ak - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 472 / 18.04.2003

"Lappenkrieg"
in NOlympic-City

Ein Rückblick auf die Arbeit
des Anti-Olympia-Komitees Berlin

Am 23. September 1993 war es so weit: Wir hatten "gesiegt"! Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte sich für Sydney entschieden. Ein schönes Gefühl, endlich mal nicht von Niederlage zu Niederlage zu hoppeln, sondern mit einem stimmigen Aufwand-Ertrag-Verhältnis politisch agiert zu haben. Aber: Hatten wir nicht einfach nur Glück, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort das Richtige getan zu haben?

Zur damaligen Situation: Die Mauer war gefallen. Die linksradikale und autonome Szene befand sich zum Teil in einer Art Schockzustand. Der Angriff von Rechts begann stärker zu werden und mündete u.a. in dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen. In Berlin schienen sich die schon seit ca. 1987 von uns thematisierten Entwicklungen in der Stadtpolitik zu beschleunigen: Mit Hauptstadt-Umzug und Olympiabewerbung würden unsere Unkenrufe über Umstrukturierung, Vertreibung und Gentrifikation endgültig Wirklichkeit werden. Auf der anderen Seite waren in Ostberlin Freiräume entstanden, die sich mit der neuen Häuserbewegung und einer vielfältigen Sub- und Undergroundkultur füllten. In diesem Klima trafen sich 1991 ein paar Menschen, zum Teil Alt-Autonome, zum Teil aus den besetzten Häusern, die im Thema Olympia ein sinniges Betätigungsfeld sahen und die das Anti-Olympia-Komitee (AOK) gründeten. Eine wichtige Motivation war das Wissen: Dieses Mal können wir gewinnen. Und Olympia könnte wie zu IWF-Zeiten 1988 in Berlin ein Kristallisationspunkt für die zersplitterte Linke sein. Doch daraus wurde bis Anfang 1993 nichts. Bis dahin waren wir mehr oder weniger auf uns gestellt, denn die Szene war einerseits zu sehr mit ihrer Wieder-Selbstfindung und mit dem Abwehrkampf gegen Rechts beschäftigt.

Volxsport: Fahnenklau
& Demos

Im Nachhinein lässt sich unsere Arbeit im Rahmen des AOKs grob in drei Phasen unterteilen. In der ersten Phase um 1991 herum probierten wir in klassischer Art und Weise den Protest zu organisieren: Wir setzten auf Aufklärung und die altbewährte linke Kritik am Thema Olympia, auf Massenmobilisierung und Bündelung der Kräfte. Beim Besuch des Exekutivkomitees des IOC fanden Demonstrationen statt, wir klärten auf, schlossen ein Personenbündnis mit Teilen von Bündnis 90/Grünen und der PDS und anderen. Leider sprang der Funke nicht über.

In der zweiten Phase ab 1992 änderten wir unsere Strategie und wendeten vorrangig das Konzept der Imagebeschmutzung an, das die Amsterdamer OlympiagegnerInnen schon Mitte der 80er erfolgreich eingesetzt hatten. Da das IOC letztendlich die Entscheidung trifft und bei der großen Auswahl geneigt ist, die Städte zu favorisieren, in denen die Mehrheit der Bevölkerung die Spiele willkommen heißt und in denen Ruhe und Ordnung herrscht, lag der Fokus unseres folgenden Engagements auf dem IOC. Wir überhäuften die IOC-Mitglieder persönlich mit Schreiben, legten als Bestechungsgeld auch mal einen Dollar bei, schickten ihnen eine Hochglanzbroschüre, in der sehr ausführlich auf die Tradition von militantem Widerstand in der Stadt Bezug genommen wurde, dem sie auch ausgesetzt sein würden. Diese Art des Vorgehens war jedoch nur möglich, weil es seit 1987 auch tatsächlich einige Riots in Berlin gab (1. Mai 1987, IWF-Tagung 1988, Räumung der Mainzerstraße 1990) und es einige Grüppchen in der Stadt gab, die ihre militanten Aktivitäten ab 1992 rund um das Thema Olympia ausweiteten. Das heißt, wir konnten mit einem Mythos arbeiten, der zu der damaligen Zeit tatsächlich noch ein kleines bisschen real unterfüttert war. Trotzdem war diese Zeit eine gewisse Durststrecke für uns. Wenn das AOK nicht auch ein soziales Gebilde für uns gewesen wäre, mit dem wir viel Spaß hatten und mit dem wir uns auch in anderen Politikfeldern politisch einmischten, hätten wir vielleicht schon eher aufgegeben.

Die dritte Phase ab Anfang 1993 war geprägt von unserem Bemühen, ein Bedrohungsszenario zu schaffen, das mit einzelnen gezielten Aktionen hergestellt wurde. Das begann damit, dass wir nach Lausanne fuhren und die offizielle Abgabe der Bewerbung begleiteten. Wir waren in der Öffentlichkeit mit 50 Leuten präsent, gaben ein Videoband voller Drohgebärden ab, und einige Beherzte markierten das IOC-Hauptgebäude mit roten Farbbeuteln. Die Entscheidung über die Vergabe der Olympiade rückte immer näher, die militanten Aktionen wurden massenhafter. Es brach ein gewisses "Wettkampffieber" in der Stadt aus. Olympiafahnenklau wurde zum Volxsport; es gab Graffitis an allen Orten. Als die Polizei dann vor dem Besuch der IOC-Prüfungskommission ein besetztes Haus stürmte, um ein Anti-Olympiatransparent zu entfernen, kam es zum zweiten legendären "Lappenkrieg" (der erste war 1982 beim Reagan Besuch, da entfernte die Polizei über 700 Mal Parolen und Transparente mit präsidialbeleidigendem Inhalt). Anti-Olympia-Transparente hingen aus vielen Häusern. Die Prüfungskommission wurde mit einer Demonstration von 15.000 Protestierenden empfangen. Eine Rauchbombe vor dem Olympiabüro mit anschließendem Knüppeleinsatz der Polizei reichte aus, um aus dieser Demonstration in der internationalen Presse eine Randaledemo werden zu lassen. Ein zweiter Besuch in Lausanne, bei dem der damalige IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch nur knapp seinem persönlichen roten Farbei entging, weitere sowohl militante als auch fantasievolle Aktionen und kurz vor der Entscheidung nochmals eine Demo mit über 18.000 Teilnehmenden sowie eine weitere Fahrt zum endgültigen Entscheidungsort Monaco rundeten diese durchaus lustbetonte dritte Phase ab.

Es gab einige wichtige Momente, die nicht so ohne weiteres auf andere Städte übertragbar sind: Der damalige CDU-Senat war geprägt durch 40 Jahre Frontstadtdenken. Verfilzt, höchst provinziell und ausgehend von einem Westberliner "Wir-Denken", welches so nicht mehr galt. Die Berliner Olympia-OrganisatorInnen gingen unglaublich dilettantisch vor. So wurde die Erstellung von Dossiers über einzelne IOC-Mitglieder (z.B. über ihre Bett- und Trinkgewohnheiten) bekannt, und auch die Verschwendung von öffentlichen Geldern wurde zum öffentlichen Skandal.

Klares Ziel -
Klarer Gegner

Ein weiterer wunder Punkt war die Nazi-Olympiade 1936 in Berlin. Der Berliner Senat hatte das IOC-Exekutivkomitee, wie damals der Nazi-Innenminister Frick, zum Festmahl in das Pergamonmuseum eingeladen. Das war selbst der Presse zu viel und führte zu lautstarkem Unmut. Der damalige IOC-Chef Samaranch war durch seine Nazi-Vergangenheit im Franco-Faschismus immer wieder unser Ziel. Zudem gab es zur damaligen Zeit eine große öffentliche Debatte über die Kommerzialisierung beim Sport, über Doping und Elitenbildung v.a. bei solchen Ereignissen wie der Olympiade. Nicht zu vergessen ist schließlich, dass ein erheblicher Teil der Berliner Bevölkerung von Anfang an aus den verschiedensten Gründen eher gegen Olympia war.

Ein klares Ziel vor Augen, klare GegnerInnen, ein klares Konzept, nämlich die subjektive Beeinflussung der IOC-Mitglieder durch Imagebeschmutzung der Stadt Berlin, die Angriffe auf die vielen OlympiasponsorInnen - all das lässt sich in einer gewissen Eindimensionalität gut umsetzen. Dies hat allerdings mit einer vielschichtigen und emanzipatorischen Politik wenig zu tun - weder in der Analyse von verschiedenen Machtverhältnissen noch in der Umsetzung von Alternativen. Dementsprechend war auch unser Umgang mit der Öffentlichkeit und den Medien. Wir konnten ohne Rücksicht auf die Mehrheit der Bevölkerung, auf BündnispartnerInnen oder gar die Medien selbst agieren, da selbst negative Reaktionen gut für uns waren. So gab es z.B. zwei spektakuläre Aktionen vor dem Besuch der IOC-Prüfungskommission. In zwei Kaufhäusern wurden mit Brandsätzen die Sprinkleranlagen ausgelöst. Doch in der BILD-Zeitung hieß es: "Olympiafeinde - Terror gegen uns alle". Trotz der Hetze kamen 15.000 auf die Demo. Wir gingen mit den Medien für die damaligen Verhältnisse so um, wie es heute für viele (Linke) gang und gäbe zu sein scheint: Mit PressevertreterInnen wurde direkt zusammengearbeitet, wir hatten eine Pressesprecherin und hielten Pressekonferenzen ab. Alles in allem versuchten wir permanent öffentlich präsent zu sein.

Für uns war unumstritten, dass wir an die Öffentlichkeit gehen. Mit im Bündnis arbeitete die damalige sportpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Grüne, Judith Demba. Sie war somit "unsere" Sprecherin. Das Gute war, dass sie uns näher stand als ihrer Partei, so dass es nie zu einer Distanzierung gegenüber den militanten Aktionen kam. Im Gegenteil, es wurde selbst auf Pressekonferenzen klar geäußert, dass militante Aktionen integraler Bestandteil des Protestes seien. Andererseits kam von unserer Seite aus auch nie eine politische Distanzierung, z.B. gegenüber dem Anliegen von KleingärtnerInnen, die von der Vertreibung von ihrem Gelände bedroht waren. Es gab in der beschriebenen zweiten Phase einen sog. Maulkorberlass von Seiten des Senats, an den sich außer den sogenannten "linken" Medien alle hielten. In der dritten Phase war die einseitige Olympia-Lobhudelei für unsere Gegenseite allerdings nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Letztendlich blieben jedoch unsere eigenen Inhalte - trotz der Bemühung, in der Öffentlichkeit präsent zu sein - auf der Strecke. Dass wir überhaupt gegen Olympia waren, gegen die Entsorgung der Geschichte, gegen die Verknüpfung von Olympia und Nationalismus. Auch die Thematisierung von Leistungsterror, Hochleistungssport, Kommerz und Körperkult, die Frauenfeindlichkeit und der Sexismus beim Fitnesskult- nicht nur in der Gesellschaft allgemein, sondern ebenso in der linken Szene - all dies blieb marginal. Wo wir hingegen flach und pragmatisch waren, fanden wir offene Ohren. Dies ist leider heute bei anderen Themen auch nicht anders. Die inhaltliche Vermittlung von unserer Seite beschränkte sich letztlich zu sehr auf unsere eigenen Medien. Die einen schrieben Broschüren, andere äußerten sich in Form von BekennerInnenschreiben.

Aus den Fehlern der Kampagne lernen

Es gab kein Internet und somit keine eigene Website, kein Indymedia, keine Links. Ob damit tatsächlich mehr transportiert worden wäre, sei mal dahingestellt. Die Möglichkeit, dies probieren zu können, ist tatsächlich ein Fortschritt. Wir vergaßen die Paralympics zu kritisieren; das ist uns später von Behinderten zu Recht vorgeworfen worden. Möglicherweise hat sich in dieser Hinsicht in der Sensibilisierung und in der differenzierteren Analyse in den letzten zehn Jahren einiges getan, so dass solch ein Fehler heute - vielleicht?! - nicht mehr passieren könnte. Wichtig ist auch: Es gab damals kaum internationale Zusammenarbeit. Wir hatten ein wenig Kontakt zu Sydney, aber das war es dann schon. Dies hat sich heute dank der globalisierungskritischen Bewegung geändert, die ein übergreifendes an einem Strang ziehen bezüglich der Olympiabewerbung ermöglicht.

Die Kampagne gegen die Olympiabewerbung war - betrachtet mit dem zeitlichen Abstand von zehn Jahren - insgesamt sehr eindimensional. Sie war zielgerichtet mit einem fest umrissenen Gegner und einer konkreten zeitlichen Begrenzung, ein direkter Angriff gegen das IOC. Nur so kann "Erfolg" auch bemessen werden. Aber es ist ein Erfolgskriterium im bürgerlichen Sinn: Ein Projekt wurde verhindert. Was an sich nichts Schlechtes ist, aber es ist auch nicht mehr. Die Kampagne ist auf jeden Fall nicht so ohne weiteres 1:1 auf andere Städte übertragbar. Die Imagebeschmutzung funktioniert zum einen, wenn wie im Fall Berlin auf einen kämpferischen Mythos aufgebaut werden kann und dieser durch tatsächliche Ereignisse auch noch bestätigt wird (im Zeitraum 1991-93 gab es über 70 mehr oder weniger militante Aktionen mit Olympia-Bezug).

Oder es wird wie 1986 in Amsterdam der Fokus auf das IOC und seine Mitglieder gerichtet und sie werden gezielt verärgert. Das kann als kleine Gruppe geschehen, benötigt aber viel Fantasie und ist abhängig von guten Informationen. Die Kampagne in Berlin war streckenweise mit sehr viel Lust an Widerständigkeit, mit kollektivem Ausleben von Kreativität und Lust am Konflikt gefüllt. Das waren die durchaus emanzipatorischen Momente. Aber solch eine Kampagne ist kein Kristallisationspunkt, kein Moment von Bündelung, sondern höchstens einer der vielen Krückstöcke, die uns auf dem Weg, den wir fragend voranschreiten, begleiten.

Einige aus dem ehemaligen
AOK Berlin


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