Operation 2012 gelungen - Patient schon 2003 verstorben?
Über das erste Anti-Olympiabuch für Leipzig
Wie schlimm es um die Leipziger Olympiabewerbung bestellt ist, wird daran ersichtlich, dass sich jetzt drei JournalistInnen zusammengefunden haben, die eigentlich nichts an Olympia, Leipzig und Deutschland auszusetzen haben, und trotzdem mit einem Buch gegen Thärichen, Tiefensee und andere Tiefflieger der Leipziger Bewerbung mächtig anstänkern.
Wie schlimm es um den deutschen Journalismus bestellt ist, wird hingegen daran ersichtlich, dass ebenjene drei AutorInnen, die eigentlich aus einer alternativen Ecke kommen (junge Welt, Kreuzer, "ein Frauenmagazin"), als Hauptargument gegen Olympia die Stasi, Korruption und andere weltverschwörungskompatible Argumente vorbringen.
Das Buch "Operation 2012" sollten alle lesen, die sonst nur in die LVZ oder BILD rein schauen, am 12. April 2003 über die nationale Nominierung jubelten und bei Kritik an Olympia wahlweise an die "bösen Westmedien" oder nihilistische Chaoten denken. Sie könnten von ihrem kollektiven Wahn, dass Olympia gut für den Weltfrieden, ihre Heimatstadt und für ihre Karrierechancen wäre, geheilt werden. Sie würden hingegen lernen, dass der Sport ein schmutziges Geschäft (Stasi, Doping), die Bewerbung eine miese Angelegenheit (Stasi, Nationalismus), PolitikerInnen hinterhältige Menschen (Stasi, Bestechung) und sie selbst die Deppen, die darauf reingefallen sind, wären. Dies ist zwar nicht alles richtig, aber angesichts der Vorstellungen, die im Moment über Olympia vorherrschen, wäre es ein Schritt in die richtige Richtung.
All jene aber, die schon mal in die Süddeutsche Zeitung geschaut haben, bei der Montagsdemo für Olympia so ihre Bauchschmerzen hatten oder gar bei einer Veranstaltung des AOK waren, sollten lieber die Finger von dem Buch lassen. Sie könnten sich eine Stasi-Paranoia zuziehen, sich im undurchsichtigen Korruptionsgeflecht verlaufen, einigen Unfug aufschnappen oder einfach nur unendlich langweilen.
In den Beiträgen des Buches versuchen die AutorInnen die MacherInnen der Olympiabewerbung und ihre Machenschaften zu enttarnen, Lug und Trug bei den Bewerbungen zu beleuchten (u.a. durch einem Interview mit dem IOC-Mitglied Denis Oswald), ein recht liebevolles Portrait vom Erfinder der Idee (den CDU-Bürgermeister der Stadt Riesa, Wolfram Köhler) zu zeichnen, drei "Verlorene Olympiasieger" vorzustellen (gemeint sind nicht verloren gegangene, sondern in Vergessenheit geratene Leipziger OlympiasiegerInnen: Heinrich Schomburgk, Kristin Otto, Catherine Bader-Bille), die Borniertheit der lokalen Medien zu geißeln, die hegemonialen Demokratiedefizite anzuprangern und Licht in die Verstrickungen der Berater-, Betreiber und Baufirmen für die Olympiaprojekte zu bringen.
Was zu den Glanzstücken des Buches gehört, sind der beißende Spott über die albernen Versuche, Leipzig olympiatauglich zu machen. Ätzend wird über die Stadt, ihre PolitikerInnen und die olympiabegeisterten BewohnerInnen hergezogen - gleichzeitig benennen die AutorInnen deutlich das Leipziger Erfolgsrezept, das sich inzwischen zum gesamtdeutschen gemausert hat: plumper Nationalismus, fortschrittlich verpackt - die Stadt geht mit der angeblich so liberalen Geschichte Leipzigs und dem Image der Heldenstadt von 1989 hausieren und konterkariert mit ihrer konkreten Politik auf so offensichtliche Weise die bürgerlichen "Ideale" (für die hier nicht Partei ergriffen werden soll), dass es selbst unseren drei AutorInnen ins Auge springt. Das neue an dieser Nationalismus-Variante ist, dass nicht nur der Zusammenhalt aller für die gemeinsame Sache, der man sich besinnungslos hinzugeben hat, propagiert (und bei Bedarf gewaltförmig von oben herab hergestellt) wird, sondern sich quasi von selbst, im "demokratischen Diskurs" unter den gesellschaftlichen AkteurInnen herstellt. So wird z.B. die Einbindung der Umweltorganisationen wie Greenpeace und BUND in die Bewerbung bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber ihrer recht verhaltenen Kritik ("Früh hat der Ökolöwe gegen die Planungen am Lindenauer Hafen protestiert, weil die Große Rohrdommel und die kleine Zwergdommel hier häufiger gesehen werden." S. 115) beschrieben.
Des weiteren sind die Portraits der "Verlorenen Olympiasiger" lesenswert, vor allem das über Catherine Bader-Biller, eine schwarze, behinderte Sportlerin, die in Leipzig auf der Suche nach Trainingsmöglichkeiten überall abgewiesen wurde und für die sich selbst nach ihrem Sieg bei den Paralympics niemand interessierte, die nun aber plötzlich als Leipziger Vorzeigesportlerin instrumentalisiert wird und deswegen sogar durch den Bewerbungsfilm für die NOK-Entscheidung laufen durfte.
Interessant ist schließlich noch das Interview mit den ehemaligen Sportlerinnen Birgit Boese (Verein Doping-Opfer-Hilfe) und Ines Geipel über das Doping in der DDR und dessen bis heute anhaltenden Folgen.
Der Rest des Buch eignet sich als noch zu ordnende und mit Vorsicht zu genießende Zitaten- und Materialsammlung. So attestieren die beide Autorinnen in ihrer Einführung der Stadt Leipzig geistige Traditionen, auf die sie stolz sein könnte, wenn sie nicht "unter zwei Diktaturen" verschwunden wären. Direkt im Anschluss setzen sie ihrem nostalgischen Geschwafel, welches sich vom Ostalgie-Kitsch nur durch die Zeitdifferenz unterscheidet, noch eins drauf: Sie beklagen, dass die bewahrenswerten und verschütteten Traditionslinien der Stadt mit den Attacken und "Argumenten von damals" (gemeint ist: aus der DDR-Zeit) gegen den Paulinerverein, der sich für die Errichtung der 1968 gesprengten Universitätskirche einsetzt, selbst heute noch negiert und bekämpft werden. (S. 13)
Überhaupt ist die vermeintlich unbewältigte DDR-Vergangenheit das Steckenpferd aller drei AutorInnen. Beklagt werden nicht nur die überall enthüllten Stasi-Verstrickungen, sondern auch die Tatsache, dass die PDS eine wichtige politische Kraft im Rathaus sei und die LVZ am gründlichsten über die Ostpartei berichten würde. (S. 179) Dies hätte ihrer Ansicht nach zur Folge, dass sich eine "urgemütliche ostdeutsche Gesellschaft" in Leipzig breit gemacht habe, die den "Leipziger Aufbruch" lähmen würde. (S. 15) Die damit im Zusammenhang stehenden und im Buch klar benannten Demokratiedefizite sind nicht von der Hand zu weisen - und zwar sowohl bei den PolitikerInnen als auch bei der Bevölkerung. Aber diese Gesellschaft als "urgemütlich" zu bezeichnen und dies als Ursache für das Scheitern des "Aufschwung Ost" auszumachen, geht meilenweit an der Realität vorbei. Während dem Westen eine gelungene und immer noch gelingende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit nachgesagt wird, gilt für den Osten folgendes: "SED-Politiker haben sich vor der Aufarbeitung der ersten Diktatur gedrückt; ihre Nachfolger im Osten würgen die der zweiten ab." (S. 22). Der darin enthaltene doppelte Revisionismus (die tendenzielle Gleichsetzung der Diktaturen und die Lüge von der Aufarbeitung im Westen) ist paradigmatisch für das gesamte Buch.
Das Fazit der akribisch aufgelisteten wirtschaftlichen und personellen Verflechtungen lautet dann, dass hinter den "bildschön renovierten Fassaden der Stadt" "die wirkungsvollere Politik" gemacht wird: "Dort ist ein Geflecht von ehemaligen SED-Systemträgern erneut gewachsen, das sich zusammengehörig fühlt." (S. 179) - und dieses ominöse Geflecht will die Vergangenheit reinwaschen und Geld abzocken. Dem westdeutschen Klüngel wird wenigstens noch zu Gute gehalten, "über drei Jahrzehnte ‚produktiv gewirkt'" zu haben, "bevor das Netzwerk das Gegenteil betrieb." In Leipzig hingegen sei es nur ein halbes Jahrzehnt gewesen. (S. 180)
Kein Wunder, dass an der SPD, die mit der PDS kuschelt, kein gutes Haar gelassen wird, währenddessen der CDU stille Bewunderung zuteil wird. Die Nominierung von Hamburg für die Olympiabewerbung - so möchte man sarkastisch nach dem Lesen des Buches meinen - wäre richtig toll gewesen: Schill hätte in die Olympia GmbH wechseln können, produktiv gearbeitet wird auch noch zumindest in Werft & Hafen, Hamburg ist eine demokratisch-liberale-multikulturelle Weltstadt mit echtem Flair und mit seiner Geschichte im Reinen. So rein, wie die weiße Weste des neuen Geschäftsführers der Leipziger Olympia GmbH, Peter Zühlsdorff. Der kommt aus dem Westen von der Wella AG (produktives Gewerbe), ist ein "One Euro Mann" (also kein Abzocker) und "Patriot der Praxis" (Schily) - und kommt selbst im Spiegel gut an. (S. 242) Grund genug also, auf ihn zu bauen. Ist der Patient also doch noch nicht verstorben ...?
Maik
Der Autor ist Mitglied im AOK Leipzig (Anti Olympisches Komitee)
Grit Hartmann, Cornelia Jeske, Jens Weinreich: Operation 2012. Leipzigs deutscher Olympiatrip. Forum Verlag Leipzig: 2004, ISBN: 3-931801-32-2
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