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Redebeitrag des AOK-Leipzig zur Demonstration
"Kein Frieden mit Deutschland" am 01/09/03

Seit dem 12.04. ist es Realität. Leipzig geht für Deutschland ins Rennen, um Austragungsort der Olympischen Spiele 2012 zu werden. Eines der Hauptargumente dafür, dass Leipzig den Zuschlag bekommen hat, ist die hohe Begeisterung innerhalb der Bevölkerung. Über 90 % der Bürger wollen die Spiele in Leipzig. Mit Grauen sei nochmals an die Bilder fanatisch jubelnder Massen auf dem Marktplatz am Tag der Entscheidung erinnert.

Bestimmte Parallelen zur olympischen Bewegung im Dritten Reich mit dem Höhepunkt 1936 sind unübersehbar. Wer kennt nicht die Bilder der Eröffnungsfeierlichkeiten im Olympiastadion und dem davor gelagerten Maifeld, wo hundertausende ihrem Führer und dem Naziregime stürmisch zujubelten. Die faschistische Propagandamaschinerie hatte bereits im Vorfeld die ungemeinen Möglichkeiten der Massenmobilisierung durch Olympia erkannt. Gleichzeitig nutzten sie die Chance, mittels der olympischen Spiele im Ausland einen enormen Prestigezuwachs für Deutschland zu erreichen. Mit einem bis dahin noch nicht gekannten Aufwand wurden die Spiele als Spektakel inszeniert, um der Welt einen offenen und toleranten deutschen Staat präsentieren zu können. Die Olympiade von 1936 wurde damit zum Maßstab für die Ausrichtung künftiger Spiele. So ließ sich Antonio Samaranch, ehemaliger Präsident des IOC und Sportminister unter Franco, zu der Aussage hinreißen, dass "die Deutschen bewiesen hätten, das sie Spiele organisieren können".
Die Repressionsmaßnahmen, wie die Einschränkung der Pressefreiheit, die Inhaftierung so genannter undeutscher Elemente im Vorfeld, die zeitgleiche Deportation aller in Berlin lebender Sinti und Roma an den Stadtrand sowie die Errichtung des KZ Sachsenhausen wurden von der Weltöffentlichkeit hingegen kaum wahrgenommen. Olympia wurde so auch zum Vorwand, um die allgemeinen staatspolitischen Ziele der Nazis durch- und umzusetzen.

Zwischen den Spielen von 1936 und der gegenwärtigen olympischen Bewegung in Deutschland geht ein straffes Band, an dem sich neben inhaltlichen, gerade auch biographische Kontinuitäten innerhalb des NOKs aufreihen. So gelang es praktisch ohne personelle Veränderungen den Sportfunktionären des dritten Reiches im sogenannten demokratischen Nachkriegsdeutschland ihre Posten zu sichern und nun als geläuterte Demokraten zu agieren.
So war es Carl Diem, der sich ab 1933 als Generalsekretär des Olympischen Komitees den Faschisten bedingungslos zur Verfügung stellte und die Spiele 1936 in Berlin organisierte. Nach dem Krieg blieb er Generalsekretär und wurde 1956 vom IOC mit dem selten vergebenen "Olympischen Diplom" geehrt. Trotz seiner offenkundigen Beteiligung am Faschismus, gilt er bis heute als glanzvolle, wegbereitende Persönlichkeit der deutschen Olympischen Bewegung. Ein weiteres Beispiel für die Kontinuität zwischen Nazideutschland und Nachkriegsdeutschland ist Karl Ritter von Halt. Er war von 1926 bis 1964 IOC-Mitglied. Während der NS-Herrschaft war er Mitglied des Freundeskreises des Reichsführers und letzter Reichssportführer. 1945 wurde er als Kriegsverbrecher verurteilt, nur wenig später, 1951, wurde er zum Ehrenpräsidenten des sogenannten "neuen" deutschen Nationalen Olympischen Komitees gewählt. Dies sind nur wenige Beispiele für Vertuschung, Verdrängung und Bagatellisierung, die den reflektionslosen Geschichtsblick im Nachkriegdeutschland bestimmten und bis heute bestimmen!

Die aktuelle olympische Bewegung steht dem historischen Olympiawahn der Nazis in nichts nach. Die Zielsetzungen klingen ähnlich. Wieder wird im Zuge der Bewerbung deutscher Städte für Olympia von der Möglichkeit gesprochen, ein Bild eines friedliebenden, weltoffenen und toleranten Deutschlands in die Welt zu zeichnen. Die ruhmreiche Tradition und der organisatorische Erfahrungsschatz des deutschen NOKs werden im Zuge dessen immer wieder gern betont.
Auf diesem Geschichtsrevisionismus, diesen beschriebenen Kontinuitäten fußt die olympische Bewegung des Gegenwartsdeutschland. Jetzt, nachdem Leipzig die nationale Wahl für sich entschieden hat, stellt sich die gesamte deutsche Nation hinter Leipzig. Immerhin gilt es, sich mit Städte wie New York, Paris oder Moskau und den dahinterstehenden Staaten zu messen. Die Bundesregierung verspricht großzügige finanzielle Unterstützung, Prominente jeder Couleur sagen ihre Unterstützung zu und das Volk ist sowieso in vorderster Front dabei, wenn es darum geht Fähnchen für Olympia in Deutschland zu schwenken. Endlich kann sich Deutschland zumindest auf sportlicher Ebene wieder auf einer Stufe mit den Großen der Welt präsentieren. Schon die Bewerbung bietet Deutschland damit die Möglichkeit, der Welt zu zeigen, dass ein vereintes und wieder erstarktes Deutschland für die Austragung der Olympischen Spiele bereit steht.

Allein die Bewerbung könnte so zu einem weltweiten Prestigegewinn für Deutschland führen. Ein weiter anwachsender Nationalstolz wäre die fatale Folge. Eine Nation, die sich so lange ruhig und bedeckt halten musste, könnte sich wieder offensiv und ohne Schüchternheit in der Welt präsentieren.
Nicht auszudenken ist, was passiert, sollte Leipzig wirklich den Zuschlag für die Olympiade bekommen.

Neben den bereits aufgezeigten Möglichkeiten Deutschlands, sich in der Weltöffentlichkeit darzustellen, wäre eine weitere Verschärfung der bestehenden Überwachung öffentlicher Räume sicher. Zudem würden unliebsame Personengruppen endgültig aus dem öffentlichen Stadtbild verdrängt. Weitere katastrophale Folgen beispielsweise städtebaulicher oder ökologischer Art lassen sich bereits jetzt erahnen.

Dem entgegen zu treten, hat sich das AOK Leipzig zur Aufgabe gemacht. Das AOK Leipzig wendet sich gegen deutsche Großmachtsbestrebungen genauso wie gegen Leistungswahn und die darin zum Ausdruck kommende Ausbeutung des Menschen. Olympia angreifen bedeutet auch die bestehenden kapitalistischen Verhältnisse angreifen.

Darum: Fatal Error – The Game is over!



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