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Fünf Ringe für ein Halleluja?

- Eine kritische Betrachtung der bürgerlichen Sportideologie und ihrer Bühne: Den Olympischen Spiele -

Nur wenige Events sind wohl so bekannt und populär wie die von Mythen umwiderten Olympischen Spiele. Den Gipfel, den Olymp, besteigt der/die Beste seiner/ihrer Sportart nach einem Sieg bei dieser Veranstaltung. Gerade die DDR-sozialisierten, die in der Regel eine Sportart ausübten, wissen: Wer es zu Olympia geschafft hat, der hat es geschafft. Punkt!
Das es hinter dem Bild, das der TV-Konsument von Olympia zu sehen bekommt, noch ganz andere Sachen stecken, soll Gegenstand dieses Artikels sein. Beginnend mit Turnvater Jahn, seinen Zielen und die Funktion des Sports für die Gesellschaft über die Entwicklung des Leistungsethos, der forciert wurde durch die Neugründung des olympischen Gedankens durch Coubertin bis zur momentanen Situation des Sports und speziell von Olympia, soll uns der Artikel führen. Auch der Widerstand gegen die bürgerliche Sportideologie durch die Arbeitersportbewegung und die Anti-Olympia-Aktionen werden Erwähnung finden. Denn oftmals zeigen die Bilder im Fernsehen nicht, dass in den jeweiligen Städten sich immer Menschen fanden und finden, die gegen Olympia und das sich dort zur Schau stellende kapitalistische System zur Wehr setzen.

"Unpolitischer Sport" und seine Ideologie - ein kurzer geschichtlicher Abriss

"Bei wichtigen Sachen (...) leitet man die Jugend durch Vorstellungen und Gründe, bei Kleinigkeiten (...) durch Befehle, um Subordination zu lehren, ohne welche die Gesellschaft sich in ein Chaos umwandelt, wo jeder mit dem Kopf des anderen zusammenrennt."1

"Turner sein heisst also, mehr als eine Bauchwelle oder den Längssprung über das Pferd machen können; Turner sein heisst, eine ganz bestimmte Gesinnung in der Seele tragen, heisst ein Mann von echtem Schrot und Korn sein, heisst, dem Idealbild eines Menschentypus nachstreben (...) und (...) nicht an letzter Stelle - seelische Stärke!"2

Sport sollte und könnte eigentlich politisch und ideologisch wertfrei sein. Dass wir uns dies gar nicht oder nur sehr schwer vorstellen können macht besonders deutlich, dass es mit einer solchen Aussage nicht weit her ist. Es wird deutlich, dass die Geschichte des Sports, besonders seit dem 19. Jahrhundert, auch eine politische Geschichte ist, die natürlich in keiner Weise von Ideologien und ihrer zu meist männlichen Agitatoren frei war und ist. Vielmehr ist das genaue Gegenteil der Fall. Schon in der Antike wurden mit dem Sport als körperliche Ertüchtigung erzieherische Aspekte verbunden. Über den Sport, die Konzentration, den Wettkampf sollte zu einem klaren Geist gelangt werden. Dieses Motto ist uns auch heute noch sehr geläufig: "In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist!". Diese Verbindung eines reinen Bewegungsablaufes, der Koordination des menschlichen Körpers, mit der Koordination des Geistes wurde in bedeutender Weise im 19. Jahrhundert wieder aufgegriffen. Dies bedeutete, dass speziell in dieser Zeit, die geprägt war von Veränderungen vor allem in Politik und Wirtschaft, von sozialer Neuschichtung, also der Entstehung neuer Klassen im Kontext zunehmender Industrialisierung, gerade Sport als vermeintlich "unpolitisches" Phänomen einer Deformation gesellschaftlicher und damit politischer Strömungen selbst besonders ausgeliefert, gleichfalls ergeben war. Er wurde zu einem wichtigen Instrument um die Menschen zu kanalisieren. Die sich entwickelnden Sportbewegungen bauten auf dieser Transferideologie als eine Selbstverständlichkeit auf. Im Kontext der Herausbildung der bürgerlichen Nationalstaaten in Europa besaß Sport also eine höchst wichtige politische und ideologische Funktion. Auf der Grundlage bürgerlich-liberaler Tradition formierten sich in Deutschland landesweit Turnvereine. Diese waren von Anfang an stark nationalistisch geprägt und, nach Jahnschem und Guts Muthsschem Vorbild, auf militärischen Drill orientiert. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit, ständig in Gruppenübungen forciert, sollte besonders hervorgehoben werden. Die deutschen Sportvereine wurden nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 zu Auffang- und Sammelbecken politischer Organisationen und bildeten die Grundlage der in der Entstehung begriffenen Parteien. In diesem Spektrum formierte und gründete sich 1868 die Deutsche Turnerschaft (DT).
Der sich im Zuge des Strebens nach der Nation entwickelnde Gedanke des Nationalismus wurde mehr und mehr allumfassend auf jedweden Bereich übertragen und an alles gekoppelt. Auf der Suche nach nationaler Identität als Rettung aus dem politischen Chaos zwischen Monarchie und Republik musste so gut wie alles herhalten, um als für dieses oder jenes Volk typisch nationales Gut, dessen Abgrenzung und damit dessen Souveränitätsbestreben gegenüber dem Rest Europas zu begründen. Musik und Literatur wurde plötzlich typisch deutsch, die Malerei und die Liebe französisch und der Sport "ideologisch". In diesem Kontext schwenkte der anfangs noch fortschrittliche und demokratische DT auf die vaterländische, treudeutsche Linie um. Immerhin sah der Verband mit der Reichsgründung von 1871 durch Bismarck eine seiner Hauptforderungen nach einem starken, geeinten Vaterland erfüllt. Dieses Bemühen um nationale Identität und Einheit war zu der Zeit allerdings kein allein typisch deutsches Phänomen. Fast ganz Europa war von diesem Gedanken ergriffen. So gründet sich die Idee von Olympischen Spielen der Neuzeit auf eben diesen Idealen. Und mit zunehmender Bedeutung des Sportes, speziell des Spitzensportes für Nationen, wurde Sport integraler Bestandteil der kapitalistischen Gesellschaft. Vokabeln wie Leistungsbewußtsein, Konkurrenz, gewinnen, verlieren finden sich sowohl im Sport als auch der Gesellschaft wieder und prägen bis heute das Leben.
Als "Turnvater" Jahn seine Turnübungen exerzierte und Guts Muths über sportliche Werte agitierte, ging es natürlich um körperliche Ertüchtigung, aber auch um Manneszucht und Wehrhaftigkeit. Das in Anbetracht mehrerer gewaltiger, weltumspannender blutiger Kriege diese Vorbilder an preußischer Tugend, preußischer Zucht und Ordnung in Schule, Fabrik und Armee im Sinne eines starken militärisch-hierarchischen Preussentums, heute so liebevoll verklärt werden, macht die Tradition, in welcher Sport - besonders in Deutschland - steht, deutlich. Beide erhielten ihren würdigenden Platz in der Geschichte beider deutscher Staaten. In der BRD als Gründerväter des modernen Sports und in der DDR als Vordenker einer demokratischen Sportpädagogik. Ein so tradierter Sport tut Deutschland natürlich besonders gut!

"Nun muss das Leben der proletarischen Jugend von der Freude am Sport durchdrungen werden. Es muss dies geschehen, weil sie das billigste Vergnügen, das dem Prinzip der Gleichheit am besten entsprechende, das wirksamste gegen den Alkohol und das produktivste an beherrschten und kontrollierten Energien ist. Der Sport hat eine beträchtliche Rolle bei der Durchführung sozialer Reformen zu spielen, weil der Sport, der Klassenunterschiede verwischt, auch ein mächtiger Blitzableiter für alle schlechten Instinkte ist."3

Wie oben angedeutet, war auch im restlichen Europa der Sport natürlich nicht frei von Ideologien. Die zunehmende Industrialisierung und Expansionspolitik der Nationalstaaten bedingte eine Anpassung aller gesellschaftlichen Bereiche an neuen Verhältnisse. So auch die körperliche Ertüchtigung und die Freizeitnutzung. In dieser Zeit reifte auch der Gedanke eines vermögenden, glühend nationalistischen Adligen aus Frankreich, sich die vermeintlichen Werte des Antiken Olympia zu Nutze zu machen. Pierre Fredy de Coubertin hatte für sich erkannt, dass ein direkter Zusammenhang besteht zwischen sportlicher Erziehung und der sich dabei formenden Charaktereigenschaften und, dass die disziplinierende Wirkung auf die unteren Gesellschaftsschichten von besonderer Bedeutung ist. In dieser Formel sah er auch den Erfolg der englischen Kolonialpolitik, welcher Frankreich nachstand. Gleichfalls sollte der Sport das Gleichgewicht, keineswegs den Gleichstand der Stände und Klassen erreichen. Die Führungsschicht sollte sich ebenso ertüchtigen wie das Proletariat. Dies sollte dazu führen, dass die Herrschaft als legitim anerkannt wird, da sie effektiv ist und disziplinierend zur Leistungsmotivation wirkt. In internationalen Wettkämpfen manifestierte er diese Coubertinsche Ideologie. Einheitliche, "internationale" Regeln dienten als Bestätigung des Sportes als über allen Interessen stehende neutrale geistige Gewalt. In diesem Sinne entwickelte er seine Idee vom neuzeitlichen Olympia. Es sollte sich auf Traditionen gründen, die nicht existent, da nicht mehr nachweisbar, nicht nachvollziehbar waren. Doch gerade die Antike sollte als kultischer Rahmen dienen, der den Sport zusätzlich überhöht und dessen Funktion verklärt. So wurde das erste Olympiagelände nach antikem Vorbild errichtet. Die Athleten erhielten im Zuge dessen auch noch keine Gold-Medaillen, sondern Siegerkränze aus Olivenzweigen. Die Inszenierung sollte perfekt sein. Einem Schauspiel gleich, indem sich muskulöse männliche Idealbilder im fairen Wettkampf messen.
Im Jahre 1896 fanden auf der Grundlage dieses Konzeptes die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit statt. Im Gegensatz zu den antiken Spielen wollte Coubertin keine Profis an den Start gehen lassen. Die Begründung ist einfach. Menschen aus den unteren Schichten hatten nicht das Geld und die Zeit zu trainieren und an Wettkämpfen teilzunehmen. So sollten die Spiele der Neuzeit allein elitären Gesellschaftskreisen vorbehalten sein. Soweit zu den Coubertinschen Vorstellungen "sozialer Reformen" und der Bedeutung des Sportes, in angemessener Verteilung auf die Schichten der Gesellschaft, zum Wohle der Nation.
Dieser bescheidene Anfang, den die Olympische Geschichte der Neuzeit nahm, wurde nun alle vier Jahre wiederholt. Während dieser Entwicklung, in der sich das Feld der Teilnehmer stetig vergrößerte, wurde auch nach und nach vom Amateurgedanken Abschied genommen. 1912 gingen dann Sportler aus 28 Nationen an den Start. Nationale Olympische Komitees bildeten sich in immer mehr Ländern. Die aus diesen stammenden Mitglieder des IOC, einem von Anfang an bürgerlich-adelig-elitären Männerhaufen, wurden bis 1952 auf Lebenszeit gewählt, was dem Profilerhalt des IOC bestens zu gute kam. Heute sieht es jedoch "noch" nicht viel anders aus! Trotz dieses sexistischen Häufleins wurden im Sinne der stärker werdenden Emanzipation der Frauen, diese zu den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam erstmals an den Start gelassen.
Interessant ist noch, dass Doping keine Erfindung der Neuzeit ist. Dessen Geschichte, als auch Betrug, Schieberei, Bestechung sind untrennbar mit Olympischer Historie verbunden.

"Unser Heer hat ja ein besonderes Interesse an der Sportfreudigkeit der Jugend; was hier im Hinblick auf die Olympischen Spiele geschieht, geschieht ebenso im Interesse des Heeres selbst!"4

"Krieg und Sport gehören zusammen. Der Krieg ist der vornehmste, ursprünglichste Sport, der Sport par excellance und die Quelle aller anderen Sportarten."5

"Sturmlauf durch Frankreich, wie schlägt uns alten Soldaten, die wir nicht mehr dabei sein können das Herz. (...) Die fröhliche Begeisterung, die wir in friedlichen Zeiten bei (..) sportlichen Wettstreit empfanden, ist in die Höhenlage des kriegerischen Ernstes hinaufgestiegen (...) zum Siegeslauf in ein besseres Europa."6

Die geplanten Spiele des Jahres 1916 sollten dann in Deutschland stattfinden. Um diese Möglichkeit brachte sich das Reich durch das Losbrechen des 1. Weltkrieges selbsttätig. Erst 1928 durften deutsche Sportler und Sportlerinnen wieder an Olympia teilnehmen. In den Jahren 1920 und 1924 wurden sie nicht eingeladen. Ebenso wenig durfte die junge Sowjetunion teilnehmen. Sind die Gründe einer Nichtbeteiligung des Deutschen Reiches relativ eindeutig und einleuchtend, so bezeichnend sind sie für das Profil der IOC-Clique in diesem Fall. Wie wären denn die Ergebnisse im Rahmen der bestehenden Weltordnung, auf der Olympia fußt, zu interpretieren, wenn sich von der Bourgeoisie ins Rennen geschickte Athleten mit bolschewistischen Proleten messen würden? So viel hierzu und zum verlogenen Ideal der Völkerverständigung bei Olympia. Dieser Mythos mutierte von Anfang an zur Farce.
Zurück nach Deutschland. Die Weimarer Republik teilte dem Breiten- und besonders dem Spitzensport eine ebenso wichtige, die Nation tragende Rolle zu, wie das vergangene Kaiserreich. Besonders während der Spiele 1928 waren im Internationalismus scheinbar keine Klassengrenzen mehr gegeben. Es hieß: "Deutsche gegen den Rest der Welt". Der Wettkampf im Rund des Stadions ersetzte die kriegerische Rache der Schmach von Versailles. Der militärische Aspekt des Sportes war inzwischen bei Generälen wie Sportfunktionären völlig unumstritten. Aus letztgenannter Riege sind drei Persönlichkeiten von Bedeutung. Sie führten die Verbindung von Sport und Ideologie sozusagen zu einer Spitze, die in den Olympischen Spielen 1936, im Kriegsbeginn 1939 und den Winterspielen von 1940 in Garmisch erklommen schien. Theodor Lewald war einer von ihnen. Als treuer deutscher Patriot kümmerte er sich um die später geplatzten Spiele von 1916. Von 1919 bis 1933 war er dann Vorsitzender des Reichsausschusses für Leibesübung (DRA), dem die meisten bürgerlichen Turn- und Sportvereine angehörten. Er verwies unter anderem auf den durch Zahlen belegten, dennoch recht unspektakulären Zusammenhang von Sport und Volksgesundheit und die Verringerung von Sozialversicherungslasten des Reiches hin. Besondere Würze erhält dies im Kontext der Gegenwart, in der sich ähnlicher Rechnereien bedient wird, um den Zerfall des sozialen Auffangnetzes zu kompensieren. Im Jahre 1926 wurde er erstes deutsches IOC-Exekutivkomiteemitglied. Trotz Degradierung zum Berater der Spiele von 1936 seiner jüdischen Großmutter wegen, war er dem Regime immer treu ergeben. Der Sportlehrer Carl Diem war ein weiterer aus dieser Riege. Er stellte sich als Generalsekretär des OK ab 1933 bedingungslos den Faschisten zur Verfügung. Später, ab 1936 war er als Leiter der Auslandsabteilung des DRA tätig. 1940 verherrlichte er als echter deutscher Sportsmann den Angriffskrieg gegen Frankreich in obigem Zitat. Nach dem Krieg lief seine Karriere, nun als erster Sportreferent der BRD, unbeirrt fort. In den achtziger Jahren, zu seinem 100. Geburtstag, wurde "Mr. Olympics" nochmals öffentlich gefeiert und als großer Humanist und Nestor des deutschen Sportes hochgelobt. Es zeigte sich, wie recht Diem selbst hatte, als er schrieb: "Die Sportbewegung habe einen Hang zu Schwarz-Rot-Gold." Die Reihe vervollständigt SA-Standartenführer Karl Ritter von Halt. Er war Mitglied des IOC von 1929 bis 1964! Nachdem er in den letzten Kriegstagen tausende Hitlerjungen mit der Mobilisierung des Volkssturms in den Tod geschickt hatte, wurde das Mitglied des Freundeskreises des Reichsführer SS und letzter Reichssportführer, nach kurzem Aufenthalt in Buchenwald, 1951 zum Ehrenpräsidenten des "neuen" deutschen NOK gewählt.

"(...) das alles, (...), mein Führer, gibt mir den Mut, Ihnen anzubieten, dass die deutsche Turnerschaft sich unter Ihre Führung Seite an Seite neben SA und Stahlhelm stellt, und (...) den Vormarsch ins dritte Reich antritt (...)"7

"Allen Spiels heil'ger Sinn: Vaterlands Hochgewinn. Vaterlands höchst Gebot in der Not! Opfertod!"8

"Was ich heut nicht mehr erwähnen konnte, die ungeheure Propagandawirkung für Deutschland (...)"9

"(...) 1940 finden die Spiele noch einmal in Tokio statt. Aber danach werden sie für alle Zeit in Deutschland stattfinden (...)"10

Ihre stetigen Bemühungen und die unterwürfige Zusammenarbeit mit dem faschistischen Regime fanden zweifellos ihre Belohnung in der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin, über deren Vergabe 1932 entschieden wurde. Sie konnten während ihrer Arbeit auf eine ideologische Kontinuität in der Entwicklung des Sportes und seiner Institutionen zurückgreifen. Denn der Weg zwischen Kaiserzeit und NS-Staat verlief ohne Hindernisse und recht geradlinig. Schließlich sah sich die deutsche Turnerbewegung selbst als einen der Steigbügel der nationalsozialistischen Machtgewalten. Sie war faktisch eine der Säulen, auf der der NS-Staat ruhte. Das "ewige Turnertum als Wegbereiter zum dritten Reich".11 Es gab kaum Widersprüche zwischen den neuen faschistischen Machthabern und den bürgerlichen Sportfunktionären und -ideologen, was in den Vitae der obigen Personen deutlich wird. Ebenso mussten in der gesamten bürgerlichen Sportbewegung nur sehr wenige Personen ausgewechselt werden. Vereine erhielten zukünftig einen Vereinsführer, wobei es sich nicht schlecht machte der SA, SS oder wenigstens dem Stahlhelm anzugehören. Andersartige parteipolitisch organisierte oder religiöse Verbände wurden aufgelöst. Den Mitgliedern wurde nahe gelegt, sich in anderen Vereinen zu engagieren. Hierzu gab es ein geregeltes Verteilungsmodell, mit welchem sichergestellt werden sollte, dass es nicht irgendwo zu einem Übergewicht an instabilen Subjekten kommt. Diese Organisationsform kam dem Leistungssport der NS-Zeit sehr entgegen, denn in keiner vorherigen Periode genoss der Sport solch weitreichende Privilegien. Gleichzeitig konnte so natürlich relativ unkompliziert nach neuen, den deutschen Sportsgeist verkörpernden Talenten gesiebt werden. Vertraute Formeln aus den Anfangstagen wie Leistungssteigerung, Gesunderhaltung, Wehrkraftstärkung und Rassenhygiene lebten fort und erhielten neues Gewicht. Der Sport sah sich in diesen Verhältnissen in idealer Weise verkörpert. Er konnte sich mit der staatstragenden Kraftphilosophie identifizieren.12 Haben bei den Olympischen Spielen von 1896 manche noch gelacht über die Turnvorführungen der deutschen Turner und deren Distanzgehabe gegenüber anderen Sportlern, so wurden sie genau 40 Jahre später mit den Früchten dieses Konzeptes konfrontiert. Heute noch ist in einer Einleitung zu Carl Diems Schriften zu lesen, dass diese Spiele von 1936 als ein "Fest der Humanität", als ein "Fest überzeitlicher menschlicher Gesinnung" galten.13 Der Widerspruch zwischen der Betrachtung dieses Ereignisses als Glanzpunkt der Olympischen Geschichte und als Höhepunkt nationalsozialistischer Herrschaft wird besonders in der deutschen Sportgeschichte ausgeblendet. Die Spiele von 1936 waren im Zeichen von "policy of appeasement" des nicht-faschistischen Europas eine gewaltige Machtdemonstration und Selbstinszenierung der Nazis. Anstatt sich von diesen Auswüchsen unter diesen gesellschaftlichen und politischen Zuständen zu lösen, sich davon zu distanzieren, wurden die Spiele von 1936 des bitteren Beigeschmacks entledigt, dann in die Olympische Geschichte integriert und zudem als Maßstab erhoben, an dem es sich zukünftig zu messen und den es zu übertreffen galt. Mit dieser Inszenierung des Olympischen Spektakels wurden die im Text beschriebenen ideologischen Aspekte des Sportes in einer noch nicht gekannten Weise vereinigt. Die deutschen Sportshelden auf dem Siegerpodest - Deutschland wurde in der Nationenwertung auf dem ersten Platz geführt - standen für eine klare identitätsstiftende chauvinistische und rassistische Funktion des Sportes. Die Vereinigung der Ideologien und dem Sport zeigte sich nicht zuletzt auch in den pompösen Aufmärschen und der Architektur des Olympischen Geländes, letztlich ausgeführt durch Hitlers Leibarchitekten Albert Speer. Neben dem Olympiastadion - kurz vor Kriegsende wurde es in einem weiteren Akt der Sinnlosigkeit zum Schlacht- und Totenfeld für mehr als 2000 Hitlerjungen und sowjetische Soldaten - heute Spielstätte der Berliner Hertha, WM-Stadion 1974 und Austragungsort des DFB-Pokalfinales, wurden die Anlagen des Reichsportfeldes, entworfen vom Westberliner Ehrenbürger und -konsul Werner March, 1934 errichtet. Hierbei handelte es sich hauptsächlich um einen riesigen Aufmarschplatz, das sogenannte "Maifeld". Die Architektur war so konzipiert, dass sie den Bedürfnissen der Regime-Propaganda dienen und ihr zu gesteigertem Ausdruck verhelfen konnte. Dies wurde in der pompösen Eröffnungszeremonie nur zu deutlich. 120000 Menschen warteten auf die Olympioniken aus 51 Staaten, den Führer und das Olympische Feuer. Der heute selbstverständliche Fackelstaffellauf von Olympia zur Austragungsstätte wurde hier das erste mal inszeniert. Alles wurde bis ins Kleinste geplant. Die Olympischen Spiele 1936 setzten erschreckende Maßstäbe und warteten mit Superlativen auf. Im Vorfeld wurden kriminelle in "Vorbeugehaft" genommen. Zusätzlich gab es einen Katalog potenzieller Straftäter, die den "sauberen" Ablauf von Olympia im "sauberen" Deutschland stören könnten. Parallelen zur Gegenwart sind mehr als deutlich. Weiterhin wurden die Spiele sozusagen Kamera-überwacht. Mit ungeheurem technischem Aufwand, unter Benutzung einer Technik, die dafür eigentlich noch nicht geeignet war, setzten die Nazis erstmalig Teile der Wettkämpfe in Live-Fernsehübertragungen in Szene! Das Fernsehen war wie nebenbei geboren. Hitlers persönliche Filmemacherin Leni Riefenstahl entwickelte Filmtechniken, die bis heute als Standard gelten. Daneben wurde natürlich nicht versäumt die Siege der Deutschen über den "Volksempfänger" bis in den letzten Winkel des Reiches zu transportieren. Hier gelingt die Vereinigung, das Zusammenrücken der Nation. Die Siege der deutschen Athleten werden zum Sieg jedes Einzelnen, des gesamten deutschen Volkes. Alles andere wird durch diesen chauvinistischen Siegesrausch, frei nach Coubertin, zur Nebensache. Es war ein perfekt organisiertes Großereignis, welches die symbiotische Vereinigung von Kriegsspiel und Sport zur Schau stellte und dem fast die ganze Welt zujubelte. Im selben Augenblick rüstete sich Deutschland für den, seinen "total(fatal)en" Krieg.

"Wir müssen daher unsere Jugend in der körperlichen und geistigen Entwicklung so fördern, dass sie imstande und bereit ist, den Kampf (..) zu führen und Träger der neuen (sozialistischen) Welt zu werden. (...) Wir dürfen nicht das System des Kampfrekords, sondern müssen das System des Massensports pflegen (...)"14

"(...) dass es mit den Zielen und Bestrebungen unserer Partei unvereinbar ist, Mitglied der "Deutschen Turnerschaft" zu sein (...)"15

Richten wir nun unsere Betrachtungen auf alternative Konzepte neben und gegen die von der bürgerlichen Elite bestimmten Sportbewegungen und deren Olympia. Die Erstarkung der Arbeiterbewegung nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871, bot die Voraussetzung und rief förmlich dazu auf, dem vaterländischen, nationalistisch verfärbten Deutschen Turnerbund (DT) ein alternatives Konzept entgegenzusetzen. 1893 wurde, aus der engen Verbindung zur SPD motiviert, der "Freie Arbeiter-Turn-Bund" gegründet. Diesem Bund schlossen sich relativ schnell zahlreiche "linke" Vereine aus dem DT an. In Leipzig bestand eine solche Tradition übrigens schon seit 1870. Auch ein Grund dafür, dass der Sitz dieser neuen Vereinigung in Leipzig etabliert wurde. Im Jahre 1908 hatte der ATB immerhin 120000 Mitglieder. Von Anfang an wurde sich auf die Jugendarbeit konzentriert. Wer über 14 Jahre alt war, hatte allgemeingültiges Mitsprache- und Stimmrecht und konnte sich in Positionen wählen lassen. Die Jugend war auch der Hauptträger der Agitationsarbeit nach außen. An diesem Punkt mischte sich der Staat ein. Er fürchtete um seine Einflussnahme auf die Jugendlichen. 1908 wurde diesen verboten sich an politischen Vereinen und Veranstaltungen zu beteiligen. Gleichzeitig wurde der ATB für politisch erklärt. Die Jugendarbeit brach zusammen. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges kam einer endgültigen Zerschlagung des Arbeitersportes zuvor. Bitter war jedoch, dass viele der Mitglieder auf eine "wilhelminische" Linie umschwenkten und freiwillig in den Krieg für das Vaterland zogen. Von 187000 Sportlern fanden 35000 den Tod. Nach Beendigung des Krieges 1918 spaltete sich der Arbeitersport im Kontext der Revolutionswirren auf. Es bildeten sich zwei Hauptflügel aus einer SPD nahen, passiven und abwartenden und einer KPD/USPD/Spartakus nahen, aktiv und revolutionären Position. In dieser Zeit sah sich der bürgerliche Sport das erste Mal in einer schwächeren Position und bot dem ATB sogar Verhandlungen an. Allgemein kann die Weimarer Republik für den Arbeitersport als eine Zeit der Blüte angesehen werden. Überall dort wo Arbeiterparteien Einfluss hatten, wurde der Arbeitersport mit Hallenzeiten, Sport- und Spielplätzen und Finanzen unterstützt. Wiederum in Leipzig wurde die erste "Bundesschule" des ATB gegründet. Deren Aufbau wurde mit Mitteln aus Spenden der Arbeiter, aus Zuschüssen des Reiches, des Landes und der Städte Leipzig und Berlin realisiert. Der Arbeitersport hatte in dieser Periode ohne Frage ein gute Lobby. 1920 zählte der ATSB (vormals ATB) schon 340000 MitgliederInnen. Neben diesem wurden sämtliche anderen "linken" Vereinigungen unter dem 1912 in Leipzig gegründeten Dachverband, der "Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege" (ZK) zusammengefasst. Der Arbeitersport mit seinen insgesamt über 2 Mio. MitgliederInnen stand gleichberechtigt neben dem DRA.
Wie erwähnt verschärften sich nach 1918 die Konflikte zwischen der SPD und der KPD. Dies ging natürlich ebensowenig an den Arbeitersportverbänden vorüber, wie die internationale Spaltung des Arbeitersportes in eine "sozialistische" und eine "kommunistische" Sportinternationale. Ab 1928 vollzog sich die endgültige Abspaltung des revolutionären linken Flügels, der sich 1929 zur "Interessengemeinschaft zur Wiederherstellung des Arbeitersports" (IG) formierte und im gleichen Jahr ein Gegensportfest zum 2. Bundesfest des ATSB organisierte. Die IG wurde im Zeichen des stärker werdenden Faschismus in "Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit" (KG) umbenannt. Schon seit 1931 versuchten dann faschistische Gruppierungen den Arbeitersport durch gezielte Aktionen gegen dessen Mitglieder und dessen Sportstätten zu zerschlagen. Mit der Machtergreifung der Nazis 1933 wurde dies Staatspolitik und zum bitteren Ende geführt. Widerstand wurde gnadenlos bekämpft. Die 1931 von der SPD ins Leben gerufenen "Eiserne Front", einer Gegenbrigade zur SA, wurde Opfer der abwartenden Haltung ihrer eigenen Partei. Schließlich bat die ZK sogar um Aufnahme in den DRA. Das Vermögen beider Verbände wurden beschlagnahmt und Zeitungen und Presseorgane verboten. Unzählige SportlerInnen wurden verhaftet und kamen auf teils ungeklärte Weise ums Leben. Die Führung der KG wurde komplett verhaftet und interniert. Die Mitglieder wurden, wie weiter ober beschrieben, in neue Vereine gelockt oder verfolgt. An die Stelle des Arbeitersportes setzten die Nazis die "Kraft durch Freude" Organisation. Diese dichte Netz, welches fast in alle Bereiche des Lebens, von Beruf bis Heim vordrang, diente zur Erziehung im rassistischen, nationalsozialistischen Sinne. In dieser Organisation, verantwortlich für die Stärkung der Volkskultur und -gesundheit, war der kapitalistische Verwertungsgedanke vollends aufgegangen. Mit zahlreichen Angeboten, Veranstaltungen, Reisen und sonstigen Vergütungen wurde der arbeitenden Mensch regelmäßig und planmäßig überholt und dessen Arbeitskraft regeneriert. Die Jugend wurde in der HJ organisiert. Trotz vereinzeltem Widerstandes, konnte sich kaum ein Jugendlicher dieser Organisation entziehen.
Arbeitersport im Allgemeinen unterschied sich nicht nur in der politischen Ausrichtung von bürgerlichen Sportverbänden. Er war antimilitärisch und gegen Sport als Wehrertüchtigung, gegen den aufkommenden Berufssport und Starkult, gegen Rekordjagd und Auswüchse von gefährlichem Leistungs- und Spitzensports. Motorsport wurde ebenso abgelehnt, wie Frauenspagat. Gleichfalls fehlten größtenteils nationalistische Untertöne, auch wenn es internationale Vergleiche gab. Wichtigste Aufgabe war die körperliche Ertüchtigung der Arbeiterklasse. Sport diente als Ausgleich für die harten und gesundheitsgefährdenden Arbeits- und Lebensbedingungen, wobei die Ertüchtigung für den Klassenkampf und nicht die Regenerierung von Arbeitskraft im Vordergrund stehen sollte. Das Feld sportlicher Betätigungen sollte nicht den bürgerlichen Ideologien überlassen werden. So wurden in den Jahren 1925 in Frankfurt und 1931 in Wien eigene Arbeiterolympiaden organisiert. Diese Gegenveranstaltungen zum bürgerlichen Olympischen Spektakel waren zudem keine reinen Sportwettkämpfe, sondern eher internationale Arbeiterkulturfeste tausender Menschen mit Antikriegsdemonstrationen, Theateraufführungen und anderen kulturellen Veranstaltungen. Im gemeinschaftlichen Sport und Spiel sollte Klassenzusammenhalt und Solidarität erfahren werden. Jeder einzelne sollte bei Massenübungen und Großveranstaltungen Stärke vermittelt bekommen. Wobei der Arbeitersport immer mit mangelnder ideologischer Schulung seiner Mitglieder zu kämpfen hatte und dies ständig kritisieren musste, um ein Absinken auf ein bürgerliches Niveau des Sportes zu verhindern. Viele dieser Traditionen des Arbeitersports machten sich dann später die Nazis zu nutze und versteckten ihr eigentliches Antlitz hinter einer vorgeschobenen "proletarischen" Maske.
Nach 1945 wurden Konsequenzen aus der Niederlage des Arbeitersports, seiner Unterdrückung und Verfolgung gezogen. Gründe wurden zweifelsfrei in der Zersplitterung der Arbeitersportbewegung nach 1918 und 1928 erkannt. Heutige Sportorganisationen verfolgen darum den Einheitsgedanken. Die Traditionen des Arbeitersports sind hingegen völlig verschütt gegangen und werden unter postulierter unpolitischer, in der Satzung verankerter Ausrichtung, verleugnet. Heutige Arbeitersportverbände sind zum Beispiel die "Naturfreunde", der "Arbeiter-Samariter-Bund" und der Arbeiterradfahrerbund "Solidarität", einem Konkurrenzverband zum "Bund deutscher Radfahrer".



Funktion des Sports nach 1945
"Sport und Kommerz" - Der Spitzensport>

Selbst der Naivste hat mittlerweile mitbekommen, dass von den sportlichen Idealen im Leistungssport nichts mehr übriggeblieben ist, wenn es je welche gab. Die wirtschaftlichen Interessen stehen auch bei Olympia im Vordergrund. Nachdem Olympia über Jahre hinweg ein defizitäres Projekt war, das seinen Gipfel im Finanzdesaster von Montreal 1976 erreicht, öffnete sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) spätestens mit den olympischen Spielen 1984 in Los Angeles der Geschäftswelt. Seither entwickelte sich das IOC zum "global player" und die Marke "Olympia" bringt Gewinne im Milliardenbereich ein. Wie die olympischen Gedanken von den Sponsoren benutzt werden, das erklärt Ex-Daimlersprecher Kleinert: "Über Sport sprechen wir Dinge wie Jugend, Leistung, Ehrgeiz, Gewinnen-wollen an. Da liegt doch die Assoziation zur Wirtschaft ganz nahe." Dank der fließenden Sponsorengelder, die im Gegenzug mit dem Olympialogo werben dürfen, kann das IOC mittlerweile dem aktuellen Olympiaausrichter einen hohen Prozentsatz der Gelder, die für die jeweiligen Bauten notwendig sind, übernehmen. Auf dieses Geld ist natürlich auch die Stadt Leipzig scharf.
Die LeistungsportlerInnen spielen in diesem Spiel die Rolle der antiken Gladiatoren, auch wenn sie heutzutage eine etwas bessere Überlebenschance besitzen. Jedoch nehmen auch sie für den Sprung in die absolute Spitze alles in Kauf. Eine verpfuschte Jugend, quälendes Training und Doping, um am Ende als TV-Stars bzw. lebende Litfass-Säule zu enden. Sie avancieren zum Symbol für die kommenden SportlerInnen, die sich ihrerseits auf den mörderischen Weg nach oben begeben und nicht selten dabei scheitern.
Auch das Fernsehen hat in den letzten Jahren immer mehr Einfluss auf Olympia ausgeübt. Als Bindeglied zum Konsumenten und Werbeträger Nummer eins richtet sich nunmehr das Event nach dem Medium. So kann dann schon einmal der Endlauf des 100m-Sprints gegen 22 Uhr abgehalten werden, wenn die beste Sendezeit es gebietet. Das neben der Wirtschaft auch der Staat die Möglichkeiten der Präsentation nutzt, beweist die Unterstützung des Bundes für den Spitzensport gegenüber dem Breitensport. So gibt das Bundesinnenministerium (BIM) im Jahr 2003 137,7 Mio. € für den Sport insgesamt aus, wovon 71,5 Mio. € an den Spitzensport, also in Olympiastützpunkte und ähnliches gehen. Der "Goldene Plan Ost", der den Aufbau der sportlichen Infrastruktur im Osten anschieben soll, wurde im Vergleich zum letzten Jahr auf 7 Mio. € halbiert. Da kann es mit dem eigenen Platz für den Stern ja noch ein paar Tage dauern.
Zum Abschluss des Kapitels soll der Konsument der Marke "Olympia" noch Erwähnung finden. Warum sind die Leute so scharf darauf? In einer Gesellschaft, die auf Ausgrenzung, Verdrängung und Unterdrückung basiert, übertüncht der Sport und damit Olympia, die Grenzen zwischen oben und unten. "Dabei sein ist alles!" Da mensch selten Sportler bei Olympia ist, kann er/sie sich z.B. durch freiwilliges Engagement bei Olympischen Spielen ausbeuten lassen oder wenigstens einen Obolus für die ultimative Olympia-Gedenkmünze oder den örtlichen Olympia-Bürgerverein entrichten. Die kapitalistische Logik ändert den olympischen Anspruch in: "Kauf alles und nimm alles in Kauf!"



Der ehemalige Konkurrenzkampf der Systeme und Nationalismus

Das sich die Systeme in Ost und West in gewissen Punkten nicht sonderlich unterschieden, zeigte sich darin, wie sie mit ihren SportlerInnen umgingen. Auf beiden Zeiten wurde gedopt was das Zeug hielt, was gerade im realsozialistischen Lager, das den Menschen in den Vordergrund stellen wollte, besonders pervers anmutet. Die Bürger jedoch waren stolz auf ihre Vorzeigeathleten. Besonders in der DDR waren die Erfolge bei Olympia systemstabilisierend. In einem Standardlehrbuch für DDR-Trainer steht geschrieben: "Durch die optimale Verwirklichung des Leistungsgedankens trägt der Leistungssport mit dazu bei, den Bürgern unseres Staates das für alle Bereiche der gesellschaftlichen Tätigkeit gültige Leistungsprinzip bewusster werden zu lassen und in ein Bedürfnis des Lebens zu verwandeln." Das steht dann schon im krassen Gegensatz zu den Idealen der einstigen Arbeitersportbewegung, in deren Tradition sich die DDR-Sportpolitiker wähnten. Das nach der politischen Wende wiedereinmal ein Sportereignis, nämlich der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1990, dazu führte, aus den Deutschen ein Volk werden zu lassen, scheint nicht verwunderlich. Die Massenhysterie ließ alle ehemaligen Schranken fallen und das Nationalgefühl jubilierte mit.



Der Widerstand gegen Olympia und seine Gründe

"Wenn wir gegen die menschenverachtende, entfremdete Leistungsgesellschaft des Kapitalismus und gegen Rassismus, Nationalismus und Sexismus kämpfen - müssen wir auch konsequent gegen jede Form des Spitzensports vorgehen. Unsere Freude an der Bewegung, unsere Freude am Spiel und an der Spannung steht heute klar im Gegensatz zu dem, was die Herrschenden mit dem Sport wollen." Diese Sätze stehen in einer Anti-Olympia-Broschüre, die während der Berliner Olympiakandidatur 1992 verfasst wurde. Der Spitzensport symbolisiert die Auswüchse der inhumanen Leistungsgesellschaft und Olympia basiert auf eben jenem Leistungsethos. Der neuzeitliche Olympiagründer Pierre de Coubertin (1863-1937) formulierte: "Oh Sport, du bist der Friede! Sich gegenseitig messen, übertreffen, ist das Ziel. Ein Wettstreit im Frieden." Diese bürgerliche Sportideologie gilt es aufzubrechen! Der Einsatz von Doping im Spitzensport ist Ausdruck des Leistungswahns und eines entfremdeten Verhältnisses zum eigenen Körper. Aus einer Existenzangst und von falschen Ehrgeiz getrieben ruinieren die SportlerInnen ihren Körper. Wer nicht Spitzenleistung bringt, kann nicht als Werbeträger fungieren und fliegt somit aus dem Verwertungsprozess raus. In Coubertin seinem Zitat finden wir den Ausspruch: "Ein Wettstreit im Frieden!" Der Spitzensport setzt somit den Wettkampf der Nationen auf dem Welt der Ehre, also die kriegerische Konfrontation, in Friedenszeiten fort. Durch die Siege der jeweiligen nationalen SportlerInnen wird die Überlegenheit des entsprechenden Nation - früher des politischen Systems - dokumentiert. Der Sportler als Abbild einer Nation, mit dem sich der normale Bürger prima identifizieren kann. Die olympischen Spiele sind in diesem "Wettstreit" die exponierteste Bühne. Bei dieser Gelegenheit bekommen auch die SportlerInnen aus den Trikontstaaten ihren Auftritt. Wenn diese nicht gerade prima Läufer sind, wie z.B. die Langläufer aus Kenia, kann schnell das Etikett des Exoten angeheftet werden. So wird der/die AthletIn Opfer rassistischer Denkmuster, die im olympischen Schwimmbecken halb untergeht oder die Bobbahn runterstürzt.

Kommen wir zum Organisator der Olympischen Spiele und dem Besitzer der Marke "Olympia": Das Internationale Olympische Komitee (IOC). Der durch die Veräußerung der olympischen Insignien zu Reichtum gelangte Altenherrenklub, stand seit jeher in der öffentlichen Kritik. Die Personalakten der jeweiligen Mitglieder sind alles andere als blütenweiß. Der ehemalige Vorsitzende des IOC, Antonio Samaranch, war seines Zeichens spanischer Minister unter dem faschistischen Diktator Franco und sein Stellvertreter Kim Un Yong, verdingte sich vormals als südkoreanischer Geheimdienstchef. Findige LeserInnen wird es sicherlich nicht wundern, dass 1988 Südkorea und 1992 in Barcelona stattfanden. Das wirft ein klares Licht auf die Entscheidungspraktiken des IOC's, die durch den skandalumwitterten Führungswechsel im IOC sicherlich nicht ausgeräumt wurden. Das IOC ist eine der letzten patriarchalen Festungen, die sich fortwährend durch korruptes Gebaren auszeichnet und eine Nähe zu Diktaturen pflegt.

Olympia dient auch als Argument ganze Städte umzukrempeln. Kein Politiker, auch nicht Leipzigs OBM Tiefensee und sein Anhang, vergisst zu betonen, dass die Olympischen Spiele ein "Motor für den Stadtumbau" darstellen und einen "Entwicklungssprung von zehn Jahren" mit sich bringen. Das derartige Sprünge nicht immer mit einer weichen Landung enden, ist klar, aber dazu später.
Diesen Prozess der Umstrukturierung erleichtert oftmals die Erlassung einer sog. "lex olympia", die für Olympia notwendige Bauvorhaben beschleunigt. Das Beispiel Leipzig zeigt jedoch, dass dem olympischen Gedanken verpflichtet fühlenden Bürgern, ihr Hab und Gut gern überlassen. Ein Hausbesitzer im Waldstraßenviertel wird bestimmt nur mit Bauchschmerzen sein Haus verkaufen, wenn dort ein Autohaus errichtet werden soll. Ist es ein olympisches Autohaus, an dem am besten noch eine Plakette mit seinem Namen angebracht wird, da sieht die Sachlage schon anders aus.
Aber was soll dieser run auf Infrastruktur überhaupt? Die Kommunen, bzw. die einzelnen Nationalstaaten befinden sich im Kampf. Im Kampf um Dienstleistungsstandorte, Industrieansiedlungen und schließlich um die Sicherung oder Erweiterung von Arbeitsplätzen. Eine brillante Infrastruktur, ein angenehmes Klima für Investitionswillige, eine werbewirksame Marke wie "Olympiastadt" und genügend Fachkräfte, die auch ordentlich Wohnen und Leben möchten, sind die Attribute für einen Sieger in diesem Wettbewerb. In diesem Prozess möchte auch Leipzig sich profilieren. Die Folge dieser Umstrukturierung sind eine verstärkte Repression und Verdrängung von Randgruppen. Was heute schon bittere Realität ist, wird durch Olympia extrem verstärkt, was die Vergangenheit in den Olympiastädten bewies. Die Sommerolympiade in der Coca-Cola-Stadt Atlanta 1996 war Symbol für beide Auswüchse. Bei einer im Vorfeld der Spiele durchgeführten "Unsere Stadt muss schöner werden - Aktion" wurden alle Obdachlose und sozial Schwache kurzerhand aus der Stadt gekickt. Die während der Durchführung der Spiel dort detonierte Bombe, ließ auch ein neues Zeitalter der Sicherheitsbestimmungen rund um Olympia einläuten. Eine Olympiastadt darf sich in Sicherheit wähnen: Videoüberwachung, Einschränkung der sog. bürgerlichen Rechte und die Ordnungsmacht an jeder Ecke. Eine kurze Erwähnung sollen auch die mit dem Event einhergehenden Mietsteigerungen, die zu einer innerstädtischen Migration in sog. "ärmere" und damit billigere Gebiete auslöst und die ökologischen Schäden, die sich gerade in Albertville zeigten, finden. Ein Gohlis oder Lindenau mit bester Olympialage würde sicherlich kaum bezahlbar sein. München wurde nicht rein zufällig nach der Olympiade 1972 zum teuersten Mietpflaster der Republik. Das Teile des Leipziger Auenwald den olympischen Kettensägen zum Opfer fallen könnten, stört heute auch noch niemanden.
Der Tenor ist klar: Olympia wird kommen und Probleme wird es nicht geben. Da wird die Frage nach der weichen Landung wieder aktuell. In Montreal hat sich die Kommune völlig übernommen und die Zeche zahlt bis heute der Bürger. Die ausschließlich von privaten Sponsoren finanzierten Spiele in Los Angeles werden oftmals als Argument für die heile Olympiawelt gebracht. Das örtliche Schwimmstadion, benannt nach einem Hamburger, wird mittlerweile von einer Universität genutzt. Der Semesterbeitrag kostet nur einen rekordverdächtigen Unkostenbeitrag von mehreren 10.000 US-Dollar. Die Olympischen Spiele dauern nur einen Monat, aber an den Folgekosten von überdimensionierter Infrastruktur und Sportstätten dürften den sonst so aufmerksamen Burgers noch lang im Magen liegen.

Auch die Bevölkerung hat eine entscheidende Funktion, schließlich sollen über 80 Prozent der örtlichen Einwohner, so der Wunsch des IOC, den Spielen zustimmen. Die Handballspielerin Grit Jurack weiß und damit steht sie stellvertretend zu all den anderen Olympia-Junkies, dass Olympia Arbeit, Arbeit, Arbeit bringt. Die Kombination aus Existenzangst, des aus DDR-Zeiten Arbeit gewöhnten Ostlers und der Bestand eines der letzten positiv besetzten Ostattribute, nämlich der Sportbegeisterung, stellt den Nährboden her, auf dem der gemeine Leipziger alles, was mit Olympia und Arbeit zusammenhängt bedingungslos absegnet.

Ein Köder womit die ganzen Vereine, die sich dem Breitensport verpflichtet fühlen, ins Olymp-Boot gehievt werden, ist die versprochene Stärkung des Breitensports, durch den Bau der olympischen Sportanlagen. Auch hier sollte sich eine gewisse aus der Praxis abgeleitete Skepsis breit machen. Das Beispiel WM 2006 zeigt, dass einerseits die Fans nach der städtischen Pfeife tanzen müssen und andererseits semi-professionelle Teams wie Makranstädt oder ähnliche Herden mit dem Ausbau ihrer Sportanlagen gefördert werden. Weiterhin brauchen Breitensportler keine Sportanlagen mit Entmüdungsbecken und der Möglichkeit ganze Heere von TV-Teams beherbergen zu können. Zum Schluss sei erwähnt, dass privatwirtschaftlich errichtete Bauten sich finanziell decken sollten. Ein Roter Stern im Zentralstadion ist zwar eine feine Sache, aber betriebswirtschaftlich nicht ganz tragbar...



Schlusswort

Der Sport und gerade der Leistungssport ist einer der entscheidenden Träger der kapitalistischen Gesellschaft. Gerade durch die Popularität von Olympia und anderen Großveranstaltungen, ist es möglich seine Positionen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Jedoch ist darauf zu achten, dass eine Gruppe, die Olympia ablehnt, nicht als Deckmantel der Herrschenden genutzt wird. Es geht nicht darum sich für den Erhalt von ein paar Bäumen im Auenwald zu streiten, sondern eine radikale Ablehnung zum hiesigen System und den daraus resultierenden kapitalistischen Sportveranstaltungen, wie Olympia oder der uns schon sicher an der Backe klebenden WM 2006, zu formulieren.



"Kein Olympia - weder in Leipzig noch anderswo!"




0 vergl. Volxsport statt Olympia. Antiolympiabroschüre. Berlin 1991. S.17-29 und Oh!lympia. Sport-Politik-Lust-Frust. Berlin 1983. S. 129-141.
1 Zitat: Johann Guts Muths.
2 Zitat: Carl Diem.
3 Zitat: Pierre Fredy de Coubertin.
4 Zitat: Carl Diem, Sportlehrer (1913).
5 Zitat: Carl Diem, Sportfunktionär (1931).
6 Zitat (1940): Carl Diem: Sturmlauf durch Frankreich, in: Olympische Flamme. Berlin 1942.
7 Zitat: Edmund Neuendorf, Führer der deutschen Turnerschaft (1936).
8 Spruch aus dem vierten Akt des Festspiels Olympische Jugend "Heldenkampf und Totenklage" während der Eröffnungsfeier 1936, Verantwortlicher Carl Diem.
9 Zitat: Theodor Lewald aus einem Brief an die Reichskanzlei (1933).
10 Zitat: Adolf Hitler in einer Reaktion auf die Aussage, dass ein 400000 Menschen fassendes Stadion in Nürnberg nicht dem Olympischen Reglement entspräche.
11 vergl. Horst Ueberhorst: Edmund Neuendorf. Turnführer ins 3. Reich. Berlin 1970.
12 vergl. Winfried Joch: Theorie einer politischen Pädagogik. Alfred Bäumlers Beitrag zur Pädagogik im Nationalsozialismus. Bern 1971.
13 vergl. Clemens Menze: Zur Einführung in die Ausgewählten Schriften Carl Diems. St. Augustin 1982. S.16.
14 Zitat: Oskar Dries, ATSB-Bundesjugendleiter (1926).
15 Aus einem Beschluss der SPD auf dem Nürnberger Parteitag über Verhältnis zum ATSB und DT (1908), in: Deutsche Arbeitersportzeitung (DASZ) 7.11.1922.