ak - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 457 / 20.12.2001

Imagebeschmutzung

Macht und Ohnmacht der Symbole

Da sind Sammler und die Jägerinnen gefragt: sich durch verstaubte Archive, unsortierte Stapel vergilbten Papiers zu graben oder sogar einen verloren geglaubten Plakatbestand aus einen "übel riechenden, löschwassergetränkten Haufen" zu zerren. Aber geschafft! Zum großen Fest des Schenkens ist nun die Fortsetzung des ersten Plaketebuches auf dem Markt (siehe ak 435). vorwärts bis zum nieder mit. 30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegung, so der Titel. 26 völlig neue Beiträge mit einer großen Auswahl abgedruckter Plakate sind der Inhalt und eine einzigartige CD. Die CD-ROM enthält das wohl größte elektronische Plakatarchiv im deutschsprachigen Raum. Der Artikel, in dem anhand ausgewählter Beispiele gezeigt wird, wie durch Bildveränderungen die Symbole der Macht (Regierung, Parteien, Konzerne usw.) zum Implodieren gebracht werden können, ist ein leicht gekürzter Vorabdruck aus dem den unbekannten wilden PlakatiererInnen gewidmeten Buch.

Plakate sind als Medium wie geschaffen, die Codes der Macht mit Methoden der Kommunikationsguerilla zu entstellen: Auf politischen, aber auch Werbeplakaten versuchen die jeweiligen Auftraggeber sich in ein günstiges Licht zu rücken, in der Hoffnung, dass viele Passantinnen hinschauen. Genau das machen sich Kommunikationsguerillas zu Nutze, wenn sie sich als semiotische Heckenschützen ("Sniper") betätigen, die die "Manifestationen" der Gegner durch Text/Bild-Korrekturen verändern: entweder um Sinnverschiebungen zu erreichen oder zu Denunziationszwecken (...). Besonders beliebte Ziele für Zufügungen und Überklebungen sind die Phrasen und Fratzen auf Wahlplakaten oder der Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft auf Werbepostern. "Zusammen heißen wir Oberhausen - Fremdenhass ist Herzenskälte!" lautete der Text eines zu Toleranz mahnenden Plakats, das spielende Migranten-Kinder zeigte. "Leider schon abgeschoben!" klebten Unbekannte auf diese "Initiative der Stadt Oberhausen gegen Ausländerfeindlichkeit". (...)

Imagebeschmutzung bzw. Imageverschmutzung ist eine Praxis der Kommunikationsguerilla, die auf Techniken subversiver Kommunikation wie Fälschungen und Fakes, aber auch auf Klartext zurückgreift. Imagebeschmutzung zielt darauf, den Ruf einer Person, einer Gruppe, einer Partei, einer Stadt oder eines Landes nachhaltig zu schädigen. Sie soll denjenigen einen Strich durch die Rechnung machen, die sich - oft auf Kosten anderer- positiv darstellen und das Image einer schönen, heilen Welt bedienen. Das ist besonders wirksam, wenn Dritte wie Konsumenten, Urlauberinnen oder eine Jury mit von der Partie sind, deren Verhalten durch ein beschädigtes Image beeinflusst werden könnte.

No border, no nation - no deportation

Das Geschäft von Fluggesellschaften wie der Deutschen Lufthansa AG beruht nicht zuletzt auf der Fantasie einer Welt ohne Grenzen, offen für unbegrenztes Vergnügen oder Geschäftsideen aller Art. Die Realität der Migration und der oft todbringenden Grenzregime ist die verdeckte Kehrseite dieser Globalisierungsideologie. Das Lufthansa-Image beruht auf der Annahme, dass Reisen Spaß macht und dass es jedem Kunden möglich ist, an den entlegensten Ort zu reisen. Nicht ausgesprochen wird, dass Fluggesellschaften Flüchtlinge dorthin fliegen, wo sie definitiv nicht hinwollen: in die Länder, die sie aus politischen oder ökonomischen Gründen verlassen haben, oder an Orte, die sie noch nie gesehen haben. Während einer Abschiebeaktion im Mai 1999 starb an Bord des Lufthansaflugs LH 558 in den Sudan der Flüchtling Aamir Ageeb in Folge einer besonders brutalen Behandlung durch den Bundesgrenzschutz. Danach begann die von der antirassistischen Initiative "kein mensch ist illegal" getragene Kampagne "Deportation Class - Gegen das Geschäft mit Abschiebungen". Deportation Class machte die Widersprüche und die "verdeckte Kehrseite" der Globalisierungsideologie zum Thema und lobte auch einen Plakatwettbewerb aus. Im Februar 2000 konnten 30 Plakate begutachtet werden, die die Images, Schriftzüge, Begriffe und Logos der Lufthansa kidnappten und durch Veränderungen und Neukombinationen als Mittäter der rassistischen und inhumanen Abschiebepraxis exponierten. Mit Hintergrundinformationen zur Lufthansa-Geschäftspraxis wurden die Plakate als Wanderausstellung in zahlreichen Städten gezeigt. Nicht nur die vielen Aktionen auf Flughäfen und vor Reisebüros empfanden die Lufthansa und ihre Aktionäre als geschäftsschädigend, auch die Präsentation der Plakate im Internet (http://www.kmii-koeln.de/frame/dc.htm). Die Formulierungen der Lufthansa-Juristen verweisen auf die verwendeten Montagetechniken: Beanstandet wurde die "Nutzung der für unsere Mandantin typischen Farben blau/gelb, [und die] Verwendung des für unsere Mandantin typischen Schriftzuges". Die Luftfahrtgesellschaft sah sich denunziert, wenn etwa ein Plakat in Anspielung auf den "Baby bringenden" Storch den todbringenden Kranich zeigt. Die Verknüpfung von Abschiebungen und der Reisefreiheitsideologie ("Beliebte Ziele") in der Deportation-Class-Kampagne wurde zum Double-bind für die Lufthansa. Ein Plakat dreht die Lufthansa-Werbebotschaft um und fordert die Passagiere auf, gegen Abschiebungen aktiv einzuschreiten ("Damit ihr Urlaub komplett wird"). Nicht wenige Plakate nutzten eine weitere Kommunikationsguerillataktik der Imagebeschmutzung: Die Camouflage.

Beschädigung zum Zwecke der Denunziation

Diese Kampagne zeigt die Vielfältigkeit des möglichen Umgangs mit den Symbolen der Macht und des Konsums auf Plakaten. Folgende Taktiken, die alle mit dem Prinzip der Verfremdung arbeiten, lassen sich bei Imagebeschmutzungen unterscheiden: Beschädigung, De/Montage und Rekomposition, Camouflage und Fake. Während die Beschädigung die Symbole des Gegners offen und deutlich destruieren soll, erfolgt bei den anderen Praktiken eine Aneignung im Sinne einer Entwendung, bei der die Bilder, Images und Logos in das eigene Plakat montiert werden und diese Übernahme auf eine Sinnverschiebung zielt.

Die außerparlamentarische und antiautoritäre linke Opposition in der Bundesrepublik wurde häufig von den Ereignissen getrieben, insofern verwundert es nicht, dass auch in ihren symbolischen Kämpfen der Bezug auf die hegemonialen Symbole quantitativ dominiert. Plakate sind besonders geeignet, sich kritisch mit einem vorgefundenen Zeichenfundus (Bildern, Worten etc.) auseinander zusetzen. Ein Mittel, die Symbole von Macht und Herrschaft zu verändern, um ihnen die eigene kritische Aussage mitzugeben, ist die Beschädigung. Beschädigung als grafische Veränderung kann diese Zeichen lächerlich machen und damit symbolisch entmachten. Oder sie verändert die Insignien der Macht, indem sie subversive oder in der Öffentlichkeit nicht ausgesprochene Inhalte in die jeweiligen Zeichen einfügt.

Beliebt sind Umwidmungen von hoheitlichen Wappen. Im Zuge der Startbahn-West-Auseinandersetzungen 1981/82 mutierte der Löwe aus dem hessischen Landeswappen zu einem Helm tragenden und Polizeiknüppel schwingenden Bullen, dem sogenannten Startbahnlöwen. Eine Variante des "Startbahnwappens" mit Stacheldraht und dem damaligen hessischen SPD-Slogan "Hessen vorn" kursierte als Aufkleber. Die zahlreichen Kriminalisierungsversuche (1.000 Ermittlungsverfahren) wurden bis 1984 fortgesetzt. (...)

Beispielhafte Aktionen, bei denen die Symbole der Macht immer wieder beschädigt wurden, waren die NOlympic-Bewegungen in Amsterdam (1984-1986) und Berlin (1991-1993). In diesen Imagebeschmutzungsaktionen ging es unter anderem darum, das Internationale Olympische Komitee (IOC) gegen die eigene Stadt aufzubringen. Fester Bestandteil beider Kampagnen war die Verballhornung der olympischen und städtischen PR-Symbole. Hierzu gehörte das Wortspiel "NOlympic" wie der entwertende Gebrauch der Olympischen Ringe. In Berlin, das viel von Amsterdam lernte, wurde immer wieder der veränderte Berliner Bär auf Plakate, Aufkleber, Spuckis, Hauswände und Flugblätter gepackt: "Volxsport statt Olympia" lautete eine beliebte Parole. Ein zerplatztes Ei auf der vom Bären geschmückten Glatze oder ein verunglückter Weitspringer unterstrichen die Entschlossenheit zum "Anti-Olympia-Klamauk".

(...) In Amsterdam und Berlin gebärdeten sich die Olympiagegnerinnen als gefährliche Chaoten und Terroristen, die kein gutes Bild für ihre Stadt abgaben. Die Amsterdamer reisten mit einer Hand voll Punks und anderen "Chaoten" nach Genf und organisierten vor dem Tagungsgebäude unschöne Krawallbilder, die das Schlimmste für den Austragungsort befürchten lassen sollten. Sie drehten das bürgerliche Repräsentationsprinzip um, indem sie sich im Blitzlichtgewitter am Rande von IOC-Treffen als die eigentlichen Vertreter der Stadt repräsentierten. Diese Imagebeschmutzungsaktionen trugen ihren Teil dazu bei, dass andere Städte zu Olympia-Austragungsorten erkoren wurden.

Poesie von Collage und Montage

(...) De/Montage und die Rekomposition funktionieren auf Grund des Zusammenspiels von Vorlage, verändertem Text und Bildneuzusammensetzung. Sie wirken durch die Anspielung auf das grafische und symbolische Erscheinungsbild des Gegners oder durch Anleihen bei der Populärkultur bzw. der Werbung. Das Ergebnis ist eine spezifische Poesie, die über den Horizont der Symbole der Macht und des Konsums hinausweist.

Im Zusammenhang mit Imagebeschmutzungen sind die bundesweiten "Innenstadtaktionen" zu erwähnen. 1997 nahm das Frankfurter Mobilisierungsplakat die kontrollgesellschaftliche Gettokartografie der "Gefährlichen Orte" in den Metropolen auf und rekonstruierte die "Gang-Areas" in Frankfurt unter einem anderen Gesichtspunkt. Einmal mehr wurde aus Frankfurt "Bankfurt" und die Übergriffe auf Arbeitslose, Wohnungslose oder Drogenbenutzer wurden im Newspeak der damals noch nicht so genannten New Economy lokalisiert. Das Plakat der Berliner "Innenstadtaktionen gegen Privatisierung, Sicherheitswahn und Ausgrenzung" bezog sich im Juni 1998 auf die Embleme und den Duktus der Kampagne der Deutschen Bahn AG (DB) "So ist es in Ordnung" und verkehrte deren ursprüngliche Absicht (Ruhe, Sauberkeit, keine unerwünschten Personen) in ihr Gegenteil: "So ist die Ordnung" und "Stadt für alle: Berlin laut billig international". Mit der Ästhetik von DB-Plakaten und umgestalteten DB-Icons warb die Rekomposition von Skatebordfahrern, Getränkekonsumentinnen u.a. für ein nicht vorgesehenes Verhalten im Bahnhof.

Wie sehr diese Art der Rekomposition bei de/montierten Organisationen auf Empörung stoßen kann, zeigt die SPD-Reaktion auf ein Poster des Kommunistischen Bundes (KB). Dessen Jugendmagazin Rebell hatte um 1976/77 ein Plakat beigelegt, wo auf schwarz-rot-goldenem Hintergrund die Aufschrift "Berufsverbote - Wir arbeiten weiter am Modell Deutschland - SPD" zu sehen ist. Aufgeführt waren 128 Berufsverbot-Fälle aus SPD-regierten Ländern. Die SPD war beleidigt und stellte Strafanzeige. In mehreren Städten kam es zu Beschlagnahmen, Plakatierer wurden belästigt und angezeigt. Doch die Amtsgerichte Hamburg und Münster folgten der Klassifikation der Staatsanwaltschaft ("hinterhältig") nicht. Vielmehr müsse sich die SPD angesichts ihrer Politik Kritik gefallen lassen. (...)

Fake: Die Sprechposition wechseln

De/Montage und Rekomposition ebenso wie die Camouflage wollen die eigentlichen Absichten der Urheberinnen der Plakate verbergen; sie sind eine Form der politischen Kommunikation, die darauf setzt, dass die Betrachterinnen das benutzte Originalplakat kennen. Anders beim Fake: Hier geht es nicht mehr nur um die Suggestivkraft der Verkleidung. Vielmehr tauchen nun Plakate auf, die tatsächlich den Eindruck erwecken wollen, es spreche der angebliche Urheber. Bei Fakes werden sowohl Optik als auch Sprechduktus entwendet, so dass für aufmerksame Betrachter die Frage aufkommt "Stimmt das?". Da der Gefakte davon ausgehen muss, dass Dritte glauben könnten, das Plakat stamme von ihm, muss er sich zu dem im Fake angesprochenen oder seiner angeblichen Position äußern oder sogar dementieren. Das funktioniert gut, wenn der Gefakte eigentlich lieber gar nichts gesagt hätte. 1991, während des Golfkriegs, wurden "IG-Metall-Plakate" geklebt, die "Bei Erklärung des Bündnisfalles durch die Bundesregierung" den "Generalstreik" ankündigten. Damit sollte die Gewerkschaft zu einer Stellungnahme gezwungen werden. 1991 brachte ein solcher Fake die Gewerkschaft noch in Bedrängnis. Zehn Jahre später hätte sie mit einem glatten Dementi wohl kein Problem mehr.

In den siebziger und achtziger Jahren waren linksradikale Fake-Plakate nicht sehr verbreitet, die Entwendung von Symbolen und der Wechsel der Sprechposition findet erst in den Neunzigern Verwendung. Der vergleichsweise hohe Aufwand bei der Herstellung von Plakaten legt einen eher spielerischen Umgang nicht sehr nahe. Einer Bewegung, die sich teilweise eines recht martialischen Gestus' bedient hat, deren Bildersprache und Gestaltungstechniken dem Punk und anderen gegenkulturellen Jugendbewegungen entliehen waren, fällt es schwer - und sei es nur zum Schein - einen anderen Standort des Sprechens zu beziehen. Uneindeutigkeiten widersprechen dem aufklärerischen Furor, und zudem hatten die oppositionellen Bewegungen nur sehr begrenzte Ausdrucksmöglichkeiten, da erschienen Fakes noch als verschwenderisch.

Sie tauchten in den letzten Jahren aber häufig im Zusammenhang mit der Frage nach der bundesdeutschen Kriegsfähigkeit auf. Deutschland führte 1999 unter rot-grüner Flagge seinen ersten Angriffskrieg nach 1945. Die Militarisierung des öffentlichen Raums durch öffentliche Gelöbnisse Wehrpflichtiger war bereits öffentlichkeitswirksam am 20. Juli 1999 in Berlin gestört worden. Anfang November berichtete das Stuttgarter Stadtmagazin heLift: "War das ein Spaß! 1.500 Bundeswehrsoldaten wurden nicht nur mit großem Bundeswehrblasorchester und Zapfenstreich aufs deutsche Land vereidigt, sondern stilecht von drei der größten deutschen Rockbands der neunziger Jahre begleitet. Pur spielte _Wenn ich am Boden liege, sorgst Du dafür, dass ich bald nach Kosovo fliege_. Die politisch hyperkorrekten Kölschrocker sangen _Verdamp lang her, dat mir im Graben lagen_, und die Scorpions spielten _Wind of Change_ mit der Bundeswehrtanzkapelle Günther Noris. Tja, so ändern sich die Zeiten. Problem: Nichts stimmte." Was war passiert? In jenem Herbst gingen Bundeswehr und CDU-Landesregierung daran, rund um das Stuttgarter Schloss den Ausnahmezustand zu verhängen. 1.500 Rekruten sollten öffentlich geloben. Die Gelöbnisgegnerinnen führten dagegen einen regelrechten Symbolkampf, in dessen Verlauf eine ganze Reihe Fakes auftauchten, auch ein Plakat, das "im Rahmen der Gelöbnisfeier" ein Open-Air-Freiluftkonzert von Pur, Scorpions und Bap ankündigte. Als Veranstalter wurden SWR 3, die Stadt Stuttgart und die Bundeswehr genannt, der Eintritt sollte frei sein.

Das Plakat machte Furore und die erbosten Pur erstatteten über ihre Plattenfirma Intercord Strafanzeige gegen Unbekannt. Das Plakat der Gelöbnisgegner war ein Fake zwecks Imagebeschmutzung, bei dem nicht nur die Optik entwendet wurde, sondern auch die Sprechposition. Die Urheber stifteten Verwirrung unter den Fans, wichtiger war aber, dass sie die Bands zwangen, sich zu dieser nicht ganz unwahrscheinlichen Veranstaltung zu äußern. Während Pur, Scorpions und BAP sehr genau wussten, warum sie Zielscheibe eines solchen Fakes wurden (Wolfgang Niedeken machte direkte Werbung für die Beteiligung am Kosovokrieg, Pur sind die Inkarnation der grünen Realokultur, die Scorpions haben sich für ihr Gesamtwerk zu verantworten), rätselte der staatliche Gewaltapparat über die genaueren Hintergründe. Schließlich vermuteten sie eine "perfide Taktik der Autonomen": Sie würden versuchen, eine große Zahl harmloser Schlagerfans anzulocken, um dann aus dieser Menschenansammlung heraus gewalttätige Angriffe zu unternehmen. Diese und weitere Fake-Aktionen ließen den Polizeiapparat schwitzen, der staatliche Gewaltapparat brachte insgesamt 2.000 Polizisten, 1.400 davon rund um das Neue Schloss, in Position. Die Aktionen trieben die Kosten auf 500.000 DM und die Stuttgarter Nachrichten vom 19.10.1999 zitierten erboste Zuschauer: "Man könne nicht vom öffentlichen Gelöbnis sprechen und die Zuschauer dann 100 Meter hinter Absperrungen verbannen". Ein gelungener Fake provoziert eben mit falschen Informationen wahre Ereignisse.

In diesem Sinne funktioniert ein Plakat, das im Zuge des Kosovokriegs konzipiert wurde, aber erst 2001 in Umlauf kam und textlich wie bildlich die Gegenwart mit der Geschichte der Antikriegsbewegungen verbindet. Angesicht der zunehmenden Bereitschaft der rot-grünen Bundesregierung, Kriege zu führen, erinnert das Plakat kriegsgeile Sozialdemokraten, militarisierte Grüne und umgefallene Alt-68er an ihre eigene Geschichte. "Why" war das Plakat, mit dem ganze Generationen Kriegsdienstverweigerer sozialisiert wurden. "Why not?" bringt den Wandel der Gesinnung, den Opportunismus und Konformismus auf den Punkt. Auf dem Plakat, das "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu" verkündet und das die Logos von SPD, Bundeswehr und Bündnis 90/Die Grünen ziert, ist zudem vermerkt: "kEin Plakat von Klaus Staeck". Vermutlich, weil er immer noch für Sozialdemokraten Werbung macht. Die Häme und die Wut, die diesem Plakat zu Grunde liegen, sollen wohl weniger die bornierten Parteigänger ansprechen als vielmehr diejenigen, die sich nicht einfach per Parteitagsbeschluss von ihrer Vergangenheit lossagen können.

Die Frage, die im Zusammenhang mit Kommunikationsguerilla im Allgemeinen und mit Imagebeschmutzung im besonderen nach wie vor gestellt wird, lautet: Was soll das? Ist das überhaupt politisch? Ergibt sich irgendeine Wirkung oder ist das nur symbolisches Zeugs, reine Selbstbefriedigung ohne politische Konsequenzen?

Tatsache ist, dass Formen der Kommunikationsguerilla derzeit ein breites Spektrum politischer Artikulation prägen. Dabei organisieren sich die jeweiligen Akteure nicht mehr in Gruppen mit festgezurrtem ideologischen Konzept, sondern für bestimmte Aktionen finden sich wechselnde Allianzen.

Politischen Ökonomie der Bilder + Symbole

Die Frage nach der aktuellen Wirkung dieser Politikformen lässt sich nur beantworten, wenn man den Wandel berücksichtigt, der in den letzten Jahren zu einer grundlegenden Änderung der Bedingungen von Arbeit und Produktion geführt hat. Die für den Fordismus typische Arbeitsorganisation wurde im Post-Fordismus von einer neuen Form, wenn nicht gar einer Neubestimmung von Arbeit selbst abgelöst. Dabei nahm die Bedeutung von "immaterieller" bzw. "mentaler" Arbeit immens zu. Dadurch wird nicht nur die Produktion von Gütern in den Ländern der dritten industriellen Revolution immer mehr durch Kommunikation bestimmt, sondern die menschliche Kommunikation selbst zu einem Produkt. Die Produkte sind in der Regel selbst schon Symbole und Bilder, oder ihr Tauschwert wird durch den Symbolgehalt wesentlich mitbestimmt. Die Lufthansa verkauft eben nicht nur Flüge, sondern auch das dazu gehörende Lebensgefühl: Modernität, Mobilität, Weltoffenheit, Freiheit. Lifestyle-Marken wie Nike funktionieren so.

Die wachsende Bedeutung von Zeichen und Symbolen geht mit einer technischen Entwicklung einher, die Kommunikationsguerilla begünstigt: Nicht zuletzt auf Grund der besseren digitalen Produktions- und Kopiertechniken sind Fälschen, Faken und Imitieren vielfältiger und einfacher geworden.

Für Kommunikationsguerilleras ist es nicht nur einfacher geworden, Symbole der Macht zu entwenden und umzunutzen, zugleich bekommt die Praxis der Imagebeschmutzung auch eine neue Durchschlagskraft. Wenn diese symbolische Ebene für den ökonomischen Erfolg eines Konzerns immer wichtiger wird, kann umgekehrt auch eine subversive Politik genau dort angreifen und durch das Beschädigen von Images den ökonomischen Erfolg bis in ruinöse Dimensionen beeinträchtigen. Das konstituiert eine neue Ebene von Verletzlichkeit. Vor diesem Hintergrund nimmt die Diskussion um die mitunter belächelte "symbolische Politik" der Kommunikationsguerilla eine fast paradoxe Wendung. Gerade weil sie auf der symbolischen Ebene vorgeht, erzielt sie Wirkungen auf der ökonomischen Ebene. Hier bekommt das Konzept "Imagebeschmutzung" Durchschlagskraft, da es den Kampf um die Deutung der Bilder aufnimmt und nicht ominösen guten alten Zeiten vor den Werkstoren nachtrauert.

autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe

Vorwärts bis zum nieder mit. 30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegung.
Hersaugeber: HSK 13, 288 vierfarbiege Seite, 815 abgedruckte Plakate, 8.300 Plakate auf CD-ROM, 49,80 DM,
ISBN 3-935936-05-2, Verlag Assoziation A, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
Eine ausführlichere Version dieses Textes erscheint in der laufenden Nummer der com.une.farce online unter http://www.copyriot.com/unefarce.


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