Wie baue ich eine Jugendbewegung

Autonome Antifa (M)
  1. These - allgemein
  2. These - konkret
  3. These - konkret
  4. These - konkret
  5. These - allgemein


Kann die Linke noch darauf hoffen, wieder eine Jugendbewegung zu werden und wenn ja, wie wird sie dies?
Oder sollten im derzeitigen Zerfall linker Strukturen neue Modelle einer linken Organisierung gesucht werden, jenseits vom Modell einer Jugendbewegung?
Wie geeignet sind dafür linke Codes?

[1. These – allgemein]

Die dezeit größte Jugendbewegung (Europas) ist die Love-Parade

Seit mehreren Jahren hat sich Berlin zum Nabel der Präsentation der europäischen Jugend entwickelt. Für weite Teile der Jugendlichen ist das Love-Peace-and-Happiness-Spektakel der Techno-Freaks Orientierung. AUf der letzten Love-Parade waren über 1 Million Yougnster tanzend für "Liebe" und "Spaß" auf den Wagen, die die neue bunte Welt bedeuten. Toll war auch, daß das alles im Fernsehen live mitzuverfolgen war.

Die Love-Parade steht für Mainstream-Kultur. Mainstream-Kultur bedeutet: belieber Inhalt (hauptsachse [ökonomisch/ideologisch] verwertbar und es klingt interessant) und unpolitisch. Die völlige Aufgabe des Anspruches (bewußt) gesellschaftlich mitzugestalten. Mainstream-Kultur bedeutet: 100%ige Bestätigung und Reproduktion kapitalistischer Strukturen. Kapitalismus ist weder Thema, noch an- oder abstoßend, er erscheint als naturgegeben.
Am Wochenende feiert Europas Jugend Liebe, Gleichheit, Brüder- und Schwesterlichkeit, in der virtuellen Welt des Internets und der VIVA- und MTV-Shows wird Gleichheit von Schwarz und Weiß als gegeben präsentiert, von sozialen Unterschieden wird nicht gesprochen and love is all around. Auch Glückspillen (XTC) dürfen in der virtuellen Wochenendsfreizeitheilewelt nicht fehlen. Alles ökonomisch verwertet, aufgegriffen und integriert.
Ein eigentlicher Bezug zu gesellschaftlichen Strukturen, eine Substanz haben selbst so allgemeine Ideale wie Love and Peace nicht. Die vermeintliche Gleichheit, die da am Wochenende zelebriert wird, löst nicht etwa einen Widerspruch aus. Nein, in der heutigen Zeit kann im täglichen Angebot der Beliebigkeit alles nebeneinander stehen. Aus Toleranz wird Gleichgültigkeit. Der Gedanke der Egalität abgelöst durch eine Egal-Haltung. Die Abkopplung der Lust, des Bewußtseins für eine bessere Welt vom gesellschaftlichem Sein scheint nahezu perfekt.
Am Montag sitzen alle wieder in der Schule oder im Betrieb und alle Träume von Love and Peace sind dahin. Arbeitsplätze und Lehrstellen zuerst für Deutsche, rassistische Übergriffe, ökonomischer Druck im Betrieb, karriereorientierter Druck durch rigorosere Lehrpläne und Noten. Was hat der Alltag (Vorbereitung auf die optimale Ausbeutung der Arbeitskraft und Ausbeutung der Arbeitskraft) mit dem virtuellen Leben einer heilen Welt von Love, Peace and Happiness des Wochenendes zu tun?
Nur eines: die ökonomische Wertung des Menschen im Produktionsprozeß und das Abschöpfen der Gewinne vom Geschäft mit der Freizeitgestaltung. Eine Hinterfragung und Überprüfung der (erzeugten) Bedürfnisse findet nicht statt, von einer Neuorientierung bzw. Definierung von Bedürfnissen ganz zu schweigen.

Im folgenden beschäftigen wir uns konkret mit der derzeitigen außerparlamentarischen Antifa-Bewegung. Voraussetzung für die Orientierung Jugendlicher an politischen Bewegungen ist ihre Präsenz in der Öffentlichkeit. Das gilt sowohl für Linke wie auch für Rechte.
Wir gehen davon aus, daß bereits eine kritische Haltung oder ein Anstoß bei (vor allem) Jugendlichen vorangegangen sein muß, damit die antifaschistischen Gruppen mit ihren derzeitigen Möglichkeiten die Politisierung aufgreifen, vertiefen und die MEnschen letztlich einbinden zu können. Erst hier ist die Voraussetzung gegeben, weitergehende linke Inhalte zu vermitteln.

[2. These – konkret]

Die Linke ist überwiegend eine Jugendbewegung. Dies gilt insbesondere für die Antifa bzw. für den Teil der Linken, die den Versuch von politischer Praixs nicht ad acta gelegt hat.

Die gesellschaftliche Präsenz linker Ideen hat in den 90er Jahren erschreckend abgenommen. Die Isolation bzw. die Randexistenz der Idee davon, daß es etwas anderes geben kann als Kapitalismus, scheint fetgeschrieben. Eine Durchbrechung der Isolation scheint schier unmöglich zu sein.
In den Regionen und Städten, wo dennoch linke Gruppen/antifaschistische Gruppen existent sind, ist ihre Halbwertszeit in der Regel nicht länger als 3 Jahre. Fast jede Gruppe durchläuft in ihrer aktiven Zeit die klassischen Entwicklungen sogenannter Jugendgruppen. Die Kontinuität der Politik als Gruppe (weniger als Einzelpersonen) bricht ab. Das prägt die Bewegung der Antifa. Auch das reale Alter der AktivistInnen geht in der Regel wenig über 25 Jahre hinaus. Bewegt sich aber zumeist stets in dem Zeitraum, wo eine Ausbildung für das Fitten des kapitalistischen Marktes zum Anbieten der Arbeitskraft noch nicht beendet ist. Ist die Ausbildung, das Studium beendet, beginnt spätestens an dieser Stelle die Identität als vormals aktiveR AntifaschistIn auf der Strecke zu bleiben.
Eine Lösung sehen wir nur in einer weitergehenden Organisierung und mittelfristig die Schaffung einer Organisation.

[3. These – konkret]

Es ist falsch zu behaupten, linke Strukturen zerfallen. Klassische linke Ideen sind im Zerfall begriffen oder werden demontiert. Die antifaschistische Bewegung ist organisierter als nach Anfang der 90er Jahre. Jedoch reicht die Organisierung allein nicht aus. Ohne Organisierung geht nichts.
Wir sehen nach wie vor Lösungen für die Schwächen und Mängel der antifaschistischen Bewegung nur innerhalb einer ernsthaften, langfristig angelegten Organisierung, deren Ziel eine gesellschaftliche eingreiffähige Organisation ist.
Wenn wir auf Organisation statt Organisierung bestehen, dann dies aus gutem Grunde. Der Grund ist einfach. Zur Zeit zu behaupten, das antifaschistische Spektrum sei nicht organisiert, wäre blind. Der Gedanke der Organisierung, der naheliegende Schluß, daß, nur wer organisiert ist, überhaupt die Möglichkeit besitzt, gesellschafltich zu handeln, ist fest verankert.
Derfür uns qualitative Unterschied zwischen Organisierung und Organisation ist folgender:
Organisierung beschreibt die Form, die Tatsache, daß sich AntifaschistInnen zusammenschlißen,um handlungsfähig zu werden. Das ist sicherlich der Anfang.
Doch sich der Frage der Organisation zu stellen, bedeutet sich ein zumindest mittelfristiges Ziel zu geben. Nicht mehr jede Gruppe entscheidet lediglich im Rahmen der eigenen Stadt und im Rahmen der eigenen begrenzten Möglichkeiten, sondern ein Austausch über zukünftige Projekte und eine Gesamtverantwortung, was die Wiedererlangung von linkem Einfluß auf die Gesellschaft steht im Mittelpunkt einer solchen Organisation. Nicht jedeR einzelne schlägt sich durch und sichert seine/ihre Existenz, nur gemeinsam ist eine qualitative Veränderung möglich.
Qualitative Veränderung heißt, eine Politik entwickeln zu können, die es nicht nur schafft, im Unmittelbaren, im Hier und Jetzt einzugreifen, sondern über den Tag hinauszugehen. Dies nicht nur als einzelne Gruppe, sondern die Organisation/Bewegung sollte die Möglichkeit der Weiterentwicklung haben. (Erfahrungen, Kompensierung von notwendigen Gruppenentwicklungen, übergreifender Blick, nicht jede Aktion bestimmt über Revolution, organisatorische Erfahrungen, politisches Wissen.)

[4. These – konkret]

Egal ob eine Jugendbewegung gebaut werden soll oder die antifaschistische Bewegung sich selbst ausbaut: ohne mittel- und langfristig angelegte Politik läuft nichts. Ohne einen organisatorischen Unterbau wird jede noch so bedeutsame Aktion verpuffen. Ohne Kontinuität ist nichts von Dauer. Ohne Dauer kein Abbau der Mauer, die die Linke umgibt.

Zweifelsohne, die antifaschistische Bewegung oder besser: das antifaschistische Spektrum befindet sich in einem organisierten Zustand. Mehr Stand als Gehen. Denn: zwar gibt es durchaus punktuelle handlungsfähige Gruppen, jedoch eine gemeinsame Zielsetzung, ein gemeinsames Dach für die Mehrzahl der Gruppen existiert bis heute nicht. Zudem stehen Forderungen im Raum, die gängige Antifa-Praxis (weitestgehend orientiert an offen auftretenden Faschisten von NPD/Freien Kameradschaften) zu überdenken und zumindest gesamtgesellschaftlichen Rechtsentwicklung zu berücksichtigen. Und dies nicht nur auf dem Papier. Die Forderung, eine Bewrgung zu entwickeln, die in Wort und Tat "mehr ist als gegen Nazis" ist zwar richtig, weil Rechtsentwicklungen nicht von faschistischen Splittergruppierungen vorangetrieben werden und ihre gesellschaftliche Verankerung erfahren, sondern im Kapitalismus selbst angelegt sind.
Aber eine wirklich bemerkbare und damit definitive qualitative Veränderung der Politik bedarf eines Zustandes, das ein annähernd gemeinsames Handeln ermöglicht. Dieser Zustand existiert nicht.
Es bleibt auch fraglich, ob dieser auf absehbare Zeit geschaffen wird.
Eine Betrachtung des Ansatzes "revolutionärer Antifaschismus" über die gesamten 90er Jahre läßt nicht nur Außenstehende feststellen, daß Gruppen kommen und gehen. Daß Gruppen – egal ob 1991 oder 1998 entstanden – zum allergrößten Teil einer Jugendgruppierung gleichen.
Dies in zweierlei Hinsicht. Zum einen, was den Altersschnitt und zum anderen, was das Alter der Gruppe anbetrifft.
Die durchschnittliche Halbwertszeit einer handlungsfähigen Antifa-Gruppe beträgt heute knapp 3 Jahre. Zumeist bringt sie in dieser Zeit 1 maximal 2 Aktionen auf die Beine, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Alle anderen Erscheinungen, wie Gruppen, die länger existieren oder eine ausuferndere Praxis veruschen zu entwickeln, bilden die Ausnahme.
Wie kann ein Spektrum, welches sich um ein und den selben Ansatz versammelt, zu einer Bewegung werden, deren organisatorisches Rückgrat eine Organisation ist, die sich in einem permanenten Zustand von Zerfall und Wiederentstehung befindet. Zumal dieses "Zerfallen" und "Entstehen" immer ungleichzeitigen Entwicklungen unterliegt. Was soll mit Forderungen an "die Antifa" angestellt werden, sie solle ihre Praxis, ihre Theorie ändern, korrigieren, verbessern, verwerfen etc., wenn es keine Adressatin gibt. Und gibt es eine im Moment der Ansprache, hat diese Adressatin dann die Möglichkeit, den Forderungen nur annähernd nachzukommen, so richtig sie auch sein mögen?
So "implodiert" das antifaschistische Spektrum in regelmäßigen Abständen. Der politische Ansatz bleibt zwar erhalten – im Gegensatz zu anderen "Teilbereichsbewegungen" – aber eine Kontinuität (personell und Gruppenentwicklungsstand) bleibt aus.
Eine Entwicklung, die über eine bessere Logistik hinausgeht, ist kaum absehbar. Selbst wenn in einer Stadt beispielsweise innerhalb von 5 oder 10 Jahren 2 bis 3 antifaschistische Gruppen entstehen, so hat die eine mit der anderen selten etwas gemein. Erfahrungen werden nicht weitergegeben, Know-How ebenfalls nicht, Bündniskontakte etc. brechen ab. Die neuentstandene Gruppe durchläuft wieder annähernd die gleiche Entwicklung, mit allen Hoch und Tiefs. Aber eine politische Weiterentwicklung, eine Kontinuität – außer der Tatsache, daß es wieder eine antifaschistische Gruppe gibt – kommt nicht auf. Ja selbst, wenn ältere AktivistInnen wieder einmal den 2., 3., 4. Versuch unternehmen, eine Gruppen aufzubauen, so haben diese sicherlich eine Menge politischen Hintergrund angesammelt, aber es bleibt auf die Weiterentwicklung von EinzelaktivistInnen beschränkt. Und hören diese nach etlichen Jahren auf, so wandert ihr Wissen in ihr Grab, ihre bürgerliche Existenz oder besserenfalls ins linksliberale Dasein.

[5. These – allgemein]

Linke Codes hin oder her. Ohne eine Zuordnung des Individuums zu einer Idee, einer Bewegung, die Teil der Identitätsbildung ist, geht nichts auf Dauer.
Die Zusammensetzung der Identität eines Subjekts im modernen Kapitalismus ist heute so fexibel wie die Arbeitsbedingungen, die zu erfüllen sind.

Vorbei die Zeiten, wo jemand einen Beruf auf Lebenszeit ausübt. Vorbei sind die Zeiten, wo jemand ein Leben lang im gleichen Betrieb arbeitet, um die goldene Uhr zur 30jährigen Mitgliedschaft serviert zu bekommen.
Ebenso vorbei sind die Zeiten, wo sich heute Jugendliche einer Idee verschreiben, auch wenn Revolution oder Bekämpfung von Faschisten nichts das unattraktivste Angebot im Land der (beliebig gewordenen) Sinnstiftungen ist.
Eindeutige Codes – egal ob linke oder halblinke oder rechte – sind mehr oder weniger in Auflösung begriffen. Und die Linke ist sicherlich nicht in der Lage in der heutigen Zeit so ohne weiteres Codes, Symbole, Sprache, Begriffe so mirnichtsdirnichts neu zu besetzen. Es wäre eine irrige Hoffnung zu glauben, eine isolierte Erscheinung wäre in der Lage, irgendetwas zu besetzen.
Dennoch: es gibt Codes, die mit fortschrittlichen oder linken Ideen assoziiert werden. Der Grund liegt hier sicherlich nicht in der aktuellen Lage und Politik der Linken. Der Grund liegt in ihrer Geschichte. In der Tatsache, daß sich die Bevölkerung der Gesellschaft vor 1933 zu fast 1/3 an linken Ideen orientiert hat. Die deutsche Arbeiter(innen)bewegung durch den Faschismus vernichtet wurde (Zerschlagung durch Integration). Die KommunistInnenverfolgung der 50er/60er Jahre versuchte den Todesstoß zu verpassen, die 68er Revolte jedoch die Gesellschaft wieder mit linken Codes fütterte.
So stehen wir in den 90er zwar vor der jämmerlichen Tatsache, daß die Linke keine gesellschaftlichen (Reform)Impulse mehr von sich gibt, dennoch viele Versatzstücke linker/fortschrittlicher Ideen Teil der Gesellschaft sind.
Und ob uns die Geschichte der Linken, ihre Erfolge und Niederlagen aus heutiger Sicht passen oder nicht: jedeR Einzelne von uns wäre kein/e AntifaschistIn oder kein/e Linke/r, hätte es nicht die Geschichte der Kämpfe der Linken in diesem Jahrhundert und darüberhinaus gegeben.
Alle Symbole, alle Codes ohne der Prüfung des derzeitigen politischen Gebrauchswertes zu unterziehen, weiterzuverwenden, wäre fatal. Wäre es doch eine Fortschreibung der Isolation linker Ideen oder das Festsetzen als Sekte. Denn kein Code ist immer zeitgemäß. Wenn sich ein Code nicht mehr vermittelt, ist es kein Code mehr.
Dennoch: für uns ist es eine selbstverständliche Haltung, sich auf die Geschichte der Linken, ihrer Ideen, ihrer Fehler, ihrer Symbole zu beziehen. Im Rahmen der ziemlich bescheidenen Möglichkeiten die Symbole, Odeen aufzunehmen und weiterzueintwickeln.
D.h. ohne ein Eingehen auf jeweilige (zeitgeistliche) Erscheinungen, um die Möglichkeiten des Anknüpfnes an das Bewußtsein der Menschen zu haben, geht es nicht. Sich ausschließlich aus historischen "Codes" zu nähren, setzt entweder bereit linke Orientierung voraus oder bleibt unvermittelt.
Auf der anderen Seite aber alle historischen Bezüge über Bord zu werfen, würde in letzter Konsequenz bedueten, ohne linke Geschichte zu agieren, letztlich also lediglich den Gesetzmäßigkeiten von zeitgeistlichen Erscheinungen zu unterliegen. Das wäre in der Tat ein Unterliegen. Eine Niederlage auf der ganzen Linie, denn dann sind wir angekommen im Land der Beliebigkeiten, der bunten Wagen: hohl, kurzlebig, historisch überflüssig, egal...

Beispiel für geeigneten Code: Anknüpfen an aktuelle geselschaftlich, zeitgeistlich vorgegebene Codes. Comic, der eigentlich nicht mit linker Geschichte oder Gegenwart gemein hat, jedoch derzeit Orientierung für jüngeres Publikum ist. Die Verwendung der Motive in Kombination mit politischen Inhalten und Symbolen bietet die Möglichkeit der Vermittlung.

Beispiel für geeigneten historischen Bezug: Anknüpfen an aktuelle, zeitgeistliche vorgegebene ästhetische Darstellungsweisen, die jedoch ursprünglich aus der Subkultur/linken Bewegung stammen. Historischer Bezug, der sich vermitteln läßt.

Beispiel für geeigneten linken Code: Antifaschismus und Antifa-Symbol. Ursprünglich mit der Einheitsfrontpolitik der KPD entstanden, steht das Symbol heute für linksradikale, antifaschistische Politik.


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