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Der blanke Mythos

Eine Kritik am Gelde und an denen, die glauben, dass es "die Macht" hätte

    Das Geld ist ein wichtiges Grundmoment der Warengesellschaft. Ohne Geld passiert in dieser nichts. Demzufolge ist es umrankt von Mythen. Sie reichen von der Behauptung, es sei genug davon vorhanden bis zur Behauptung, die "Reichen" und "Mächtigen" könnten "alles" damit erreichen. Daher fordern viele Globalisierungsskeptiker eine Abschaffung bzw. zumindest Ausgleichung des Reichtums durch Umverteilung. In Kritik an derartigen Vorstellungen wird in diesem Text eine andere Perspektive entwickelt.


1) Der Hass aufs Geld

Ein wichtiges Moment der Globalisierungsgegner ist ihr Widerwille gegen das Geld.

Eine zentrale Losung, die man immer wieder zu hören bekommt: "Das Geld hat die Macht". Das soll zumeist zweierlei bedeuten. Einerseits: nicht das Geld in meinem Portemonnaie hätte Macht, sondern jene, die das Geld besitzen. Sie könnten sich damit alles kaufen, Macht & Einfluss - und somit mittels dieses Geldes die Welt beherrschen und sich ein Leben in Saus und Braus leisten, während andere ihr Dasein im Elend fristen müssen. Andererseits: Das Geld würde angeblich alle "Bindungen" und "Werte" zerstören.

Die gängige Globalisierungskritik lebt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von derartigen Argumentationen.

Eine besondere Bedeutung hat dabei die Figur des "Spekulanten" oder der Spekulation. Es gäbe da einige "Global Players" die nur noch vom Spekulieren mit Geld leben und alles "Lebendige" (die "sinnvolle Arbeit", die anderen "Kulturen" in ihrer Vielfalt) zerstören würden. An diesem Punkt geraten dann die zentralen Institutionen der kapitalistischen Weltwirtschaft in die Kritik: namentlich die Weltbank (Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung), der Internationale Währungsfonds IWF, das Multilaterale Abkommen über Investitionen MAI oder die Welthandelsorganisation WTO. Gruppen wie Attac (hervorgegangen aus einer französischen Bürgerinitiative für die Besteuerung von Spekulationsgewinnen, genannt "TOBIN-Steuer"), erheben Forderungen nach einer "Rückkehr zur Politik": der weltweiten Machenschaften der "Global Players" und des "Finanzkapitals" müssten wieder staatliche Strukturen entgegengesetzt werden. Ziel ist hierbei eine Einschränkung der Macht des Geldes durch staatliche Intervention. "Auf die Globalisierungsskeptiker ? kommen in nächster Zeit schier unlösbare Aufgaben zu. Sie müssen die hinterhältigen Verbindungen von Politikern und Vertretern der internationalen Finanzorganisationen aufdecken. Sie müssen alles daran setzen, staatliche Institutionen und zwischenstaatliche Organisationen aus der Umklammerung des Finanzestablishments zu befreien. Sie müssen der eklatanten Konzentration von Eigentum und privatem Reichtum entgegentreten, dem spekulativen Handeln und der Geldwäsche Hindernisse in den Weg legen, Steueroasen austrocknen, für den Wiederaufbau des Wohlfahrtstaates kämpfen" (Michel Chossudovsky, Global Brutal, Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg; S. 35). Zentrales Motiv der Globalisierungskritik ist somit die Ablehnung und Bekämpfung jener, die mit ihrem Geld die übrige Welt im Würgegriff halten würden.

Hier ist grundlegende Kritik nötig. Zu fragen ist nach der wirklichen Funktion des Geldes in der kapitalistischen Wirtschaft. Gefragt ist also eine marxistisch inspirierte Geldkritik, die sich auf dem schmalen Pfad zwischen einer Verteufelung des Geldes und einer tiefgehenden Kritik am selbigen entlang zu schlängeln hat. Dabei müssen grundlegende Visionen der Globalisierungsgegner kritisch revidiert werden. Dies betrifft besonders ihre Wut auf Luxus und Reichtum, welchem sie oft ein einfaches Leben in Einklang mit der Natur entgegenstellen. Demgegenüber muss klar werden, dass es emanzipatorischer Kritik um eine großartige Vervielfachung von Luxus, Reichtum und Ausschweifung gehen muss. Erst auf dieser Grundlage kann eine wirkliche Kritik am Reichtum entfaltet werden. Denn ohne Zweifel ist dieser unter kapitalistischen Bedingungen und in seiner marktwirtschaftlichen Gestalt tatsächlich zerstörerisch für Mensch und Natur. Kapitalismus bringt aber nicht zuviel, sondern zuwenig und zu einseitigen Luxus hervor. Es soll hier daher eine Geldkritik vorgestellt werden, die nicht gleichzeitig eine Ablehnung von Reichtum und Luxus beinhaltet. Diese Kritik fordert weder Umverteilung noch Enteignung sondern vielmehr eine gesamt-gesellschaftliche Aneignung des Reichtums durch eine klassenlose Aufhebungsbewegung.

2) Geld und das Wertgesetz

Kapitalismus ist wesentlich Warengesellschaft. Diese wird von drei auseinander ableitbaren Gesetzen beherrscht, die systematisch auseinander ergeben: Das Wertgesetz, das Gesetz der Verwandlung von Geld in Kapital und das Gesetz der Akkumulation des Kapitals. Gemäß dem ersteren werden Waren anhand ihres Wertes - der in ihnen vergegenständlichten Arbeitszeit - getauscht. Im Geld spiegeln alle übrigen Waren ihren Wert. Es soll ausdrücken, wie viel gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit in einer Ware vergegenständlicht ist. Damit wird es zur zentralen gesellschaftlichen Instanz, zum Wertausdruck der Waren und damit zum Vermittler des Warentauschs. Im Geld drückt sich somit ein bestimmtes soziales Verhältnis, nämlich das der Warengesellschaft aus. Das Geld ist dabei nicht Ursache, sondern lediglich Wirkung.

Treten zwei Waren in ein Verhältnis zueinander, so erscheint die eine (Ware A) ausschließlich als Gebrauchsgegenstand, während die andere (Ware B) einzig als Wertausdruck von Ware B erscheint. Damit wird sie völlig von A beherrscht. Ihre Natur zählt nichts mehr, sie ist nur noch Ausdruck von etwas, nämlich des Werts von Ware A. In einer komplexen Warengesellschaft wie der uns gegebenen sehen die Zustände allerdings anders aus. Hier ist es eine einzelne Ware, in der sich alle anderen Waren spiegeln: nämlich das Geld. Dieses stellt eine aus dem allgemeinen Warenverkehr heraus gelöste Ware dar. Damit geht eine grundlegende Verkehrung einher. War im obigen Beispiel Ware A in der aktiven Position, so ist dies jetzt, beim Geld, die Ware B. Da sich alle Waren in ihm spiegeln und es selbst , also das Geld es ist, in dem sich die durchschnittliche Arbeitszeit spiegelt, die in den einzelnen Waren auskristallisiert vorliegt, wird es zum Vermittler aller Waren und zum Ausdruck ihrer Wertsubstanz, der Arbeit. Damit ist das Geld der generelle Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses, welches sich über den Austausch von Waren anhand der in ihnen vergegenständlichten Arbeitszeit vermittelt.

Die marktwirtschaftliche Ordnung ist als eine fetischistische zu begreifen. In einer fetischistischen Gesellschaft stehen die Verhältnisse wie geschildert auf dem Kopf - sie erscheinen "verkehrt". Es ist, als ob sich das Spiegelbild eines Menschen von jenem verselbständigt und fortan ein Eigenleben führt - und schlimmer noch: nun mehr das bisherige Verhältnis umkehrt und beginnt seinerseits das Leben des "Originals" zu bestimmen. Es verhält sich nun nicht mehr das Spiegelbild sondern das Original spiegelbildlich und richtet seine Bewegungen an denen des Spiegelbildes aus.

Die Menschen treten in einer fetischistischen, über den Wert vermittelten Gesellschaft nicht direkt und unmittelbar in Kontakt miteinander. Sie sprechen sich nicht ab, wie sie was produzieren wollen. Sie überlegen nicht, welche Auswirkungen das auf Mensch und Natur haben könnte. Sie unterhalten sich nicht darüber, wie sie ihre Reproduktion gestalten. Vielmehr vollzieht sich das alles wie von einer Geisterhand gesteuert. Die Bewegung der Waren bestimmt die Bewegung der Menschen. Die Frage, ob aus einem Produkt ein größtmöglicher Profit geschlagen werden kann, wird zur bedeutsamsten. Diese Fragestellung einzig bestimmt darüber wie was von wem unter welchen Bedingungen und wann produziert wird.

Das Geld ist somit eine besondere, heraus gelöste Ware. Sie tritt allen anderen Waren gegenüber, macht sie untereinander tauschbar und spiegelt ihren Wert - in seiner Verkehrung als Preis - wieder. Geraten Menschen unter die Herrschaft der Bewegung von Waren - die doch ihre eigene als Besitzer dieser Waren ist - so drückt sich das - genauer gefasst - in ihrer Unterordnung unter das Geld aus. Diese ist wiederum ihre eigene und doch nicht ihre eigene. Sie vollziehen sie - aber sie wissen das nicht. Sie tun etwas, worüber sie selbst keine Kontrolle haben. Die Verhältnisse erscheinen verkehrt und die Menschen müssen sich in dieser Gesellschaft dieser verkehrten Erscheinung unterwerfen. Die Menschen unterwerfen sich einer von ihrem eigenen Warentausch hervorgebrachten Erscheinung.

3) Die Verwandlung von Geld in Kapital

Nicht nur das Geld hat nach der Auffassung vieler Geldkritiker die Macht, sondern vielmehr "das Kapital". Auch damit sind zumeist die Besitzenden dieses Kapitals gemeint. Besonders kritisch beäugt werden die Zinsen einstreichenden Banken, die Länder und Unternehmen durch Kreditvergabe in ihre Abhängigkeit bringen und damit jedes "natürliche Wirtschaften" durch "Aussaugung" verhindern.

Kapital ist Geld, welches aus sich heraus mehr Geld schafft. Dabei unterliegt es einer beständigen Bewegung. Wir haben es zunächst vor uns in Gestalt von 1000 ? auf der Bank. Mit ihm werden bestimmte Materialien eingekauft: Maschinen, Rohstoffe, Hilfsmittel, Gebäude einerseits und Arbeitskräfte andererseits. Sind diese mittels eingekauft, so ist der im Geld enthaltene Wert in eine andere Form geschlüpft. Hatte er zunächst die Gestalt des Geldes, so hat er nun die Form von Maschinen, Gebäuden und Ware Arbeitskraft. In dieser Form setzt die Produktion ein. An ihrem Ende stehen nun Produkte, die auf dem Markt wiederum als Waren erscheinen. Hier haben wir es mit einer erneuten Formwandlung des Werts zu tun. Er stellt sich nun dar in der Gestalt von Waren, die auf den Markt treten und dort eine neuerliche Formwandlung durchlaufen: sie werden wieder zu Geld. Sie werden nämlich verkauft. Haben wir einen gelungenen Verwertungsprozess vor uns so handelt es sich dabei um mehr Geld als vorher. Es kommt also ein Überschuss zustande, der Mehrwert.

Der Begriff des Kapitals drückt also aus, dass dem Geld als Ausdruck der fetischistischen Tauschlogik eine permanente Wachstumspotenz innewohnt. Seine Grundlage ist die fetischistische, von menschlichen Bedürfnissen und menschlicher Verfügungsgewalt losgerissene Warengesellschaft. Diese kommt im Kapital nur in noch verschärfterer Wucht zum Ausdruck. Mittels permanenter Einsaugung menschlicher Arbeitskraft und aberwitziger Rohstoffverpulverung wächst und wächst es und entwickelt sich dabei über die Köpfe der Menschen hinweg.

Das Geld bringt somit gemäß seiner Logik das Kapital hervor. Kapital ist wachsendes Geld. Der die Menschen vermittelnde Wert erscheint wechselnd als Geld, als Ware, schließlich in der Produktion in Form von Technik, Maschinen, Rohstoffen, Werkzeugen und verausgabter Arbeitszeit um dann erneut als Ware und zu guter letzt wieder als Geld+Mehrwert zu erscheinen. Die Menschen müssen sich diesem beständigen Formwandel unterwerfen. Sie sind wechselnd abhängig von Geld, Arbeit und Waren. In der Produktion sind sie den Maschinen unterworfen, an denen sie arbeiten. Sie sind in gesellschaftliche Verhältnisse gestellt, die sie unterwerfen und deren Funktionen sie sich unterzuordnen haben. Geld ist also neben Waren und realer Produktion eine Erscheinung des die Menschen tyrannisierenden Wertverhältnisses. Im Geld, wie in den Waren, wie in den Maschinen, erscheint jeweils dieser eine Wert. Somit ist es falsch das Geld zu verteufeln, ohne Hand an die Warengesellschaft, den Tausch dieser Waren, die Waren selbst, auch als scheinbar nützliche, die Arbeit, die diese Waren erzeugt und die Technik, die als Hilfsmittel dazu dient, diese Waren zu erzeugen, zu legen.

4) Die Akkumulation des Kapitals

Die Kapitalakkumulation ist DAS zentrale Prinzip des Kapitalismus. Die Akkumulation des Kapitals - das ist der Zwang zum ständigen Wachstum, zur permanenten Anhäufung abstrakter Arbeit - beruht auf der Verwandlung von Geld in Kapital, die ausschließlich unter Vernutzung menschlicher Arbeitskraft vonstatten geht - und diese wiederum auf dem Wertgesetz - der Vermittlung von Waren anhand der in ihnen vergegenständlichten Arbeitszeit.

Kapitalakkumulation beschreibt denselben Prozess, den auch bereits die Verwandlung des Geldes in Kapital beschreibt, von seiner anderen Seite: wurde zunächst beschrieben wie aus Geld mehr Geld wird, weil es unter Vernutzung menschlicher Arbeitskraft einen Mehrwert heckt, so wird jetzt dieser Mehrwert zum Ausgangspunkt einer neuerlichen Kapitalbewegung. Mehrwert entsteht also nur, um erneut kapitalisiert zu werden. Also: das Geld um welches das ursprüngliche Kapital gewachsen ist, wird wieder neu angelegt um erneut einen Verwertungsprozess anzukurbeln. Dieser Prozess vollzieht sich unter ständigem Wachstum des Kapitals auf immer höherer Stufe. Akkumulation des Kapitals ist die ständige Wiederherstellung jenes gesellschaftlichen Verhältnisses ("Reproduktion") der ständigen Arbeitskraftvernutzung: der Arbeitende bringt mit seiner Arbeit, mit seinem Lohnverhältnis und seinem Ausgeben dieses Lohns im Konsum immer wieder jenes Verhältnis hervor, welches ihn arbeitenden lässt. Ins Visier der Kritik müssen also nicht nur Geld, Waren, Arbeit, Technik und der Verwertungsprozess des Werts, das Kapital, geraten, sondern jenes gesellschaftliche Verhältnis, das Produktionsverhältnis, die gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen, die der Absicherung dieses Prozesses dienen.

Zentral passiert bei der Akkumulation des Kapitals folgendes: einerseits Ansammlung von Reichtum auf der einen Seite: immer mehr vernutzte Arbeitskraft häuft sich in Form von Kapital an. Andererseits: Ansammlung von Elend auf der anderen Seite: die Menschen stabilisieren das sie beherrschende Verhältnis immer mehr und geraten immer stärker unter den Vollzug der Warenlogik. Ihr Leben und ihre Tätigkeit im Produktionsprozess werden immer einsamer und armseliger, die Möglichkeiten einer Einflussnahme werden immer geringer; mehr und mehr ist der einzelnen Mensch der Produktion und deren staatlicher Verwaltung als einem monströsen Apparat gegenübergestellt. Marx nannte dies das absolute und allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation.

Traditionelle linke Theorie vereinfachte dieses Grundgesetz der kapitalistischen Akkumulation dergestalt, dass sie es auf eine reine Klassentheorie reduzierte. Beschreibt Marx die Ansammlung von Reichtum und Elend auf zwei gegenüberliegenden Seiten, so zielte er dabei nicht direkt auf den Umstand ab, dass die einen (die Kapitalisten) immer reicher und die anderen (die Arbeitenden) immer ärmer werden. Zwar ist es in der Warengesellschaft wirklich Fakt, dass wenige Menschen gut leben und viele in armseligen Verhältnissen und dass es wenige gibt, die nicht arbeiten müssen. Die Tatsache, dass wenige gut und viele elend leben ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses, welches auf Anhäufung abstrakter Arbeit mittels Vernutzung lebendiger Arbeitskraft beruht.

Forderungen nach Abschaffung des Reichtums durch Umverteilung verfehlen also das Wesen der Warengesellschaft ums Ganze. Im Kontext der Globalisierungskritik wird das zur Klassentheorie banalisierte Akkumulationsgesetz nochmals banalisiert: auf der einen Seite erscheinen jetzt einige reiche Finanzorganisationen, die den Rest der Welt und grausiger Umklammerung halten und auf der anderen Seite quasi natürliche ehrlich arbeitende und wirtschaftende Gemeinwesen. "Die Umstrukturierung der Weltwirtschaft unter Führung von IWF und Weltbank nimmt Entwicklungsländern zunehmend die Möglichkeit, ihre Volkswirtschaften eigenständig aufzubauen. Stattdessen machen die internationalen Finanzorganisationen aus diesen Ländern offene Wirtschaftsgebiete und verwandeln ihre Volkswirtschaften in Reservoirs billiger Arbeitskräfte und natürlicher Ressourcen" (nochmals Chossudovsky, diesmal S. 43).

Fazit: Geld hat keine Macht und hat doch Macht. Geld ist der Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses der permanenten Vernutzung lebendiger Arbeitskraft und ihrer Ansammlung in vergegenständlichter Form. Geld ist der anfassbare Ausdruck eines unfassbaren Verhältnisses. Geld ist die dingliche Erscheinung der Unterordnung unter eine nicht fassbare Macht. Damit erscheint es notwendig so, als ob das Geld Macht hätte. Bleibt aber Gesellschaftskritik dabei stehen zu sagen, dass Geld tatsächlich Macht hätte, bleibt sie selbst der verkehrten Erscheinung verhaftet. Sie kann damit die Verhältnisse nicht durchdringen, sondern bildet sie nur noch ab. Eine Linke bleibt somit dem was sie ablehnt, blind verhaftet, woraus die falsche Praxis einer Ablehnung des Reichtums erwächst. Der Hass auf alles was reich ist und im Luxus schwelgt ist untrennbar damit verbunden. Sie verfällt insbesondere dem Irrglauben, "die Reichen" würden tatsächlich die Gesellschaft gestalten, wo sie doch allenfalls "Exekutoren des Wertgesetzes" (Meretz: Linux und Co) sind. Daran knüpft sich eine weitere ideologische Verirrung der Linken: man könnte den Reichen eine Gegenmacht entgegenstellen, um sie davon abzuhalten, ihre Macht spielen zu lassen (Reform) oder schlimmer noch: sie verfällt selbst der Illusion, diese Macht "friedlich oder militant" an sich zu reißen (Revolution) - womit sie jedoch - falls ihr das gelingt, selbst zum Exekutoren des Wertgesetzes wird.

5) Geld oder Leben!?

Aus der beschriebenen oberflächlichen Kritik des Geldes erwachsen spezifische Gefahren, in welche große Teile der Globalisierungskritik auch prompt hineinschlittern. Sie kritisieren einseitig das Geld und seine Erscheinungen, namentlich die Spekulation, also das Wachsen des Geldes aus sich heraus, ohne dass wirklich noch nennenswerte materielle Produktion vonstatten geht. Es liegt aber im Wesen der Dynamik kapitalistischer Entwicklung, dass sie sich den realen Produktionsprozess untertan macht. Solange es Geld gibt, ist Ziel der Produktion die Verwertung. Reale Produktion geschieht in der Marktwirtschaft stets mit dem Ziel aus Geld mehr Geld zu machen. Wenn heute vielfach nur noch spekuliert wird, ohne wirklich real zu produzieren, so ist das ein Ergebnis, welches in "normaler" kapitalistischer Produktion bereits angelegt ist. Reale Produktion ist heute tatsächlich nur noch Anhängsel. Unternehmen gewinnen in erster Linie nicht durch wirkliche Ansaugung menschlicher Arbeitskraft, sondern durch eine erstklassige "Unternehmensphilosophie". Sie haben also eine schicke Idee, welche sie auf der Börse gut dastehen lässt, weshalb dann ihre Aktien steigen. Zu dieser "Philosophie" gehört es dann auch, tatsächlich zu produzieren - aber eben nur noch, damit die eigenen Aktien auf der Börse nicht fallen. Gibt's keine Gewinne mehr an der Börse, weil diese etwa kollabiert, dann hätte sich auch reale Produktion erledigt. Völlig falsch ist es jedoch, gegen diesen Irrsinn die wirkliche materielle Produktion zu verteidigen. Denn diese brachte erst historisch und logisch die Spekulation hervor.

Eine andere Gefahr besteht in der Lobhudelei von angeblich natürlichen Gemeinschaften. Diese stellen in der Verwertungsgesellschaft jedoch nur jene wert schaffenden Kollektive dar, die ihrerseits wiederum die "Globalisierung" hervortreiben. Es handelt sich hier um einen Prozess, der stets immer wieder dasselbe Resultat aus sich hervorbringt und auf Basis seines eigenen selbstgeschaffenen Resultats weiterläuft. Nicht anders verhält es sich bei einem anderen entscheidenden Problem: der Arbeitslobhudelei. Hier wird die wirkliche, "echte" Arbeit gegen die Spekulation verteidigt. Aber diese resultiert erst aus der Arbeit - nämlich aus der betriebswirtschaftlichen Tätigkeitsvernutzung zum Zwecke der Ansammlung von Kapital. Arbeit und Kapital sind zwei Seiten einer Medaille: ohne Spekulation keine Arbeit - ohne Arbeit keine Spekulation. Bereits der Schüler oder die Schülerin, der oder die in der Schule lernt, um später mal zu arbeiten, ist streng genommen nichts als ein Spekulant oder eine Spekulantin. Es wird darauf spekuliert, dass das, was man da lernt irgendwann mal auf dem Arbeitsmarkt gefragt sein wird. Dass man sich dabei heute meist verspekuliert, ist noch kein Grund, die wirkliche Arbeit gegen das Spekulieren zu verteidigen. Bereits die Trimmung auf den künftigen Arbeitsprozess schafft das Verhältnis, welches dafür sorgt, dass man eben nicht mehr gebraucht wird.

6) Gegen Geld und Arbeit - für Luxus und Reichtum. Fragmente zur Aufhebung

Zu kritisieren sind also stets beide Seiten der Warengesellschaft: die Arbeit und das Kapital, das Volk und die Global Players, die "sinnvolle" Ware und die Spekulation, die wirkliche konkrete Produktion und die Börse. Es muss mit der Verwertung und mit der Arbeit gebrochen werden. Aus den oben dargestellten gesellschaftlichen Gesetzen der Marktwirtschaft (Wert, Geld/ Kapital, Akkumulation) ergibt sich klar die Richtung eines möglichen Ausbruchs aus diesen Verhältnissen, die sich begrifflich als eine Aufhebung der Warengesellschaft fassen lassen. Im Folgenden einige unsystematische Gedanken dazu.

Es kann es nicht um eine Abschaffung des Reichtums gehen und nicht um seine breitestmögliche Verteilung. Vielmehr ist die Art des Reichtums zu kritisieren: dass er durch Arbeit gewonnen, zum Verkauf bestimmt wird, dass er wertförmig erscheint, sich also in Geld darstellt. Das schließt eine Kritik der Ergebnisse dieser Produktion ein. Dass sie nur geschaffen werden, um Absatz zu finden, hat schließlich Auswirkungen auf sie selbst. Ob sie möglichst lange halten, möglichst sinnvoll sind, ihre Herstellung möglichst wenig Mühe kostet, dass ihre Herstellung umweltverträglich ist oder vielleicht sogar Freude bereitet, spielt in der betriebswirtschaftlichen Betrachtung keine Rolle und kann durch keine Reform in sie hineingeschmuggelt werden. Das Problem des kapitalistischen Reichtums ist also, dass er sich den Menschen über Geld vermittelt, womit der Zugang zu ihm wie seine Herstellung von menschlichen Bedürfnissen nach Genuss und Tätigkeit entkoppelt ist. Er kommt also nur zu ihnen durch Vermittlung über ein Drittes - das Geld - und somit kommt er dies nur in entfremdeter und verdinglichter Gestalt.

Entscheidend ist das Praktisch-werden dieser Kritik: die wirkliche Überwindung: dazu schreibt das BgR in Incipito 02: "Mit der Zielsetzung, eine antikapitalistische Praxis zu entwickeln muss? ein Transformationsprozess organisiert werden. Transformation heißt dabei vor allem Ausrichtung auf das Übel Kapitalismus. Theoretische Fundierung und die Anlassnahme gesellschaftlicher Ereignisse als Katalysator der Verbreitung unserer Positionen sind dafür grundlegend." Hier ist lobend der Begriff der Transformation zu erwähnen, weißt er doch darauf hin, dass man zumindest ahnt, dass die Perspektive der Überwindung jenseits von Reform und Revolution liegen muss. Die geforderte Anlassnahme lässt indes befürchten, dass es sich nicht um eine so dringend nötige Anti-Politik sondern um eine Neuauflage der einst hoch gehaltenen "symbolischen Politik" handelt. Im Klartext: "Theoretische Fundierung" einerseits und symbolische Politik anhand gesellschaftlicher Ereignisse wie Bundestagswahl oder NATO-Gipfel andererseits. Ohne Zweifel sind das mögliche Ansatzpunkte. Transformation allerdings muss wesentlich schärfer gefasst werden: als Prozess der wirklichen Überwindung und Aufhebung der Warengesellschaft. Also eine Einheit von Ideologiekritik (Angriff auf Denkweisen, die die Warengesellschaft aus sich hervorbringt: Arbeit, "Geld hat die Macht"?) und realer Überwindung andererseits.

Hier müssen künftig eindeutige Schritte erfolgen, solange wirklich noch was zu reißen ist. Denkbar wäre ein Entkoppeln der Produktion und ihre Aneignung durch in Kooperativen zusammengeschlossener Re-ProduzentInnen freier Assoziationen: also ein tatsächlicher Bruch mit der unheilvollen Triade von Arbeit, Ware und Geld. Theoretisch sind dazu bisherige Ansätze einer Kritik zu unterziehen und kritisch im Sinne einer Aufhebung von Ware, Arbeit und Geld zu sichten: also eine fundierte Beschäftigung mit der Genossenschaftsbewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, der Kooperativbewegung der 70er sowie der Hausbesetzerbewegung der 80er Jahre. Bisher werden sie nur von Altautonomen romantisiert und von Postantifas belächelt. Vor allem in der Genossenschaftsbewegung gab es aber ernsthafte Versuche einer gesellschaftlichen Selbstorganisierung. Dabei entstanden so schnöde aber äußerst wirksame Einrichtungen wie proletarische Krankenkassen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter Bismarcks Sozialpolitik für immerhin so gefährlich eingeordnet wurden, dass sie nicht zerschlagen, sondern in gesetzliche und staatliche Krankenkassen (AOK, Barmer & Co) umgeformt wurden. Die Stärke derartiger Gruppen bestand in Ansätzen einer gemeinsamen Produktion und Reproduktion des eigenen Lebens.

Solche Ansätze müssten sich vermitteln mit sinnvollen Ansätzen der Globalisierungskritik. (1.: Linke reden endlich wieder über harte ökonomische facts anstatt immer nur über Diskurse oder Kultur. 2.: z.B. bei der brasilianischen Landarbeiterbewegung wird über eine nationalstaatliche Perspektive gerade hinausgegangen. Dort organisieren Leute ihr Leben, die vom Staat per Geburt gar nicht mehr als Staatsbürger betrachtet werden, weil klar ist, dass man sie sowieso nie braucht. Daher die Konsequenz dieser Bewegung: keine Forderungen mehr an den Staat außer negative: sich nicht einzumischen - bis dahin allerdings, sich nicht in Aneignung von Land einzumischen. 3.: Man versteht sich nicht mehr als Vollstreckungsorgan irgendeiner "Idee", der man zur Wirklichkeit verhelfen will). Notwendig aufgegriffen werden müssen die Ansätze einer Kritik der Arbeit wie sie von den "Glücklichen Arbeitslosen" formuliert wird, welche Muße, Müßiggang und eine "Kreativität der Langsamkeit" sowie eine prinzipielle Leistungsverweigerung der Arbeits- und Leistungsgesellschaft entgegenstellen.

Entscheidendes Moment muss die Entwicklung eines Krisenbewusstseins sein. In der heutigen Situation muss erkannt werden, dass mit dem Abschmelzen der Wertsubstanz infolge mikroelektronischer Rationalisierungsmaßnahmen der Kapitalismus sich systematisch seine eigene Grundlage, die Arbeit zerstört. Krisenbewusstsein meint, dass klar ist, 1) dass es auf dem Boden von Markt und Staat keinen weiteren Entwicklungsschub, keinen Rückgang von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau geben wird, sondern perspektivisch nur noch Elend und Verarmung und dass es 2) die heutige und die kommende Generation sein wird, die über die Alternative zwischen Kommunismus oder Barbarei zu entscheiden hat.

Genau in diesem Zusammenhang muss über eine wirkliche Aneignung gesellschaftlicher Ressourcen nachgedacht werden. Also nicht Hass auf Reichtum, nicht Umverteilung und nicht Hype auf kapitalistischen Reichtum sondern Aneignung des marktwirtschaftlichen Reichtums und Überführung in nicht-marktvermittelte Bahnen. Wie gestalte ich Produktion und Reproduktion, wenn sie nicht mehr über Markt und Staat abgesichert und durch Geld vermittelt sind und nicht barbarisch sondern emanzipatorisch verlaufen sollen? Das ist die sich aus einer marxistisch inspirierten Geldkritik ergebende Kernfrage. Das Beispiel Argentinien sollte lehren, dass sich derartige Probleme unter Umständen schnell stellen können.

Einen prinzipiellen Bruch muss es diesbezüglich mit dem in einigen an Adorno & Co geschulten Kreisen verbreiteten "Bilderverbot" geben. Es besagt, man könnte generell nichts aussagen darüber, wie eine befreite Gesellschaft aussehen sollte. Unter Vermittlung mit kybernetischen und informations- und chaostheoretischen Ansätzen ist jedoch gerade über eine Theorie und Praxis der Aufhebung der Marktwirtschaft und der Gestaltung einer kommunistischen und kosmopolitischen Weltvergesellschaftung unter direkter menschlicher Vermittlung - also nicht gesteuert über Markt und Geld zu verhandeln. Was entsteht muss, ist was vollkommen neues, bisher nicht da gewesenes: eine "Weltgesellschaft ohne Geld" (Trenkle), die sich über Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und einen schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen vermittelt - also eine Re - Produktion, der auch Natur nicht mehr als instrumentell zu beherrschendes Substrat sondern als eine Mitproduzierende erscheint. Der Begriff "Re-Produktion" zielt dabei darauf hin ab, dass die Teilung von Produktion (Herstellung notwendiger Güter) und Reproduktion (Schaffung von Verhältnissen, in denen die Produktion dieser Güter passieren kann, insbesondere von Verhältnissen, in denen nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen jene Güter hergestellt werden können) spezifisch marktwirtschaftlicher Sphärentrennung zugrunde liegt. Insbesondere jene Teile der "Reproduktion", die den sinnlich-sexuellen Bereich und die Heranziehung der nächsten Generation betreffen, sind unter marktwirtschaftlichen Verhältnissen einerseits aus der "ernsten" Produktion und ihrer Organisation herausgelöst und abgewertet, andererseits speziell Frauen zugewiesen. "Re-Produktion" verweist auf die Notwendigkeit wie Möglichkeit einer vom Wert emanzipierten Gesellschaft, in der jene Trennung aufgehoben sein muss. In dieser gäbe es dann keine prinzipielle Unterscheidung mehr zwischen Produktion und Reproduktion. Was dabei verschwinden würde wäre erstens die geschlechtliche Zuweisung bestimmter Tätigkeiten und zweitens die Trennung bestimmter Tätigkeiten, die doch zusammengehören: Genuss und Herstellung lebensnotwendiger Güter.

Fazit: Eine Gesellschaftskritik bedeutet einerseits Kritik der auf dem Geld beruhenden Gesellschaft und Entwicklung von Überwindungsperspektiven und andererseits: Kritik der durch diese Gesellschaft hervorgebrachten Denkweisen, also Ideologiekritik. Erst in einer so konzeptionierten Einheit ist eine Transformation der Warengesellschaft möglich.

== Martin D. (incipito)==
[Nummer:04/2002]
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Datei wurde angelegt am: 05.07.2004