Die Geister, die ich riefDie USA kämpfen einen verlorenen Krieg gegen ihre eigenen Kinder
Der Angriff der USA auf den Irak werde die Bevölkerung vom brutalen Regime Saddam Husseins befreien und westliche Werte in die Region exportieren. Ein Jahr nach dem Irak-Krieg ist dieser Glaube wie eine Seifenblase geplatzt. Zwar wurden Saddam und seine Schergen geschlagen, doch der Versuch, eine Demokratie aus den Trümmern des Regimes zu errichten, schlug fehl. Noch ehe der Westen den irakischen Bürgern die Früchte von "Freedom & Democracy" schmackhaft machen konnte, keimte in Faludja der Widerstand von ehemaligen Saddam-Getreuen auf. Der Irak hat sich seit dem Ausbruch des Aufstandes zum Mekka für islamistische Pilgerfahrer entwickelt, die bereitwillig ihr Leben bei Selbstmordanschlägen für "Allah" opfern. Heute von einem "Bürgerkrieg" zu sprechen, würde dem unbeschreiblichen Chaos, welches um Bagdad herrscht, nicht gerecht werden: Die Feierlichkeiten zum Jahrestag des Sturzes von Saddam Hussein mussten von amerikanischen GIs vor der befreiten Bevölkerung beschützt werden, fast täglich erschüttern Attentate auf US-Soldaten die Straßen und die von den Vereinigten Staaten eingesetzte Übergangsregierung kann sich nur noch mit schusssicheren Westen und Bodyguards unter ihr vermeintliches Wahlvolk mischen.
Der vor den Wahlen in den USA angekündigte Rückzug der Besatzungstruppen bis 2005 zeugt davon, dass auch in den USA das Unternehmen Irak schnell zu den Akten gelegt werden soll. Deshalb wurde auch die ursprünglich für später geplante Machtübergabe eilig vorgezogen. Dass der Machtwechsel mit viel demokratischem Tamtam inszeniert wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die USA der provisorischen Übergangsregierung die Bewältigung der katastrophalen Folgen des Irak-Krieges allein überlassen wollen. Eine schier unmögliche Aufgabe, wenn die US-Army als einziger Garant von Sicherheit und Ordnung das Feld räumt. Selbst die großzügigen Barschecks aus den Vereinigten Staaten und Europa werden an dieser Situation nichts ändern können. Denn nur das riesige Besatzungsheer der Vereinigten Staaten konnte den Irak nach dem Sturz Saddams vor dem Versinken ins Racketwesen bewahren.
Der Zerfall des Staates ließ sich schon unter Saddam nur mit einer Terrorherrschaft aufrechterhalten, wovon die Gräueltaten an Kurden und Schiiten zeugen. Dabei erkannte der Diktator die Gefahr, die von der wachsenden Macht des Islamismus ausging. 95% der Bevölkerung im Irak sind Muslime, davon 2 Drittel Schiiten. Dieser Teil der Bevölkerung beruft sich auf die selbe Glaubensrichtung, wie die im Iran lebenden Muslime. Saddam, der aus der Minderheit der Sunniten kommt, galten die Schiiten als "fünfte Kolonne" des verhassten iranischen Gottesstaates. Sie repräsentieren den islamischen Fundamentalismus, der sich auch im Iran unter dem Imam Khomeni Ende der 70er Jahre politisch durchgesetzt hat. Nicht von ungefähr kommt daher die Unterstützung Saddams durch die USA während des Iran-Irak-Krieges, erhoffte man sich auf amerikanischer Seite im Irak ein Bollwerk gegen die Islamisierung der Region gefunden zu haben. Aus diesem Grund wurde der Irak von den USA erst in die Lage versetzt, mit neuem technisch-militärischen Know-how den blutigen Krieg gegen den Iran und die Schiiten im eigenen Land zu führen. Die Massaker an Kurden und Schiiten wurden dabei auch mit Giftgas "Made in Germany" verübt. Auf die Frage eines Journalisten, warum dem Irak deutsches Giftgas verkauft wurde, erwiderte der Chef des Rüstungsunternehmens "Karl Kolb", Dietmar Backfisch: "Für die Leute in Deutschland ist Giftgas eine ganz furchtbare Sache, Kunden im Ausland stört das nicht".
Bis tief in die 90er Jahre wurden die Schiiten von den Folterknechten Saddams Baath-Partei drangsaliert, um Separierungstendenzen im Keim im eigenen Land zu ersticken. Trotz der Brutalität des Regimes handelte es sich im Irak jedoch keineswegs um "archaische Verhältnisse", wie das Flugblatt einer Leipziger Jugendgruppe am Vorabend des Irak-Krieges glauben machte. Saddam Hussein installierte nach seiner Machtübernahme eine Modernisierungsdiktatur, vollzog die Trennung von Staat und Religion, förderte die Industrialisierung des Landes und den Ausbau der Infrastruktur. Das Gesundheitssystem wurde ausgebaut und ein allgemeines Schulsystem eingerichtet, dass vor allem in ländlichen Regionen den Bildungsstandard heben sollte. Im Vergleich zu anderen arabischen Staaten war die Stellung der Frau ansatzweise fortschrittlich. So machte es eine Reform möglich, dass muslimische Frauen auch "Ungläubige", also Juden und Christen heiraten durften, Mädchenschulen wurden eingerichtet und die Möglichkeit zu arbeiten und öffentliche Ämter zu bekleiden war prinzipiell, wenn auch mit Einschränkungen, möglich. Frauen waren allerdings auf eine staatliche Erlaubnis angewiesen, wenn sie arbeiten wollten und in der öffentlichen Sphäre eher eine Seltenheit, auch wenn der Irak 1959 als erster arabischer Staat eine Frau als Ministerin (für das Ressort Landwirtschaft) stellte. Der Whiskeyliebhaber Saddam war zutiefst antireligiös und fortschrittsgläubig und pflegte lediglich ein instrumentelles Verhältnis zum Islam. So war die Hinwendung zum Islam infolge des verlorenen Iran-Irak-Krieges denn auch nur eine kulturell-symbolische. Dass Saddam etwa in seiner Handschrift "Allah ist groß" zur Staatsflagge hinzufügte, sollte zwar dem gestiegenen fundamentalistischen Bestrebungen in der Bevölkerung Rechnung tragen, ohne aber den laizistischen Charakter des Staates zu verändern.
Insofern hatte die Antideutsch-Kommunistische Gruppe Leipzig recht, als sie in der 5. Ausgabe der Incipito schrieb, dass der "Baathismus keine vormoderne Erscheinung" sei und zugleich unrecht, als sie behauptete, dass es sich bei ihm um "die falsche, reflexartige Reaktion auf Kapitalverhältnis und Aufklärung" handele. Unter Saddams Herrschaft wurden traditionelle Strukturen zerschlagen und eine Modernisierungsdiktatur errichtet, in der das Kapitalverhältnis über das gesamte Land gebracht und durch einen staatlichen Zwangsapparat brutal abgesichert wurde. Damit unterscheidet sich der Irak kaum von den sozialistischen Regimes der nachholenden Modernisierung, welche die Vergesellschaftung über den Wert in Gestalt des Staatskapitalismus durchpeitschten. Dabei ist der Irak so aufgeklärt und zivilisiert, wie Saddam Hussein und seine Schergen aufgeklärte und zivilisierte Mörder sind. In ihrer Kaltblütigkeit sind sie nicht Widerpart der Aufklärungsvernunft, sondern ihr konkreter Ausdruck: "Die Freiheit von Gewissensbissen ist vor der formalistischen Vernunft so essentiell, wie die von Liebe und Hass." (Horkheimer, Adorno, Dialektik der Aufklärung, S.86). Gegen die Auswüchse der Zivilisation bringen die Befürworter des Irak-Krieges die Zivilisation in Stellung, ohne zu begreifen, dass das Eine nicht ohne das Andere zu haben ist. Statt die Dialektik zwischen Allgemeinen und Besonderen ernst zu nehmen, ergreifen sie Partei für die Zivilisation ohne sich die Finger an ihren konkreten Erscheinungen schmutzig machen zu wollen. Sie beharren auf einem Begriff von Zivilisation, der Aufklärung und Gegenaufklärung nicht als dialektisch vermitteltes Verhältnis fasst, sondern bipolar auseinanderreißt. So wird der kritische Gehalt der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer-Adorno zugunsten eines Hurra-Amerikanismus über Bord geworfen. Denn noch ehe Freiheit, Gerechtigkeit und Humanität gesellschaftliche Praxis geworden sind, beginnt die Aufklärung schon diese Prinzipien zu beseitigen.
In diesem Sinne wollen die Aufklärungsapologeten das Geschenk der Menschenrechte allen zuteil werden lassen, nachdem der Kapitalismus mit seiner stummen betriebswirtschaftlichen Rationalität einen Landstrich nach dem anderen der Barbarei preisgibt. Das Krisenracketwesen und die Situation der Menschenrechte in den Regionen der Herausgefallenen wird dann als Ursache für die ökonomische Rückständigkeit herausgekehrt. Dabei verhält es sich genau umgekehrt: " ,Mensch' in diesem Sinne ist in Wahrheit nichts anderes als ein warenproduzierendes und geldverdienendes Wesen, das elementare ,Rechte' seiner Existenz, sogar das auf ,Leben und körperliche Unversehrtheit', überhaupt nur besitzen kann, soweit es etwas oder wenigstens sich selbst zu verkaufen hat, also seinerseits zahlungsfähig ist." (Robert Kurz, Weltordnungskrieg, S.85) Menschenrechtsfähig ist ein Mensch nur solange, wie er nach kapitalistischen Kriterien funktioniert. Der Fall, dass Menschen aus diesen Vorraussetzungen herausfallen, war jedoch von den Demokraten und liberalen Ideologen nicht vorgesehen. Mit den 90er Jahren hat jedoch ein Prozess eingesetzt, der sich nicht mehr umkehren lässt. Die im Zeitalter der Globalisierung erfundenen Technologien ermöglichen die Rationalisierung der Produktionsprozesse und machen im globalen Maßstab den Verkauf der Ware Arbeitskraft weitestgehend überflüssig. Jene, die nun nicht mehr ihre Arbeitskraft oder Waren verkaufen können, gehören jetzt selbst zu den Überflüssigen, denen das Recht "Mensch" zu sein und Rechte zu genießen, versagt bleibt. Da der Irak-Krieg die ökonomische Lage nicht verbessert, sondern verschlechtert hat, und im übrigen auch vorher nicht an eine Weltmarktfähigkeit zu denken war, bleibt auch die Forderung nach Menschenrechten substanzlos. Dass die Ausbeutung der Ölressourcen Arbeitsplätze schaffen wird, soll dabei nicht in Zweifel gezogen werden. Aber allein vom Geschäft mit dem schwarzen Gold lassen sich 25 Millionen Einwohner eines von Kriegen und Krisen gezeichneten Landes nicht ernähren. Menschenrechte bleiben das Privileg der wenigen marktwirtschaftlich funktionierenden Inseln der Welt. Es ist zweifelhaft, ob der Irak die ökonomischen Vorraussetzungen für sie erfüllen kann. Dafür müsste es binnen weniger Jahre, der finalen Krise des Weltsystems zum Trotz, gelingen, den Anschluss an einen bröckelnden Weltmarkt herstellen. Die Suche nach einem Getränkemarkt in der Sahelzone erscheint bisweilen einfacher.
Es ist kein Widerspruch, wenn die USA diese Menschenrechte selbst ad absurdum führen und dort, wo sich die Ethno-Banden durch Wohlverhalten auszeichnen, Verfolgung, Folterung, Ausplünderung und Ermordung bewusst hinnehmen. Um die Geister des Krisenkapitalismus wieder in die Flasche zu verbannen, haben es die USA inzwischen auf eine ansehnliche Liste von Günstlingen gebracht. Zur High Society des Terrors gehören der CIA-Agent Bin Laden und die Taliban, Saddam Hussein, die islamistische albanische UCK und nicht zuletzt die Warlords der Nordallianz in Afghanistan. Die Praxis der "Stellvertreterkriege", die sich schon im Kalten Krieg bewährt hat, wird auch im Zeitalter der Weltordnungskriege des letzten ideellen Gesamtimperialisten hemmungslos fortgesetzt. Im Gegensatz zu den "Stellvertreterkriegen" in der Epoche der Blockkonfrontation gelten die heutigen Kriege als lokal begrenzte Ungeziefervernichtung, die von Spezialisten vorgenommen wird. Selbst die Flächenbombardements in Afghanistan wurden als präzise geführte Luftschläge verkauft und sollten den Eindruck eines chirurgischen Eingriffs erwecken, gleichwohl als werde einem Patient das kranke Bein amputiert. Diese Rationalisierung des Tötens geht insofern konform mit dem Begriff der Menschenrechte, als dass der Mensch als kapitalistisch verdinglichtes Wesen mitunter weniger als ein Ding ist. So war jeder tote amerikanische Soldat während des Irak-Krieges der Presse eine Schlagzeile wert, während die namenlosen Opfer der Bombardements als "Kollateralschäden" zu den Risiken und Nebenwirkungen zählen, die auf dem Beipackzettel eines jeden Medikaments zu finden sind.
Da die USA als letzte Supermacht dazu verurteilt sind, die Bedingungen für die Kapitalakkumulation zu sichern, können sie keine Rücksicht auf die UN oder das internationale Völkerrecht nehmen. Indem die USA die letzte Schlacht für "Freedom & Democracy" führen, müssen sie notwendig ihre eigens aufgestellten Prinzipien unterwandern. Um den Zerfall staatlicher Souveränität zu verhindern, muss die Weltordnungsmacht mit ihr brechen. Der Angriff auf den Irak offenbarte, wie schon zuvor die Zerschlagung Jugoslawiens durch die NATO, dass das internationale Völkerrecht nur noch ein Papiertiger ist. Der mit der Globalisierung einhergehende Verfall von Staatlichkeit zwingt die USA zum Bündnis mit den poststaatlichen Warlords und Ethno-Banden. Diese außerhalb eines staatlichen Gewaltmonopols agierenden Gruppen lassen sich aber nicht mehr als Staatsbürger oder polizeilicher Gewaltapparat in den Staat integrieren, weil der Staat als ideeller Gesamtkapitalist nur auf der Grundlage gelingender Verwertung funktionieren kann. Ist dies nicht mehr der Fall, bricht das nicht mehr zweckgebundene Gewaltpotential des Staates barbarisch hervor und schafft ein staatlich organisiertes Racketwesen brutaler Führungscliquen wie in Saddams Irak oder zerfällt ganz in das Racketwesen marodierender Horden, wie in Afghanistan, wo alles außerhalb Kabuls unter die Kontrolle von Warlords fällt. Die dort lebenden Menschen sind Herausgefallene, von kapitalistischer Reproduktion abgekoppelte, vor sich hin vegetierende Wesen, deren Leben kaum vom Tod zu unterscheiden ist. Nach dem Zusammenbruch der Nationalökonomie folgt die Ausschlachtung der staatlichen Institutionen und bankrotierten Betriebe und der Rückfall der Bevölkerung in primitive Subsistenzwirtschaft. Die kapitalistisch "Überflüssigen" sammeln sich in Milizen und plündern die Reste der Produktion, sofern überhaupt produziert wird.
Schon längst ist die Plünderungsökonomie der kapitalistischen Zusammenbruchsregionen keine Patrone mehr wert, der Zerfall staatlicher Souveränität soll nur noch dort verhindert werden, wo er eine Gefahr für die kapitalistischen Zentren darstellt. Mit den Anschlägen vom 11. September stellten die ehemaligen Verbündeten im Kampf gegen die Sowjetunion nun eine direkte Gefahr für die USA dar. Mit dem antisemitischen Angriff auf das, als vermeintliches Symbol des Kapitalismus halluzinierte WTC, forderten sie die Souveränität der letzten Weltmacht heraus. Diese Souveränität stellt aber der "War on Terrorism" selbst in Frage. Der Krieg gegen den Terrorismus lässt sich nicht mehr lokal begrenzen, weil auch der islamistische Terror keine Grenzen kennt. Al Quaida und befreundete Terrorbanden sind nicht mehr in einem Land dingfest zu machen, sondern operieren weltweit. So bekannte sich zu den Anschlägen von Madrid die Al Quaida, durch ihren Pressesprecher (!) für Europa. Das Netzwerk der Islamisten durchzieht alle Regionen und gesellschaftlichen Schichten. Um die Souveränität zu behaupten, wird der "Starke Staat" aus der Schublade geholt, und auf Kosten der bürgerlichen Freiheit die Erfassung der Bürger in Dateien und die Überwachung bis ins heimische Schlafzimmer vollzogen. Doch all das hätte die Anschläge auf das World Trade Center nicht verhindern können. Die Attentäter sind nie aktenkundig geworden, hatten keine Vorstrafen und sprachen gut deutsch. Ihr Terror lässt sich durch kein Waffenembargo begrenzen, weil sie für die Ausführung ihrer Selbstmordanschläge meist nur ein paar Kilo Plastiksprengstoff und Nägel brauchen. Saddam Hussein zu beseitigen, mag zwar die soziale Sicherheit der Familien der palästinensischen Selbstmordattentäter gefährdet haben, der Handlungsfähigkeit der Selbstmordsekten indes tat dies keinen Abbruch.
Der "War on Terrorism" läutet das Ende der Souveränität im allgemeinen und die der USA im besonderen ein. Denn sie muss ein Prinzip verteidigen, welches erst die Al Quaidas und Bin Ladens dieser Welt hervorbringt. Die Ökonomisierung aller Gegenstände und Lebensbereiche löscht jeden Inhalt aus, noch bevor er ausgedrückt werden kann. Die überwältigende Sinnlosigkeit gesellschaftlichen Seins, entlädt sich in einer genauso sinnlosen, ziellosen Gewalt- und Selbstzerstörungsidentität. Diese Identität ist gleichzeitig eine leere, weil sie sich nur über ihre Auslöschung bestimmt. Sie erlebt erst ihre Erfüllung, wenn sie sich selbst in einer Fußgängerzone wegsprengt. Der Vernichtungswahn entspricht dem Wahnsinn der Verhältnisse, als der "subjektlosen Gewalt" der Marktmechanismen deren Ausdruck der negative Universalismus islamistischer Terroristen ist.
Die USA sind heute nicht mehr, wie damals im Kampf gegen den Nazifaschismus, Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Sie muss als einzig verbliebene Supermacht weltweit die Bedingungen für die Kapitalverwertung absichern, und die selbst hervorgerufenen Dämonen bekämpfen. Das Ende der Souveränität leiten die USA dabei selbst ein, indem sie die eigens aufgestellten Prinzipien zu ihrer Verteidigung unterminieren. Dazu gehören auch die Urlaubsfotos amerikanischer GIs, auf denen gefolterte irakische Gefangene zu sehen sind. Ob die Iraker nackt an einer Hundeleine gehalten oder gegenseitig aufeinander masturbieren müssen - die sadistische Peinigung der Gefangenen verfolgte nicht mehr das Ziel, Geständnisse zu erzwingen. Der Sadismus der Folterer ließ den inneren Gewaltkern des bürgerlichen Subjekts auf abscheuliche Weise zu Tage treten. Natürlich beeilte sich die, von ihrem Spiegelbild verdatterte, demokratische Presse, es als schlimmen Ausrutscher einiger weniger abzutun. Doch es war nicht der bedauerliche Einzelfall einiger schwarzer Schafe. Wenn Videos über die Misshandlung junger Rekruten in amerikanischen Kasernen oder die geprobte Vergewaltigung serbischer Frauen durch Bundeswehrsoldaten ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden, handelt es sich nicht um einen Fehltritt, sondern um einen unabdingbaren Bestandteil der demokratischen Gewaltapparate. Ihr einziger Inhalt besteht in der Ausübung von Gewalt gegen alles, was eine Gefahr für die ungehinderte Bewegung des Kapitals darstellen könnte. Soldat zu sein, heißt diese Gewalt zu verinnerlichen und die Methode des "nach oben buckeln und nach unten treten" zu beherrschen. Nur so kann der Soldat ein Meister seines Handwerks, der Ermordung von Menschen, werden. Je perspektivloser der Weltordnungskrieg der USA gegen die eigenen Krisengespenster in Gestalt von Schurkenstaaten, Gotteskriegern und Ethnobanditen wird, desto sinn- und zielloser wird die Gewalt seiner Apparate. Es gibt nichts mehr zu verteidigen, weil das Kapital auf seiner Flucht nur verbrannte Erde hinterlässt.
Selbstbehauptung und Selbstzerstörung lassen sich im Weltordnungskrieg der USA nicht mehr voneinander scheiden. Die Prinzipien, zu deren Verteidigung sich die USA anschickt, führt sie selbst ad absurdum und offenbart deren Haltlosigkeit im Angesicht der globalen Systemkrise. Mit der von ihr aufgepäppelten und nun bekämpften Krisengespenster tritt sie einem Feind gegenüber, der sich nicht mehr in einem lokal begrenzten Krieg zwischen Staaten bezwingen lässt, weil er selbst schon poststaatlich ist. Al Quaida und Co entspringen aus den Verhältnissen, welche die letzte Weltmacht zu verteidigen sucht. Der Weltordnungskrieg wird in demselben Maße verloren, wie die Krise der kapitalistischen Verhältnisse fortschreitet und das System an seinen inneren Widersprüchen erstickt. Der Krieg der USA wird zum globalen Amoklauf gegen eine immer größer werdende Liste an Schurkenstaaten, die aus der globalen Reproduktion des Kapitals herausfallen und in eine brutale Plünderungsökonomie versinken.
Der einzige emanzipatorische Ausweg aus dem globalen Ausnahmezustand kann nur in der radikalen Kritik dieser Verhältnisse selbst liegen. Das Warenproduzierende System hat in seiner Krise einen perspektivlosen Weltordnungskrieg heraufbeschworen, der die Erde in Schutt und Asche zu legen droht. Die Ausweglosigkeit der Alternativen, die der Kapitalismus noch hervorbringt, legt den Schluss seiner Überwindung nahe. Damit ein Leben jenseits von Markt und Staat, jenseits von Plünderungsökonomie und Krisenfundamentalismus und jenseits von Krieg und Gewalt möglich wird, bedarf es eines kategorialen Bruchs mit der warenproduzierenden Moderne, die zwischen demokratischem Weltamoklauf und fundamentalistischer Weltbarbarei hin und her schwankt. Wenn der Zug zu entgleisen droht, ist es an der Zeit die Notbremse zu ziehen.
== Martin (incipito)== [Nummer:13/2004] |