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"Quo vadis AOK-L?" [aus:PE #17]

Ein paar grundlegende Überlegungen zum Sinn des Antiolympischen Komitees Leipzig (AOK-L) und dessen Zukunft

Seit nunmehr anderthalb Monaten existiert der antiolympische Zusammenschluss namens AOK-L. Als Startschuss für das Projekt fungierten sicherlich die Artikel im letzten Prasses Erben, die als vage Basis für die inhaltliche Ausrichtung des AOK-L genutzt wurden. Neben der lokalen Komponente, die im Artikel "2012 - Spiele ohne uns" 1 zu finden ist, wurden hauptsächlich die Erfahrungen des AOK´s aus Berlin von 1992/93 adaptiert 2. Problematisch an der ganzen Aktion gestaltet sich vordergründig die fehlende Zeit. Am 12. April kann und wird Leipzig aus dem nationalen Olympiarennen fliegen und nicht erst dann werden sich einige ("Connewitzer") Linke fragen, warum gab es das AOK-L eigentlich?

Zunächst ist es meiner Meinung nach nie verkehrt, Ideen über bürgerliche Sportideologien, Sport im Bezug zur Nation und ähnliche Bereiche aufzugreifen und vorzustellen. Gerade in einer Stadt, in der sich ein Projekt wie der Rote Stern Leipzig befindet. Natürlich stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit, gerade in Kriegszeiten. Dem Umstand geschuldet, dass sich doch ein paar wackere Gestalten im AOK zusammenfanden, das Prasses Erben mit dem Titelthema "Nolympia" ungeahnte Auflagenhöhen erklommen hat und auch die restlichen "Szenepostillen" sich mit dem Thema beschäftigen, kann unser Engagement nicht gänzlich falsch sein. Wie sehr sich mensch jedoch in die anti-olympische Thematik reinfuchsen sollte, das ist eine wirklich interessante Frage und ich möchte versuchen, an zwei möglichen Optionen den Sinn des AOK-L zu prüfen.



Bis zum 12.04. - Alles verläuft nach Plan

Beginnen werde ich mit der realistischen Option: Leipzig fliegt auf die Nase. Wir als AOK-L wollen "aufdecken was Olympia tatsächlich für die Menschen bedeutet." 3 Dabei kommt es uns nicht speziell auf die Leipziger Olympiabewerbung an, sondern: Nix Olympia in Leipzig und anderswo! Wir nutzen die Institution Olympia als Sinnbild und greifbare Reflexion der kapitalistischen Umstände. Die Kritik, die bisher am AOK geübt wurde, wir seinen phantomhaft, inhaltlich unausgereift und unsere Problemfelder seien konstruiert, können nicht gänzlich ausgeräumt werden und sind in der aktuellen Phase der Entwicklung wahrscheinlich kaum vermeidbar. Da bedarf es sicherlich noch einiger Schaffens- und Überlegungszeit. Trotzdem haben wir das Thema Olympiakritik schon in das Bewusstsein der Leipziger Linken und zu gewissen Teilen auch in bürgerliche Kreise gehievt, was immer Voraussetzung für eine inhaltliche Bearbeitung ist. Die bisher recht gut besuchten Veranstaltungen im Conne Island, Artikel in allen linken Szenezeitschriften und Interviews mit bürgerlichen Medien dürfen nur ein Anfang sein, denn sie allein würden die Existenz des AOK-L noch nicht rechtfertigen. Der momentane Kulminationspunkt der anti-olympischen Aktivitäten vor dem 12. April soll auf der aktionistischen Ebene der Aktionsmonat sein (Infos: www.nein-zu-olympia.de), in dem alle zum kreativem Intervenieren gegen die Leipziger Olympiabewerbung aufgerufen werden. Denn sicher ist sicher! Auf der inhaltlichen Ebene arbeiten wir auf den 30.03. zu, an dem wir im Rahmen der BAFF-Ausstellung "Tatort Stadion", das AOK-L und seine inhaltlichen Leitlinien vorstellen möchten. Angesichts des Umstandes, das unser bisher geringes Engagement schon derart viel Staub aufgewirbelt hat und wir immer mehr Lust und Laune bekommen, wird Leipzig nach einem fett-verlaufenden Aktionsmonat die Olympiabewerbung in die Tonne kloppen können.



Plan A - Nix Olympia in Leipzig

Natürlich gestaltet sich die Existenz eines AOK´s in einer Stadt ohne Olympiabewerbung schwieriger, da jetzt gänzlich der lokale Bezug verloren geht. Trotzdem erachten wir eine weiterführende Auseinandersetzung unabhängig von Olympia für notwendig. Das ist ein entscheidender Fakt, der auch jetzt schon bewusst gemacht werden muss. Ende April plant das AOK-L die Veröffentlichung eines Readers, dessen inhaltliche Ausrichtung ich hier kurz skizzieren werde und gleichzeitig auch um redaktionelle Mitarbeit bitte. Ein Kapitel in diesem Schriftstück soll die Geschichte von Olympia darstellen. Inhalt dieser Sparte wird die Wiederbelebung, Funktion und Ausrichtung der neuzeitlichen Olympischen Spiele sein, weiterhin muss die Rolle des Sports zu DDR-, wie auch in der Nachwendezeit (speziell Leipzig) Erwähnung finden und letztlich soll das IOC untersucht werden. Grundlegende Überlegungen dazu befinden sich u.a. im letzten Prasses Erben. Ein weiterer Abschnitt soll die bürgerliche Sportideologie und dessen Kritik bilden. Schlagwörter wie Leistungsprinzip, Körperkult, rassische Stereotype, Förderung von Leistungs- und Siegeswille müssen hier erörtert werden. Sport als Klammer einer Nation, in Erscheinung tretend durch Kampagnen wie "Sport tut Deutschland gut" oder den durch Dieter Bott diagnostisierten Ersatz der Religion durch den Sport, werden als inhaltliche Schwerpunkte des Readers in Erscheinung treten. Entscheidend für die Praxis soll das letzte Kapitel sein, das unter dem großen Begriff Stadtentwicklung stehen kann. Hier ist nicht nur das allgemeine Bauvorhaben (Zentralstadion und dessen Auswirkungen) gemeint, sondern auch die Repression gegen sog. Randgruppen und die Begrenzung der bürgerlichen Freiheiten durch Überwachung und staatliche Repression.

Das AOK-L kann die inhaltliche Arbeit für den Reader nicht allein übernehmen, sondern möchte mit Gruppen und Projekten in Leipzig zusammenarbeiten. Wir hoffen, dass wir mit Projekten wie dem Roten Stern, den Diablos, der örtliche BAFF-Ausstellungsgruppe, den Sternen aus anderen Städten und verschiedenen lokalen politischen Gruppen in Kontakt treten können und diese für unser Anliegen begeistern werden. Realisiert sich dieser Wunsch, so könnte der sog. "sport-politische" Diskurs ein gutes Stück vorangebracht werden. Hierbei kann z. B. der Rote Stern aus seiner theoretischen und praktischen Erfahrung heraus das Leistungsprinzip bearbeiten, die Diablos, wahrscheinlich zur Zeit ein Zusammenschluss der besonders stark staatlicher Repression unterliegt, könnten versuchen ihre Erfahrungen einzubringen, und die eher auf theoretischer Ebene agierenden Politgruppen könnten den Versuch unternehmen real existierende Phänomene auf abstrakter Ebene plausibel zu machen. Wie gesagt, alles nur Vorschläge.

Ein entscheidender Aufhänger der nach-olympischen Zeit in Leipzig wird die 2006 stattfindende Fußball-WM sein, die in unserer Heldenstadt ihr Lager aufschlägt. Unheilvolle Vorboten sind durch den Bau des "neuen" Zentralstadions schon in Stein gehauen. Die dadurch einsetzende Kommerzialisierung eines der beiden Leipziger Vereine und der damit einhergehende Abbau von Fankultur sind die darauf folgenden Konsequenzen. Ein Thema, welches Ultra-Gruppen wie die Diablos direkt betrifft und von örtlichen BAFF-AktivistInnen zur Zeit inhaltlich behandelt wird. Gerade die in Leipzig gastierende BAFF-Ausstellung "Tatort Stadion" stellt eine weiterführende Sensibilisierungsfläche für die gerade erwähnten Entwicklungen dar. Hoffentlich setzt in deren Folge eine Diskussion ein, bei der alle Seiten nach gemeinsamen Zielen streben und vielleicht sehen viele Leute einen solchen Reader als eine sinnvolle Ergänzung der eigenen Interessen (-durchsetzung) an. Durch die vorhandene Einbindung in die BAFF-Strukturen und die Existenz des Prasses Erben können kritische Fußballfans außerhalb von Leipzig erreicht werden. Vielleicht können später hiesige wie auch auswärtige Gruppen auf unsere Arbeit aufbauen, wie es das Leipziger AOK mit den Ergebnissen aus Berlin von 1992/93 macht. Weiterhin sollten wir die olympia-kritischen Menschen in einer Großstadt der BRD nicht vergessen, die nach dem 12. April die Olympiaringe an der Backe kleben haben und gewiss unsere Solidarität benötigen.



Plan B - Die Karten werden neu gemischt

Dann liegt aber noch Plan B in der Schublade bereit und wenn der gezogen wird, dann wird es richtig spaßig. Land auf, Land ab wird um die Chancen für Leipzig orakelt: Scheinbare Unterstützung seitens der Bevölkerung, DDR-geprägte Sportbegeisterung, ostzonale Aufbruchsstimmung kombiniert mit prallgefüllten Koffern zur richtigen Zeit an den richtigen Orten platziert und Leipzig bekommt die nationale Unterstützung seitens des NOK zugesprochen. Dann werden bei uns wie bei der lokalen Olympia GmbH die Karten neu gemischt. Klare Zahlen und Fakten werden auf den Tisch wandern müssen, was uns das Argumentieren auf bürgerlicher Ebene immens erleichtern wird. Unterm Strich wird klar werden, was Olympia für die Stadt wirklich bedeutet, die Bürgers werden anfangen zu murren und die heutigen Olympiawidersacher, die mit dem 12. April argumentieren, sollten allmählich praktisch werden. Das bisher konstruierte Thema nimmt endlich Gestalt an und die Geschichte hat gezeigt, dass Olympiakritik auf verschiedenen Ebenen und mit vielfältigen Mitteln erfolgreich verlaufen kann. In diesem, wie auch im letzten Prasses Erben, ist das Konzept der Imagebeschmutzung vorgestellt, das wahrscheinlich als Leitlinie des grundlegenden anti-olympischen Engagement gebraucht werden wird. Bevor wir jetzt uns in der Welt des Konjunktiv verheddern, das AOK-L wähnt sich als Ideengeber für verschiedene sport-politische Felder und bedarf der Mitarbeit weiterer Gruppen. Über Erfolg oder Misserfolg der anti-olympischen Aktivitäten können nur Menschen entscheiden, die sich von unseren Ideen angesprochen fühlen und sich gemeinsam gegen Olympia als Institution und die hinter dem bürgerlichen olympischen Gedanken steckenden Ideologien und Strukturen zur Wehr setzen.



Nix Olympia - in Leipzig und anderswo!

Jochen [AOK-L]


1 Prasses Erben Nr. 16, S. 4
2 ebd., S. 11
3 AOK-L Text aus der BAFF-Broschüre "Tatort Stadion"

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