ak - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 472 / 18.04.2003

And the winner is: Barcelona?

Verdrängung ist die andere Seite der olympischen Medaille

Als Barcelona am 17. Oktober 1986 zum Austragungsort der XXV. Olympischen Spiele 1992 ernannt wurde, strömten die BarcelonerInnen auf die Straße, um "ihren" Sieg zu feiern. Im Gegensatz zu Amsterdam gab es hier - nicht nur in der Anfangszeit, sondern auch in der konkreten Phase der Umsetzung - kaum Widerstand gegen die städtischen Pläne.



Viele versprachen sich von Olympia eine Verbesserung der städtischen Infrastruktur, der Wohnqualität und eine sichtbare Entspannung des Arbeitsmarktes. Angesichts einer Erwerbslosenquote von 21,4 Prozent im Jahr 1986 dürfte das Arbeitsplatzargument ausschlaggebend gewesen sein für die weit verbreitete Olympiabegeisterung. Und zumindest dieses olympische Versprechen schien sich zunächst auch zu erfüllen: So sank die Erwerbslosenquote seit Mitte der 80er kontinuierlich und lag im vorolympischen Jahr 1991 bei knapp 14 Prozent. (Fünf Jahre nach Olympia war allerdings die 20 Prozent Marke wieder erreicht.)

Unsere Stadt soll schöner werden

Und auch sonst hatte sich - im Zuge der Olympiavorbereitung - vieles verändert in der katalanischen Metropole. Einige der ärgsten Bausünden der letzten Jahrzehnte wurden beseitigt: Die 14-spurige "Passeig de Colom", die sich früher entlang des Hafens schlängelte, ist nun eine unterirdische Durchgangsstraße, oberhalb gibt es eine Flaniermeile für FußgängerInnen und Straßen für Anliegerverkehr. War der Zugang zum Meer vorher durch die Küsteneisenbahnlinie versperrt, so ermöglichte nun eine untertunnelte Eisenbahnlinie und der Abriss von Industrieanlagen die viel propagierte "Öffnung Barcelonas zum Meer". Das ehemalige Industrie- und ArbeiterInnenwohngebiet Poblenou bekam eine Strandpromenade, ein neues Entwässerungssystem, einen Olympiahafen und das olympische Dorf am Meer. Darüber hinaus wurde das Schienennetz ausgebaut, der Stadtflughafen modernisiert und das Telekommunikationsnetz ausgebaut, um nur einige Eckpunkte des ehrgeizigen Städtebauprojektes zu nennen. Die Pläne für diese Umstrukturierungs- und Modernisierungsmaßnahmen lagen zwar schon lange in den Schubladen des Stadtparlaments. Mit dem Vehikel Olympische Spiele konnten sie nun schnell und ohne zähe Verhandlungen durchgesetzt werden.

Barcelona gilt allgemein als das Modell einer erfolgreichen Olympiabewerbung und -durchführung. Bei genauerer Betrachtung hat diese "Erfolgsstory" beträchtliche Schattenseiten. Angesichts leerer Kassen und eines Investitionsvolumen von etwa 4.533 Mio. Euro (ohne die Folgekosten) war die Stadt maßgeblich auf private InvestorInnen angewiesen, die rund 43 Prozent der Gesamtsumme stellten. Nach angelsächsischem Vorbild entstanden verschiedene "public-private-partnerships", die sowohl bei der Planung als auch bei der Durchführung des Projektes großes Mitspracherecht hatten. Anfangs fand sich im Olympiapaket noch das Angebot, auch sozialen Wohnungsbau in den von der Umstrukturierung betroffenen Stadtteilen zu fördern. Da dies jedoch die Gewinnaussichten der privaten InvestorInnen zu schmälern drohte, verzichtete man schließlich auf die sozialen Abfederungsmaßnahmen. Die Stadt fuhr den öffentlich geförderten Wohnungsbau zurück, die durchschnittlichen Mieten in Barcelona stiegen allein zwischen 1990 und 1992 um 200 Prozent; in der nacholympischen Phase hat sich der Kaufpreis für Wohnungen in der Altstadt fast verdoppelt.

Die Auswirkungen dieses Gentrifizierungsprozesses der letzten zehn Jahre treten besonders in der traditionell ärmeren und benachteiligten Altstadt zu Tage: Während Einkommensschwache und MigrantInnen auf Grund des Kostendruckes in die Randbereiche Barcelonas verdrängt werden, ziehen immer mehr Besserverdienende in das als lebendig und authentisch empfundene Viertel. Auch wenn Olympia den Prozess der Durchkapitalisierung der Innenstadt extrem beschleunigte, diente das Großereignis lediglich als Katalysator eines allgemein vorherrschenden Trends zur unternehmerischen Stadt. Galt Barcelona vor Olympia als verschlafene Hafenstadt, so präsentiert sich die Stadt heute als konkurrenzfähige Metropole, die im Wettbewerb der Städte um nationale und internationale InvestorInnen buhlt.

Angekurbelt durch den kurzfristigen Jobboom im Zuge von Olympia investierten in den 90ern vor allem Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor in Barcelona. Die Jobs im Hotel- und Gaststättenbereich, Reinigungsdienstleistungen und im Einzelhandel sind in der Regel zeitlich begrenzt, niedrig qualifiziert und schlecht bezahlt. Vor allem Frauen, unqualifizierte ArbeitnehmerInnen und Studierende sind prekär beschäftigt. Dies ist die Kehrseite des olympischen "Jobwunders": Olympia geht, der deregulierte Arbeitsmarkt bleibt. Am stärksten profitieren - wen wundert's - Immobiliengesellschaften, das gehobene Hotel- und Gastronomiegewerbe, die Tourismusbranche und hochausgebildetes Fachpersonal von Olympia. Dagegen haben GeringverdienerInnen und marginalisierte Gruppen am meisten unter den steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten zu leiden.

Wenn StadtplanerInnen und PolitikerInnen heute das "Modell Barcelona" in höchsten Tönen loben, um ihre Stadt in Olympiabegeisterung zu versetzen, so ist Vorsicht geboten. Neben einigen erfolgreichen städtebaulichen Maßnahmen, wie der Öffnung der Stadt zum Meer, hat die Olympiade die soziale Polarisierung innerhalb der Stadt enorm verschärft: Verdrängung, Obdachlosigkeit und ein steigendes Verarmungsrisiko - all inclusive. Sicherlich ist die vier Kilometer lange Strandpromenade im ehemaligen ArbeiterInnenviertel Poblenou schöner als die Küsteneisenbahnlinie, die dort vorher verlief. Nur dürften die Ex-BewohnerInnen des Viertels wenig davon haben, flanieren doch heute hauptsächlich TouristInnen und neu hinzugezogene BesserverdienerInnen auf dem Boulevard.

Nicole Vrenegor


Auf Kommentare, Anregungen und Kritik freuen sich AutorInnen und ak-Redaktion
www.akweb.de   E-Mail: redaktion@akweb.de