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Das Konzept Imagebeschmutzung

Im Lauf des Jahres 1984 bekam die Amsterdamer Stadtverwaltung mit, dass das Image der Stadt ramponiert war und dass die dadurch entstandenen ökonomischen Einbußen größer waren als der touristische Gewinn. Amsterdam, das sich zu Beginn der 80er Jahre noch als Ort profilierte‚an dem man die neuesten sozialen Gegensätze mit eigenem Auge auf der Straße betrachten konnte, rief auf einmal physischen Abscheu hervor. ...
Die "größte Werbeagentur der Welt" wurde mit dem Entwurf einer Kampagne beauftragt. die den Amsterdamern ihr Selbstwertgefühl zurückgeben und der Außenwelt den Eindruck vermitteln sollte, dass es in dieser lebendigen Stadt alles gab, was das Herz begehrte. Gleichzeitig wollte die Obrigkeit Spektakel vom Umfang eines fetten Krawalls organisieren, um den (inter)nationalen Flair des Ortes etwas aufzupolieren. Es begann mit der "Modestadt Amsterdam" und der Flottenschau "Sail". Aber bald schon wollte man im Rathaus höher hinaus Man meldete sich zur Kandidatur für die Olympischen Spiele 1992.

Sofort nach Bekanntgabe der Kandidatur, noch während der Spiele in Los Angeles im Juli ´84 stürzten sich Politiker in Amsterdam bereits auf die verwüstende Stadtplanung. mit der Platz für die Spiele, die Spieler und die Presse geschaffen werden sollten. Sofort tauchten aus den Vierteln, die am schwersten unter Sportstadions, Parkplatzbeschaffungsmaßnahmen, Straßen, zeitweiligen Unterkünften und Sicherheitsmaßregeln zu leiden haben sollten, die erste Anti-Gruppe auf. Daraus wurde das offizielle "Komitee Olympische Spiele Nee", das aus der Nachbarschaftsarbeit hervorging. Es organisierte den Anwohnerprotest und stellte die "Anti-Olympische Charta" auf, die an alle nationalen Olympischen Komitees der Welt geschickt wurde. An anderem Ort ging man noch anders vor: "Gleichzeitig sind einige Leute mit einer etwas radikaleren Aktionsgruppe zu Gange. die sich unter dem Namen 'Kein Brot - Keine Spiele' präsentieren will." Diese Gruppe sollte die unverantwortliche Arbeit auf sich nehmen.

Bis zum 17. Oktober 1986, dem Tag der Schlussabstimmung des IOC sollte eine minimale Aktivistengruppe ungefähr zwei Jahre lang maximale Medien-Effekte erzielen. Die Tatsache, dass die Funktionäre die Kandidatur von Anfang an in den Rahmen der immer zur Mediensphäre gehörigen Image-Verbesserung gestellt hatten, ermöglichte es, sie durch pure mediale Anwesenheit zu schlagen. Alle Aufmerksamkeit konnte auf die Beschmutzung des Images gerichtet werden. Der Widerstand gegen die Amsterdamer Spiele '92 nahm zwar in den betroffenen Vierteln seinen Ausgang, erreichte seinen Höhepunkt aber auf einer Art Metaebene, auf der nur noch Mediengeschulte durchblickten, wo der nächste Effekt erzielt werden konnte. Der Erfolg der "Nolympics", dem Sammelnamen aller Anti-Initiativen, gründete in ihrer störenden Präsenz bei jeder Gelegenheit, bei der auch nur der leiseste Verdacht bestand, es könnte einen Zusammenhang mit Amsterdam und den Spielen gehen... Immer wieder die Leute, die mir Transparenten vor den Hotels und Kongreßzentren rumhingen, in denen Amsterdam sich Schritt für Schritt an die Spielevergabe heranarbeitete - das versaute die Erfolgsaura der offiziellen Schar. Deren professioneller Optimismus wurde langsam aber sicher von der verpesteten Atmosphäre angenagt, die sich um die Amsterdamer Kandidatur legte. Wer seinen Gegner im Medienbereich bekämpft, kann ihn nur ausknocken, indem er sich der Gesamtheit der Medien bedient. Das Wort "Medien" drückt das bereits aus: man bearbeitet die lokale Presse mit lokalen Argumenten, gebraucht in den eigenen Blättern eine etwas heftigere Sprache, bringt im Radio Bedenken von nationalem Interesse vor und lässt fortwährend Post mit den verschiedensten Briefköpfen bei IOC-Mitgliedern in der ganzen Welt zustellen. ... Natürlich lässt man auch weder eine der erzwungenen öffentlichen Anhörungen aus, noch lässt man sich die Beteiligung an den Leserbriefseiten der Tageszeitungen entgehen.

Man kopierte rücksichtslos alle Methoden und Techniken der gegnerischen Partei: das persönliche Geschenk der Organisatoren an die lOCler wurde sofort mit einem Tütchen Marihuana beantwortet, das diese mit der Post zugestellt bekamen; mit Begleitbrief, in dem Bürgermeister Ed van Thijn schrieb: "Nach den südafrikanischen Diamanten schicken wir Ihnen nun etwas, womit Sie Ihren Geist erheitern können. Das Niederländische Olympische Komitee möchte Sie gerne Bekanntschaft machen lassen mit einem der Amsterdamer Erzeugnisse. Wir hoffen, damit einen positiven Einfluss auf ihre Entscheidung auszuüben. Unser nationales Erzeugnis ist an über 500 legalen Verkaufsstellen erhältlich. Geben Sie vor allem nichts auf den wachsenden Widerstand in Amsterdam."
Als durch einen Versprecher eines Abgeordneten bekannt wurde, dass alle IOC-Mitglieder einen Videorekorder bekommen hatten, versuchte das Komitee eine strafrechtliche Untersuchung gegen Van Thijn wegen Bestechungsversuch zu erwirken. Zur selben Zeit brachte das Komitee selbst einen gut gemachten Video heraus, in dem ein olympischer Fackelträger durch Amsterdam läuft und auf die lokalen Probleme stößt. Nachdem er über die im Stau stehenden Autos geklettert ist, fällt er in ein Straßenbauloch, landet in einem Besetzerkrawall, gibt einer Biwakmütze mit Bombe in der Hand Feuer, landet im red light district und wird von einem Haschischraucher bestohlen, nachdem er in Hundescheiße ausgerutscht ist.
Das offizielle "Bittbuch", in dem die Gemeinde Amsterdam ihre Pläne vorstellte, wurde noch vor Veröffentlichung mit einem "Volks-Bittbuch" beantwortet, in dem das "Amsterdam Never" untermauert wurde. Den IOC'lern wurde eine Pressemappe mit vollständiger Schnipselsammlung zu den Anti-Aktionen mit englischen Untertiteln angeboten. Darin konnte man u.a., lesen, dass die Stadtverwaltung zwar der organisierenden Stiftung finanzielle Unterstützung bewilligte, nicht aber dem Anti-Olympische-Spiele-Komitee, das für die Piesackung der Regenten einen ähnlichen Antrag eingereicht hatte. Es kam sogar wegen des Copyrights an den fünf olympischen Ringen, die von den Nolympics zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit gebraucht wurden, zu einem kleinen Krawall mit viel Presseaufmerksamkeit. Das Zeichen wurde durch das Komitee derart ausgereizt, dass es, auch wenn es frisch und fröhlich gemeint war, keine Begeisterung mehr zu wecken vermochte.

So anonym und bizarr die nolympischen Aktionen auch waren, hatte das Nee-Komitee doch immer noch ein seriöses Gesicht auf Lager, das Presse und andere Autoritäten rasend machen konnte. Es war das Gesicht von Saar Boerlage, einer freundlichen Dame in mittleren Jahren, die in politischen Kreisen nicht nur als fachlich versierte Universitätsdozentin, sonder auch als leidenschaftliche Kämpferin bekannt war. Sie war eines der Gründungsmitglieder des "Komitees Olympische Spiele Nee" und aufgrund ihrer Unkenntnis der Aktionstraditionen blieb sie von Anfang bis Ende dessen Sprecherin. Es war ein schockierendes Faktum, dass man im Umfeld heftiger Aktionen auf eine wirkliche Dame verweisen konnte, deren Name und Gesicht bald ganz Holland kannten. In der Folge spielte sie die Rolle eines Containers, in dem Journalisten, Manager und Bürokraten sowohl ihre Frustrationen als auch ihre Faszination loswerden konnten. Für mediale Aktionen ist eine zentrale Moderatorin unerlässlich. Und was ist raffinierter als ein Muttertyp, der die vor Wut schnaubenden Journalisten einlullt?

Die Aktionen konzentrierten sich auf zwei Schwachpunkte der geschäftigen Funktionäre: Humor und Randale. Die Image-Ingenieure waren sich ihrer Windbeutelei sehr wohl bewusst und fühlten sich schon im voraus leicht lächerlich, wenn sie in der Geschäftswelt um Geld betteln gehen mussten. In einer solchen Situation schlägt jeder Scherz wie ein Hammerschlag ein. Darüber hinaus ist ein Farbspritzer auf einem dreiteiligen Anzug effektiver als 100 gute Argumente. Einmal war die Internationale Sportföderation eingeladen, ihren Kongress in Amsterdam abzuhalten, um auf diese Weise einen guten Eindruck von dieser Sportstadt zu bekommen. Die geladenen Gäste begaben sich auf den Weg zum Dinner mit Bürgermeister Van Thijn im Schifffahrtsmuseum und liefen vom Hotel zu dem bereitstehenden Rundfahrtboot. Plötzlich wurden sie von etwa 100 Demonstranten, die auf einer Brücke standen, mit Farbe, Eiern und faulen Tomaten beworfen. Die Polizei brachte sich entlang der Gracht in Stellung; zunächst um die Werfer zu vertreiben, und dann, um die schäumenden Sportler im Zaum zu halten.
Auch andere Sportspektakel bekamen ungewöhnlichen Besuch. Am Abend vor der 6. internationalen Golfmeisterschaft in Noordwijk wurden drei Löcher vollständig umgegraben. Den Teilnehmern der Baseball-Weltmeisterschaft wurde die Ehre zuteil, auf dem Weg zu ihren Unterkünften im Geschichtsmuseum unter einem "nolympischen Triumphbogen" durchlaufen und dabei Flugblätter mit den Gegenargumenten in Empfang nehmen zu dürfen. Und in der Nacht vor der Hockeyweltmeisterschaft der Frauen im sonderbewachten Wagenerstadion zu Amstelveen wurde die Kunstrasenmatte mit Farbe in Form der Nolympischen Ringe verziert. Erst als man beinahe fertig war, wurden noch drei der fünf Maler abgegriffen. Damit war das Argument von Nolvmpics bestärkt, dass Holland seine Sportveranstaltungen nicht zureichend gegen Anschläge würde sichern können.

Neben all diesem Gegrabe und Geschmiere macht sich das offizielle Nee-Komitee weiter störend auf lOC-Treffen bemerkbar. Auf der 90. Sitzung in Ost-Berlin, mit Erich Honecker als Ehrenredner, tauchten die Gegner auch wieder auf. Saar Boerlage, die als einzige Holländerin über die Grenze gelassen wurde, verteilte Flugblätter und redete mit den Delegationen aus Paris und Brisbane, "die an meinen Argumenten sehr interessiert waren." Auf ihren Plakaten war das Logo der Olympischen Spiele abgebildet, nur war einer der fünf Ringe durch eine Bombe ersetzt, die auf die Gefahr von Anschlagen während der Amsterdamer Spiele aufmerksam machen sollte. Als sie eine internationale Pressekonferenz am Brunnen unter dem Fernsehturm ankündigte, wurde sie von der Kriminalpolizei festgenommen und nach einem sechsstündigen Verhör des Landes verwiesen.

Die Gruppe reiste mehrere Male nach Lausanne, dem Sitz des IOC. Im Dezember 1985 gibt es eine erste Runde, in der alle kandidierenden Städte im Palast-Hotel zusammenkamen. "Zwei Demonstranten drangen in das exklusive Hotel ein, entzogen sich dem verzweifelten Griff der olympischen Pressesprecherin und entrollten vor den Augen der verblüfften Gesellschaft ihr Transparent 'Nolvmpics in Amsterdam'. Auf ein Zeichen des IOC-Präsidenten griff das Hotelpersonal ein, und die Demonstranten wurden auf die Straße gesetzt. Das Unheil war damit jedoch geschehen, und die Nachricht von der Amsterdamer Demonstration verbreitete sich in Windeseile rund um die Welt."

(In der letzten Woche vor der endgültigen Abstimmung) hielt man noch eine Geheimwaffe in der Hinterhand: die wüsten Horden, die das schlechte Image von Amsterdam verstärken sollten. "Von A'dam aus wird eine Busreise organisiert, mit der kein Neckermann mithalten kann. Der Trip nimmt ungefähr 4 Tage in Anspruch und wird um die 90 Mäuse kosten. Für Schlafplätze ist gesorgt." Da das Nee-Komitee für seine Arbeit in den Medien keinen starken Mitgliederbestand oder eine breite Basis brauchte und hatte, wurden nun bestimmte Kreise für einen netten Ausflug erwärmt. Die Zielgruppe fühlte sich angesprochen und verstand, was von ihr verlangt wurde. Zwei Punkgruppen fuhren mit, um für die musikalische Umrahmung zu sorgen. Die letzten Tickets für diese "prima versorgte Demonstration/Ferienreise" wurden an den einschlägigen Adressen verteilt. ... In der cleanen, sterilen Umgebung von Lausanne schien es, als ob die Barbaren in die Zivilisation eingefallen wären. Flip: "Die Radau-Demos vor dem Tor verliefen jedes Mal nach dem selben Muster: aus dem Bus springen, ein Stündchen Lärm machen mit Flöten, Rasseln und Tröten. Flugblätter verteilen, mit Transparenten wedeln und dann wieder in den Bus und zurück zu unserem Lager." Die Reiseleitung führte ein spartanisches Regime, um vor allem keine Gelegenheit zu einem Auftritt zu verpassen. Die Gruppe wurde bereits um 6 Uhr morgens geweckt, um gegen 7.30 Uhr die Frühstücksatmosphäre im Calgary Palace Hotel vergiften zu können. Die Ausflüge waren für die Weltpresse bestimmt, die sich sowieso am langweilen war, da die IOC-Mitglieder grundsätzlich nicht zu sprechen waren. Sie huschten nur in Bussen und Luxuslimousinen vorbei. Die Polizei blieb freundlich, um Lausanne unter dem zusehenden Kameraauge keinen schlechten Ruf einzuhandeln. Am Abend vor der Abstimmung ging man wieder auf Achse, diesmal zum Hotel, in dem die Herren schliefen.
Flip: "Wieder springt eine begeisterte Horde aus den Bussen und rennt über die Straße, wo, um die Effektivität der Aktion zu erhöhen, gerade der Bus mit den IOC-Mitgliedern ankommt. Um ins Hotel zu kommen, müssen sie wohl oder über an der johlenden Gruppe vorbei. Das war das einzige Mal, dass die vornehmen Herren körperlichen Kontakt mit dem Pöbel hatten. Mit dieser Demo kamen sie überhaupt nicht klar. Einige hysterische Aktivisten fingen an, die Mercedesse zu entern. Irgendein Idiot mit vor Erregung knallrotem Kopf schrie ununterbrochen ‚fuck you capitalist bastard' und fuchtelte mir seinem Mittelfinger in den Gesichtern der IOC'ler herum, sich nebenbei noch ein bisschen mit anderen Aktivisten streitend, die das nicht so doll fanden. Dann kam die neue Idee auf. Sticker auf die Rücken der IOC-Mitglieder zu kleben. Ein fossiler IOC'ler bekam beinahe Herzversagen und musste von seinem Chauffeur gestützt werden. Immer mehr Leute schienen beim bloßen Anblick eines IOC'lers außer sich vor Wut geraten zu können." Joop: "Dass mit Bierflaschen geworfen worden sein soll, ist Unsinn. Jemand ließ aus Versehen eine Tüte mit Flaschen fallen. Das war alles. Es wurde höchstens mal gegen einen Bus geschlagen." Flip: "Der Prinz von Monaco bekam einen Rotzbrocken ins Gesicht, das war lustig. Diese Aktion wurde erst richtig erfolgreich. als das Sondereinsatzkommando auf uns gehetzt wurde. Über die ganze Straße kamen sie angerannt. Sie machten einen etwas besser organisierten Eindruck als 'unsere' ME. Na ja, schneller Aufbruch und ein chaotischer Abzug im Siegesrausch. Die Presse hatte auch wieder was zu schreiben." Betsy: "Wir wurden noch von den Bullen aufgehalten, weil so viel Zeug auf der Straße lag. Ich glaube, dass Leute das dann noch aufgesammelt haben." Joop: "Es war eine typische Amsterdamer Demonstration vor dem Hotel in Lausanne. Aber für die IOC-Mitglieder soll es beim Dinner das Gesprächsthema des Abends gewesen sein."

Etwas später wurde bekannt, dass Barcelona gewonnen hatte und dass Amsterdam schon in der ersten Abstimmungsrunde mit der geringsten Stimmenzahl von allen Städten durchgefallen war (5 von 130). Daraufhin stieg die Gruppe jubelnd in die Busse und fuhr nach Hause.

(stark gekürzt aus: Agentur Bilwet 1991: Bewegungslehre. Botschaften aus einer autonomen Wirklichkeit, Berlin: Edition ID-Archiv)

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