung im August 2000. Man wählte dort den feurigsten und
emotionalsten aller vorgeschlagenen Namen „Diablos“. Des
weiteren wurde der Standort auf dem oberen Norddamm (=2 rängiger
Stehplatzbereich) endgültig festgemacht und ein Mitgliedsbeitrag von 5,-DM
im Monat beschlossen.
Voller Motivation stürzte man danach in die schon angefangene Saison
2000/2001.
Keine Frage, es war eine Saison des „Ausprobierens“ , flugs
bestellte man die ersten Kilogramm Rauchpulver, die ersten Bengalen bei
Tifo, und versuchte sich in ersten Choreografien. Eigene Lieder dichtete
man bis dahin noch nicht, vielmehr setzte man auf alte und bekannte
Chemielieder. Hier nun eine kurze Auflistung einiger unserer Aktionen in
der Saison 00/01:
Heim:
- gegen Union Berlin erste Zettelchoreografie mit 1500 grün-weißen Zetteln
- gegen Erzgebirge Aue grüner und weißer Rauch
- gegen Eintracht Braunschweig erste Streifenchoreo
- gegen Fortuna Düsseldorf eine Wurfrollenaktion
- gegen Rot-Weiß Essen eine legale Bengaloshow mit 50 bengalischen Feuern
- gegen Werder Bremen (A) eine kleine Fähnchenchoreo
- gegen SV Wilhelmshaven Luftballons
- gegen PreußenMünster eine Streifenchoreo inkl. Blockfahne
Auswärts:
- gegen DSC grün-weiße Bahnen
- gegen Union grün-weiße Zettel und Blockfahne
- gegen Lübeck aufgeblasene grüne Müllsäcke
- gegen Düsseldorf grüne Zettel
- gegen Babelsberg viel Rauch
Neben diesen Aktionen entstanden erste Doppelhalter und Fahnen- eine
Zaunfahne besaß man bis dahin noch nicht. Engagement zeigt man auch
außerhalb des Stadions, so plakatierte man vor dem Spiel wichtigen Spiel
gegen die Werder (A) die Innenstadt mit 1000 Postern („Kommt zu
Chemie“), was uns einiges an Ärger hätte einbringen können. Oder
organisierte eine Spendensammlung für eine große Blockfahne. Bei vielen
Aktionen zeigte sich der Verein sehr kooperativ, so dass man eigentlich
von Anfang an, von einem entspannten Verhältnis sprechen konnte. Eine
einschneidende Änderung gab es für die mittlerweile 20 köpfige Gruppe
dennoch. Aufgrund anhaltender Bauarbeiten am oberen Norddamm wurde man
gezwungen, den bisherigen Standpunkt aufzugeben und auf den unteren
Norddamm, direkt hinter das Tor, zu wechseln. Bis heute ist dies die
„Heimat“ der Diablos geblieben, denn dort schaffte der
angestrebte Fanblock seinen endgültigen Durchbruch. Bis zu 200
supportorientierte Fans ( bei einem Zuschauerschnitt um die 5000) waren
es, die sich in den letzten Regionalligaspielen im neuen Fanblock trafen
und die ihre Mannschaft akustisch unterstützten. Unglücklicherweise wurde
dem Verein am Ende der Saison 00/01, trotz des sportlichen Klassenerhalts,
die Lizenz verweigert. Abstieg in die Oberliga hieß also die traurige
Wahrheit und die Chance, sich auf lange Zeit sportlich vor dem
Lokalrivalen zu positionieren, wurde somit kläglich vergeben.
Der Abstieg in die Oberliga brachte der Gruppe glücklicherweise keinen
Bruch, dafür aber eine Art Generationswechsel, der sich durch das immer
fanatischer werdende Auftreten der Gruppe vollzog. Bei so vielen Heim- und
Auswärtsspielen dabei zu sein, war von nun an selbstverständlich, man
wagte sich an eigene Gesänge und wollte die „Kurve“ viel
kreativer gestallten, als das bisher der Fall war. Dies passte allerdings
nicht allen Mitgliedern, so dass sich Anfang der Saison 01/02 einige Wege
trennten, gleichwohl man nicht zum Feind wurde. Im Gegenzug zu den
Abgängen, gewann man viele jüngere Fans, was zu Folge hatte, dass man
letztendlich mehr Mitglieder (25) hatte, als in der Regionalligasaison.
Von diesem Zeitpunkt an, wurde trotz jüngerem Durchschnittsalter vieles
professioneller und organisierter angegangen. Es wurde eine große
Zaunfahne erstellt, man wählte den Teufelskopf als Gruppensymbol, fand
einen Ort, an dem man Fanaktionen in Ruhe vorbereiten konnte, eröffnete
ein eigenes Konto, installierte einen Kassenwart, beschloss einen
Halbjahresbeitrag von 15 Euro und machte sich durch viele gute Aktionen im
Stadion einen Namen. Dabei wurde und wird dem Wort Kreativität eine
besondere Bedeutung beigemessen. Auf dem Gebiet „Liedgut“ gab
es ebenfalls Fortschritte zu verzeichnen, zwar wurde die Stimmung dadurch
abwechslungsreicher aber keineswegs lauter. Schnell stellte sich heraus,
dass zu mäßigen Spielen nur um die 50-70 Leute im Fanblock stehen werden,
was natürlich keine besondere Lautstärke bedeutete. In Sachen
Choreografien machten wir in dieser Saison den wohl größten Schritt. Beste
Aktion war sicher die Derbychoreografie im Heimspiel gegen den VfB
Leipzig. Über 100! Stunden bastelten wir an einer große Streifenchoreo,
auf der eine Karikatur (=Dr. Kölmel steckt eine Lokomotive in den
Fleischwolf, heraus kommt Brei, der in eine Schüssel bzw. das
Zentralstadion fließt) aufgemalt war. Nähere Erklärung der Choreo könnt
ihr im Spielbericht Chemie Leipzig – VfB Leipzig nachlesen. Dazu
präsentierte man das Spruchband: „VfB Leipzig kommt in die Schüssel,
Leutzsch bleibt Leutzsch“, 2 Blockfahnen und hunderten Fähnchen.
Resultat war ein komplett eingedeckter oberer Stehplatzrang (77x14 Meter)
und ein in 2 Blockfahnen und hunderten Fähnchen eingedeckter unterer
Stehplatzrang. Es war der reine Wahnsinn und eine der besten Choreos des
Landes. Auch hübsch die kleine aber feine Choreo gegen den VfB Zittau,
deren Hintergrund ein Streit mit den Securities, um den Zaunfahnenplatz
war (Problem: Sichtbehinderung für die Sicherheitskräfte, die sich durch
unsere Zaunfahne gehindert sahen, den Fanblock einzusehen). So verzichtete
man im darauffolgenden Heimspiel auf die Zaunfahne, hüllte den Block in
der 1.HZ in schwarze Bahnen, präsentierte die Rückseite von gemalten
Spielkarten und verzichtete auf Support. Zusätzlich gab es ein Spruchband
mit der Aufschrift: „Wir lassen uns nicht in die Karten
schauen“. Das ganze Gegenteil wurde dann in HZ 2 gezeigt, die mit
dem Spruchband: „Karten auf den Tisch“ eingeläutet wurde, dazu
gab es neben Schnipseln und Fahnen die Rückseite der Karten, die ein
Trumpf ergaben, zu sehen und guten Support. Letztendlich legte sich der
Streit und die Fahne hängt jetzt, wo sie schon immer hing. Weitere größere
Aktionen waren:
Heim:
- bunte Rauchshow gegen Dynamo Dresden, später Bengalos und weißer Rauch
- Streifenchoreo mit unserem Gruppensymbol gegen den FSV Zwickau
- eine misslungene Zettelchoreo auf Dammsitz und weißer Rauch auf Norddamm gegen
den HFC
- eine Wurfrollenaktion mit selbstgewickelten Rollen gegen Jena
Auswärts:
- grün-weiße Zettelchoreo gegen den FSV Zwickau
- weiße Zettel, aus Mülltüten geklebter Schriftzug „C-H-E-M-I-E“ und große Pyroshow gegen den VfB Leipzig
- Mottofahrt „chemische Keule gegen Parasiten“ mit weißen Schutzanzügen und Rauch gegen den HFC
- Mottofahrt nach Plauen „Packen wirīs an“ mit Arbeitsklamotten und Kassenrollen
Das Verhältnis zu dem Verein blieb, bis auf die kurze Streitigkeit um den
Fahnenplatz, sehr gut. Auf jedwede Repressalien wurde verzichtet, was uns
bewog, den Einsatz von Pyrotechnik bei Heimspielen stark einzuschränken.
Alles in allem eine Top-Saison für die Gruppe, deren Zusammenhalt wuchs,
was viele Treffen außerhalb des Fußballwochenendes bestätigten.
Überschattet wurde diese Saison nur durch einige Idioten des Lokalrivalen,
deren Neid, Frust oder gar Dummheit Veranlassung gab, in die Privatsphäre
einiger Leute einzudringen. Ein Hausbesuch inkl. Sachbeschädigung war
negativer Höhepunkt. Sportlich schaffte man den sofortigen Wiederaufstieg
leider nicht, ein Platz im oberen Drittel gab trotzdem Hoffnung für die
kommende Saison, zu mal wichtige Spieler blieben und hochkarätige zur
Mannschaft stießen.
Die Saison 02/03 begann für uns schon lange vor dem eigentlichen
Punktspielbeginn. Nach Einigung mit dem Verein, durften wir die Wand am
Stehplatzrang mit einem Graffiti-Schriftzug versehen. Allein diese
Erlaubnis ( Material wurde uns auch gestellt) sagt viel über das
Verhältnis beider Parteien aus. Der Verein merkte, dass man durch die
Diablos einiges an positiver Außendarstellung in Presse etc. erreichen
kann, vorschreiben lassen wir uns durch diesen Fakt allerdings nichts. Wir
machen das, was wir für richtig halten und lassen uns nicht kaufen! Die
Zusage für einen Verkaufsstand am unteren Norddamm freute uns daher um so
mehr, da es in unseren Augen nicht selbstverständlich ist, einer
unabhängigen Gruppe, im Stadion die Möglichkeit zu geben ihre Artikel
(Poster, Collagen, Fotos und Fanhefte) zu verkaufen. Alle Einnahmen
werden selbstverständlich für die Kurvenshows verwendet. Und mit eben
jener ging es gleich im Testspiel gegen Borussia Dortmund los. Aufgrund
eines vollen Stadions wagte man sich an eine Zettelchoreo inkl. Schriftzug
(BSG) auf dem oberen Norddamm, die leider völlig misslang. Nur die
zusätzlich gemalten Doppelhalter ( C-H-E-M-I-E L-E-I-P-Z-I-G) sahen
entsprechend gut aus. Anders die Choreografie zum Auftakt gegen HoyWoy.
Auf 4 Riesendoppelhalter malten wir einen schlafenden Chemie-Fan, der von
der 3. Liga träumt. Dazu bastelten wir an das Auffangnetz einen
Fensterrahmen, hielten zusätzlich Sterne hoch und ließen ein über 70 Meter
langes Spruchband verkünden: „Seht durch dieses Fenster, seht
unseren Traum und macht ihn wahr!“ . Eine absolut geniale Aktion.
Die Spieler nahmen es zur Kenntnis und gewannen locker mit 5:0. Eine
weitere Kostprobe unserer Choreografien gab es gegen den HFC, wo man auf
eine kleinere Blockfahne ein Lok-Schwein malte, dass von einem Hallunken
geritten wurde. Hintergrund der Choreo war die Gewissheit, dass wieder
viele VfB-Fans, ihre HFC-Freunde nach Leutzsch begleiten würden. Wo bei
wir bei unserem Erzfeind wären. Respekt erhält er von uns nur für sein
hohes Gewaltpotential, dem Chemie bzw. wir kaum etwas entgegensetzen
können. Mit Gewalt selbst haben wir wenig zu tun, trotzdem haben wir es
nicht gern, wenn sich Auswärtsfans auf unserem Terrain bewegen, Fahne und
Schal könnten da schnell weg sein.
In Sachen Liedgut und Choreografien haben die Fans des Lokalrivalen nicht
annähernd unser Niveau. Und damit dies gehalten bzw. verbessert wird,
erscheint ab dieser Saison zu jedem Heimspiel kostenlos unser eigenes
Fanzine namens „Orange Times“ . Fanberichte, News,
Ankündigungen, Aufrufe und Fotos sollen keine Frage offen lassen.
In die Zukunft schauen wir allerdings nicht ohne Sorgen, sollte der
Aufstieg erneut nicht gelingen, dürfte es schwer werden, neue Leute für
unsere Sache zu begeistern. Dagegen würde ein Aufstieg die Szene schnell
wachsen lassen, denn die Weichen sind bereits jetzt gestellt. Eine junge
Gruppe, voller Ideen und Fanatismus, die sich folgendem Motto verschrieben
hat:
„Chemie im Herzen, Ultra`in der Seele“
Steckbrief:
Name: Diablos –Ultra`Crew Chemie Leipzig
Gruppensymbol: Teufelskopf
Gründungsdatum: August 2000
Mitglieder: 25 ( durchschnittlich 19 Jahre)
Standort: unterer Norddamm, direkt hinter dem Tor
Politik: im Stadion unpolitisch, sonst eher alternativ
Fanzine: Orange Times, kostenlos zu jedem Punktheimspiel
Material: eine Zaunfahne, ca. 20 Doppelhalter, 6 kleine Schwenkfahnen
Freundschaften: Keine, nur Waffenstillstand mit RedKaos Feinde: Lok, HFC,
Rest auch nicht sonderlich beliebt
Internet-Adresse: http://www.diablos-leutzsch.net
Sonstiges: Verkaufsstand, Diablos-Pullover, Aufkleber (werden alle selbstbemalt)
Kontakt: Chemie_Guru@web.de
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