Tatort Stadion | Leipzig | 17.03.2003_30.03.2003 |
"Fußball in der Mauerstadt / Union spielt hinter Stacheldraht / was neues in der DDR / der BFC ist jetzt der Herr / Zyklon B für Scheiß Union / in jedem Stadion ein Spion / selbst Ordner sind in der Partei / Deutschland Deutschland alles ist vorbei!" (angelehnt an "Militürk" der Band Fehlfarben)
Mit dem Aufruf von 1983, in den Stadien der BRD Nachwuchs zu rekrutieren, entwickelte sich auch in der DDR etwa zeitgleich eine breite rechtsradikale Fanszene. Erste Vorkommnisse wurden zunächst noch als reine "Provokation" bewertet, die den verhassten Staat an seiner empfindlichsten Stelle trafen. Was anfangs als gelegentliche "unpolitische" Randale, zumeist unter Einfluss von Alkohol, eingeordnet wurde, gehörte alsbald zum Fußballalltag der DDR-Oberliga.
Immer unüberhörbarer vermengten sich Ausschreitungen mit rassistischen und
antisemitischen Beschimpfungen. Der Staatsapparat reagierte: Nach außen hin wurde das Problem der Neonazis im Fußball negiert. Gelangten dennoch Berichte an die Öffentlichkeit, wurde von "westlicher Infiltration" und "reinem Rowdytum" gesprochen. So geschehen beim Überfall auf die Berliner Zionskirche im Oktober 1987, an dem mehrere BFC-Dynamo-Skinheads beteiligt waren.
Dabei war die Staatssicherheit schon früh über die "Umtriebe" bei Fußballspielen umfassend
informiert. So berichtete die zuständige "Hauptgruppe XX" der Stasi schon im Mai 1984 von
"rowdyhaften Ausschreitungen" von BFC-Fans gegenüber Kubanern, bei welchen in der Reichsbahn u.a. "Juden raus!", "Kanaken raus!" und "Deutschland den Deutschen!" gerufen wurde.
"Rädelsführer" des "negativ-dekadenten Fußballanhanges" wurden in den Folgejahren inhaftiert und nicht selten trafen sie in den Gefängnissen auf inhaftierte
Alt-Nazis, die sie weiter bestärkten. Sammelten sich die ostdeutschen Rechten zunächst BFC Dynamo, so gab es bald in nahezu jedem Oberligastadion die Möglichkeit, mit hunderten Gesinnungsgenossen in einem Block zu stehen - besonders bei den Vereinen mit großem Anhang wie FC Hansa Rostock, 1. FC Union Berlin oder Chemie Leipzig.
Ost- und westdeutsche Rechtsextreme standen in Kontakt. Andreas Pohl etwa, damaliger "Ortsgruppenführer Berlin" der Nationalistischen Front (NF) oder Christian Franke, NF- sowie Mitglied im Hertha-Fanklub "Endsieg", besuchten regelmäßig Spiele des BFC Dynamo. 1987 schrieb Pohl im "Klartext", dem Informationsblatt der NF, vom "ersten Bündnis der Freundschaft, dass sich leider, bedingt durch die Mordmauer, nur in Besuchen unsererseits" ausdrückte. Aus der DDR ausgewiesene BFC-Fans pflegten briefliche Kontakte zu ihren Gesinnungsgenossen jenseits der Mauer.
Zahlreiche Fanzines zeugten von der Unterstützung westdeutscher Neonazis für ihre ostdeutschen "Kameraden": Das "Groß-Berliner Szenen Magazin", die "Stimme der Reichshauptstadt", das "Preußen-Echo" oder die "Berliner Beule" berichteten regelmäßig über Besuche bei Spielen der DDR-Oberliga. Eine besonders feste Bande bestand dabei zwischen den Fans von Hertha BSC und denen des 1. FC Union.
Im nahezu rechtsfreien Raum der (Nach-)Wendezeit verschlimmerten sich die Ausschreitungen. Ohne den Verfolgungsapparat der Stasi, mit einer völlig überforderten und demotivierten Volkspolizei und Verstärkung westdeutscher Neonazi-Kader kam es an jedem Wochenende zu schweren Ausschreitungen. Relikte aus der Oberligazeit wie "Juden Berlin"-Sprechchöre gegen alle Berliner Vereine oder etwa das Leipziger "Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher" haben sich in einigen Stadien bis heute gehalten.
Tatort Stadion | Leipzig | 17.03.2003_30.03.2003 |