2012 - Spiele ohne uns
Hinter diesem Motto dürfte derzeit wohl die Mehrheit der Bevölkerung Leipzigs stehen. Das Thema mit den fünf bunten Nullen ist allgemein egal, denn wen interessiert es schon, was die Stadtväter aushecken. Im besten Fall ist das Thema im April 2003 gegessen, dann, wenn das Nationale Olympische Komitee (NOK) über den deutschen Austragungsort der Spiele 2012 entscheidet, und auch dann ist noch längst nicht klar, ob das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Olympiade 2012 überhaupt an Deutschland vergibt.
Dennoch ist es sinnvoll, Olympia in Leipzig zu kritisieren, Spiele in Leipzig zu attackieren, denn diese Stadt beharrt innerhalb der postwendischen ostdeutschen Brachlandschaften immer mehr auf einer Sonderrolle und entwickelt Mechanismen, die Bezüge zur eigenen, diktatorischen, abgewickelt geglaubten Vergangenheit immer deutlicher hervorbringen.
Olympia lässt sich von verschiedensten Standpunkten aus angreifen. So steht der Leistungssport an sich, mit Begleiterscheinungen wie Doping, Korruption, Entmenschlichung usw. seit Jahrzehnten in der Kritik, das Olympische Spektakel als Kommerzunternehmen wird kritisiert, die Olympische Organisation als Sammelbecken zwielichtiger Bonzen, vom Olympischen Gedanken, der die Waffen ruhen und die Völker zueinander kommen lassen soll, mal ganz zu schweigen. Auch die berechtigte Kritik der Olympiagegner von München, Barcelona, Berlin u.a., für die der Einzug des Sports in ihre Stadt gleichzeitig die Einführung modernster kapitalistischer Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse bedeutete, soll nicht ursächlicher Gegenstand der in Leipzig zu äußernden Kritik sein, auch wenn OBM Tiefensee in der LVZ (28.12.02) prognostiziert, mit Leipzig und Olympia einen Sprung nach vorn von zehn Jahren zu schaffen.
Die Leipziger Bewerbung für Olympia 2012 anzufechten, heißt vorrangig, die Verhältnisse und Entwicklungen in der Stadt aufzuzeigen, die im Gegensatz zur propagierten Friede-Freude-Eierkuchen-Olympiastimmung eine Tendenz aufweisen, die alles andere als eine Besserung der Zustände nach sich ziehen wird.
Die Leipziger Bewerbung für Olympia 2012 anzufechten, heißt, Zusammenhänge aufzuzeigen, was im Schatten der vermeintlich bürgerfreundlichen Umgestaltungen in der Stadt wirklich passiert, es heißt, Namen zu nennen von denen, die wirklich von diesen Olympia-Aktivitäten profitieren, die sich bereichern auf Kosten der Borniertheit der volksgemeinschaftlich aufgeputschten Bürgermasse oder von denen, die durch ihre Zuarbeit, ihre Lügen Manipulation und Übervorteilung zulassen, unterstützen, durchsetzen.
Die Leipziger Bewerbung für Olympia 2012 anzufechten, das heißt, aus den konkreten Zuständen hier, Kritik am System zu entwickeln, Gegenpositionen auszusprechen, Widerstandsformen zu entwickeln.
Leipzig bietet dafür kaum zu übertreffende Ansätze. Und das nicht allein geschuldet der Dämlichkeit seiner politischen Führer und ihrer Lakaien, sondern aus seiner jüngsten Geschichte heraus, die von Politik und Verwaltung für die gegenwärtigen Vorhaben seit Jahren und zunehmend penetrant instrumentalisiert wird. Dabei kann sich eine Opposition auf die Erfahrungen und den Widerstand einer politischen Gegenbewegung in Leipzig stützen, die den Untergang des verlogenen Versuches, Sozialismus (als Alternative zur gegenwärtigen menschenverachtenden Gesellschaft) in den Grenzen der DDR zu verwirklichen, praktisch miterlebt hat und danach aktiv in die Ereignisse beim Übergang in die gegenwärtigen Verhältnisse involviert war.
Fragwürdige Traditionen
"Für uns steht die Sportbegeisterung der Menschen in der Stadt und der Region , für uns wirbt die riesige sportliche Tradition, im Spitzensport wie in der Breite. Für uns sprechen gute Erfahrungen bei der Organisation von sportlichen Großereignissen." (Aus dem Bewerbungspapier zu Olympia)
"In Sachsen sind tiefenpsychologische Veränderungen auszumachen, die für den Osten so alltäglich noch nicht sind. Zum einen hat sich das Gefühl breit gemacht, "Wir trauen uns das zu", und zum anderen kann man damit ein Stück fortschreiben, was im Jahr zwölf nach der Wiedervereinigung noch immer verbesserungswürdig erscheint und unter dem Kapitel Innere Einheit verbucht werden kann: Gebt uns die Olympischen Spiele - und es wird Deutschland zusammenbringen." (Leipzigs Sportbeauftragter Burkhard Jung)
Wer auf Leipzig als Sportstadt zurückgreifen, und sich dabei auf bürgerliche Traditionen beziehen will, muss reichlich einhundert Jahre zurückschauen und dürfte personell sowie historisch aufgearbeitet kaum Greifbares vorzuweisen haben. Denn ab 1933 wurde der Sport als vormilitärische Ausbildung und als Organisationsform zur Stählung des Volkskörpers benutzt und im Kalten Krieg ab 1949 diente er Propagandazwecken. Aber genau auf diese Traditionen beruft man sich heute, wenn man mit Sportspektakeln Gefühle in den Leipzigern wachzurütteln versucht.
Wer war nicht im Staate der Arbeiter und Bauern organisiert in der landesweiten Sportmaschinerie, die die Überlegenheit des Ostens beweisen, die den "neuen Menschen" formen, die die realen Verhältnisse von Niedergang und Zerfall übertünchen sollte? Zum Ende der DDR stellten Sportereignisse dann auch die wenigen Trümpfe dar, die die Führung im Kampf gegen das Böse im Inneren und in der Welt noch auszureizen im Stande war. Denn Sport, mit seinen kanalisierenden Eigenschaften, war die letzte gesellschaftliche Tätigkeit, zu der man die Menschen nicht zwingen musste, und das selbst im freien Fall nach 1986, wo sich ausschließlich beim Sport fast alle DDR-Bürger noch freiwillig eingliederten, unterordneten, hingaben.
Dabei verriet man in der DDR die anti-bürgerlichen Ideale des Arbeitersportes (auf die man sich immer wieder berief) schon von Anbeginn. DDR-Sport war seit 1949 eine Lüge, denn er trat niemals als Gegenbewegung und Alternative zum nationalistischen, leistungsorientierten, elitären Bürgersport an und auf. Noch fragwürdiger ist seine Instrumentalisierung. Zentralisiert, allmächtig diktatorisch und nichts und niemanden neben sich duldend, machte sich der Sport zum Werkzeug der Herrschaft. Wie bei den Nationalsozialisten, diente die Körperkult der Schaffung bzw. Propagierung eines überlegenen, neuen Menschen. Ausgeklügelte Auswahlmechanismen siebten "brauchbare" Körper aus der DDR-Bevölkerung heraus, übergaben oder zwangsdelegierten sie in Zuchteinrichtungen und warfen sie verbraucht und unnütz in die Masse zurück. Seinen Höhepunkt erreichte die Entmenschlichung in den von oberster Stelle angeorderten und gedeckten Menschenversuchen, das Doping. Nicht zu übersehen auch die Verflechtungen mit dem Militär, das in seinen Sportvereinen und gerade bei Sportevents die Stützfunktionen ausübte. Vormilitärische Ausbildung ging übergangslos und direkt in den Sport über und umgekehrt.
Die Sport- und Kaderpolitik brachte nicht nur sportliche Eliten, sondern auch politisch-linientreue Funktionäre oder korrumpierte Nutznießer hervor. Einige Ex-Sportler und Funktionäre haben die Selbstreinigungen der Parteien nach 1989 überlebt und schwingen sich als ostdeutsche Volkstribune wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Andere nutzen ihre alten Fähigkeiten, gestärkt durch Seilschaften und alte Verbindungen und beleben durch ihr Engagement oder ihre Handlangerschaft die Organisierung von ostdeutschen Sportereignissen, bis sie von ihrer Vergangenheit als Stasimitarbeiter oder Mittäter im Sportsumpf der DDR eingeholt und schnell wieder aus dem öffentlichen Blick entfernt werden. (Erinnert sei an den Ex-Geheimdienstler und heutigen Geschäftsführer des Organisationskomitees des Deutschen Turnfestes im Mai 02 Volker Mattausch oder an den IM-Verdacht gegen Sachsens Schwimmchef Klaus Katzur, dessentwegen Leipzig die Zusage zur deutschen Schwimm-Meisterschaft 2003 nicht bekam. Beispiele dieser Art lieferte das letzte Jahr zuhauf.) Und nicht zu vergessen ein anderes, so gut wie noch ungeschriebenes Kapitel: Der DDR-Sport als Repressionsinstrument, bei dem Aktive und Sympathisanten registriert, erpresst, überwacht oder ausgeschaltet wurden.
Für all diese genannten Punkte steht Leipzig als Paradebeispiel. In Leipzig wurde 1949 das erste Propaganda-Sportfest (im Bruno Plache Stadion) als "Neuanfang des Sports" ausgetragen, in Leipzig installierte man die nationale Kaderschmiede und Sportforschungsstätte, die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK), hier schuf man die Prestigesportbauten der DDR wie das Zentralstadion, die Aufmarschorte der Sportler (die Festwiese, das Völkerschlachtdenkmal), hier wurden willkürlich zu Propagandazwecken die DDR-Sportfeste ausgetragen (aller 5-6 später aller 4 Jahre), um die Bevölkerung zu einen und bei Laune zu halten. In deren Verlauf wurden hier auch Repressionsmaßnahmen eingeführt wie 1983 die Kameraüberwachung und die Schaffung von Polizeistationen in Stadien, die Bereitstellung von Gefangenenbussen, die städtischen Aufenthaltsverbote für unerwünschte Personen und sogar Gefangenenlager für "Störer".
In Leipzig rekrutierte man vom Kindergarten bis zur Rentnergruppe Tausende "Helfer", die für das Kulturprogramm der Sportspiele sorgten, in Leipzig gewann man Tausende Familien, die Quartiere stellten. Die Zusammenarbeit mit Schulen, gesellschaftlichen Einrichtungen, Vereinen, städtischen und staatlichen Organisationen wurde perfektioniert, die Volksgemeinschaft mit und über den Regionalpatriotismus hinaus geschmiedet.
Das sind die Quellen aus denen Honecker kurz vorm Zusammenbruch der DDR 1989 zu schöpfen versuchte, um bei Brot und Spielen von den Problemen im Lande abzulenken, indem er ausrief, die DDR (also Leipzig) werde sich für Olympia 2004 bewerben.
Und genau das sind auch die Quellen, aus denen die heutigen Stadtväter schöpfen wollen, um gegen den gesellschaftlichen Niedergang, immer verbunden natürlich mit dem der eigenen Karriere, anzugehen ohne wirkliche, ursächliche Veränderungen einzuleiten, ohne wirklich politisch in die Zukunft und für die Menschen zu arbeiten. Wie gut die alten Mitmach- und Begeisterungs-Mechanismen in Leipzig noch funktionieren, wie praktikabel DDR-Erscheinungsformen (wie Gleichschaltung, Kritik-Ausschaltung, Lüge und Manipulation) auch im demokratischen - also angeblich diktaturgefeiten - "Westsystem" greifen, das beweist, mit welcher Rasanz sich der Olympia-Funke in dieser Stadt zum Flächenbrand ausbreiten kann. Die Olympiakampagne Leipzigs zeigt an vielfältigsten Einzelbeispielen deutlicher denn je, dass der Ossi, ob als Ignorant, als Zuschauer oder Mitmacher, noch längst nicht in der Demokratie angekommen ist, sondern zeigt vielmehr umgekehrt, wie leicht der "Westen" durch die Korrumpierbarkeit seiner Mittel- und Führungsschicht dort landet, wogegen er vor 1989 jahrzehntelang moralisch angekämpft hat.
Der Egoismus eines Lehmann-Grube, dessen Größenwahnprojekte nur durch die Aktivierung tief verwurzelter DDR-Verhaltensmuster und Sehnsüchte in der Leipziger Bevölkerung umgesetzt werden konnten, hat in Tiefensee ihren Meisterschüler gefunden, nur auf anderen Claims. Dass so etwas Schule macht über die Stadtgrenzen hinaus, beweist das Vorpreschen des wahnsinnigen Bürgermeisters von Riesa Wolfram Köhler (dem Erfinder der Riesaer Mehrzweckhalle und deren Möchtegern-Manager) und das fast schlagartige parteienübergreifende Mitziehen ganz Sachsens beim Olympiarummel.
Leipziger Freiheit
"Wir meinen, mit unserer fast 850jährigen Geschichte in besonderer Weise der Geschichte der olympischen Idee Gestalt geben zu können. Leipzig war Ausgangspunkt der Bürgerbewegung für Demokratisierung und freie Meinungsäußerung, ganz besonders in der jüngsten Geschichte." (Aus dem Bewerbungspapier zu Olympia)
Leipzig gibt im Jahr 2000 vor, im Westen, also der neuen Weltordnung angekommen zu sein. Aus angeblichen Reformern der sozialistischen DDR, als die die verbliebene Rathausgarde von 89 um Tiefensee, Tschense und Co angetreten ist, sind über Nacht (die Nacht der Wiedervereinigung) bundesdeutsche Turbo-Demokraten geworden, die schon fünf Jahre später mit ihrer Vermarktungskampagne "Leipzig Kommt" als kapitalistische Manager die ihnen anvertraute Stadt auf dem Markt zu Dumpingpreisen feilboten, Spekulanten wie Bauunternehmer Schneider oder Filmezocker Kölmel anlockten, und Luftschlösser wie Neue Messe, Medienstadt, Zentralstadion, Pleiße ans Licht u.ä. in den Sand setzten. Mittlerweile geht mit Tiefensee die zweite Generation der Emporkömmlinge in die Offensive, aber nicht mehr als clevere Verwalter, sondern als aktive Anbieter und Händler, die sich anschicken, beim lukrativen Geschäft der Großen (wie Porsche und BMW) mitzumischen. Wie zu DDR-Zeiten wird dabei über die Köpfe der Bevölkerung hinweg angeboten, was die Region zu bieten hat, aber nicht nur Kulturgüter, Arbeitskraft und alles, was sich zu Westgeld machen lässt wie unter Honecker, sondern diesmal wird die Bevölkerung selbst verkauft, deren postulierter Wille, sich zu unterwerfen, anzupassen, deren Vasallengehorsam, das alles, um potentiellen Interessenten einen angenehmen Background zu schaffen. Leipziger Freiheit spricht aus, was sich Kapitalismus wünscht: zügellose Ausbeutung mit minimalster Gegenwehr. Die zur politischen Macht emporgeschleimten DDR-Kinder in den heutigen Führungspositionen holen die alten Ost-Tricks aus der Tasche und unterbieten wie zu alten Zeiten die kapitalistische Konkurrenz durch die amoralische Aufgabe von Würde, Identität und Traditionen ihrer Stadt mit ihren Bürgern. Welcher Art der Boden ist, auf dem diese Ausformungen erwachsen können, auf dem es keine wirkliche Opposition gibt, keine politische Gegenwehr, keine intellektuelle Auseinandersetzung, auf dem ein Verlag die zwei letzten Tageszeitungen beherrscht, verstrickt mit der Macht in Politik und Wirtschaft, wo Widerstand, ja selbst schon Abweichen von der Generallinie zur politischen und gesellschaftlichen Ächtung führt, das gibt zu denken. Im altbewährten Schulterschluss von Politik, Presse, Behörden und in Abhängigkeit gehaltener Einrichtungen, wird dazu die öffentliche Meinung manipuliert, wird die Volks-Masse geformt, auf deren Schultern, auf deren Freiheiten und Kosten die Aufsteiger-Phantasien der "Bürgerrechtler" Wirklichkeit werden sollen. Und diese Rückwärtsgewandheit wird auch noch legitimiert durch den direkten Bezug der Aktivitäten zu Olympia auf die Leipziger Bürgerbewegung, auf die "friedliche Wende", die die verurteilenswerten DDR-Erscheinungsformen angeblich überwinden half, eben die, die nun wieder schleichend eingeführt werden.
Der kapitalistische Standortkampf wird in Leipzig im Namen der Ideale der Umwälzungen um 1989 entfacht, also damit auch der Ideale, die den Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus reformieren wollten, wird geschürt und getragen von standpunktlosen Aufsteigern, Pseudobürgerrechtlern und Wendegewinnern, unheilvolle Geister der DDR-Diktatur werden dabei neu heraufbeschworen und somit schleichend eine Verschärfung der gegenwärtigen Zustände forciert, die das kapitalistische System verfestigen und dynamisieren, weil sie Freiheiten, Rechte und humanistische Prinzipien untergraben helfen. Das Absinken der Lebensqualität, die Einschränkung von Rechten und Freiheiten, die Verschärfung der durch das kapitalistische System hervorgerufenen Konflikte nach Außen und Innen, die Perspektivlosigkeit jeglicher aktuellen Politik, das alles kaschieren die Bürgerrechtler von Heute mit ihren Ideen vom Aufbau einer heilen Welt, heißen sie nun Hauptbahnhof-Promenaden oder Olympia. Die Ängste und Hoffnungen der Menschen manipulierend, Ängste, die ihrem eigenen menschenfeindlichen System geschuldet sind, unterdrücken sie Kritik und somit die Chancen für wirkliche Veränderung. Mit der Konstruktion von Volkswillen, Schicksalsgemeinschaft und der Schürung von Regionalpatriotismus beleben sie die Wesenheiten, die dem Gedanken von olympischen Bewegungen, von demokratischen Bürgerbewegungen u.ä. direkt entgegenstehen, denn es geht nicht um menschliche Werte, um positive gesellschaftliche Errungenschaften oder um lebenswerte Perspektiven, sondern es geht um Vorteile im Verteilungskampf, es geht um die richtigen Schachzüge in der Leistungsgesellschaft, es geht darum, persönlich mit dem Arsch an die Wand zu kommen und dabei nicht nach rechts und links zu blicken.
Kapitalistische Avantgarde
"Im Namen von Olympia ist alles erlaubt" (LVZ-Leserbrief 7.12.02)
"Wer in der Bundesliga der deutschen Großstädte mitspielen möchte, darf sich auf keinen Fall kleiner machen, als er ist. Im Gegenteil." (LVZ-Schmierfink Andreas Tappert)
"Leipzig könnte durch Olympia zehn Jahre Stadtentwicklung überspringen" (Bau-Beigeordneter Lütke-Daldrup)
"In Amerika ist es üblich, dass Mieter sehr guter Lagen auch gleich die Mitgliedschaft eines Sportvereins erwerben." (Olympiaplaner Ulrich Becker zu den Bau-Vorhaben am Lindenauer Hafen
"Eine Entwicklungsgesellschaft muss Kapital einsammeln und einen Teil der Wohnungen schon vor Baubeginn verkaufen." (LWB-Geschäftsführer Beck zum geplanten 700 Millionen Euro teuren Olympiadorf)
Auch wenn man in den offiziellen Bewerbungspapieren, den Werbekampagnen und Webseiten permanent die humanistischen, zukunftsweisenden, deutschlandverbindenden, einzig vertretenswerten Erbanlagen Leipzigs bemüht, spricht man anderenorts unverfroren aus, worum es wirklich geht. Der Kampf ums Geld - die Organisationskosten trägt nämlich das IOC (mit 60%), die Vorbereitungskosten für Leipzig zum Großteil der Freistaat - wird kaum verschwiegen, in Wahrheit stellt er für Partner und Bevölkerung das Hauptargument dar. Leipzig macht seit seinen Image-Kampagnen keinen Hehl mehr daraus, dass es sich jedem anbiedert, der Geld in die Stadt fließen lässt. Egal ob man sich in die Fänge von Großkotzen wie Bauherren und Fußballpräsidenten begibt, von kriminellen Bauunternehmern oder Spekulanten. Was aus den Bürgern, was aus der Stadt mit ihren Flair, mit ihren Traditionen, mit ihrer Eigenart wird, ist egal, Hauptsache, man hält den angeschlagenen Wagen weiter am rollen. Wer dabei noch in den Genuss kommt, auf ihm mitzufahren wird dabei auch immer augenfälliger. Auf Kosten der Leipziger bringen Bonzen, angereiste Karrieristen, arschkriechende Aufsteiger und skrupellose Geschäftemacher ihre Schäfchen ins trockene, während sich die dabei abfallenden Segnungen für die Stadt in der Realität allesamt als Verschlechterungen der Lebensqualität für die Bürger herausstellen. Schon jetzt steigen periodisch Preise, öffentliche Einrichtungen und Betriebe "steigern ihren Service", indem sie ihre Leistungen einschränken, städtisches Gut wird privatisiert, Subventionen von Sport, Bildung bis Kultur, die dem Lebensgefühl der Bevölkerung zu Gute kommen sollen, werden abgebaut. Beschäftigte der Stadt werden in die Arbeitslosigkeit und den freien Markt entlassen. Was von der Stadt dabei als abfallende Wohltaten herausgestellt wird, ob Bahnhofarkaden oder verkaufsoffene Wochenenden, stellt sich als plumpe Konsumfalle zu Gunsten der Unternehmen heraus. Der so, von der Stadt noch forcierte, voranschreitende gesellschaftliche Abstieg wird verschleiert und der DDR-geschädigten Bevölkerung werden wieder unrealistische Traumbilder von einer "besseren" Zukunft, für die es sich lohnt Opfer zu bringen, vorgegaukelt. Dabei beweisen sich die Zöglinge der ehemaligen Kommunisten, wie im gesamten Ostblock erlebbar, als die skrupellosesten Kapitalisten. Sich auf ihre Sonderrolle als Befreier vom kommunistischen Joch berufend und berufen fühlend, nehmen sie eine Vorreiterrolle ein, um den verpeilten, unselbstständigen und in demokratischen Gepflogenheiten ungeübten Ossis neue, verschärfte Zustände aufzudrücken: Leipzig preschte mit der "Leipziger Linie" voran, als es darum ging, Hausbesetzungen zu unterbinden, Leipzig drängte mit Überwachung und Polizeipräsenz die offene Drogenszene aus dem Blickfeld der Kritik, Leipzig installierte als eine der ersten Städte die Videoüberwachung, Leipzig warf sich mit rückradlosen Zugeständnissen Investoren an den Hals, die nun die Stadt nach ihrem Willen und Nutzen verändern, Leipzig privatisiert Gemeineigentum, Leipzig die Stadt mit dem Mut zu Größenwahn und Prestigeprojekten, Leipzig ... Leipzig.... Leipzig über alles. Eine aggressive Wild-West-Stadtpolitik auf Kosten seiner Einwohner, ein "Neues Denken" alá "Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns" (Bezüge zur Dtl.- und US-Außenpolitik sind augenfällig) ebnet in der Stadt den Boden für neue Werte, eben ganz im Sinne der neuen Weltordnung, in der der Einzelne wieder einmal immer weniger eine Rolle spielt, er zum Instrument und Objekt für die Begierden und Absichten einer elitären Bonzenschicht macht, die zulässt, dass sich die Gesellschaft von neuem nach Innen und Außen barbarisiert.
Von den verlogenen Demokraten im Rathaus, von PDS bis CDU, spricht natürlich keiner aus, dass es wie zu DDR-Zeiten wieder um einen Überlebenskampf geht, dem Überleben als Stadt, als Region und Nation und natürlich auch dem eigenen Überleben als Funktionär und Nutznießer dieser Zustände. Auch die SED hat 1989 nicht kritisch analysiert und reformiert, sondern noch dicker aufgetragen, ihre Bürger noch mehr belogen und ausgenutzt, damit sie zur Stange hielten. Nein, sie hat nationale Brot- und Spiele-Events (Sportfest in Leipzig, FDJ-Festivals, 40. Jahrestagfeiern usw.) und die Bewerbung für Olympia ausgerufen, um so von den Bedingungen im Land abzulenken.
Sicher droht derzeit dem Kapitalismus nicht der Zusammenbruch, aber hier in Leipzig kommen seine Defizite, seine Widersprüche und die Verlogenheit seiner Protagonisten anschaulicher denn je zu Tage. Die Olympia-Bewerbung, der chaotische Eiertanz ums Geld, der neu aufgebrühte Pseudokampf zwischen Ossis und Wessis, die wieder beschworene Schicksalsgemeinschaft am Futtertrog des Kapitalismus, der Vasallengehorsam und die permanenten Lügen sind ein selten billiger angebotenes Futter, um die Zustände in der Stadt und in der Gesellschaft bloßzustellen. Sollte Leipzig Olympia wider erwarten bekommen, wäre das sogar ein perfektes Podium, um in der direkten Aktion Kritik und Widerstand zu üben. Schon von daher könnte Olympia, ähnlich wie bei der Bewerbung von (West)-Berlin sogar Spaß machen.
Letztendlich also doch: 2012 - Spiele mit uns!
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