GEHEIM
Welche Rolle spielen Verfassungsschutz und Polizei beim Vorgehen gegen Nazis
und warum sich eine radikale Linke darauf nicht verlassen sollte? Oder doch?
Staatliche Repressionen gegen Nazis - wie verhält sich die Linke dazu? Wie
verhält sich die Linke dazu. Welche folgen kann es für die Linke
haben?
Der nachstehende Artikel erschien erstmals 1992. Sein Kontext, der das
Zusammenwirken von kapitalistischen Konzernen und staatlichen
Repressionsorganen (hier vorallem Polizei und Geheimdienste) aufzeigt soll die
Komplexität des Vorgehens und der gegenseitigen Verflechtung verschiedener
Repressionsapparate aufzeigen und beispielhaft auch für das Wirken
selbiger gegen linke Zusammenhänge stehen. Inwiefern staatlicherseits
überhaupt ein Vorgehen gegen Nazis stattfindet und auf welche Wirkungen es
gerichtet ist (sein soll) wird auch Diskussionsgegenstand der Arbeitsgruppe
sein.
"... gekennzeichnet, katalogisiert, numeriert"
Die Affaire BASF - nicht nur ein Datenschutzskandal
von Hans Peter Bordien Redakteur der Zeitung nicht länger GEHEIM
Es ist wieder einmal eine Sumpfblase geplatzt. Diesmal kommt (nach Siemens,
Hamburger Stahlwerk u.v.a) der Gestank aus Ludwigshafen. Die Zusammenarbeit der
Sicherheitsorgane des Großkonzerns BASF AG in Ludwigshafen mit
(zunächst einmal) der Landespolizei und dem rheinland-pfälzischen
Landesamt für Verfassungsschutz bei der Bespitzelung und Disziplinierung
der "Aniliner" kommt an den Tag. Daß auf allen Seiten ein
Unrechtsbewußtsein fehlt, kann nicht wundern in einem Bundesland, dem der
damalige Ministerpräsident und heutige Bundeskanzler Kohl die schöne
Einrichtung der gemeinsamen Sitzung von Landesregierung und BASF Vorstand
bescherte, kann nicht wundern in einer Bundesrepublik, in der illegales Handeln
von Staat und Konzernen nie die Ahnun, sondern alemal die Legalisierung,
bestenfalls eine Beerdigung erster Klasse des Skandals nach sich zog - der
Ministerkäufer Flick im Aufsichtsrat der Deutschen Bank.
Eheimhaltung, Spionage und Geheimnisverrat, Bespitzelung und Disziplinierung
gehören zur "freien", sprch Konkurenzwirtschaft wie die Krawatte zum
Bankangestellten. Einer Gesellschaft, die auf dem Recht basiert, dem anderen zu
schaden - der bewunderte Erfolg in der Konkurrenz hat mer einen gGescdgten -,
entsprechen eben prinzipielles Mitrauen und otale Kontrolle.
Radikales Wortgeklingel? Spielen wir doch mal Mäuschen bei den Herren.
BASF-Chef Jürgen F. Strube beklagte im Juni letzten Jahres bei einer
Tagung der Heinz Goldmann Foundation for Executive Communications seine
unzureichende Versorgung mit Informationen: " Ich lese zuviel, manches zu
spät und nicht immer das Richtige." Zur Behebung dieser mißlichen
Lage baut Strube sein betriebliches "Frühwarnsystem" aus - mit eben diesen
Worten benannte sein politischer Prokurist Schäuble, dereinst BRD-Minister
für "Nationale Sicherheit", das staatliche System von Diensten, Polizei
und Blockwartmentalitäten -, das ihm nicht nur die wöchentlichen
Berichte zu Auftragseingang, Auftragsbestand und Vorratsbewegungen im eigenen
Unternehmen zu liefern hat, sondern auch die begehrten Informationen über
Kunden und Konkurrenz: z.B. Lagerbestände bei Abnehmern oder neue
Produktionen, neue Preise bei Konkurrenten u.s.w. Die Beschaffung solcher
Informationen, die kein Unternehmen frei herumliegen läßt, nennt man
gemeinhin Betriebs- oder Wirtschaftsspionage.
Da aber der Spitzbube jeden anderen Menschen ebenfalls nur für einen
Spitzbuben halten kann, fürchtet Straube natürlich auch - nicht zu
Unrecht - die Spionageversuche der Konkurrenten in seinem eigenen
Unternehmen.
Die Einrichtungen und Methoden zur Unterbindung solcher Spionage im eigenen
Betrieb nennt man Spionageabwehr. Der Instrumentalisierung der eigenen Spione
entspricht die Beargwöhnung und Bespitzelung der eigenen
Werksangehörigen. Das ist aber nur die eine Fron, an der der freie
Unternehmer zu bestehen hat. Denn jeder Beschäftigte ist nicht nur
potenteieller Zuträger des Konkurrenten im Unternehmen, sondern auch noch
Verfechter gewinnschädigender Eigeninteressen auf Arbeit, Einkommen,
Freizeit und Erhaltung der Gesundheit am Arbeitsplatz. Bei einer Verletzung
dieser Interessen wie zum Beispiel im Gefolge der gegenwärtigen
"Schlankheitskur" der BASF in Ludwigshafen, der in diesem Jahr neben
Entgeltbestandteilen der Arbeiter und Angestellten 5000 Arbeitsplätze und
generell die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der 50000 "Aniliner" zum Opfer
fallen solle, droht kollektive Gegenwehr, soziale Unruhe. Solche menschlichen
Interessen und Verhaltensweisen sind für das Unternehmen dysfunktional.
Der ehemalige BASF-Direktor Dr. Hans-Albrecht Bischoff, Leiter des
sozialpolitischen Referates, lehrt uns:
" Der Mensch steht keinesfalls etwa - wie Neoromantiker der Sozialpolitik es so
gerne sähen - im Mittelpunkt des Betriebes. Dort steht etwas ganz anderes.
Dort steht die Produktion, der sachliche, der wirtschaftliche Erfolg. Denn um
ihretwillen ist der Betrieb da ... Der Betrieb braucht die Menschen nicht als
Menschen, die Gott beim Namen gerufen hat, sondern als Funktionen ...
Funktionen und Funktionäre müssen also wesensmäßig
ersetzbar sein. Da sie innere Teile eines Ganzen - des Betriebes - sind, sind
sie ersetzbares Teil und - von der Kehrseite gesehen - Ersatzteile. Ersatzteile
müssen giffbereit, daher eingeordnet, gekennzeichnet, katalogisiert sein,
eine Nummer tragen ... Das klingt unmenschlich und ist auch unmenschlich."
Davon wußte auch der "Kommunismus-Experte" und ehemalige Präsident
des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Günter Nollau selig:
" Das Bewußtsein der Massen wird eines Tages reif sein zu erkennen,
daß ihre Arbeitsbedingungen `inhuman' sind, das heißt ihrer Lage
als ganzheitliche menschliche Wesen nicht entsprechen. Wenn dieses Gefühl
von einer politischen Bewegung umgesetzt werden kann in eine massenhafte
Empörung gegen diese `Ungerechtigkeit' - dann wird die Lage kritisch."
Ebenso empfielt Horst Herold, der ehemalige Präsident des
Bundeskriminalamtes, mit "solchen Situationen" zu rechnen, "die mir nicht
für immer ausgeschlossen scheinen".
Besondere Abteilungen für innere Betriebssicherheit haben die Aufgabe,
Personen, die zu Trägern einer solchen "politischen Bewegung" im
Nollau'schen Sinne werden könnten, aus dem Betreieb herauszuhalten, zu
entfernen oder zumindest zu isolieren und Vorkehrungen zur Niederhaltung oder
Niederschlagung von Empörungen zu treffen. Bespitzelung und Bewaffnung
sind die Mittel.
Die staatlichen Entsprechungen zur betrieblichen Wirtschaftsspionage,
Spionageabwehr und Inneren Sicherheit im Betrieb, die man auch Werkschutz (...)
nennt, sind der Bundesnachrichtendienst, der Militärische Abschirmdienst,
der Verfassungsschutz auf Bundes- und Länderebene, das Bundeskriminalamt
und die Polizei nebst Bundesgrenzschutz.
Die Einschätzungen und Zielsetzungen der staatlichen und betrieblichen
Einrichtungen sind dieselben wie am Beispiel gezeigt; das Personal wechselt
ganz selbstverständlich von einem Bereich in den anderen, zur Abwechslung
mal ohne Namensnennung: Heute TOP-Manager, morgen Treuhandpräsident; heute
Ministerpräsident, morgen TOP-Manager; heute Universitätsprofessor,
morgen Geheimdienstkoordinaor im Bundeskanzleramt; heute Minister, morgen
Bankier; vorgestern Referent beim Verband der Chemischen Industrie in
Ludwigshafen, gestern Ministerpräsident in Ludwigshafen-Mainz, heute
Bundeskanzler in Ludwigshafen-Bnn; gestern BKA-Beamter in Wiesbaden, heute
oberster Werkschützer in Ludwigshafen u.s.w.
Die Ziele sind identisch, die Strukturen kompatibel, das Personal ist
austauschbar. Selbstverständlich arbeiten alle zusammen,
einschließlich ihrer Privatdetektive, ehemals Polizisten: Sie ordnen ein,
kennzeichnen, katalogisieren, numerieren - uns.
Warum dann soviele Worte? Weil der SPIEGEL sofort nach der
Auflagenstabilisierung den Fall tiefer hängt. Weil das Handelsblatt
bezeichnenderweise den Fall überhaupt nicht zur Kenntnis bringt. Weil die
FAZ ihn dort abhandelt, wo sie ihn richtig einordnet, im Wirtschaftsteil. Weil
die Liberalen und Linksliberalen in SZ und FR ihm desorientierend im Stasi-Wust
ein Plätzchen einräumen, während Die Zeit sich immerhin noch in
die Glosse "Rettet die Akten des Verfassungsschutzes" rettet. Weil die SPD im
rheinland-pfälzischen Landtag "keinen akuten Klärungsbedarf" sieht.
Weil der rheinland-pfälzische Datenschutzbeauftragte zur induktiven Liebe
rät mit BASF, Polizei und Verfassungsschut: "sorgfältig an den
Tatsachenfeststellungen orientiert vorgehen und differenzieren", wider Salomons
weisen Rat die Hand ins Feuer legt für die Mehrzahl der Beamten und die
Einzeltäterthese verbreitet.
Zwar bleiben GRÜNE und taz an der Sache, jedoch auch im Einzelfall
befangen.
Zynismus oder Sysiphosmentalität ist aber keine Alternative. Das
hieße nur, untätig auf den nächsten Fall zu warten. Der kommt
bestimmt. Eine bürgerlich-kapitalistische Konkurrenzwirtschaft ohne
Geheimdienste und ihre Praktiken in Wirtschaft und Staat ist sowenig denkbar
wie eine pazifistische Feudalgesellschaft. Das eine ist eben nur um die Kosten
des anderen zu haben.
Hans Peter Bordien
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