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   Tatort Stadion | Leipzig | 17.03.2003_30.03.2003   

 | Wir sind BAFF - und ihr? | 

Bald stehen 10 Jahre BAFF vor der Tür. Zeit innezuhalten, durchzuatmen und Bilanz zu ziehen. BAFF erschien mal als "modernde Leiche" (RSL), mal als lebende Leiche doch keines von beidem stimmt. Über all die Jahre ist doch ein Grundgerüst geblieben, das es den einzelnen unverbesserlichen Aktivisten erlaubt Ideen einzubringen und einen Rahmen zu finden diese zu verwirklichen. Hat/te es auch oft den Anschein es geschehe nichts mehr, möchte ich nun zunäxt einmal ein paar laufende Aktionen aufzählen. Zunächst ist da mal die Ausstellung, ja die sagenumwobene Ausstellung. Viel war von ihr zu hören, bald kommt sie auch in EURE Stadt: "Tatort Stadion".

Am Tatort

"Tatort Stadion ist ein erster Versuch, Diskriminierung und Rassismus im deutschen Fußball in seiner Kontinuität und Militanz nachzuzeichnen. Tatort Stadion ist ein Beginn sozialhistorischer Aufarbeitung, die eine ständige Fortschreibung erfordert. Wie in der Gesamtgesellschaft sind ausländerfeindliche oder rassistische Parolen und Transparente in den Stadien aktuell, genauso wie Antisemitismus oder Sexismus. Es wird aufgezeigt, dass aus den genannten Problemen immer wieder gewalttätige Übergriffe erwachsen. Rassismus und Diskriminierung sind europäische Probleme, die nicht auf einzelne Länder, Verbände und Vereine beschränkt werden können. Darüber hinaus gibt es einen Einblick in die Verbindungen von Hooliganszene und rechten Fangruppierungen zur neonazistischen Ideologie und politischen Gruppierungen. Tatort Stadion greift aber auch Gegenbewegungen in den Fanszenen, bei Vereinen und Verbänden auf. Faninitiativen und Fanzeitungen zeigen kreative Alternativen auf, wie antirassistisches Engagement in Stadien aussieht und gerade der Fußball unterschiedliche Menschen zusammenführen kann. Ziel von Tatort Stadion ist es, eine Grundlage dafür zu schaffen, dass für rassistische und neonazistische Strömungen in den Fankurven sensibilisiert wird, um sie effektiv bekämpfen zu können."
Soweit der Ansatz, soweit die Theorie. Nach einem Jahr ist zu konstatieren, dass es uns gelungen ist, die hehren Ansprüche in die Realität umzusetzen. Es gibt die Ausstellung, sie hat viele Städte (12), und wurde von vielen Menschen gesehen (ca.25000). Sie hat für Kontroversen (MV) gesorgt und hoffentlich den ein oder anderen zum Nachdenken angeregt, zumindest aber eine neue, längst überfällige, öffentliche Debatte um Rassismus und Diskriminierung in den Stadien angeregt. Die Ausstellung wird im Laufe der Zeit regelmäßig überarbeitet und erweitert. Im Laufe von 2003 wird Tatort Stadion um eine vertonte Bildpräsentation zu Rassismus und Diskriminierung sowie Gegenbewegungen in ganz Europa bereichert. Auch die Geschichte der jüdischen Sportbewegungen und Fußballer in Deutschland soll Teil der Ausstellung werden. Tatort Stadion wächst. Nicht nur, dass leider ständig neue Vorfälle dokumentiert werden müssen, auch zu rechten Musikbands und Fußball sowie zur Debatte um die sog. "Ausländerregelungen" will die Ausstellung Aufklärungsarbeit leisten. Die Ausstellung ist meist in zentralen, öffentlichen Gebäuden zu sehen, aus dem ganz einfachen Grunde, dass viele "Zielpersonen" nicht in "andere" Räumlichkeiten kommen würden (Juzis, Azs, etc.). Doch für kleinere Gruppen (Antifa etc.), die nicht das Geld und die Infrastruktur besitzen, die "Große" Ausstellung zu sich zu holen, hat BAFF inzwischen eine kostengünstige "kleine" Variante der Ausstellung produziert. Wer noch Material, sprich Zeitungsartikel, Fotos, Aufkleber, Flugblätter und andere Fundstücke besitzt (oder da rankommt), die sich mit rechten Parolen, Übergriffen etc. im Fußball beschäftigen: BITTE MELDEN!!! Gleiches gilt für antirassistische Gegenaktionen von Fans und Vereinen. Ob in Deutschland oder europaweit. Meldet Euch bei gerd@aktive-fans.de oder im Berliner BAFF-Büro unter 030-29352835.

Marsch durch die Institutionen

BAFF ist als Teil von FARE (Football against Racism in Europe) in eine Situation gekommen, in der nach langen Jahren die Versuche Rassismus in den Stadien zu bekämpfen öffentlich honoriert wird. FARE bekommt tolle Preise (UEFA-Charity Award, MTV-Music Award) und wird zu den hochtrabensten Sitzungen diverser Organisationen geladen (FIFA, UEFA, EU-Parlament). Und nun? Macht BAFF sich zum Erfüllungsgehilfen für einen "staatlich verordneten Antifaschismus"? "Das BAFF, welches seit Jahren für Antirassismus in den Stadien eintritt und die verantwortlichen Stellen diesbezüglich immer versucht hat, in die Pflicht zu nehmen, steht heute plötzlich vor der Situation, dass Antirassismus schick ist, die Fifa und der DFB sich dafür einsetzen und plötzlich Gelder für antirassistische Arbeit da sind. Was aber bedeutet das für BAFF? Wird nun alles besser, weil der DFB und Konsorten endlich eingesehen haben, dass Rassismus zu bekämpfen ist? Oder ist es vielleicht so, dass das Produkt Fußball mit antirassistischen Anstrich besser verkauft werden kann und wir lediglich zu Erfüllungsgehilfen einer solchen Politik werden? Ist es nicht auch so, dass die Initiativen gegen Nazis in den Stadien in Wirklichkeit eher Initiativen für mehr Überwachung und mehr Repression der Fußballfans sind?", schrieb ein Roter Stern vor einem Jahr zu diesem Thema und hat damit ein paar sehr interessante Punkte aufgegriffen. Im Falle der UEFA ist meine persönliche Einschätzung, dass sie es wirklich ernst meint mit dem Kampf gegen Rassismus. Dafür sprechen zahlreiche Veranstaltungen und Veröffentlichungen sowie erhebliche finanzielle Unterstützung für FARE. Ich denke bis zu einem gewissen Punkt sollte man sich hier auf eine Zusammenarbeit einlassen. Solange klar ist, dass die vorbereitende bzw. beratende Arbeit von Fans (FARE) geleistet wird, darf man sich eigentlich nicht beschweren. Der beschlossene 10-Punkte Plan der UEFA gegen Rassismus nimmt mehr oder weniger den alten BAFF-Plan auf. Und die darin enthaltenen Punkte eignen sich nun wirklich nicht dafür den "gemeinen" Fußballfans größerer Repression auszusetzen. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der UEFA bedeutet des weiteren einen erhöhten Druck auf den DFB sich endlich ernsthafter mit BAFF auseinander zusetzen, denn wie sieht es denn aus, wenn der Mutterverband dies tut, der Landesverband aber nicht. Natürlich ist es ein schmaler Grad von Zusammenarbeit bis zum "Erfüllungsgehilfen", doch solange sich Leute darum kümmern, die es ernst meinen und sich damit auskennen, ist es immer noch besser, als wenn sich eine fachfremde Marketingfirma etwas in UEFA-Auftrag aus den Fingern saugen würde. Doch Aufpassen ist allemal angesagt.

Was sonst?

Abgesehen von Ausstellungen organisieren und auf UEFA-Empfängen rumhängen, haben BAFF-Mitglieder auch noch andere Sachen angeleiert. So wird noch in diesem Jahr eine Bestandsaufnahme der deutschen Fußballfanszene im "Verlag Die Werkstatt", für das BAFF sich als Herausgeber verantwortlich zeigt, erscheinen. Möglichst viele Facetten der Entwicklungen und Probleme der Fanszenen werden hier veranschaulicht, mit Beiträgen zu Rassismus, Repression, Ultras u.ä. Auch ein Sampler mit Fußballliedgut aus Anlass des 10-jährigen Bestehens ist in Arbeit. Und zu eben jenem Anlass wird es hoffentlich auch wieder einen größeren Fankongress in Oer-Erkenschwick geben, zu dem diesmal viele neue Gruppen erwartet werden und der auch wieder einmal ein paar alte Haudegen aus ihren Löchern locken sollte. Auch ein BAFF-Osttreffen ist angedacht, denn es ist in kleinem Rahmen besser möglich, Leute, von denen man der Meinung ist, dass sie ähnliche Ziele verfolgen, einzuladen und zur Mitarbeit zu bewegen. Vorschläge, welche Gruppen man zu solch einem Treffen einladen sollte sind natürlich herzlich willkommen und gehen direkt an mich.

BAFF und der ROTE STERN

War "das Verhältnis zwischen BAFF und dem RSL eher entweder durch eine hochtheoretische Pöbelstimmung oder durch sagenumwobenes Schweigen gekennzeichnet" (Zitat eines RSL-Mitgliedes), sollte sich das nun schleunigst ändern. Ein Anfang wurde ja schon auf dem letzten BAFF-Treffen gemacht, auf dem die Stimmung BAFF-RSL wesentlich entspannter war und in zumindest einer AG auch zu weiterer Vernetzung führte (Homophobie, siehe News). Gerade Großprojekte wie die Ausstellung leben von tatkräftiger Mitarbeit aller Beteiligten und im besonderen der Organisatoren vor Ort. Es hat sich gezeigt, dass mit der wichtigste Punkt der Ausstellung immer die Teile waren, in denen es um die konkrete Situation vor Ort geht. Da BAFF leider nicht in jeder Stadt über Mitglieder verfügt, müssen wir uns auf Informationen und Recherchen der jeweiligen Veranstalter und Mitwirkenden verlassen, auf ihre Bereitschaft zur Mitarbeit. In den Regionalteilen ist die Ausstellung am angreifbarsten, da es die Leute dort natürlich am besten wissen. Ich bezweifle nicht, dass das in Leipzig funktionieren wird, gibt es dort doch einige profunde Kenner der dortigen Fankultur. Vielleicht ist die Ausstellung, wenn sie denn in Leipzig ist ein Anreiz für einige sich mehr einzubringen und sich für BAFF zu engagieren. Haut rein!

Und nun?

Ist denn BAFF nun überflüssig geworden oder hat es geschafft seine "Unverbindlichkeit" zu überwinden? Nun, BAFF ist weiterhin so aktiv, wie die Summe der in ihm Beteiligten, wobei das Fanzine-Sterben und der vermeintliche Rückgang an Neugründungen von Faninitiativen BAFF vor "Nachwuchssorgen" stellt. Doch gerade durch die Ausstellung zeigt sich immer wieder, dass es überall Gruppen, die sich im Stadion engagieren gibt, von deren Existenz wir bis dato nichts wussten und die über die Ausstellung den Kontakt zu BAFF fanden. Die Plattform BAFF ist und war es immer wert beibehalten zu werden, nicht zuletzt weil die Erfahrung und bisherigen Aktionen der einzelnen Mitglieder eine neue Motivation und Hilfe für eben genannte Gruppen darstellen können, weiterzumachen und sich zu vernetzen.
BAFF wird nach wie vor versuchen alle relevanten Themen zu bearbeiten, wobei der Schwerpunkt sicherlich in der antirassistischen Arbeit liegt. Dies ist auch relativ einfach, da BAFF hier so etwas wie die Monopolstellung innehat. Bei Themen wie der zunehmenden Repression von Fußballfans wird es schon schwieriger. Hier hat BAFF einfach nicht die nötige "Credibility", da zu wenig in den Stadien zu sehen. In diesem Themenbereich sind in erster Linie Ultras bzw. von Ultras getragene Organisationen wie "Pro 15:30" und "KKof" (Kein Kick ohne Fans") am Drücker, mit denen BAFF allerdings auch schon zusammen gearbeitet hat. Sieht man sich aber Aktionen wie die von "Pro 15:30" organisierte Fandemo im Mai 2002 in Berlin an, kommen wir schon zu einem grundlegenden Problem, weswegen es nicht immer einfach ist, gemeinsame Aktionen durchzuführen. Heute versuchen viele Fans durch die affirmative Losung "Keine Politik im Stadion" politische Einflüsse jeder Art von sich zu weisen und zu leugnen, dass Fußball Teil der Gesellschaft ist. Dadurch, dass sie "Keine Politik im Stadion" propagieren und antirassistische Töne als störende, fußballfremde Einmischung einordnen, bestätigen und stabilisieren sie die vorhandenen rassistischen Tendenzen und entsprechende Akteure. Die zu unserem Leidwesen weitverbreitete "Football without politics"-Doktrin zieht sich wie ein roter Faden durch weite Teile der deutschen Ultrakultur. Es ist unseren Ansprechpartner oft schwer klarzumachen, dass wir eine Demonstration nicht 100% unterstützen könne, auf der Nazis (und seien es nur eine Handvoll gewesen) mitlaufen.
Die o. g. Demonstration sah insgesamt 1500 Teilnehmende, unter denen sich ca. 80 Neonazis befanden, die entweder bekannt waren (z. B. Kameradschaft Berlin-Treptow, die z. T. deckungsgleich mit der "Gruppe 9" beim 1. FC Union Berlin ist) oder durch ihre Kleidung entsprechend auffielen ("Landser"-Shirt, "Braune-Musik-Fraktion"-Shirt oder Hertha-Trikot mit "Ultra 88"-Beflockung). Die Bereitschaft sich deutlich und öffentlich von solchen Gestalten zu distanzieren, fehlt allzu oft. Hier muss BAFF versuchen mehr auf die Ultragruppen zuzugehen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es ohne Abgrenzung zu rassistischen und faschistoiden Tendenzen nicht geht. Ansonsten existieren seitens BAFF keine Vorbehalte gegen die Ultras, oft eher andersherum. Es gibt immer noch zu viele Leute, die BAFF für einen "linksradikalen Zeckenhaufen" halten, der auf Teufel komm raus versucht "Politik ins Spiel zu bringen". Es würde mich sehr freuen wenn dies sich 2003 ändern würde.

 | endi/BAFF-Ost, in: Prasses Erben #16, 01/2003 | 

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