anti-olympisches komitee leipzig [aok-l]: http://www.nein-zu-olympia.de

3. Anti-Olympia-Kampagne des AOK (030103) [aus:PE #17]

Als US-Präsident Reagan im Juni 1987 die Mauerstadt besuchte, schwadronierte er auch von der Idee, olympische Spiele in Ost- und West-Berlin auszutragen. Eine totale Schnapsidee, genau wie seine Forderung "Mr. Gorbatchow, tear down this wall!". Nun denn - nach dem Mauerfall mussten wir auch die Olympiaidee ernst nehmen, denn der Senat erwog, sich für die Vergabe der Spiele im Jahr 2000 zu bewerben. Die Entscheidung des IOC (Internationales Olympisches Komitee) sollte im September 1993 erfolgen.
Die Ausgangslage war anders als bei anderen "Verhinderungskampagnen". Wir wollten keine Focussierung auf das eigentliche Ereignis, mit Aktionstagen zum Beginn der Spiele und einer riesigen Demo am Eröffnungstag, sondern bereits die Vergabe der Spiele nach Berlin sollte verhindert werden. Denn bereits mit der Vergabe würde eine Menge von dem eintreten, was wir nicht wollten. Das grobe Stichwort Umstrukturierung war für uns anfangs nur ein Bestandteil, wurde aber Hauptstoßrichtung der Kampagne. Die Beispiele anderer Veranstaltungsorte sprachen Bände. Die Mieten steigen, es kommt zu Vertreibungen und Yuppiesierung. Ein großes Fest für die Bonzen, ein Katalysator in der Stadtpolitik. Es gab für uns andere wichtige Punkte, warum wir generell gegen ein solches Unternehmen Olympia waren und was uns von anderen Gruppen und Parteien unterschied, die oft nur die Parole "falsche Stadt zur falschen Zeit" hatten. Die Geschichte von Olympia als totale Ausgrenzung eines Großteils der Bevölkerung war ein erster fundamentaler Kritikpunkt. Im antiken Olympia war es nur männlichen Adeligen und reichen Bürgern erlaubt, als Sportler oder Zuschauer teilzunehmen. Nur der Sieg zählte und nichts anderes. Die Wiederbelebung Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte von rassistischen und imperialistischen Personen wie Pierre Coubertin und grenzte erneut die allermeisten Menschen aus. Der Amateurgedanke erlaubte nur SportlerInnen die Teilnahme, die es sich leisten konnten, ohne Bezahlung anzutreten. Das IOC (Internationales Olympisches Komitee) war ein reaktionärer, antisemitischer Männerbund. "Eine Mafia aus Grafen, Prinzen, Millionären und Weißen" nach Auffassung Fidel Castros. Nach unserer Meinung, die wir im Laufe der Kampagne auf einer großen Werbetafel in Berlin-Mitte kundtaten, war "das IOC ist ein Sauhaufen korrupter Doping dealender Mafiosis mit faschistischer Führung". Die Ausrichtung der Spiele 1936 in Berlin durch die Nazis war ein weiterer Baustein in unserer konsequenten Ablehnung. In jeder Ausrichterstadt hatte es eine Art "Säuberungsaktion" gegeben. Bei den Nazis wurden Roma und Sinti kurz vor den Spielen in ein KZ nach Marzahn deportiert. In Mexico-City wurden 1968 kurz vor Beginn der Spiele auf einer Demo der außerparlamentarischen Opposition mehr als 300 Menschen von den Sicherheitskräften ermordet, in Los Angeles 1984 Obdachlose aus der Stadt vertrieben etc. etc. Der Hochleistungssport an sich ist eine Kopie des kapitalistischen Leistungssystems und soll jeder und jedem die Ideologie des "alle gegen alle" vermitteln und dass das Ellbogenprinzip angeblich ein "natürliches" wäre. Die Gleichschaltung der Öffentlichkeit beim notwendigen Massenkonsens ist ebenso notwendig für die Durchführung einer solchen Veranstaltung wie der Hochsicherheitstrakt durch Tausende von Bullen, der sie begeleitet. Eine radikale Opposition stört dabei potentiell noch mehr als sonst und muss eventuell präventiv ausgeschaltet werden. Die weltpolitische Lage nach dem Mauerfall war nur das I-Tüpfelchen auf unseren Argumenten gegen solch ein Spektakel. (vgl. Internet Interim '95)
Wir haben früh angefangen, im Frühjahr '91 gab es die ersten Organisierungspflänzchen, um eine handlungsfähige Gruppe zusammen zu bekommen. Der Gegner hatte also keinen großen Vorsprung, die Medien begannen sich auch erst für die ganze Angelegenheit zu interessieren. Wir brauchten demnach einen langen Atem und mussten davon ausgehen, dass die Szene sich nur für Highlights mobilisieren lässt, aber nicht für die gesamte Dauer einer Kampagne von 2 1/2 Jahren.
Dennoch war es am Anfang ein weiterer Versuch einer klassischen autonomen Kampagne. Dass sich unter bestimmten Voraussetzungen eine Kampagne auch ohne Bewegung machen lässt, stellten wir erst in der relativen Flaute des Jahres 1992 fest. Vorher waren wir uns sicher, dass dieses Thema mit all seinen Verästelungen eine Reihe von anderen Gruppen beschäftigen muss, die überhaupt nichts von ihrer Praxis oder Analyse ändern müssen, sondern sie lediglich noch um das Thema Olympia erweitern brauchten. Also z.B. Antifas zum Thema Großdeutschland und Olympia, Stadtteilgruppen zum Thema Umstrukturierung und Olympia, Männergruppen zum Thema Leistungssport, Konkurrenzkampf und Olympia etc. Soweit unsere Projektion und unsere Hoffnung, dass sich viele weitere einklinken, ohne dass überall spezielle Anti-Olympia-Gruppen entstehen sollten. Wir wollten, dass sich die vorhandenen Kräfte am Thema Olympia bündeln, um in einer strategischen Intervention ein zentrales Projekt des Senats zu kippen.
Wir hatten von vornherein die Hoffnung auf einen vollen Erfolg der Kampagne, da die Kräfteverhältnisse uns durch ein nichtstaatliches Entscheidungsgremium (IOC) mit diversen Alternativen günstig erschien. Eine Entscheidung gegen Berlin konnte ohne jeden Gesichtsverlust oder Zurückweichen vor dem "Druck der Strasse" o.ä. erfolgen, ganz anders als bei anderen Kampagnen, wo es oft um die reine Machtfrage geht und beispielsweise der Staat glaubt, dass ein Zurückweichen bereits der Anfang vom Ende sein könnte. (internet Welt 17.8.91) Wir führten bereits im Sommer 1991 Gespräche mit AL- und PDS-Leuten und wussten so, dass es zumindest einige dort gab, die auch gegen das Projekt sind und sich an entsprechenden Mobilisierungen beteiligen würden. Den Sommer über hatten wir durch entsprechende Aktivitäten (Papiere in Interim, Plakate, Veranstaltungen etc.) den Boden für die erste Großaktion im September 1991 zum Besuch des IOC-Exekutivkomitee bereitet (Internet Interim 157). Immerhin kamen ca. 2.500 Leute und die Demo hatte auch etwas Pep. Nach der Demo wurde noch rund um den Alex herumgewuselt, einige Entglasungsaktionen durchgeführt und die Karosse des zufällig in der Stadt weilenden französischen Premiers Mitterand wurde etwas eingedellt.
Danach kam das lange Schweigen im Walde. Es gab in dieser Zeit aber auch wichtigere Sachen, um die mensch sich kümmern musste, wie die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock und dass sich die Nazis immer breiter machten.
Immerhin gab es nette Volxsport-Aktionen. So entführte im Januar 1992 ein "Kommando Lutz Grüttke", welches sich offenbar nach dem ersten und schon wegen Unfähigkeit entlassenen Chef der Olympia-GmbH benannte, aus dem Berliner Olympiastadion eine Gedenktafel für den Nazi-Sportfunktionär Carl Diem. Das Kommando forderte unter anderem den Rückzug der Berliner Bewerbung für das Jahr 2000 und alle Zukunft. In den Nachrichten des TV-Senders RTL wurde dies völlig humorlos mit "Olympia-Gegner erpressen Senat" gehypt. (Internet Interim 175). Im Februar wurde eine absolut unwichtige Veranstaltung des Senats durch unsere Mobilisierung aufgewertet, aber nur ca. 80 Menschen kamen. Immerhin kamen ein paar von uns in den Festsaal, konnten das BlaBla des damaligen Bausenator Nagel von der Empore aus unterbrechen, kurz und prägnant unser Meinung zu dem ganzen Kram ausdrücken und ein paar Flugblätter herunterwerfen, bis wir freundlich aber bestimmt von den Zivis aus dem Saal gebeten wurden. Die Aktion floppte also ziemlich, wir hatten uns einen Frust abgeholt und wurden nachdenklich und mussten unser Konzept erweitern.
Zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon festgestellt, dass auch schlechte Presse gute Nachrichten sind. Je mehr über die unmenschlichen Olympia-GegnerInnen gehetzt wurde, um so mehr bekamen die IOC-Bonzen die Tatsache mit, dass der Kandidat Berlin offensichtlich ein unsicherer Kantonist in Sachen Sicherheit ist und dass es einen halbwegs regen Widerstand gibt. Wir ergänzten unser traditionelles Konzept einer Kampagne um den Faktor der Imagebeschmutzung (internet Interim 160). Abgeguckt von den Amsterdamer AktivistInnen, die die Olympiabewerbung 1986 für das Jahr 1992 in den Grachten Amsterdams versenkten, konnten wir als kleine aber feine Kommunikationsguerilla wirken. Wobei das wir nicht auf unser autonomes Häuflein beschränkt war, sondern z.B. von dem Video der damaligen grünen Politikerin Judith Demba und anderen Aktivitäten hervorragend ergänzt wurde. Dieses Video war nicht sonderlich spektakulär, aber die Schlussszene, in der ein Vermummter einen Stein in der Hand jongliert, den Stinkefinger zeigt und den imaginären IOClern zuruft "We wait for you", lief in jedem TV-Programm mehrmals.
Imagebeschmutzung meint, dass jede Nachricht über Widerstand und über Ärgernisse im Sinne der Bewerbung eine gute Nachricht ist. So wurden in Amsterdam TouristInnenboote pressewirksam angegriffen, nicht unbedingt, weil mensch viel gegen die Touris hatte, sondern weil es Schlagzeilen brachte, die der Bewerbung nicht förderlich waren. Der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. In diesem Sinne schaffte in unserer Kampagne ein lanciertes autonomes "Strategiepapier" den Sprung in die bundesweite Presse und Sitzungen des Abgeordnetenhauses. Das Papier selbst war eher langweilig und wartete nur mit althergebrachten Ideen auf. Die Wirkung war dennoch ungeheuerlich. Geifernde CDU-Abgeordnete ("das müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen meine Damen und Herren Abgeordneten, Brand-an-schlä-ge") und hetzende Presse erzeugten schmunzelnde Autonome und verwirrte IOCler.
Die Imagebeschmutzung war ein entscheidendes Element, weil der Senat kein Mittel dagegen fand. Wenn Aktionen runtergekocht wurden, musste Diepgen sich von der internationalen Presse fragen lassen, ob das etwa aus dem Grund geschieht, weil Demos, Straßenschlachten und Anschläge in dieser Stadt normal seien. Hetzte die Presse ordentlich ab, war das auch der Bewerbung nicht gerade förderlich.
Ab Anfang 1993 erhöhten wir gezielt den Druck auf das IOC und seine Mitglieder. Wir waren Ende Januar in Lausanne bei der offiziellen Abgabe der Berliner Bewerbung dabei und Judith Demba und der heutige Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf wurden am Anfang von den IOClern mit der offiziellen Delegation verwechselt. Nächtens gab es noch ein paar Farbeier auf das IOC-Headquarter, welche eine ungeheure Wirkung zu haben schienen (IOCler Marc Hodler: "Wer unser Haus beschmiert, den wählen wir nicht"). Wir machten Korruptionsangebote über einen Dollar an jeden IOCler. Gerade sieben schickten uns den Dollar zurück, der Rest war offensichtlich käuflich. Eine zweite Fahrt nach Lausanne im Juni endete mit Farbeiwürfen auf seine Majestät Samaranch himself und für nicht wenige mit einer Innenbesichtigung des Knastes. Eine Hochglanzbroschüre für alle Mitglieder über die Vorzüge der Krawallhauptstadt Kreuzberg sollte kurz vor der Abstimmung im September 1993 ihre Wirkung nicht verfehlen.
Im April und September gab es jeweils Großdemos in Berlin mit ca. 15000 - 20000 TeilnehmerInnen und nicht zu vergessen, eine steigende Anzahl von militanten Aktionen gegen Sponsoren und andere gaben das nötige Salz in die Suppe einer erfolgreichen Kampagne. Auch während der Bündnisdemos hielten die Absprachen mit den Parteivertretern durch einen gegenseitigen Respekt, den wir in der Zeit der Zusammenarbeit voreinander gewonnen hatten. Getreu des "Strategiepapiers" gab es drei Ebenen. Das offizielle Bündnis BAK (Berliner Anti-Olympia Koordination), das autonome AOK und die nächtlichen Volxsport AktivistInnen, was sich hervorragend ergänzte. Nervig waren lediglich diejenigen von Grünen und PDS, die nur zur Vorbereitung der Großdemos kamen und alle störten, auch ihre eigenen ParteifreundInnen. Ansonsten war die Arbeitsteilung allseits akzeptiert, wonach die Autonomen die zentralen Punkte der Demoinfrastruktur stellen und freie Hand bei ihren Aktionsformen bekommen und die Parteivertreter eher von den Medien angesprochen werden. Die Absprachen hielten bspw. so gut, dass der autonome Vertreter auf der Pressekonferenz vor der letzten Demo im September 1993 unwidersprochen von Grünen, PDS und Jusos sagen konnte: "Brandanschläge ohne Menschengefährdung sind integraler Bestandteil der Anti-Olympia-Kampagne".
Wir hatten sehr viel Spaß bei dieser Kampagne und haben vieles gemacht, woran wir uns auch heute noch gerne erinnern. Bei einer Mobilisierungsparty im April 1993 hatten wir z.B. jedem und jeder eine Flasche Sekt versprochen im Tausch gegen eine mitzubringende Olympiafahne. Wir mussten getreu unserer öffentlichen Ankündigung 47 Flaschen Sekt rausrücken und konnten ein riesiges Transparent aus diesen Fahnen nähen, was im Haus der Demokratie, wo gegenüber die IOC-Bewerbungsdelegation residierte, aufgehängt werden konnte.
Bei der Abstimmung am 23. September 1993 bekam Berlin gerade neun Stimmen und schied nach Istanbul im zweiten Wahlgang aus. Die Abstimmung wurde live auf der Oberbaumbrücke übertragen, wo sich mehr als tausend Menschen zusammen gefunden hatten. Es wurde ein großes Fest. (Internet-Auswertung Interim 274 und 274)