Ausgangsbedingungen antifaschistischer Arbeit

(Schwerpunkt Westdeutschland)

Antifaschistische Aktion Berlin
  1. Aktuelle Bedeutung der Nazis im Parlament und auf der Straße
  2. Bedeutung von Rechten und Faschisten im Kulturkampf
  3. Beschreibung der rechten Hegemonie
  4. Resümee
  5. Gesellschaftliche Ausgangslage
  6. Ein Ost-West Vergleich


Blödsinn muß man sich viel anhören, doch bei kaum einem Thema wird er in derartigen Mengen verbreitet wie bei der Frage nach den Ursachen des Rechtsextremismus: „Modernisierungsverlierer", „desintegrierte Jugendliche", „Erziehungswaisen" sind die Etiketten, mit denen im herrschenden Diskurs jene bedacht werden, deren erstes Lebensziel darin besteht, jeden greifbaren Farbigen an der nächsten Laterne aufzuknüpfen. Einen „verzweifelten Hilferuf ohnmächtiger Jugendlicher" will man erkannt haben, psychologisch Inspirierte sprechen gar von einer „neuen vaterlosen Generation". Und die politische Rechte macht wahlweise den antiautoritären Erziehungsstil der 68er oder die autoritäre Erziehung in der DDR für den Hang zu rassistischen Pogromen verantwortlich.

Aufklärung tut Not, und ist nicht zuletzt im Interesse der Antifa-AktivistInnen. Schließlich ergeben sich erst aus der Analyse der Ursachen und Entstehungsbedingungen faschistischer Bewegungen Gründe, Strategien und Ausrichtung des eigenen, antifaschistischen Engagements.

Dazu unser Thesenpapier:

Aktuelle Bedeutung der Nazis im Parlament und auf der Straße

Gemeint sind Stiefelnazis und die Wahlparteien (DVU, NPD). Ihre Bedeutung mißt sich an der Möglichkeit verschiedene gesellschaftliche Bereiche zu beeinflussen.

a) Nazis im Parlament

• Mehr Stimmen als die letzten 45 Jahre

• nehmen aber parlamentarisch kaum Einfluß, sind isoliert,

• wirken als Schrittmacher/ Impulsgeber für bestimmte Entwicklungen

• (Jung-)Wählerpotential hoch: nach Umfragen: 10% im Osten, 9% im Westen; über 40% sind mit Demokratie unzufrieden, 30% findet, daß in Bezug auf Ausländerpolitik die DVU die richtigen Positionen vertritt

Wer wählt rechts:

• in Großstädten wird weniger Rechts gewählt als in Kleinstädten und Dörfern

• alle, die Angst um Status und Privilegien haben (Ausländer nehmen Arbeit weg, Frauen weg)

• NPD ist keine Partei von sozial marginalisierten, eher von Facharbeitern

• Träger von rechtem Gedankengut:

– West: Spießer, Beamte, Vorgartenbesitzer

– Ost: Junge Facharbeiter

b) auf der Straße

• verbreiten Terror und sind physische Gefahr, (siehe Broschüre zu "Ethnische Säuberungen" der AAB)

• Rekrutieren und organisieren erfolgreich Leute, Zahl der Nazis nach VS zugenommen.

• Präsenz im Stadtbild und Aufmärsche als Normalität auf der Straße durchgesetzt im Osten mehr als im Westen

Bedeutung von Rechten und Faschisten im Kulturkampf

• Sie spielen eine große Rolle in der Formierung einer rechten Jugendkultur (im Osten deutlich stärker als im Westen; im Westen vielfältigere alternative Jugendkultur). Hier profitieren Nazis vom gesellschaftlichen Mainstream, wie z.B. Leistungs- und Durchsetzungsdenken sowie der Wiederbelebung eines souveränen Deutschlands, ohne Geschichtslast.

• Vorallem Rechtskonservative haben an Einfluß gewonnen und schaffen es teilweise öffentliche Diskussionen zu bestimmen: Walser, Schwarzbuch, Historikerstreit (Totalitarismus-Debatte)

• Die Rechte besitzen kulturelle Hegemonie

Exkurs zum Begriff kulturelle Hegemonie

• orientiert an Gramsci

• der Begriff dokumentiert die Vorherrschaft rechter Kultur, die immer wieder neu durchgesetzt werden muß.

• Dieser Durchsetzungsprozeß ist eine laufende Auseinandersetzung mit Akteuren und Profiteuren.

Beschreibung der rechten Hegemonie

• die Rechten werden als ein Teil der Jugend, integriert und von gesellschaftlichen Institutionen akzeptiert.

• durch Entpolitisierung auftretenden Konflikte bis hin zur Leugnung.

• Profitieren strukturell und finanziell von Programmen wie AGAG (Aktionsprogramm gegen Agression und Gewalt) und akzeptierender Jugendarbeit

• Nazis integrierbarer als linke Jugendliche (Punks usw.) aufgrund der Anschlußfähigkeit an Werte der Alten (vorallem deutsche Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit, Ordnung, Sauberkeit), linke Jugendliche laufen dem zuwider.

• linke Kultur kann nicht daneben existieren oder nur ganz schwer (selbst wenn es sie gibt), weil die rechte Kultur repressiv durchgesetzt wird.

• die kulturelle Auseinandersetzung ist in einigen Regionen (meist Ost-Deutschland) entschieden

Resümee

• Momentan als Stichwortgeber gesellschaftlicher Entwicklungen in den Hintergrund getreten, da ein Großteil der Positionen bereits in staatlicher Politik integriert ist.

• Einerseits erfolgt eine Integration der Faschisten und ihrer Positionen durch demokratisches Spielchen andererseits werden sie von staatlichen Organen bekämpft, wenn nicht integrierbar.

• Es steht kein Faschismus vor der Türe, wenn, dann wäre eine rechtskonservative Partei nach dem Vorbild von Haiders FPÖ in Österreich oder Stoibers CSU in Bayern denkbar. Das Potential dafür ist vorhanden.

• Ihre Einflußmöglichkeit sind vor allem kulturell

• Innenpolitische Rolle: Stichwortgeber für Rechtsentwicklung, Jugendkultur

• außenpolitisch bedeutungslos, ideologisch zu rückwärtsgewandt (Position gegen Europa, Position gegen den Krieg)

• die Rechten machen das gesellschaftliches Klima nicht, sie profitieren von der Rechtsentwicklung

Daraus ergibt sich, daß es für antifaschistische Politik unerläßlich ist, nicht nur die Nazis zu beobachten, sondern auch die gesellschafltiche Ausgangslage zu betrachten.

Gesellschaftliche Ausgangslage

Beschrieben wurde oben, daß die Nazis von der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung seit 89 profitieren und daraus ihr Potential schöpfen.

a) Woran macht sich Rechtsentwicklung fest

• Ausländergesetzgebung: Asylrechtsänderung (Grundgesetz), Asylbewerberleistungsgesetz, Sichere Herkunftsländer, Abschiebung von Straftätern (Kurden)

• Innere Sicherheit: Abbau demokratischer Rechte, Ausbau von Polizeibefugnissen und Überwachung (Bsp. Lauschangriff, Vorbeugehaft, Länderpolizeigesetz-Verschärfungen, Gendateien)

• Wegbrechen demokratischer Linker (Gewerkschaften, Basisbewegungen,...) und Umdefinieren des demokratischen Konsens

• EU-Außengrenzensicherung

• Abwicklung historischer Verantwortung, Gleichsetzung links & rechts (v.a. seit 95), Leugnen jeglicher Alternative zum Kapitalismus, Individualisierung und Entsolidarisierung, Rechtsentwicklung von gesellschaftlichen Werten (Euthanasie, Krieg, Bestrafung statt Ursachensuche,...)

• Nationalismus und Rassismus in Bevölkerung verankert, worauf auch Nazis zurückgreifen können.

b) Was heißt Rechtsentwicklung

• Abwesenheit von linken Positionen in gesellschaftlichen Debatten

• Diskutiert wird lediglich die beste Verwaltung des Kapitalismus. Alles orientiert sich an bestehenden Sachzwängen (Bsp: Standorte müssen erhalten bleiben). Der Kapitalismus ist als bestes System akzeptiert und damit nicht mehr diskutierbar. Die Geschichte hat angeblich bewiesen, daß alles andere gescheitert ist

Ein Ost-West Vergleich

Exkurs: Bearbeitung des Themenkomplexes Rechtsextremismus/Faschismus in Westdeutschland bis 89:

• Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus hat in der alten BRD nicht stattgefunden, weil es eine Einsicht in die Notwendigkeit gab, sondern immer nur über Druck von außen. Das Ziel der Auseinandersetzung war daher stets die Entlastung der bundesrepublikanischen Gesellschaft, das Abfeiern der bürgerlichen Demokratie und der westlichen Wirtschaftsform (Kapitalismus):

– Verschiebung des Problemes in die Vergangenheit: „Unbelehrbare", „alte Nazis", die ihren Ungeist weiter verspritzten

– Totalitarismus: Faschismus = Kommunismus

– Rechtsextremismus als normalen Pathologie westlicher Industriegesellschaften

• Bruchloser Übergang von NS, 1950 kamen die ersten Nazigrößen schon wieder frei, personelle Kontinuitäten.

• Auseinandersetzung erzwungen durch 68er. Dort spielte individuelle Schuld eine größerer Rolle, Anklage der Elterngeneration. Dort gab es Ansätze von umfassenden Erklärungsversuchen des NS.

Unterschiede bei:

Naziaufmärsche/Übergriffe

• Osten: Zahl sehr hoch. Es gibt wenig Protest

– Gewöhnungseffekt, wegen Häufigkeit.

– keine Tradition auf die Straße zu gehen

– große Berührungsängste mit und starke Abgrenzung von Linksradikalen.

• Westen: Naziaufmärsche seltener, weniger Übergriffe.

– In Anfangsphase Empörung und Proteste

– Langsam einsetzender Gewöhnungseffekt

– weniger Abgrenzung der Linksliberalen im Westen gegen Linksradikale

– größere Präsenz von Alternativkultur

– Präsenz und Gegenwehr von Migranten

Festzustellen ist, daß es Unterschiede gibt, die in der Gewalttätigkeit und Zahl der Übergriffe liegen. Ansonsten auch im Westen 15 bis 20 Prozent Potential an rechtsextremen Jugendlichen.

Demokrativerständnis, Staatstreue, Gewaltmonopol:

• Westen:

– Demokratie wird identifiziert mit 40 Jahre stabilem Westdeutschland und dem damit verbundenen Sozialstaat. Hoher Identifikationsgrad

– Systemgewinner: Der Westen ist in seinem Wirtschaftssystem und in seiner gesellschaftlichen und politischen Ordnung bestätigt worden. Dadurch hoher Identifikationsgrad und enormer Dominanzschub durch die Vereinigung.

• Osten:

– Wenig Identifikation mit Staat

– wenig demokratiegläubig (über 40% unzufrieden mit Demokratie)

– Mißtrauen in das politische System und in die Möglichkeit demokratischer Konfliktregelungen

– verschärfte soziale Konflikte (Sachsen-Anhalt seit 10 Jahren 25% Arbeitslosigkeit). Systemverlierer: Eine Großzahl der Bevölkerung im Osten empfindet sich als Bürger zweiter Klasse.

– Protest gegen „die in Bonn", gegen die Überfremdung durch die Amerikaner usw. Hier ist der Rechtsextremismus im Sinne eines völkischen Antikapitalismus auch als ein Protest gegen die Dominanz des Westens anzusehen.

Abschließende Thesen zur
Diskussion

• Entscheidend ist nicht die Zeit vor 89/90 und die Erfahrungen der Menschen im DDR-Sozialismus, sondern die 10 Jahre nach der Wende.

• Auf die Dauer wird man nicht weit kommen mit Erklärung, wenn man derartige Unterscheidungen zwischen Ost- und Westdeutschland vornimmt. Die Bedingungen gleichen sich immer mehr an.

• Wirksamste Strategie gegen Rechts ist linksradikale Politik.

(Mehr dazu in der AG antifaschistische Intervention, siehe VI Konzepte/Strategien).


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