Urbaner Revanchismus Keine Toleranz für wen?

Ex–Innen!stadt!aktion (Berlin)
  1. Gefährliche Orte - unerwünschte Gruppen
  2. Sicherheits- und Moralpaniken
  3. Territorialstrategien und Kontrollszenarien
  4. Urbaner Revanchismus
  5. Literatur


Ein konstitutives Element der Ausgrenzung und repressiven Vertreibung bestimmter Gruppen aus innerstädtischen Räumen sind rasssitische Feindbildkonstruktionen, die Aufenthaltsstatus und zugeschriebene Fremdheit mit Bedrohung und Kriminalität koppeln. Daran wirken Politik und Repressionsapperate, die Medien aber auch alltägliche Praktiken und Redensweisen der Mehrheitsbevölkerung mit. In bezug auf den Kongress wäre hier vor allem zu diskutieren:

• wie das „Reden“ und Handeln von Staatsapperaten, Medien und Mehrheisbevölkerung zu einer Konstruktion von „Innen“ und „Außen“ zusammenfliessen und wer bzw. welche verhaltensweisen als „Drinnen“ und „Draussen“ definiert werden;

• welche Bedeutung solche Produktionen eines kollektiven „Wir“ und die damit verknüpften Feindbildkonstruktionen für Ideologie und Handeln von Nazis habenund

• welche Rolle die Nazis im Rahmen der Repressionstrategien gegen die dadurch ausgegrenzten Gruppen in den städtischen Räumen einnehmen: so zeigt sich in einigen Fällen, dass die Nazis bei der gewaltätigen Vertreibung bestimmter „Gruppen“ die die „Arbeit“ der Repressionsorgane erledigen, dann aber auch selbst von diesen (etwa auf Bahnhöfen und Shpping- Malls) vertrieben werden.

• Die Konstruktion der scheinbaren Gefährlichekeit jener Gruppen, die dann in zentralen städtischen Räumen schikaniert und daraus vertrieben werden, ist ein wesentliches Kriterium zur Legitimation dieses Handelns: Auf diese Weise kann mit der Angst und dem „subjektiven Sicherheitsgefühl“ der sogenannten Normalbürger argumentiert werden, die ein niedrigschwelliges Eingreifen von öffentlichen und privaten Sicherheitsorganen gegen den Aufenthalt „gefährlicher“ Gruppen in städtischen Räumen erforderlich machen.

• Wie und mit welchen Mitteln kann man der tatsächlich gefährlichen Gruppe der Nazis in städtischen Räumen begegnen, ohne gleichzeitig partiell gemeinsame Sache mit den staatlichen und privaten Repressionsorganen zu machen, gegen die ansonsten unsere Politik richtet, oder ohne politische Forderungen einzuschränkenken, die gegen die zunehmende Überwachung und Kontrolle dieser Räume durch Sicherheitsorgane und Technik ankämpfen.


Die soziale Realität in den deutschen Metropolen hat sich seit den achtziger Jahren grundlegend verändert. Eine global orientierte Dienstleistungsökonomie dominiert das städtische Erscheinungsbild und beeinflußt die Beziehungen zwischen den sozialen Klassen. Zugleich kommt es zu einer verstärkten Durchdringung von Kultur und Ökonomie. Der Freizeit- und Unterhaltungskomplex entwickelt sich zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor für die Städte. Die Ausrichtung der Zentren zu hochwertigen Konsumtionslandschaften und die wachsende sozialräumliche Polarisierung transformieren die Nutzungs- und Aneignungsweisen des öffentlichen Raumes.

Gefährliche Orte - unerwünschte Gruppen

Die Innenstädte sind nicht nur die ‘toten Zonen des Konsums’, sondern sind zunehmend auch ein umkämpftes Terrain. Sie stellen für jene Menschen, die die bad jobs des Dienstleistungsgewerbes verrichten, den wesentlichen Arbeitsort dar und sind wichtiger Aufenthalts- und Reproduktionsraum für verschiedenen Submilieus. Neben Büros und Geschäften gibt es im Innercity-Bereich auch ein dichtes Netz an sozialen Angeboten für ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen, wie etwa Drogenhilfe, Gesundheitsversorgung, psycho-soziale Beratung, Unterstützung in Form von Nahrung, Kleidung, Unterkunft.

Seit Beginn der neunziger Jahre entfaltet sich in den Metropolen ein Repressionsprogramm, das sich vor allem gegen die Anwesenheit dieser marginalisierten Gruppen an zentralen Orten und Plätzen richtet.

Exemplarisch für diese Entwicklung ist etwa die von der Berliner Polizei vorgenommene Ausweisung von inzwischen 30 ‘gefährlichen Orte’, an denen wesentliche Persönlichkeitsrechte außer Kraft gesetzt sind. Insbesondere innenstadtnahe Plätze und große Einkaufsstraßen fallen unter diese Klassifikation. An solchen Orten können ohne Begründung Personalienüberprüfungen oder Leibesvisitationen vorgenommen und Platzverweise ausgesprochen werden. Ähnlich weitreichend sind die Kontrollbestrebungen des Frankfurter Magistrats: Um einen “stressfreien” Aufenthalt in der City zu gewährleisten, soll durch eine geplante ‘Gefahrenabwehrverordnung’ eine ‘Belästigung’ der BürgerInnen durch ‘rauschbedingtes Verhalten’ und ‘aggressives Betteln’ mit Hilfe von Platzverboten vermieden werden. In Bremen schließlich sprechen die Behörden auf der Grundlage des Polizeigesetzes gegen vermutete DealerInnen und DrogenkonsumentInnen Betretungsverbote für bestimmte Stadtteile aus. Bei Mißachtung können die Betroffenen inhaftiert und am Stadtrand ausgesetzt werden. Seit kurzem erteilt zudem die Betreibergesellschaft der Bremer Straßenbahnen gegenüber Personen, die des Drogenbesitzes verdächtigt werden, ein Beförderungsverbot auf allen Bahn- und Buslinien. Durch die Sanktionierung von Verstößen können sich die Aufenthaltsverbote für die Betroffenen zu mehrjährigen ‘Verbannungen’ anhäufen.

Bei der Neuordnung öffentlicher Räume spielt auch die Deutsche Bahn AG eine wichtige Rolle. Diesem nun privaten Kapitalunternehmen gehören in allen Städten der Bundesrepublik enorme Flächen in überwiegend zentralen Lagen, die man möglichst profitabel vermarkten will. Zugleich werden die Verkehrsstationen zu Shopping Malls und Dienstleistungszentren umgebaut. Damit geraten auch die Bahnhöfe - bislang bedeutsame Rückzugsräume für ausgegrenzte Gruppen - verstärkt ins Fadenkreuz von Kontrollstrategien. Da die Miethöhe in 1a-Lagen nicht nur von der baulichen Qualität und der konkreten Funktion, sondern auch vom Image und Prestige der Immobilienobjekte abhängt, ist die Bahn AG bestrebt, das soziale Umfeld selektiv aufzuwerten. Komplementiert wird diese Aufwertungsstrategie durch das sogenannte 3-S-Programm - sprich “Service, Sicherheit, Sauberkeit”. Das Herzstück dieses Programms ist eine Zentrale in der es aussieht “wie auf dem Tower eines Flughafens. Vier Bahnarbeiter sitzen vor jeweils acht Monitoren (...). Über bahneigene Telefone sowie über Funksprechanlagen gibt es direkte Verbindungen zum Bahnschutz, zur Polizei, zum Bundesgrenzschutz, zu den Reinigungskräften (...). Bei jeder Art von Notsituation kann sofort reagiert werden, der Bahnschutz oder die Polizei informiert oder bei sichtbaren Verunreinigungen (...) sofort ein Reinigungsteam in Bewegung gesetzt werden. So ist es möglich, (...) den Drogensüchtigen oder Obdachlosen anzusprechen, bevor er sich im Bahnhof niederlassen kann” (Bahnhof-Report 1998: 20). Die Konsequenz dieses ‘Ansprechens’ zeigt sich auf den Berliner Bahnhöfen Zoo, Hauptbahnhof und Lichtenberg: allein im Januar 1997 sprach die Bahn AG hier 181 Hausverbote und 7.400 Platzverweise aus (Eick 1997).

Angesichts sinkender Umsätze sind auch die BetreiberInnen von Kaufhäusern und Ladenketten in der City bestrebt, die Einkaufsmeilen nach dem Vorbild von Shopping-Malls zu managen. Da deren Erfolg nicht zuletzt auf der Garantie des gesicherten und ungestörten Konsums basiert, sollen deshalb die verschiedenen Submilieus aus den Innenstädten verdrängt werden. Die Steigerung des Warenumsatzes und eine profitable Immobilienverwertung werden nun in direkte Beziehung zu Sicherheit und Ordnung gesetzt. Zentrale Bereiche der Städte geraten so unter privatwirtschaftliche Kontrolle und damit auch unter die Aufsicht privater Sicherheitsdienste. Rechtlich stützen sich solche Unternehmen auf die sogenannten Jedermannsrechte wie Notwehr, Notstand oder Nothilfe, um ihren Zugriff in öffentlichen Räumen abzusichern. Diese Bestimmungen setzen für besondere Situationen das staatliche Gewaltmonopol und die persönlichen Freiheitsrechte außer Kraft. Sie werden auf die privaten Sicherheitsdienste übertragen und von diesen präventiv genutzt. Ihr Verhalten befindet sich entsprechend ständig im Vorgriff, so als sei permanent eine individuelle Notsituation gegeben. Die Sicherheitsdienste funktionieren gewissermaßen wie ein auf die Straße verlagerter Werkschutz: nur daß hier nicht mehr die Fabriken, sondern die Räume der Dienstleistungsökonomie geschützt werden sollen. Da sich die Präventionsstrategie der Geschäftsleute vor allem an der Optimierung von Betriebssicherheit und Umsatzzahlen orientiert, operieren die privaten Sicherheitskonzepte mit einer Vorstellung von abweichendem Verhalten, bei dem bereits ‘devianzbegünstigende’ Gelegenheitsstrukturen und Handlungsweisen ins Blickfeld geraten. Bezeichnenderweise haben sich in allen Großstädten Allianzen aus Geschäftsleuten und städtischen Behörden gebildet, um Verbotszonen für bestimmte Gruppen durchzusetzen. Die herkömmliche Trennung von “öffentlichen und privaten Kontrollsphären und Ordnungsbefugnissen geht über in einen staatlich-privaten Kontrollmix mit unklaren rechtlichen Normierungen und Zuständigkeiten” (Beste 1997: 6).

Auffallend ist in diesem Zusammenhang der Bedeutungsgewinn von kommunalen Verordnungen, die auf eine Art von Lokal-Justiz hinauslaufen und zugleich für die wachsende Rekommunalisierung der staatlichen Ordnungspolitik stehen. Strukturell lassen sich dabei zwei Varianten ausmachen. Zum einen definieren die städtischen Behörden im Rahmen von Sondernutzungen wie etwa Gefahrenabwehrverordnungen Betteln, Alkoholtrinken oder Lagern im öffentlichen Raum als Ordnungswidrigkeit. Zum anderen findet mit Hilfe des Hausrechts eine Umwidmung von öffentlich zugänglichen Orten statt. Diese Kontrollpraxis kommt gegenwärtig verstärkt in Bahnhofsanlagen, Flughäfen und dem öffentlichen Nahverkehr zum Einsatz. Erklärtes Ziel dieser Strategie ist die Exklusion bestimmter Submilieus.

Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Kontrollpraktiken, daß sie auf einen rassistischen Grundkonsens in den Normalitätsvorstellungen zurückgreifen. So sind von den Überwachungen, verdachtsunabhängigen Kontrollen, Hausverboten und –verweisen insbesondere Menschen betroffen, die den ‘Sicherheitspartnern’ fremd erscheinen. Ein solches Vorgehen kann sich zusätzlich noch auf die nur für MigrantInnen geltenden Sondergesetze (Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens und das Ausländergesetz) stützen, mit Hilfe denen AsylbewerberInnen und geduldeten Nicht-Deutschen der Zugang zu ganzen Stadtteilen untersagt werden kann.

Sicherheits- und Moralpaniken

Die ‘innere Sicherheit’ der Städte wird von den Behörden und der medialen Öffentlichkeit zunehmend auch als ‘Disorder-Problem’ verhandelt. Aussagen wie “Man muß die Ängste der Bürger ernst nehmen” signalisieren, daß nicht mehr konkrete Straftaten, sondern subjektive Befindlichkeiten zum Gegenstand politischer Interventionen werden. Damit rücken Themenfelder wie etwa Unsauberkeit auf Straßen und Plätzen, ‘Vandalismus’ oder Betteln, die bisher von keiner strafrechtlichen Relevanz waren, in den Vordergrund. In diesem präventiven Konzept von öffentlicher Sicherheit findet eine Vermischung von sozialpolitischen, ordnungspolitischen und polizeilich-strafrechtlichen Bereichen statt, die vor allem auf eine Intensivierung der sozialen Kontrolle abzielen.

Populäres Vorbild für dieses präventive Sicherheitskonzept ist die ‘Null-Toleranz’-Strategie der New Yorker Polizei. In der amerikanischen Metropole werden Regelwidrigkeiten wie Trinken und Urinieren in der Öffentlichkeit, Graffiti-Sprayen, Schwarzfahren und sogar lautes Musikhören aus Ghettoblastern konsequent verfolgt und streng geahndet.

Das in den deutschen Großstädten breit diskutierte New Yorker law-and-order-Modell führt auch hier dazu, daß sich eine restriktive Ordnungspolitik durchsetzt. Aus der Sicht der Mehrheitsgesellschaft formieren sich Obdachlose, DealerInnen, DrogenkonsumentInnen oder junge MigrantInnen zu ‘unerwünschten’ bzw. ‘gefährlichen Gruppen’.

Bevorzugtes Thema des Sicherheitsdiskurses ist vor allem der ‘Ausländer als Krimineller und Drogendealer’. Bezogen auf den lokalen Raum findet hier jene nationale Politik ihre Umsetzung, die ‘innere Sicherheit’ als ‘Massen- und Ausländerkriminalität’ artikuliert, wobei diese Kampagnen ihre suggestive Kraft vor allem aus den Diskursen und Bildern der Stadt beziehen, in denen die gängigen Bedrohungszenarien entworfen werden. Meist operieren die ‘Sicherheits- und Moralpaniken’ (Cremer-Schäfer 1993) mit der Unterstellung, daß ein großer Teil der Kriminalität von außen eingeschleppt werde. Wenn davon in den Medien die Rede ist, dann in Verbindung mit ‘ausländischen Drogendealern’ oder jungen MigrantInnen, die sich an ‘sozialen Brennpunkten’ zu ‘gangs’ zusammenschließen und so eine bedrohliche Raumokkupation vornehmen.

Die Redeweise vom ‘Ausländerproblem’ wird so zum konstitutiven Element eines Diskurses, der die Hierarchisierungen und Ausgrenzungsprozesse in der städtischen Gesellschaft strukturiert und die innere Formation von Metropolen, ihre Klassenverhältnisse und ihr politisches System reguliert. Wesentlicher Bestandteil des Sicherheitsdiskurses sind Strategien, mittels derer Individuen ‘ethnisiert’ und dann als Fremde ausgegrenzt werden können. Das Pendant zur Konstruktion ‘des Anderen’ ist die komplementär stattfindende Konstitution des nationalen Opferkollektivs in Gestalt des bedrohten Landes oder Volkes (Kunz 1995).

Gleichzeitig werden mit dem Ende des wohlfahrtsstaatlichen Kompromisses die Bestrebungen verstärkt, die Krise und die mit ihr einhergehende Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft mit ordnungspolitischen Mitteln zu bearbeiten. Einerseits fallen zunehmend mehr Menschen aus dem Produktionsprozeß heraus, gelten nun Phänomene wie Armut als natürlicher Bestandteil der Gesellschaft, andererseits wächst die Bereitschaft, bestimmte Gruppen und soziale Praktiken zu disziplinieren, zu stigmatisieren und auszugrenzen. Die sozialen Polarisierungsprozesse werden zunehmend nicht mehr aus der Perspektive sozialer Gerechtigkeit, sondern als Problem der öffentlichen Sicherheit und Ordnung thematisiert. Zu den bevorzugten Objekten dieser Stigmatisierungs- und Diskriminierungskampagnen zählen neben Flüchtlingen und MigrantInnen jene soziale Klassen, die aus dem vorherrschenden Produktivitäts- und Leistungsmodell herausfallen.

Was macht die Konstruktion von ‘gefährlichen Gruppen so attraktiv? Mit Hilfe der universell einsetzbaren Kategorien ‘Gefahr’ oder ‘Gefährlichkeit’ lassen sich einerseits heterogene Milieus homogenisieren, andererseits erlaubt der Begriff gleichzeitig eine differenzierte Behandlung der betroffenen Gruppen je nach der Qualität der Gefährdung, die sie repräsentieren. Auf diese Weise kann etwa zwischen ‘Asozialen’ unterschieden werden, die lediglich die öffentliche Ordnung stören (Alks) und ‘antisozialen’ Kräften, die eine Bedrohung für die gesamte Gemeinschaft darstellen (DealerInnen).

Da Unsicherheitsempfindungen weniger das Produkt direkter Erfahrungen sind, sondern vor allem durch das Reden über Gefahren entstehen, stärken die Sicherheitskampagnen der Politik und der einschlägigen Institutionen eher die Kriminalitätsfurcht als sie abzubauen. Die öffentliche Sicherheit erweist sich als ideales Feld, auf dem der Staat und die Parteien ‘Handlungsfähigkeit’ demonstrieren können, die in anderen Politikfeldern nicht mehr möglich erscheint. Das strategische Moment solcher Moralisierungs- und Bedrohungsszenarien besteht darin, Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zu definieren, Einschränkungen des bürgerlichen Gleichheitspostulats zu legitimieren, Grenzen des Anspruchs auf Anerkennung von sozialen Rechten zu bestimmen und den Zugang zu materiellen Ressourcen abhängig zu machen.

Die Moral- und Sicherheitsdiskurse zielen jedoch nicht nur auf die Exklusion der ‘Unproduktiven’ und ‘Unerwünschten’, sondern fungieren auch als Teil einer Integrationsstrategie, die die Ausschließung bestimmter sozialer Gruppen voraussetzt, da ohne diese Grenzziehungen keine Normalitätsstandards gebildet und durchgesetzt werden könnten.

Territorialstrategien und Kontrollszenarien

Von Gilles Deleuze (1993) stammt die These, daß sich gegenwärtig der Übergang von der Disziplinargesellschaft zur Kontrollgesellschaft vollziehe. Die herkömmlichen Einschließungsmilieus wie Gefängnis, Familie oder Schule befinden sich ihm zufolge in einer Krise, die ihre jeweilige gesellschaftliche Bedeutung verändert. Die Transformation der Disziplinar- und Normalisierungskonzepte sollte jedoch nicht mit der Durchsetzung einer ‘reinen’ Kontrollgesellschaft gleichgesetzt werden. Die Rückkehr des ‘strafenden Staates’, und die gegenwärtigen law-and-order-Kampagnen sind eindeutige Indikatoren dafür, daß die klassischen Modelle von ‘Überwachen und Strafen’ nicht verschwunden sind. Diesen Macht- und Herrschaftsmechanismen kommt vielmehr bei der Durchsetzung des Neoliberalismus in Deutschland eine wichtige Rolle zu. Indem die ökonomische und soziale Krise auch als eine Krise der Werte und Normen verhandelt wird, ergeben sich spezifische gesellschaftspolitische und staatliche Interventionsmöglichkeiten. Durch die Errichtung einer neuen ‘moralischen Ordnung’ soll nicht nur die fragmentierte Gesellschaft konsensual zusammengehalten, sondern auch der wachsende sozialräumliche Abstand zwischen den verschiedenen Klassen und sozialen Milieus legitimiert und durchgesetzt werden. Nach Bourdieu (1991) handelt es sich bei der Herrschaft über den Raum um eine der privilegiertesten Formen von Machtausübung, da die Manipulation der räumlichen Verteilung von Gruppen sich als Instrument der Manipulation und Kontrolle der Gruppen selbst durchsetzen läßt. In den Auseinandersetzungen um Orte und Plätze manifestieren sich somit die gegenwärtigen Machtverhältnisse. Die Fähigkeit, den angeeigneten Raum zu dominieren - sowohl materiell wie symbolisch - ermöglicht es, unerwünschte Personen und Ereignisse auf Distanz zu halten und umgekehrt subalternen Gruppen stigmatisierte und entwertete Territorien zuzuweisen. Die wachsende Präsenz der Marginalisierten in den Zentren und bestimmten Wohnquartieren wird deshalb von den Eliten und der Mehrheitsgesellschaft als Kontrollverlust über die Stadt wahrgenommen. Aus deren Sicht geht es um die ‘Wiedereroberung des öffentlichen Raums’ und um die Durchsetzung bestimmter Normalitätsstandards.

Die Durchsetzung dieses ‘Modells’ erfolgt an den verschiedenen städtischen Orten mit unterschiedlichen Ausrichtungen und Intensitäten. Schematisch betrachtet zeichnen sich in den Metropolen vier unterschiedliche Kontrollszenarien ab:

Erstens geht es um die präventive Abschirmung abgeschlossener Archipele wie Bürotürme oder Malls von der “feindlichen Außenwelt”. Durch entsprechende Absicherungen und Wachmannschaften können bereits im Vorfeld unerwünschte Gruppen und Ereignisse ferngehalten werden. Innerhalb des privat organisierten Territoriums findet die Kontrolle der Besucherströme eher unaufdringlich durch Techno-Prävention und eine spezifische Raumgestaltung statt. In der Terminologie von Michel Foucault (1976) könnte man von einem panoptischen Kontrollsystem sprechen, das sich allerdings in der Regel auf die Akzeptanz der Betroffenen stützen kann.

Zweitens gibt es umkämpfte Territorien wie etwa die innerstädtischen Einkaufsmeilen oder Bahnhöfe, in denen mit Hilfe einer repressiven Verdrängungspraxis eine selektive soziale Homogenität hergestellt werden soll. Ein wichtiges Instrument der Aufwertungsstrategie bilden dabei Raumverbote für mißliebige Personen. Durch Moral- und Sicherheitskampagnen versucht man auch, die Verhaltensweisen bestimmter sozialer Gruppen im öffentlichen Raum stärker normativ zu regulieren.

Drittens bilden sich in bestimmten Wohnvierteln Nachbarschaftshilfen heraus, die durch Quartiers-Patroullien und Bürgerwehren eine hohe soziale Kontrolle nach “Innen” und eine starke Abwehrbereitschaft nach “Außen” zu demonstrieren versuchen. Zudem soll mit einer selektiven räumlichen Verteilungspolitik sogenannter Problemgruppen und einem ausgrenzenden Ghetto-Diskurs die territoriale und kulturelle Vorherrschaft der neuen “Urbaniten” oder der deutschen Quartiersbevölkerung gesichert werden.

Viertens geht es um die ordnungspolitische Absicherung und Überwachung von Ausschließungs- und Internierungsräumen für die “Klasse der Entbehrlichen” wie etwa Junkies, DealerInnen, Flüchtlinge oder Illegalisierte. Es handelt sich dabei um einen Macht- und Kontrolltypus, der entweder die dauerhafte Verbannung bestimmter Menschengruppen aus der Stadt anstrebt oder die Ausschließung mit differenzierten Einschließungs- oder Internierungsmodellen zu kombinieren versucht. So werden viele DrogenkonsumentInnen vor die Alternative Therapie oder Strafe gestellt, AsylbewerberInnen in Heimen festgehalten oder es wird unerwünschten Personen und mutmaßlichen StraftäterInnen der Zugang zu bestimmten städtischen Gebieten untersagt.

Der Schwerpunkt der Kontrollpolitik in Deutschland liegt gegenwärtig darin, einerseits in den zentralen Bereichen der Stadt die Armut unsichtbar zu machen und andererseits einen tief gestaffelten Sicherungsraum gegen Flüchtlinge und Migrationsbewegungen zu installieren. Die Sicherheitsdiskurse und Repressionsprogramme bestimmen dabei vor allem den Alltag in den Metropolen. Hier verdichten sich gegenwärtig sozialräumliche und politische Formierungsprozesse, die für die Umstrukturierung der gesamten Gesellschaft von Bedeutung sein werden.

Urbaner Revanchismus

Der amerikanische Stadtforscher Neil Smith (1996) hat exemplarisch für New York gezeigt, daß diese gegenwärtige Restrukturierung nicht nur durch eine neoliberale Kapitallogik erfolgt, sondern auch an eine “revanchistische Politik” – was sowohl Rückeroberung wie auch Rache meint – gekoppelt ist, die aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Die repressive Ausgrenzung von Menschen, die als nicht normenkonform definiert werden, läßt sich erfolgreich damit legitimieren, daß es dabei um die Rettung der räumlichen Kontrolle und die sozial-kulturelle Hegemonie der Gemeinschaft der Wohlanständigen gehe. Daß Revanchismus und neoliberale Stadtentwicklung dabei miteinander korrespondieren ist offensichtlich. Dennoch handelt es sich um zwei unterschiedliche Projekte, die jeweils ihren eigenen Ort der Entstehung haben, jedoch gegenwärtig eine Symbiose eingehen und nun den sozialen Raum entscheidend mitstrukturieren.

Bereits in der Spätphase des sozialdemokratischen “Modell Deutschland” und nach der sogenannten Wende versuchten die politischen Eliten, die sich abzeichnende Krise des Wohlfahrtsstaates durch einen diskriminierenden Migrationsdiskurs und Anti-Asyl-Kampagnen zu bearbeiten. Damit wurde bereits im letzten Jahrzehnt ein wichtiger Baustein für das Erstarken revanchistischer Strömungen gelegt. Der sich darin verstärkt artikulierende Rassismus wird dabei oft auf eine allgemein um sich greifende Ethnisierung des Sozialen zurückgeführt, die die MigrantInnen erst zu Objekten der Ausgrenzung und Diskriminierung mache. In den Debatten erscheinen demgegenüber die sechziger und siebziger Jahre (“GastarbeiterInnen”) teilweise als goldenes Zeitalter, in dem die MigrantInnen angeblich nicht nach “ethnischen”, sprich irrationalen, sondern nach rationalen Maßstäben wahrgenommen wurden, eben in erster Linie als ArbeiterInnen. Dem ist entgegenzuhalten, daß die ausländischen Arbeitskräfte von Anfang an sozialen Verhältnissen unterworfen waren, die stets auch eine rassistische Komponente aufwiesen. Der Wohlfahrtsstaat bzw. das korporatistische “Modell Deutschland”, beruhte u.a. auf Diskriminierungs- und Auschlußmechanismen, die als “eingehegter” Rassismus umschrieben werden können. Während in dieser Phase z.B. der Alltagsrassismus der Arbeiterkultur noch durch die sozialreformerische Ideologie der Gleichheit und (internationale) Solidarität reguliert wurde, werden mit der Enttraditionalisierung und Deinstitutionalisierung dieses Milieus die “Intoleranzschwellen” (Balibar 1993) zunehmend herabgesetzt.

In diesem Zusammenhang ist es aber unzutreffend einen ursächlichen Zusammenhang zwischen sozialer Problemlage und Rassismus zu unterstellen. Das Erstarken nationalistischer und rassistischer Strömungen seit Beginn der achtziger Jahre ist nicht, wie in der gängigen ökonomistischen Erklärung, als Folge der Krise, sondern selbst als ein politischer Faktor bei der Auflösung des sozialen Kompromisses zu verstehen. Als eine Antwort auf die Krise des “national-sozialen Staates” (Balibar 1993) und seiner Apparate wie Gewerkschaften und Volksparteien haben sich rechtspopulistische Strömungen herausgebildet, die die entstandene Schere zwischen dem realen Konfliktniveau und den Lösungsmöglichkeiten des Wohlfahrtsstaates auf ihre Weise autoritär zu bearbeiten versuchen.

Die Ursachen des Rassismus dürfen nicht in seine Objekte verlegt werden, da für rassistische Einstellungen - das belegt die Dauerhaftigkeit des Antisemitismus - keine realen Erfahrungen mit der stigmatisierten Gruppe nötig sind. Der Rassismus ist vielmehr in den psychischen und soziopolitischen Strukturen der jeweiligen Gesellschaft angelegt und häufig intergraler Bestandteil der “nationalen Identität” Insofern ist er nicht einer bestimmten sozialen Klasse vorbehalten. Vielmehr existiert ein Wechselspiel zwischen institutionellen Ausschlußpraktiken, dem Rassismus politisch-kultureller Eliten und dem popularen Rassismus, der auch offene Gewalttätigkeiten miteinschließt.

Da die Vorstellungen und Diskurse über die “Fremden” aufs engste mit den ökonomischen und politischen Strukturen verbunden sind, wäre es nötig, sie auch in diesem Kontext zu analysieren. Nur so könnte man Anworten auf die entscheidende Frage finden, wie und warum sich verschiedene gesellschaftliche Widersprüche derzeit im Rassismus verdichten und auf ihn stützen können und wie sich dieser wieder desartikulieren läßt. Dabei ist das Verhältnis von Krise und Rassismus weder einseitig ökonomistisch (Verteilungskonflikte, Sündenbocktheorie) noch kulturalistisch (Identitätskonflikte, Essentialismus) aufzulösen.

Literatur:

Beste, Hubert 1997: Thesen zum Strukturwandel sozialer Kontrolle, Frankfurt a. M., unveröff. Manuskript

Bourdieu, Pierre 1991: Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum, in: Martin Wentz (Hg.): Stadt-Räume, Frankfurt a. M./New York, S. 25-34

Cremer-Schäfer, Helga 1993: Was sichert Sicherheitspolitik?, in: Eva Kampfmeyer/ Jürgen Neumeyer (Hg.): Innere Unsicherheit, München, München, S. 13-40

Deleuze, Gilles 1993: Postskriptum zu den Kontrollgesellschaften, in: Ders.: Unterhandlungen, Frankfurt a. M., S. 254-262

Dürr, Heinz 1996: Bahn frei für eine neue Stadt, in: Bund Deutscher Architekten BDA/Deutsche Bahn AG/Förderverein Deutsches Architekturzentrum DAZ (Hg.): Renaisance der Bahnhöfe, Braunschweig/Wiesbaden, S. 12-15

Eick, Volker 1997: Schluß mit den Problembürgern - eine Tochtergesellschaft der deutschen Bahn AG schafft “öffentliche Räume”, in: Mieterecho Nr. 265/1997, Berlin, S. 8-9

Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a. M.

Kunz, Thomas 1995: Der aktuelle Diskurs über “Innere Sicherheit” in der BRD. Gesellschaftliche Ursachen und Funktionen, Diplomarbeit, Frankfurt a. M.

Massey, Doreen 1994: Space, place, and gender. Minneapolis

Smith, Neil 1996: The New Urban Frontier. Gentrification and the revanchist city. London, New York


zum Textanfang
zum Inhaltsverzeichnis des Readers


home