anti-olympisches komitee leipzig [aok-l]: http://www.nein-zu-olympia.de

Gollum - bitte übernehmen! [aus:INCIPITO]

Leipzig und die Herren der Fünf Ringe

Das olympische Sommerspektakel soll 2012 nach Leipzig kommen. So wünschen es sich nicht nur die Stadtoberen und immer wieder präsentierte Halbprominente und Prominente, die am liebsten mit dem "Argument Ost" operieren. Auch eine offenbar gleichgeschaltete Presse in Leipzig bastelt am Olympiatraum, und nicht zu vergessen: Die Leipziger Bevölkerung stimmt zu, was das Zeug hält. Unter allen deutschen Bewerberstädter hat die Leipzig die - repräsentativ nachgewiesen - stärkste Verankerung unter den Einheimischen. Nur von der radikalen Linken war bisher fast nix zu hören. Das soll sich nun ändern.

Nach den ersten Versuchen des seligen "Klarofix", in der Leipziger Linken einen Standpunkt zum Olympiavorhaben zu entwickeln, wollen seit Beginn des Jahres das Antiolympische Komitee Leipzig (AOK-L) und das Roter-Stern-Fanzine "Prasses Erben" dem versammelten Leipziger Größenwahn ein Ende setzen. Der erste Auftritt des AOK-L bei der MDR-Jubelgala "Alle für Leipzig" am 12. Januar ging zwar etwas unter, zeigt aber, wie empfindlich die hiesigen Olympia-Promoter auf Imagebeschmutzung und Kritik reagieren. Nachdem sich ein paar AOK-L-AktivistInnen das geballte Blöde aus Showbiz und Sport mehr als eine Stunde angetan hatten und ein Transparent "No Leistungsethos / 2012 ohne uns / Resistance" entrollten, wurde dem Besuch durch die MDR-Security ein unsanftes Ende gesetzt. Was weniger aus kulturell-ästhetischen Gründen zu bedauern ist, wohl aber aus politischen. Verwunderlich ist es allerdings nicht: Will Leipzig doch die Fehler der gescheiterten Olympiabewerbungen von Amsterdam 1992 und Berlin 2000 nicht wiederholen, als beispielhafte Imagebeschmutzungs-Kampagnen das Vorhaben der Städte zunichte machten, zum Herren der Fünf Ringe aufzusteigen.

Doch die Leipziger Linke ist zurzeit nicht bereit, in die Fußstapfen der Amsterdamer oder Berliner NOlympioniken zu treten. Trotz 23-Seiten-Schwerpunkt im "Prasses Erben" läuft die innerlinke Diskussion an Olympia vorbei. Was sicher nur teilweise mit der Debatte um veränderte globale und interne Schwerpunkte nach september 11th zu tun hat. Doch hängt der lokalpatriotischen Themenauswahl doch seit der einigermaßen glücklos eingeschlafenen AG Öffentliche-Räume etwas Fades an und lässt sich mit dem weiter gefassten Label "Leipzig" doch maximal zu den Fußballspielen vom Roten Stern mobilisieren. Ohne genauer auf die Auswirkungen der Leipziger Politik-vs.-Kritik-Diskussionen eingehen zu wollen, bleibt aber sicher für den bewegungslinken Teil der Szene angesichts Irak-Krieg oder Gipfel-Hopping die Frage: Wo und wogegen soll ich denn nun schon wieder aktiv sein?

Dabei liegt eine aktive Ablehnung aus antikapitalistischer Sicht mehrfach auf der Hand: Die Austragung der Olympischen Spiele verkörpern die Verwertungslogik des Kapitalismus beispielhaft. Der Leistungssport versinnbildlicht alle Aspekte eines Arbeitsethos, wie er benötigt wird, um den Kapitalismus am brummen zu halten. Das meint Leistung bis zur Selbstaufgabe, mit dem "Starten für Deutschland" das Eingliedern in eine Volksgemeinschaft oder Konkurrenzdenken par excellence. Dass Sport soziales Elend überspielen kann und nach dem Motto "Brot und Spiele" den inneren Frieden einer Gesellschaft und in Abgrenzung zu anderen Volkskonstrukten nationale Identität schaffen kann, wusste schon der Begründer der neuzeitlichen Olympischen Spiele, Pierre de Coubertin, und machte es zu seinem Credo. Dass der Sport nicht frei von Politik ist, beweisen nicht nur die Olympischen Spiele 1936 in Berlin oder die Fußball-WM 1978 in Argentinien, die beide einer Katharsis der dort herrschenden Diktaturen gleichkamen. In den Zeiten der Ost-West-Konfrontation wurden die Sportler zu Aushängeschildern ihrer Systeme und ihre Medaillen immer wieder für die Überlegenheit der herrschenden Gesellschaftsordnung benutzt. Das ist ebenso wenig neu wie die heutige Instrumentalisierung für politische Zwecke. So ermöglicht die Bundeswehr vielen deutschen Wintersportlern Ausbildung und Karriere und nutzt die Erfolge der "Sportler in Uniform" für die eigene Imageaufbesserung und die Mobilmachung im Inneren.



Leistungssport und Kapitalismus brummen - Doping gehört dazu

Für die skurrileren Züge der Instrumentalisierung von Sportlern für politische Zwecke sorgt dagegen immer wieder die "Keine-Macht-den-Drogen"-Kampagne. Ist doch mittlerweile in gesellschaftliches Allgemeinwissen übergegangen, dass das Leistungsniveau bestimmter Sportarten heute nicht ohne Doping und damit nicht ohne höchste Gefährdung der eigenen Gesundheit aufrechtzuerhalten ist. Dennoch erinnern uns die Imagebeauftragten der Bundesregierung immer wieder mit den Konterfeis von Sportlern, die Finger vom bösen Hasch zu lassen. Gehörig lächerlich machte sich das finnische Gesundheitsministerium, als während der Ski-WM 2001 im eigenen Land großflächig mit den eigenen Wintersportidolen gegen Drogen geworben wurde, fast alle Langläufer aber während der WM des Blutdopings überführt wurden. Die Finnen wurden zwar als Einzige in dieser Größenordnung positiv getestet, aber ganz offensichtlich nicht, weil nur sie sich unerlaubter Mittel bedienten. Die Finnen hatten nur im Gegensatz zu den restlichen National-Teams als Einzige nicht erfahren, dass bei der WM-Dopingprobe ein neuartiges System eingesetzt wird. Bis auf zwei russische Langläuferinnen und die Finnen konnte der Rest ganz offensichtlich die Doping-Praxis umstellen.

So wie der Kapitalismus auf Konkurrenz basiert, findet er im Leistungssport seine Entsprechung und weil es dabei nicht nur um viel Geld sondern in den Kategorien "Winner" und "Loser" auch ums psychische Überleben geht, ist Doping im Sport die logische Schlussfolgerung. In der Bewerbung für die Olympischen Spiele dient die Konkurrenz ebenfalls als Argumentationsgrundlage. Hier wird allerdings der Terminus Standort benutzt. Und der heißt im herrschenden Diskurs immer Wirtschaftsstandort. Schaffung eines Standortes Leipzig bedeutet, dass Leipzig konkurrenzfähig werden will, zunächst im bundesweiten und letztlich im globalen Spiel der Großen. Es muss als "Naturgesetz des Kapitalismus" immer mehr Gewinn gemacht werden, wobei egal ist, womit dieser gemacht wird und ob die produzierten Dinge den Menschen nützen oder nicht, sie müssen keinen konkreten Nutzen haben. Und was das mit Olympia zu tun hat? Olympia ist eine heuchlerische Begründung für die Durchsetzung der Standortinteressen in der Region. Die überdimensionierte und nur knapp an der Pleite vorbeigerutschte Neue Messe und die mit einem Länderspiel pro Jahr zukünftige Investmentruine Zentralstadion sind dabei nur der Anfang. Dass zur Durchsetzung von Standortinteressen auch Repression gehört, sei hier nur kurz erwähnt. Was nicht schon im Zuge der Fußball-WM 2006 öffentlich überwacht wird, dürfte im Zuge der Vorbereitung auf 2012 dran sein, wer nicht schon bis 2006 als Obdachloser oder Angehöriger einer so genannten Randgruppe zum Standortschädling und damit aus der Innenstadt gesäubert wurde, den trifft es dann halt 2012.

Nicht näher eingehen möchte ich auch auf das Internationale Olympische Komitee IOC,letztlich der Schirmherr und Organisator der Olympischen Spiele. Schirmherr stimmt auch deshalb, weil das IOC ausschließlich ein Männerverein ist, der mit dem Label "Olympia" und dem Versprechen, die größte Sportveranstaltung der Welt zu organisieren Milliardengewinne einfährt. Vielleicht reicht ja als Anmerkung, dass der letzte IOC-Chef Antonio Samaranch Minister unter der faschistischen Diktatur Francos in Spanien war und sein Vize Kim Un Yong es immerhin bis zum südkoreanischen Geheimdienstchef gebracht hat.



"Schaut her, wir machen Eiapopeia mit Negern"

Aber was interessiert das die BürgerInnen, die alternative StudentInnen-WG oder den Straßenbahn- Fahrer? Die offensichtliche Begeisterung für die Leipziger Olympiabewerbung hat ja eine ganz eigene Geschichte. Wird doch mit Olympia so etwas wie Weltgewandtheit oder Weltoffenheit verbunden: "Schaut her, wir machen Eiapopeia mit Negern". Und mit dem lokalpatriotischen Stolz, den Namen der eigenen Stadt in der ganzen Welt repräsentiert zu wissen, verbunden mit der Hoffnung, von diesem Glanz wird dabei etwas auf das einzelne Individuum herabstrahlen. Dass es dabei um Standortvorteile im kapitalistischen Überlebenskampf geht, wir dabei entweder übersehen oder positiv gewendet: "Wir müssen doch auch schauen, wie wir mit dem Arsch an die Wand kommen." Und mit dieser Motivation lässt sich dann auch alles bewegen, was unter dem Label "olympischer Gedanke - dabei sein ist alles" steht. Wie die 12.000 Anfang Januar keine Probleme hatten, im Namen der Leipziger Bewerbung Fähnchen zu schwenken, so wird die eigene Opferbereitschaft im Sinne einer guten Sache weiter steigen. Tausende Freiwillige werden daher ihre Arbeitskraft unentgeltlich verwerten, Quartiere zur Verfügung stellen oder mit Fähnchen, T- Shirts und dämlichen Basecaps Werbung für den Standort Leipzig machen. Und sich damit auf eigene Kosten vor den Karren eines Wirtschaftsunternehmens spannen lassen, dessen klares Ziel eine Gewinnmaximierung ist. Dabei sein ist alles.

Dass die Leute vor Ort dabei nicht nur die physischen, sondern meist auch die finanziellen Kosten tragen, ist bekannt. So wurden bei den Sommerspielen 1972 in München mehr als 2/3 der Kosten und damit auch der privaten Gewinne mit öffentlichen Geldern finanziert. So konnte zwar das IOC nach Olympia 1992 in Barcelona verkünden, dass der Gewinn für die privaten Sponsoren sich wieder einmal im historischen Vergleich steigern ließ, gleichzeitig musste die Olympiastadt allerdings eingestehen, finanziell am Ende zu sein. Und die nächsten Sommerspiele 2004 in Athen stehen schon jetzt auf der Kippe, weil die Stadt die nötigen Investitionen nicht gebacken bekommt. Nun ist die Pleite öffentlicher Kassen aus antikapitalistischer Sicht möglicherweise nicht besonders spektakulär. Betrachtet man aber den gesamten Hype um Leipzig unter dem Gesichtspunkt, dass sich viele Befürworter eine Verbesserung ihrer persönlichen Situation von der Ausrichtung versprechen, sollte zumindest darauf hingewiesen werden, dass hier offensichtlich falsch gespielt wird.

Die erhoffte Verbesserung der eigenen Lebensumstände wird dabei häufig mit dem Argument verbunden, Olympia würde Arbeitsplätze schaffen. Ganz davon abgesehen, dass es einer antikapitalistischen Linken natürlich in erster Linie um die Abschaffung der Arbeit gehen sollte, sollten die Leute aber schon darauf hingewiesen werden, dass sie hier auf Sand und ihre Hoffnungen möglicherweise in selbigen setzen. Die Ausrichtung 2012 würde nach offiziellen Studien 7800 neue Arbeitsplätze schaffen und wäre damit nach der BMW-Ansiedlung mit 5400 Verwertungsstellen der zweitgrößte Arbeitsplatzmotor in den nächsten zehn Jahren. Der entscheidende Hoffnungskiller für die Arbeitlosen liegt in der Feststellung, dass diese Anzahl von Arbeitplätzen nicht für die Dauer von zehn Jahren geschaffen wird, sondern im Zeitraum der nächsten zehn Jahre. Erfahrungsgemäß werden in der heißen Phase vor den Spielen mehr Leute gebraucht und also auch eingestellt, in den Jahren davor und vor allem in der Zeit danach haben diese Leute aber so wie jetzt auch ausreichend Zeit, sich am Arbeitsamt die Beine in den Bauch zu stehen und den Hartz-Jüngern nachzuweisen, warum sie nicht für einen Euro im Auewald Laub aufsammeln wollen.

Man muss ja in der Anbiederung an den Leipziger Bürger nicht so weit gehen, wie das "Prasses- Erben"-Special, das "die zur politischen Macht emporgeschleimten DDR-Kinder in den heutigen Führungspositionen" für die Leipziger Bewerbung verantwortlich macht, weil sie "die alten Ost- Tricks aus der Tasche (holen) und wie zu alten Zeiten die kapitalistische Konkurrenz durch die amoralische Aufgabe von Würde, Identität und Traditionen ihrer Stadt mit den Bürgern" (PE #16, S. 8) unterbieten, um darauf hinzuweisen, dass für die Tante um die Ecke einiges schief laufen kann, wenn die selbsternannte Sportstadt den Zuschlag für 2012 bekommt. Die Aussage der Olympiaplaner "Die Stadtentwicklung würde sich um zehn Jahre nach vorn entwicklen", ist daher auch eher als Drohung zu verstehen: Denn das bedeutet natürlich zehn Jahre nach vorn in der Entwicklung der Mietpreise und der generellen Lebenshaltungskosten. München hat sich nicht ohne Grund nach der Austragung von Olympia 1972 und Fußball-WM 1974 zum teuersten Pflaster der Republik entwickelt.



Hamburg, Madrid oder New York den Dreck an den Hals wünschen?

Dennoch kommt die bisher hier formulierte und die im "Prasses Erben"-Special noch weiter ausgeführte Kritik etwas wie Schattenboxen daher. Hier werden Kriterien aufgestellt, die einer auch in linken Kreisen durchaus vorhandenen Sportbegeisterung durchaus widersprechen. Die Frage bleibt: Was heißt denn das bisher Geschriebene? Heißt nicht die Ablehnung von Olympia in Leipzig, den Leuten in Hamburg, New York, Madrid oder Johannesburg den Dreck an den Hals zu wünschen? Heißt das Engagement gegen Olympia nicht auch gleichzeitig Ablehnung der Fußball-Bundesliga mit vielen Parallelen nicht nur in den Chefetagen? Oder übertragen gefragt: Kann ich die Struktur Hollywood mit den ganzen Hierarchien, Ausbeutungsmechanismen und Systemstabilisatoren scheiße finden und doch ins Kino gehen?



Emotion ist vertikal, Kritk horizontal

Auch der Autor muss eingestehen, dass ihm die Begeisterung für sportliche Großevents nicht fremd ist. Auch jenseits der Fußball-WM, die wahrscheinlich in der Linken am ehesten akzeptiert ist. Leider kann ich das "dialektische Leiden" hier nicht auflösen: Einerseits zu durchschauen und zu kritisieren, dass sportliche Großereignisse ein wichtiger Systemstabilisator sind, verbunden mit Entmenschlichung und Verwertungslogik sowie durchsetzt von nationalistischem Identitätärä. Andererseits aber durchaus emotional mitzugehen, wenn Gladbach die Bayern in der Fußball- Bundesliga (hoffentlich in der nächsten Saison wieder) schlägt, die garantiert völlig zugedopten Radprofis bei der Tour de France nach 200 Kilometern durch die Alpen noch einen 40 Kilometer- Anstieg auf 3000 Höhenmeter vor sich haben, wenn sich bei den Australian Open im Tennis Andy Roddick und ein Marokkaner mit schwer aussprechbaren Namen ein Fünf-Stunden-Match bieten, bei dem allein der letzte Satz 2 1/2 Stunden dauert und erst nach 21:19 beendet ist oder wenn die russische Staffel in einer der militärischsten Sportarten überhaupt, dem Biathlon, bis zum letzten Schießen führt, dem Schlussläufer dann aber die Nerven durchgehen, er drei von fünf Scheiben stehen lässt und am Ende nicht mal Bronze holt. Kritik ist horizontal, Emotion ist vertikal, beides hat nicht viel miteinander zu tun? Wohl kaum.

Aber neben der Verhinderung einer tatsächlich ziemlich unangenehmen Veranstaltung dient die Kritik am olympischen Vorhaben und der damit verbundene Aufklärung über die Verwicklungen von Sport im Kapitalismus auch der Selbsterkenntnis über verinnerlichte Rollenverständnisse, Machtstrukturen und Abhängigkeiten. In diesem Sinne ist dieser Text auch ein Plädoyer für ein kritisches Bewusstsein. Auch wenn es vielleicht kein richtiges Leben im Falschen gibt, so ist es doch nie falsch, die richtigen Erkenntnisse zu ziehen oder das richtige zu tun.

do.di (incipito)