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Lügen und Legenden

Die Bombardierung Dresdens.


    Referat auf der Infoveranstaltung in Leipzig zu den Aktivitäten am 12. und 13. Februar 2005 in Dresden.[ 1 ]


Die vielerorts konstatierten modernen Formen der deutschen Geschichtsbewältigung in der Berliner Republik lassen sich in Dresden nur schwer nachweisen. Während die ersten Nachkriegsjahrzehnte in der BRD vor allem von kollektiver Verdrängung, Verleugnung, Verschweigen und Schuldabwehr geprägt waren, sind inzwischen gegenläufige Tendenzen - allerdings mit ähnlicher Intention - zu beobachten. Die deutsche Geschichte soll aktiv aufgearbeitet, die Schuld für die deutsche Verantwortung soll großherzig anerkannt werden, um zum einen als geläutert dazustehen und zum anderen sich als was besseres als die anderen dünken zu können, da man selbst - im Gegensatz zu den ehemaligen Alliierten - die Lehren aus der Geschichte gezogen habe. Der neue außen- wie innenpolitische Imperativ der Bundesrepublik lautet demzufolge auch nicht mehr "trotz Auschwitz", sondern "wegen Auschwitz".[ 2 ]

Es muss allerdings eingestanden werden, dass dieser moderne Geschichtsrevisionismus nicht nur im "Tal der Ahnungslosen" nicht so richtig angekommen ist, sondern den meisten Deutschen wohl noch auf lange Zeit als diplomatisch-akademische Anstrengungen unverstanden bleiben werden. Offiziell versuchen zwar sowohl die Stadt Dresden als auch zivilgesellschaftliche Organisationen (wie die IG 13. Februar[ 3 ]) weltoffen und geschichtsbewusst zu agieren. Dem eigentlichen Gedenken und dem kollektiven Gedächtnis konnten diese Versuche bislang aber nur wenig anhaben. Diese modernen Formen werden vom Dresdner Mob (und damit sind nicht nur die Nazis gemeint) entweder geduldet, umgedeutet ins eigene Weltbild eingepasst, ignoriert oder angefeindet.

So gibt es rund um die Bombardierung Dresdens nicht nur eine Unzahl von einseitigen Betrachtungsweisen, die ausreichen würden, um sie als revisionistisch zu entlarven. Zusätzlich wird nämlich im Zusammenhang mit Dresden schamlos gelogen, gefälscht und übertrieben. So herrscht also nicht nur über die Opfer des Nationalsozialismus eisernes Schweigen, um sich selbst so richtig als Opfer Hitlers und der bösen Alliierten fühlen zu können, sondern es werden die eigenen Opferzahlen in die Höhe getrieben. Dass dies - unnötigerweise[ 4 ] - so ist und mit welcher Vehemenz dies betrieben wird, gibt beredt Auskunft über den Geisteszustand der Deutschen, die nicht etwa bewusst Lügen verbreiten, um irgendwie besser dazustehen und weltpolitisch unbefangener agieren zu können. Nicht die Deutschen benutzen die Lügen für eigene Zwecke, sondern sie glauben allen Ernstes daran und ihr ganzen Tun und Lassen wird davon angetrieben. Die Wahnvorstellungen über die jüdische Weltmacht, die Unkultiviertheit des Westens, die Bestialität der "Russen" und die eigene Überlegenheit, die hinterrücks zunichte gemacht werden sollte, geistern weiterhin in den Köpfen umher.

Im folgenden soll es um die wichtigsten Lügen und Legenden gehen.

Unfair und grausam

Der Angriff auf Dresden sei besonders unfair und grausam gewesen. Erst hätten die Bomber die wehrlose Stadt in Schutt und Asche gelegt, danach die sadistischen Piloten im Tiefflug flüchtende DresdnerInnen über die Elbwiesen gejagt und mit dem Bord-Maschinengewehr einzeln erlegt. Die Bombardierungen seien reine Vergeltungsaktionen gewesen - Churchill habe das deutsche Volk ausrotten wollen, seine Soldaten hätten dann im Blutrausch dies umzusetzen versucht.

"Als der 'Blitz' [der Blitzkrieg der Deutschen] auf dem Höhepunkt war, verbrachte die Royal Air Force die meiste Zeit damit, Flugblätter über Deutschland abzuwerfen."[ 5 ]

In den Jahren 1939/1940 warfen britische Bomber ausschließlich Flugblätter über Deutschland ab - zu einem Zeitpunkt, als die deutsche Luftwaffe schon unzählige Städte in ganz Europa dem Erdboden gleichgemacht hatte. Es sollte sich jedoch - leider viel zu spät - herausstellen, dass mit Flugblättern das Dritte Reich nicht zu besiegen war. Demzufolge startete die Royal Air Force (RAF) im Sommer 1940 mit Bombenangriffen, die sich jedoch ausschließlich gegen militärische Ziele richtete. Opfer unter der Zivilbevölkerung sollten vermieden werden. Doch selbst diese Phase des Luftkrieges brachte nicht die erhoffte Wende für die Alliierten - die Wehrmacht befand sich weiter unaufhörlich auf dem Vormarsch. Erst 1941 entschieden sich die verantwortlichen britischen Politiker und Militärs, Deutschland gezielt unter Beschuss zu nehmen. Diese Entscheidung war allerdings lange Zeit umkämpft - "Bomber Harris", die Hassfigur aller DresdnerInnen schlechthin, sprach sich z.B. lange dagegen aus - und ist bis heute umstritten. Selbst ab 1943, als erstmals "blinde" Flächenbombardierungen angeordnet wurden, ging es nie darum, die Deutschen aufgrund ihrer Taten zu töten, was zweifelsohne gerechtfertigt gewesen wäre, sondern immer nur darum, den Krieg zu gewinnen. Bis zum Kriegsende entschuldigten sich die Briten per Flugblatt bei den Deutschen: "Natürlich würden wir lieber eure Fabriken, Werften und Eisenbahnen treffen. ... Doch fast alle diese Ziele liegen inmitten der Häuser derjenigen, die dort beschäftigt sind. ... Deshalb treffen wir eure Häuser - und euch -, wenn wie sie bombardieren. Wir bedauern diese Notwendigkeit."[ 6 ] Auch innenpolitisch versuchten die britischen Politiker möglichst nichts über zivile Opfer verlauten zu lassen, weil sie wussten, dass dies nicht gut ankommen würde und pazifistische Tendenzen in der britischen Bevölkerung stärken könne. Ganz anders die Deutschen: Sie feierten ihre "heroischen Siege" im Luftkrieg bis Kriegsende ungeniert in jeder Wochenschau und sind bis heute stolz auf ihre Erfolge, während sich viele Briten inzwischen für die so notwendige Bombardierung schämen und glauben, gegenüber Dresden Versöhnungsangebote machen zu müssen.[ 7 ]

Vor diesem Hintergrund ist die Frage, ob es die immer wieder behaupteten Tiefflüge über Dresden und die Hetzjagden auf sich Rettende gegeben habe, eigentlich völlig unbedeutend. Es ist jedoch interessant zu erfahren, dass es solche Tiefflüge (verdient hätten sie's ja) nicht gegeben hat und aus vielfältigen Gründen auch gar nicht hätte geben können. Dies wurde u.a. von einem Historiker nachgewiesen, der sich dem Schicksal der DresdnerInnen ansonsten sehr verbunden fühlt und gerade deswegen die Trauer um die "Zerstörung der einzigartigen Barockstadt an der Elbe" mit etwas historischer Wahrheit anreichern will.[ 8 ] Je mehr die DresdnerInnen mit der Wahrheit konfrontiert werden, um so verbissener halten sie an ihren Lügen fest. Voller Aggression wird dem so "einfühlsamen" Militärhistoriker, der den DresdnerInnen zuliebe die Zahlen der Todesopfer fast verdoppelt, entgegnet: "Was urteilt ein fremder Historiker über unsere Stadt?"[ 9 ]

Die Lügenmärchen über die Tiefflüge haben im pathologischen Gefühlshaushalt der Deutschen drei Funktionen. Erstens handelt es sich dabei um die aktuelle Form der "Dolchstoßlegende". Die legendäre Wehrmacht und die mächtigen Arier in ihrem tausendjährigem Reich waren so schnell eben nur mit hinterhältigen (sprich: jüdischen) Methoden, Brutalität und feigen Tricks nieder zu ringen. Die Alliierten können auf keinen Fall ritterlich und ehrlich gekämpft haben. Zweitens soll diese Erzählung verdrängen, wie die Deutschen selbst gekämpft haben. Alles, was sie historisch unrichtig den Alliierten in die Schuhe schieben wollen, sagt die Wahrheit über die Deutschen aus. Da sie genau wissen, was sie selbst getan haben, projizieren sie um so krampfhafter ihre Taten auf ihre Gegner. Es waren die Deutschen, die vom ersten bis zum letzten Kriegstag so in Europa wüteten, wie sie es bis heute den Alliierten unterstellen - und da reden wir noch gar nicht vom Holocaust, sondern "nur" von der Kriegsführung der ach so sauberen Wehrmacht, die schon am ersten Kriegstag, den 1. September 1939, Wielun (Polen) aus der Luft vernichtete, "ein Marktflecken, der von der Landwirtschaft lebt. ... 16.000 Einwohner zählt das Städtchen. ... Hier gibt es keinen wichtigen Eisenbahnknotenpunkt und, bis auf die kleine Zuckerfabrik am Rande der Stadt, auch keine Industrie. Das Militär ist längst abgezogen. ... Die Stadt ist unbefestigt, wehrlos, ohne Flak und ohne Bunker. ... Die ersten Bomben haben das Allerheiligen-Hospital getroffen, obwohl das Krankenhaus auf dem Dach mit einem roten Kreuz gekennzeichnet ist."[ 10 ] Und so ging es dann den ganzen Krieg über weiter. Drittens soll der ständige Verweis auf die vermeintliche Brutalität der Alliierten von der banalen Tatsache ablenken, dass am Ende des Krieges die Vernichtung und Zerstörung tatsächlich nach Deutschland zurückkehrte - und zwar nicht in Form der alliierten Bomben und Flugblätter, sondern in Form der marodierenden Wehrmacht, die Befehl hatte, nur "verbrannte Erde" zurückzulassen. Am Ende geschah den wenigen Deutschen, die kriegsmüde waren, wirklich das, was angeblich schon seit 1933 geschah: Sie wurden von der NSDAP und den anderen Instanzen des Dritten Reiches tyrannisiert. Wer nicht weiter kämpfen wollte, wurde hingerichtet; eine Stadt, die nicht zu halten war, wurde zerstört. Deutsche ergeben sich nicht und Deutschland lässt sich nicht besiegen und besetzen - lieber sterben Deutsche den Opfertod, lieber geht Deutschland unter, als sich der Schmach der Niederlage zu beugen.

Sinnlos

"Seit 50 Jahren ist bekannt, daß die sinnlose Zerstörung Dresdens eine reine Vergeltungsaktion war. Sie hatte keinerlei militärische Bedeutung."[ 11 ] Das weiß nicht nur Prof. Hans Nadler, "Dresdens Ehrenbürger und prominenter Denkmalschützer", von dem das Zitat stammt, sondern alle DresdnerInnen, auch die unter 50-jährigen. Dresden sei eine friedliche Stadt und der Krieg sowieso schon zu Ende gewesen, so glaubt man.

Es gab in Dresden unzählige militärische Ziele. Es ist müßig, all die Rüstungsbetriebe aufzuzählen, Fakt jedoch ist, dass Sachsen eines der wichtigsten Industrie- und Rüstungsgebiete des Dritten Reiches war. Hinzu kommt, dass Dresden der wichtigste Verkehrsknotenpunkt für die Ostfront war und somit von Anfang an im "Bombers Baedeker" (internes Handbuch der RAF) als lohnendes Bombenziel verzeichnet war. Aufgrund seiner Lage im Osten und der begrenzten Reichweite der alliierten Bomber konnte Dresden nicht - wie gewünscht - eher bombardiert werden. Deswegen galt ganz Sachsen den Deutschen als "Luftschutzkeller des Reiches". Hier funktionierte der nationalsozialistische Alltag (inkl. Rekrutierung für die Wehrmacht, Deportation der Juden, Parteiarbeit und NS-Propaganda, Vorbereitung auf den Endkampf usw.) bis zuletzt ziemlich ungestört. Dresden drohte neben seiner aktuellen militärischen Bedeutung zum Rückzugsraum für Partei und Wehrmacht zu werden - auch die sogenannten Vertriebenen strömten nach Dresden und glaubten sich in der Stadt sicher.

Doch selbst wenn Dresden keine Rüstungsbetriebe, keine Autobahn und keinen Bahnhof besessen hätte, selbst wenn in Dresden nicht tausende ZwangsarbeiterInnen hätten schuften müssen, selbst wenn in Dresden keine Wehrmacht stationiert gewesen wäre, wäre ein Angriff im Sinne des "moral bombing", d.h. der Zermürbung der deutschen Zivilbevölkerung als Träger des NS-Regimes, richtig und notwendig gewesen. Schließlich dauerte der Krieg bis 8. Mai 1945 - und bis dahin kämpften die Deutschen wie verrückt an allen Fronten; bis März 1945 wurde Großbritannien mit der V2 beschossen (V stand für Vergeltung; und die Deutschen nehmen es den Briten bis heute übel, dass ihnen, den Deutschen, nicht mehr einfällt, wofür eigentlich Vergeltung geübt werden musste); fieberhaft arbeiteten die Deutschen an der Atombombe; die Briten verloren schon allein im Luftkrieg die Hälfte ihrer Flugzeuge und Besatzung - sollten sie im Landkrieg, im "fairen" Mann-gegen-Mann-Kampf noch mehr Soldaten opfern, in einem Krieg, in dem zuvor die Deutschen für jeden getöteten Wehrmachtssoldaten in ganz Europa Massaker verübten und hunderte Zivilisten töteten? Aus militärstrategischen Gründen war das "moral bombing" also alternativlos, um den Krieg so schnell wie möglich beenden. Dass darüber hinaus keine Vergeltung geübt wurde, mag man bedauern - es ist aber eine historische Tatsache.

Jörg Friedrich und mit ihm die DresdnerInnen wollen aber genau das nicht einsehen. Er behauptet, dass das "moral bombing" nicht nur menschenverachtend gewesen sei, sondern auch erfolglos, weil erst die Bomben die Deutschen und Hitler auf Gedeih und Verderb zusammen geschmiedet hätten, als ob dies nicht schon viel eher, z.B. 1923, 1933 oder 1943 geschehen sei. Die Strategie des "moral bombing" war, wie schon gesagt, auch bei den Alliierten sehr umstritten und sie hatten so ihre Skrupel. Im Laufe des Krieges hatten sie aber bei Strafe des Untergangs gar keine andere Wahl. In Italien erwies sich die Bombardierung der Städte als erfolgreicher Weg, auf die Kriegsmoral der Bevölkerung Einfluss zu nehmen. In Deutschland gelang dies weniger gut. Denn die Deutschen waren zu großen Teilen so fanatisch, sich noch enger an den Führer und die Volksgemeinschaft zu klammern. Das ist aber nicht die Schuld der Alliierten - und das nicht vorausgesehen zu haben, nicht deren Fehler. Trotzdem waren die Bombardierungen sehr erfolgreich und kriegsentscheidend. Mal abgesehen davon, dass sich die meisten Bomben gezielt gegen militärische und industrielle Ziele richteten, war selbst die Zerstörung von Wohnraum, Reiterdenkmälern, Zeitungsständern, Aufmarschplätzen, Wochenschaukinos, Stammtischen, zoologischen Gärten und Vergnügungsparks sowie die Tötung der Deutschen hinreichend demoralisierend. 36% der Deutschen gaben nach dem Krieg an, durch die Bomben kriegsmüde geworden zu sein und sogar 91% waren der Meinung, dass die Bombardierungen die schlimmste Erfahrung für die Zivilbevölkerung während des Krieges darstellten.[ 12 ] In Dresden selbst war der Erfolg aber noch viel durchschlagender: Die Zerstörung ging mit dem drohenden Ende des ganzen Reiches einher. Während sich in früheren Jahren bei der Bombardierung deutscher Städte die EinwohnerInnen im Glauben an den Endsieg gern opferten und mit Enthusiasmus an den Wiederaufbau machten, war spätestens mit Dresden klar, dass der Endsieg nicht mehr in greifbarer Nähe war.[ 13 ]

Neben diesen "weichen Faktoren" bedeutete jedeR toteR DeutscheR mit hoher Wahrscheinlichkeit aber auch ganz real eine Arbeitskraft für deutsche (Rüstungs-)Industrie, einen Soldaten im Endkampf, eine Arbeitslageraufseherin weniger.

Unschuldige Opfer

Unter den Toten in Dresden habe es nur unschuldige Opfer gegeben: Frauen, Kinder, Rentner, Vertriebene, "Juden und Halbjuden" (wie Jörg Friedrich so schön zu unterscheiden weiß[ 14 ]), ZwangsarbeiterInnen und Zootiere (vor allem letztere haben es den Dresdner angetan, weshalb sie besonders oft in entsprechender Literatur auftauchen[ 15 ]). Selbst die ausländischen ZwangsarbeiterInnen hätten, so wird manchmal behauptet, die Bombardierungen verurteilt. Beispielhaft dafür steht die Rede des SPD-Abgeordneten Cornelius Weiss, der als Erwiderung auf den NPD-Abgeordneten Holger-"Bomben-Holocaust"-Apfel am 21.01.2005 im Sächsischen Landtag "als Alterspräsident im Namen aller demokratischen Fraktionen" ausführte: "Tausende unschuldige Menschen - Frauen, Männer, Kinder - darunter unzählige Flüchtlinge und verwundete Soldaten - kamen im Feuersturm auf grässliche Weise ums Leben."[ 16 ]

Dass es in Dresden "unschuldige Opfer" gab, mag auf einzelne Menschen zutreffen, ist generell aber Quatsch. Da bedarf es gar nicht des Verweises, dass in Dresden der NSDAP-Anteil reichsweit am höchsten war, wie es oft in antideutschen Publikationen betont wird. Welche Bedeutung hat das Wort "unschuldig" angesichts der Verbrechen, die die Deutschen kollektiv begangen hatten, egal, ob sie nun selbst im KZ mit Hand angelegt oder sich "nur" als Wehrmachtsoldaten an Geiselerschießungen bzw. als Hausfrauen an der Aneignung arisierten Eigentums der deportierten jüdischen Nachbarn beteiligt hatten? Die wenigen unschuldigen Opfer, die es tatsächlich gab, begrüßten die Angriffe, egal ob sie dadurch starben oder befreit wurden. Zweiteres war in Dresden der Fall, wo der letzte Transport von 175 Juden ins KZ nach Theresienstadt durch den Angriff auf die Stadt verhindert wurde und die Betroffenen fliehen konnten.

Gigantische Opferzahlen

Das Spiel mit den Zahlen ist inzwischen ein wenig aus der Mode geraten, weil es zu leicht zu durchschauen ist. Lieber spricht man heute von unzähligen, zehntausenden Toten. Bis vor kurzem war das Verzehnfachen der Opferzahlen das beliebteste Hobby der Dresden-RevisionistInnen in Ost und West. Bürgerliche Medien und AutorInnen nannten dabei 200.000 Tote in Dresden, Nazis boten auch schon mal 500.000 Tote auf.

Die nationalsozialistischen Behörden zählten nach der Bombardierung in Dresden 18.000 Tote und schätzten, dass es 25.000 Tote gegeben haben könnte. Diese Zahl, ca. 25.000 Tote, gilt heute als seriös und wurde auch durch nachträgliche Forschungen bestätigt. Das Propagandaministerium im Dritten Reich verwendete für die in- und ausländische Presse natürlich andere Zahlen, um die Brutalität der "alliierten Luftgangster" anzuprangern. Für Dresden lancierte Goebbels die Zahl von 200.000 Toten, die teilweise auch von ausländischen Zeitungen publiziert wurde. Dabei machten sich die Nazis die Mühe, eigene Dokumente nachträglich zu fälschen, um die eigenen Lügen glaubwürdig aussehen zu lassen.

Diese Fälschungen nahm David Irving, ein bekannter Holocaustleugner, zum Ausgangspunkt seiner eigenen "Recherchen". In seinem Buch "Der Untergang Dresdens" aus dem Jahre 1963 versucht er mit einer ausgeklügelten Beweiskette zu belegen, dass es in Dresden 135.000 Tote gegeben habe.[ 17 ] Die meisten falschen Zahlen, die seitdem in der BRD und in der DDR veröffentlicht wurden, gehen auf David Irving zurück, auf den auch Jörg Friedrich in seinem Buch "Der Brand" ausgiebig Bezug nimmt. Dabei halten es alle Irving-Nachfolger für irrelevant, dass Irving seine Zahlen inzwischen offiziell dementiert hat (er gab zu, dass er einer Fälschung auf den Leim gegangen ist), dass sein Buch inzwischen nur noch als Roman (und nicht als Sachbuch) vertrieben wird und dass Irving ein verurteilter Holocaustleugner ist. Einfacher haben es da die Nazis, die sich gar nicht erst den Anschein seriöser Geschichtswissenschaft geben müssen und nach Lust und Laune die Zahlen manipulieren können.

Es sei ausdrücklich betont, dass es mir völlig egal ist, wie viele Tote es in Dresden gegeben hat. Interessant ist hier wiederum nur, mit welcher Verbissenheit die DresdnerInnen an den hohen Zahlen festhalten, damit die eigenen Opfer im Vergleich zu den Opfern auf der Seite der GegnerInnen nicht so bescheiden aussehen. Als David Irving 1990 im Dresdner Kulturpalast vor hunderten ZuhörerInnen auftrat, wurde er nicht nur von diesen, sondern auch von der Dresdner Presse frenetisch gefeiert: "Ein Engländer kämpft für die Ehre Deutschlands ... dieses ehrliche Buch, das so rückhaltlos mit dem Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung abrechnet ... mit Sicherheit mindestens 100.000 Menschen ... Der englische Premier war ein Verbrecher wie Hitler und Stalin."[ 18 ]

Besonders schlimm

Die Bombardierung sei reichsweit schlimm, menschenverachtend und gegen die Regeln der Kriegshandwerks gewesen, der Angriff auf Dresden aber besonders umfangreich, grausam und verheerend gewesen. Die Zerstörung der Stadt sei "eine Kulturschande sondergleichen" (Jörg Friedrich) gewesen, da Dresden "Architektur-Juwel" und "Barock-Stadt" in einem war. Aber selbst wenn ein Bericht über Dresden mal ohne den Verweis auf die angeblich hohen Kulturverluste auskommen sollte, wird suggeriert, dass es keine Stadt so schlimm getroffen habe wie Dresden. Das ZDF z.B., welches 2004 den Film "Dresden - Der Brand" in Auftrag gegeben hat, verkündet, der 13. Februar sei "die größte, dramatischste Bombardierung dieses Krieges" gewesen.[ 19 ] Der Dresdner Oberbürgermeister ist der Meinung, dass "nur wenige Städte ... ein solches Trauma in ihrem Stadt-Gedächtnis"[ 20 ] tragen würden.

Dabei erlitt Dresden kein besonderes Schicksal. Auf Leipzig wurden mehr Bomben abgeworfen - und selbst Leipzig war eine Stadt, die eher von den Alliierten verschont wurde. In anderen deutschen Städten starben sowohl in absoluten Zahlen als auch prozentual viel mehr Menschen durch die Bombardierungen, wurden viel größere Flächen der Stadt zerstört. Das beweist jeder Stadtbummel durch Dresden: Vom Barock steht in Dresden noch ziemlich viel, einziger "Schandfleck" ist die neu errichtete Prager Straße. Dahingegen gibt es andere Städte (vor allem im Westen, aber auch Chemnitz und Cottbus), denen man aufgrund der funktionalen Nachkriegsarchitektur wenigstens ansieht, dass sie im Krieg erheblich getroffen wurden (oder in den 60er und 70er-Jahren fortschrittsbesessene StadtplanerInnen ihr eigen nannten).

Dass die DresdnerInnen aber gerade ihre Stadt für eine Perle halten, die nun unwiederbringlich verloren gegangen sei, geht - ebenso wie die gefälschten Opferzahlen - auf die Nazi-Zeit zurück. Der Gauleiter von Dresden interessierte sich direkt nach der Bombardierung nicht für die toten Deutschen, beklagte aber die Zerstörung der Kunstschätze, denn: "Die kann man nicht ersetzen."[ 21 ] Dass die Amis und Briten mit ihren Bomben vor allem Kunstschätze zerstören (und die Russen sie anschließend plündern) würden, passte hervorragend zum Ressentiment von der Kulturlosigkeit der westlichen Zivilisation und der "slawischen Untermenschen", gegen die man ja präventiv in den Krieg hatte ziehen müssen. Dieses Wahngebilde hält sich in Dresden und anderswo bis heute, wie wir weiter unten noch sehen werden.

Es soll an dieser Stelle noch zugegeben werden, dass Dresden tatsächlich eine herausragende Kulturstadt gewesen ist. Allerdings nur in einer Hinsicht: Es war die erste Stadt, in der die Deutschen erkannten, was undeutsche Literatur sei und in der diese dann verbrannt wurde. Dass später, während der Bombardierung, noch ein paar Nazischinken oder zumindest als deutsch klassifizierte Bücher brennen mussten, sollte eigentlich zur allgemeinen Freude beitragen.

Antikommunistisch

Der Angriff auf Dresden habe eigentlich gar nicht den Deutschen gegolten, sondern den Russen. Wieder einmal seien also die armen Deutschen zwischen die Räder der Großmächte geraten. Die westlichen Alliierten hätten Dresden nämlich nur deswegen zerstört, weil schon klar war, dass Dresden Teil der sowjetischen Besatzungszone werden würde. Die Westmächte hätten zum einen der SU keine intakte Infrastruktur überlassen wollen, zum anderen sei die Bombardierung eine Warnung an die Kommunisten gewesen: Treibt es nicht zu arg, sonst bombardieren wir Euch ebenso! Und ganz allgemein sei die Bombardierung nur Ausdruck kapitalistisch-imperialistischer Kriegstreiberei. So erklärte der DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl zum 10. Jahrestag der Bombardierung: "Dieses unsinnige Verbrechen diente ebenso wie die Zerstörung von Brücken, Talsperren und anderen lebenswichtigen Einrichtungen durch die SS dem Zweck, eine Trümmerzone zu schaffen, die den siegreichen Sowjetarmeen das weitere Vordringen unmöglich machen sollte."[ 22 ]

Es handelt sich hierbei um eine klassische Kalte-Kriegs-Legende, die in der DDR von ParteifunktionärInnen ab 1949 entwickelt und von den Deutschen in der SBZ begierig aufgegriffen wurde. Harmonierte sie doch prächtig mit den eigenen Wahnvorstellungen und Verschwörungstheorien über die westliche Zivilisation, passte zum sozialistischen Zeitgeist und entlastete von der eigenen Vergangenheit. In der DDR-Berichterstattung über Dresden wurden zum Teil direkt die Goebbelschen Begriffe und antisemitischen Erklärungsversuche der nazistischen Propaganda übernommen.[ 23 ]

Die Legende von der antisowjetischen Intention der Bombardierung Dresdens wurde auch von der Linken im Westen weiter verbreitet und ist inzwischen, trotz Untergang der DDR, zum deutschen Allgemeingut geworden. Auch sie blamiert sich an der Wirklichkeit. Aufgrund der beschränkten Reichweite der Bomber und der Gefährlichkeit bei langen Überflügen wurden vornehmlich Ziele in Westdeutschland angeflogen. Erst am Ende des Krieges gab es vereinzelte Bombardierungen von Oststädten. Die sowjetische Seite drängte während des ganzen Krieges auf ein viel ernsthafteres Engagement seitens der westlichen Alliierten. Immerhin stand der Krieg an der Ostfront lange Zeit auf der Kippe. Es ist somit nicht verwunderlich, dass es vor allem Stalin war, der auf die Bombardierung Deutschlands drängte, Bedenken bezüglich der Zivilbevölkerung aus dem Weg räumte und die Einbeziehung von Ostdeutschland als Angriffsziel vehement einforderte. Churchill telegraphierte regelmäßig an Stalin und berichtete von den Erfolgen im Bombenkrieg. Eine Nachricht lautete z.B. "Teilen Sie mir bitte rechtzeitig mit, wann wir aufhören sollen, Berlin zu zerstören, damit genügend Unterkünfte für die sowjetische Armee stehen bleiben." Die Antwort von Stalin war eindeutig: Churchill solle ohne Unterlass mit der Bombardierung fortfahren, weil ein Vormarsch der Roten Armee auf Berlin noch in weiter Ferne sei. Gleiches galt auch für Dresden. Die sowjetische Seite war vorab von der Bombardierung der Stadt informiert und begrüßte sie ausdrücklich. In den Jahren 1946 und 1947 ordnete die sowjetische Militärkommandantur an, dass der 13. Februar in Dresden nicht als Trauertag zu begehen sei - schließlich hatte die Bombardierung vor allen sowjetischen Soldaten das Leben gerettet.[ 24 ]

Die dunkle Seite des Krieges

Zu den modernen, "aufgeklärten" Formen des Dresden-Gedenkens gehört es, eigene Kriegsschuld einzugestehen, im gleichen Atemzug aber darauf hinzuweisen, dass die anderen auch Dreck am Stecken hätten. Das hinge damit zusammen, dass im Krieg jeder zum Tier wird (und dann nicht nur die Zootiere aller Länder gleichermaßen darunter leiden müssten). Nazis und Alliierte - das sei zu Kriegsende gar nicht mehr zu Unterscheiden gewesen. Oder: Die Deutschen hätten zwar angefangen, die Alliierten aber mit viel größerer Wucht zurückgeschlagen (was moralisch verwerflicher ist, darüber lässt sich dann trefflich streiten). "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", ist ein Satz, den man oft, auch bei Linken, im Zusammenhang mit Dresden liest. Die ihn sagen, glauben eine Art Schuldgeständnis abzulegen; in Wirklichkeit handelt es sich aber um eine revisionistische Frechheit (Rudolf Augstein, der Chefredakteur des Spiegels, vertrat schon 1985 öffentlich die Meinung, Churchill hätte nach den Maßstäben des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals hängen müssen.[ 25 ]) Deshalb, so die Dresdner Gesinnungs-PazifistInnen weiter, wäre Dresden ein Mahnmal gegen die Brutalität des Krieges, welches uns heute alle zur Versöhnung aufriefe. Wir Deutschen sind uns dieser Mahnung bewusst und sorgen seitdem weltweit für Frieden, sei es durch die Befreiung der Albaner aus den Serben-KZs oder durch unsere Spendenflut nach der großen Welle, welche unser Sextouristen-Paradies überschwemmt hat. Andere Völker hingegen, vor allem die Amis und die Juden in Israel, missachten aufs schändlichste den kategorischen Imperativ der Frauenkirche und führen brutale Kriege gegen die armen Irakis und Palästinenser - in diesem Kontext ist das offizielle Gedenkplakat[ 26 ] der Stadt Dresden für dieses Jahr zu verstehen, die antiamerikanischen Friedensbekundungen und die Auftritte israelischer FriedensaktivistInnen auf den Gedenkveranstaltungen der letzten Jahre in Dresden.[ 27 ]

Wie schon oben ausführlich belegt, kam es auf alliierter Seite nie zur massiven und bewussten Verletzung von internationalen Konventionen, nie wurde (von verständlichen, gerechtfertigten und überraschend wenigen Einzelaktionen abgesehen) Vergeltung und Rache geübt, immer ging es lediglich darum, die Angriffe der Deutschen abzuwehren und den Krieg zu gewinnen. Das einzige, was man heute den Alliierten vorwerfen kann, ist, dass sie viel zu lange ihre Appeasment-Politik betrieben und zu spät den Ernst der Lage erkannt haben, zu zögerlich schließlich in den Krieg gezogen sind, nach dem Krieg viel zu viel Nachsicht mit den Deutschen geübt und inzwischen fast alles vergessen zu haben scheinen.

Tabuthema

Um die Heftigkeit der momentanen deutschen Erinnerungsoffensive zu erklären und um sich um so mehr als Opfer der Geschichte und dunkler Mächte fühlen zu können, wird allerorten behauptet, der Bombenkrieg sei bis vor kurzem ein absolutes Tabu gewesen. Niemand habe sich getraut, darüber zu reden, zu schreiben, zu trauern und den Toten zu Gedenken. Endlich würden zaghafte und überfällige Versuche der Traumabewältigung unternommen.

Wer genau hinsieht, erkennt allerdings, dass die Deutschen seit 1945 nichts anderes tun, als ausschließlich ihren eigenen TäterInnen und Opfern zu gedenken, ihre Wunden zu lecken und die wahren Opfer zu verhöhnen oder einfach nur zu vergessen. Dies geschah nicht nur im privaten Bereich, auch wenn die offensichtlichsten Beweise für diese Behauptung gerade dort zu finden sind, weshalb die modernen GedenkrevisionistInnen im Gegensatz zu den Nazis lediglich die vermeintliche öffentliche Tabuisierung beklagen. Aber gerade Dresden ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Erinnerung an den Bombenkrieg und die Trauer um deutsche Opfer schon immer einen großen Stellenwert auch im öffentlichen Diskurs einnahm. Vom Kriegsende bis heute reißt die Flut der Romane und Sachbücher zum Thema nicht ab[ 28 ] - und es handelt sich dabei nicht nur im Landser-Hefte und Schundliteratur aus rechten Verlagen. Gerade auch die als links geltenden Nachkriegs-SchriftstellerInnen der Gruppe 47 widmeten sich in ihren Texten fast ausschließlich den deutschen Opfern. Es wurden unzählige Gedenkstätten für die Bombenopfer errichtet. Lokale und landesweite Gedenktage durchgeführt. Fernsehdokumentationen und Spielfilme gedreht, Musicals aufgeführt (in denen z.B. das Leid der deutschen Bombenopfer dem scheinbare unbesorgten Leben der feigen Juden im Exil gegenübergestellt wurde[ 29 ]). Ein Besuch im neuen Leipziger Museum der bildenden Künste beweist, dass auch in der Malerei die Bomben auf Deutsche mehr Spuren als die Konzentrationslager oder der deutsche Angriffskrieg hinterlassen haben. Dresden stand im Osten und Westen im Mittelpunkt dieser Gedenkkultur, weil schon während des Krieges die Deutschen den Mythos von Dresden entwickelt haben und er in den Nachkriegsjahren ausgiebig gepflegt wurde: im Osten ganz offiziell per Staatsdekret und durch die Partei, im Westen eher untergründig im Volk und seiner "Zivilgesellschaft", an den rechten und linken Rändern und in seiner tiefen Mitte, durch die kulturelle Avantgarde und in den reaktionären Medien. Dieses Gedenken wurde schon immer auch von prominenter Seite forciert. So schrieben sowohl der Dresdner Nachkriegs-Bürgermeister als auch der sächsische Nachkriegs-Ministerpräsident jeweils ein Buch über die Bombardierung, welche, gerade weil sie antiwestliche Machwerke waren, Bestseller wurden.[ 30 ]

Trotz alledem gibt es eine neue Entwicklung seit 1989. Das bißchen Tabu, was es (im Westen, im offiziell-öffentlichen Gedenken) gab, wurde inzwischen gebrochen; die bißchen Zurückhaltung, die man noch geübt hatte, aufgegeben. Deutscher Opfer kommen jetzt endlich auch ausgiebig in den Werken von Staatsschriftstellern mit Nobelpreis vor; vom "Bombenholocaust" redet nicht nur die NPD sondern sinngemäß auch ehemals linke NS-Experten, die die Enzyklopädie des Holocaust mitverfasst haben (Jörg Friedrich); inzwischen kann den Bombenopfern gedacht werden, ohne die Ursachen oder die Opfer der Deutschen auch nur zu erwähnen[ 31 ] - was bislang mit Rücksicht aufs Ausland zumindest in weiten Teilen der Öffentlichkeit noch so war.

Linke Zyniker

Linke und rechter ExtremistInnen würden das unpolitische, friedliche Gedenken instrumentalisieren und stören. Von den Rechten müsse man sich pro forma abgrenzen, inhaltliche Unterschiede können kaum benannt werden. Wobei selbst die Abgrenzung in Dresden meist unterbleibt. Die Linken hingegen seien zynisch und menschenverachtend: Sie würden die Opferzahlen runterrechnen, das Gedenken stören, die Trauer verbieten wollen. Die reizen das Volk bis aufs Blut, indem sie Denkmäler für den "Kriegsverbrecher" Bomber Harris errichten wollen oder "Do it again" rufen. Deshalb seien alle alternativen Gedenkveranstaltungen, auch mit Opfern des Nationalsozialismus, kompromisslos zu verbieten - von den Störaktionen ganz zu schweigen. So schrieb 2003 der Spiegel z.B. "Deutsche Linksextremisten wiederum versuchen, nicht minder hirnrissig, ihre rechtsradikalen Antipoden an den Jahrestagen der Schreckensnächte mit Freudenfesten zu provozieren, und preisen die Kinder- und Frauenverbrennungen von Hamburg und Dresden forsch als politisches 'Erziehungsmittel'."[ 32 ]

Die GegnerInnen des Dresdner Spektakels, ob nun links oder nicht, sind entgegen diesem "Schreckensszenario" eher in der Defensive. Sie machen genau das, was ich auch in diesem Text tue: Anstatt gegen den deutschen Mob anzupöbeln, was angemessen wäre, bemüht man sich sachlich um Richtigstellungen, obwohl man weiß, dass das niemanden interessiert. Dafür ein paar Beispiele:

Martin Blumentritt, neben Gunnar Schubert der Dresden-Experte schlechthin, rechtfertigt sich recht kleinlaut für die Bombardierung Dresdens: Es sei Krieg und auch die Einsätze der britischen Piloten kein Zuckerschlecken gewesen. Vielmehr war es gefährlich, die Piloten haben gefroren, die Flugzeuge waren laut, eng und unbequem.[ 33 ] Das mag stimmen, aber: als ob der lebensgefährliche Einsatz einer solchen Rechtfertigung bedürfte. Ich hätte den RAF-Piloten auch leise, große und bequeme Flugzeuge gegönnt - vielleicht hätten sie dann erfolgreicher bombardieren können.

Eine Antifa-Seite im Internet, die sich mit Auschwitz-Leugnern auseinandersetzt, beteuert eilfertig: "Es geht nicht darum, die Angriffe der Alliierten zu bagatellisieren"[ 34 ] - man will also in die Wehklage über die "alliierten Terroristen" mit einstimmen?

Die Vorläufer-Organisation der Antideutsche Gruppe Leipzig, "Don't Cry Am Achten Mai" schrieb 1995, dass der Staatsakt mit Roman Herzog Ziel einer Störaktion geworden sei, da man nicht die "persönliche Trauer Einzelner" stören wolle.[ 35 ] Sie unterstellten damit, das dies in Dresden bei den anderen Trauerfeierlichkeiten der Fall sei, was ich bezweifeln würde.

Ralph Giordano, ein sich als linksliberal verstehender Intellektueller, der die Bomben selbst erlebt hat und als Zwangsarbeiter in Hamburg durch sie befreit wurde, behauptet gegen Jörg Friedrich und gegen die unsägliche Debatte um sein Buch "Der Brand", der deutsche Bombenkrieg sei genauso grausam gewesen wie der alliierte. Die Deutschen hätten angefangen - die Alliierten dann um so härter zurückgeschlagen. Jörg Friedrich sei - ganz persönlich betrachtet - sein Freund und über jeden Verdacht erhaben. Trotzdem würde er sich wünschen, dass die Deutschen endlich über Bombenopfern und Vertriebene trauern könnte, ohne gleich die nationalsozialistischen "Aggressoren aus ihrer Verantwortung zu lassen."[ 36 ]

Die Dresdner Bildungs- und Gedenkstätte für jüdische Geschichte, Hativka, gibt alljährlich das Feigenblatt für den Gedenkreigen. Die Vereinsmitglieder wollen das Gedenken erweitern, in dem sie auch die Gründe der Angriffe nennen und Zwangsarbeiter zu Wort kommen lassen. Sie erkennen zwar, dass sie die einzigen sind, die sich auch für jüdische Opfer interessieren, aber sie wollen trotzdem beim großen offiziellen Trauertag nicht abseits stehen, damit es nicht zu einseitig gerät. Sie erkennen, dass einerseits den Nazis im Gegensatz zu den eigenen Aktivitäten keine Steine in den Weg gelegt werden, nehmen andererseits trotzdem die Stadt und die Bevölkerung in Schutz, da diese mit den Nazis nichts zu tun hätten.[ 37 ]

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die leider wenigen Linken, die sich überhaupt gegen die Gedenkkultur in Dresden wenden, wollen keine private Trauer verbieten (wie auch?), sie wollen weder die Opfer verhöhnen noch die Zahlen minimieren. Aber sie wenden sich gegen die eben genannten Kollektivmythen, wissen Täter und Opfer zu unterscheiden und wollen der historischen Wahrheit zum Durchbruch verhelfen. Das ist allerdings ein aussichtsloses Unterfangen, was man erkennt, wenn man sich ansieht, ...

Wie tief die Mythen verankert sind

"Luftkriegslegenden lassen sich überall und zu allen Zeiten nachweisen. Ihre Aufrechterhaltung scheint in Dresden inzwischen so etwas wie eine Glaubenssache geworden zu sein. Hiergegen hat die Geschichtswissenschaft offenbar kaum eine Chance, versachlichend wirken zu können und verständnisvoll wahrgenommen zu werden."[ 38 ] Das schreibt der oben schon erwähnte Militärhistoriker, der die Tieffluglüge widerlegt hat, um das Gedenken durch historische Wahrheit (die er selbst nicht so ernst nimmt) zu retten - und dafür in Dresden nur Hass erntet.

Wie tief der Mythos verankert ist, möchte ich exemplarisch an einem prominenten Beispiel und an zwei weniger prominenten aus der Linken aufzeigen - davon ausgehend, dass die Linke als erklärter Feind von Nationalismus und Faschismus die größten Berührungsprobleme zu den Dresden-Legenden haben sollte.

Ulrike Meinhof, ehemaliges Mitglied einer anderen RAF, schrieb in der Konkret 1965: "Dresden ging in Schutt und Asche, 2 Jahre nachdem der Ausgang des 2. Weltkrieges in Stalingrad entschieden war." Sie setzt im weiteren Dresden mit Auschwitz gleich, schlußfolgert daraus, dass die Nazis wie die Alliierten gekämpft haben und es somit keinen gerechten Krieg gäbe. Sie bezieht sich positiv auf David Irving, verdoppelt allerdings ohne Angabe von Gründen mal kurzerhand seine Opferzahlen.[ 39 ]

Nun zu den weniger prominenten, dafür aber Leipziger Beispielen. Im Zuge der Aktionen zum 13.2.1995 gab es im Vorgänger-Magazin des Incipito, dem Klarofix, eine umfangreiche Debatte. Dabei unterstellten selbst die Antideutschen in ihrem Aufruf den westlichen Alliierten eine "dubiose Motivation" in ihrer Kriegsführung: während die Sowjetunion die Hauptlast getragen habe, konnten sich die Westmächte angeblich nie so recht entscheiden, ob sie mit den Nazis gegen die SU, oder mit der SU gegen die Nazis kämpfen sollten.[ 40 ] Selbst das war einzelnen Klarofix-RedakteurInnen, AutorInnen und LeserInnen aber schon zu antideutsch, obwohl es sich dabei lediglich um eine ziemlich deutsche Sichtweise handelte. So schrieben sie dann in ihren zahlreichen Entgegnungen, u.a. unter dem Titel "Eine Träne für Dresden", dass der 2. Weltkrieg lediglich ein imperialistischer Krieg gewesen sei, die Alliierten um die "Vorherrschaft in Europa und der Welt" gekämpft hätten und sich in den Bombardierungen die "menschenverachtende Fratze des Imperialismus" gezeigt habe. Nationalismus sei die Erfindung der Herrschenden gewesen, um den Klassenkampf zu unterdrücken, das sei in Deutschland das gleiche wie in Israel. Um die Dresdner Opfer müsse man trauern, denn sie seien nicht als Faschisten gestorben, sondern als arme Menschen, zwischen die die Herrschenden einen Keil getrieben hätten. Die Brutalität der Alliierten nehme kein Ende. Genannt werden Vietnam, Korea und Irak, wo die USA das Verbrechen der "Zerstörung islamischer Heiligtümer im ganzen Land" begangen habe - da ist sie wieder, die Kulturlosigkeit. Die Deutschen hingegen seien gar nicht so schlecht, wie immer behauptet würde, sie hätten immerhin die Bauernkriege hervorgebracht, SpanienkämpferInnen gestellt sowie Marx und Engels gezeugt.[ 41 ]

Nun mag es so aussehen, als ob ich mich in arroganter Weise darüber erheben könnte. Dem ist aber nicht so, denn ich selbst bin das zweite Beispiel. Diese anti-antideutschen Klarofix-Artikel sind zwar zum Glück nicht von mir - 1995 hatte ich Besseres zu tun. So nahm ich z.B. an den antideutschen Störaktionen in Dresden teil. Ich war trotzdem nicht davor gefeit, sechs Jahre später im CEE IEH der Legende vom sinnlosen Bombenterror in Dresden gegen die ruhmreiche Sowjetarmee zu neuen Ehren zu verhelfen.[ 42 ] Mein Artikel richtete sich gegen ein Interview mit Leipziger Antideutschen, welches 1995 ebenfalls im CEE IEH erschienen war.[ 43 ] In dem Interview mussten sich die Antideutschen schon damals von der Redaktion fragen lassen, ob ihre Kritik nicht zynisch und ihre Aktionen nicht reine Selbstbefriedigung seien. Mein vermeintlich so aufgeklärt daherkommendes Wissen gegen die Antideutschen bezog ich übrigens nicht (bewusst) aus der DDR-Indoktrination, vielmehr zitierte ich ausgiebig einen kandadischen Kommunisten, der seine antiamerikanischen Verschwörungstheorien über einen westdeutschen linken Verlag verbreiten durfte.

Warum Dresden

Abschließend möchte ich die Frage beantworten, warum gerade Dresden heute als Symbol für die Bombardierung Deutschlands steht - und nicht irgendeine andere Stadt, die dafür (aufgrund des Grads der Zerstörung, der Häufigkeit der Angriffe oder der Zivilisiertheit der Bevölkerung - weniger Nazis, weniger Lügen und Legenden) besser geeignet wäre.

Sicher hatte auch der historische Zufall seine Hände mit im Spiel. Entscheidender aber war, dass Dresden, wie schon oben beschrieben, als der "Luftschutzkeller des Reiches" galt, der bis kurz vor Kriegsende verschont geblieben war. In Dresden fühlten sich alle sicher, Sicherungsmaßnahmen wurden als unnötig erachtet. Als es dann kurz vor Kriegsende zu dem Angriff kam, konnten sich die DresdnerInnen nicht mehr damit trösten, dass Deutschland trotzdem bald siegen werde - und zwar mit der schon lange angekündigten Wunderwaffe -, zu deutlich war die bevorstehende Niederlage abzusehen. Wie auch in anderen Städten setzte mit den Bombardierungen sofort die Nazipropaganda über die "alliierten Luftgangster" ein, von denen die Bevölkerung wusste, dass sie von den Juden gesteuert wurden.

Einen entscheidenden Schub erhielt der Dresden-Mythos dann allerdings nach der Staatsgründung der DDR, als sich die SED entschloss, den Angriff auf Dresden für die Hetze gegen den westlichen Imperialismus, die NATO, die Wiederbewaffnung der BRD und die Stationierung von Atomwaffen zu instrumentalisieren. Dresden war die zentrale Stadt des Gedenkens an die deutschen Opfer "konspirativer imperialistischer Gruppen" zu DDR-Zeiten. Bis zu eine Viertel Million Menschen beteiligten sich seit 1949 alljährlich an den dutzenden von Gedenkveranstaltungen zum 13. Februar in Dresden.

Dass dieses DDR-Relikt so nahtlos in die BRD-Gesellschaft integriert werden konnte, hat wiederum zwei Ursachen. Erstens wurde der Dresden-Mythos auch im westlichen Teil gepflegt und zweitens hatten ab 1982 dissidente, friedensbewegte und kirchliche Kräfte in der DDR das langsam entschlummerte Gedenken an den "Bombenterror" übernommen. Im Gegensatz zu Rosa-Luxemburg-Demonstrationen oder Umweltgruppen wurde diese Form der Dissidenz in der DDR kaum behelligt, so daß sich lange vor der Wende tausende DresdnerInnen an den "oppositionellen" Demonstrationen beteiligten. Diese quasi zivilgesellschaftliche Komponente, die bis heute auch organisatorisch fortwirkt (IG 13. Februar), bot dem bundesdeutschen Gedenken eine über jeden Verdacht erhabene Anschlussstelle, wie es sie besser nicht hätte geben können.


[ 1 ] Bei dem folgenden Text handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung des Referats auf der Veranstaltung am 3.2.2005 in Leipzig. Es gab zwei weitere Referate: Moderne Formen der Geschichtspolitik in Deutschland, Bedeutung und Entwicklung der Naziaufmärsche am 13. Februar in Dresden
[ 2 ] Ausführlich in Phase 2, Nr. 9/2003, Schwerpunkt: German Gedächtnis - Die Europäisierung der deutschen Geschichte (http://www.phase-zwei.org)
[ 3 ] http://dresden-1945.de/
[ 4 ] Unnötigerweise, weil es völlig unerheblich für den eigenen Opferstatus ist, ob nun 25.000 oder 135.000 DresdnerInnen bei den Bombardierungen umgekommen sind. Vor allem aber, weil zu offensichtliche Fälschungen das eigene Trauern viel leichter diskreditieren könnten. Während das rot-grüne Politikpersonal das inzwischen erkannt hat, sind historische Feinheiten dem irrationalen Mob in Dresden völlig gleichgültig. Je höher die Zahlen, desto besser - auch wenn man selbst nicht bis drei zählen kann.
[ 5 ] Lothar Kettenacker (Hrsg.): Ein Volk von Opfern? Die neue Debatte um den Bombenkrieg 1940-45, Rowohlt (Berlin), 2003, S. 59
[ 6 ] Ebd., S. 41
[ 7 ] In diesem Kontext steht z.B. die Überreichung eines Nagel-Kreuzes der Kirchengemeinde von Coventry an die Dresdner Frauenkirche.
[ 8 ] Helmut Schnatz: Luftkriegslegenden in Dresden, 2003, http://www.bombenkrieg.historicum.net/themen/dresden.html
[ 9 ] Gunnar Schubert: The great Dresden swindle, in: CEE IEH 96/2003 (http://www.conne-island.de/nf/96/15.html)
[ 10 ] Ein Volk von Opfern?, S. 15 ff.
[ 11 ] Gunnar Schubert: Sein Brand, in: CEE IEH 104/2003 (http://www.conne-island.de/nf/104/22.html)
[ 12 ] Martin Blumentritt: Keine Träne für Dresden - Über die Dresdenmythen. Referat im Jour Fixe des ISF, 18.6.2002 (http://www.isf-freiburg.org/beitraege/Blumentritt_Dresden.htm)
[ 13 ] Jürgen Elsässer: Wenn das der Führer hätte erleben dürfen. 29 Glückwünsche zum deutschen Sieg über die Alliierten, Konkret Literatur Verlag (Hamburg): 1995, S. 18; Ein Volk von Opfern?, S. 62
[ 14 ] Ebd.
[ 15 ] Gunnar Schubert: Literatur und Lüge, in: konkret 2/2005, S. 40-41
[ 16 ] http://www.spd-fraktion-sachsen.de/?content=show:reden:751
[ 17 ] Die Literatur der Auschwitzleugner. David Irving - Der Untergang Dresdens, www.h-ref.de
[ 18 ] Die Union, 15.2.1990, zit. nach: http://venceremos.antifa.net/13februar/onlinedoku/irving90indd.htm
[ 19 ] Michael Hanfeld: Daß darauf eine feste Wahrheit strömt, in: F.A.Z. 21.01.2004 (http://venceremos.antifa.net/13februar/2004/zdf.htm)
[ 20 ] Ingolf Roßberg: Kein anderes Datum hat Dresden so sehr verändert, in: Dresdner Blätt'l 16/2004
[ 21 ] Keine Träne für Dresden - Über die Dresdenmythen
[ 22 ] Wenn das der Führer hätte erleben dürfen, S. 20.
[ 23 ] Gilad Margalit: Dresden und die Erinnerungspolitik der DDR, 2004, http://www.bombenkrieg.historicum.net/themen/ddr.html
[ 24 ] Wenn das der Führer hätte erleben dürfen, S. 21.
[ 25 ] Jörg Sundermeier: Unser elfter September, in: Jungle World 15.1.2003
[ 26 ] http://www.dresden.de/13.februar. Auf dem Plakat werden bombardierte Städte aufgezählt. Auffallend halten sich die Städte, die von Deutschen zerstört wurden, mit denen der durch Alliierte bombardierten die Waage. Noch interessanter aber, dass keine durch die Bundeswehr bombardierte Stadt auftaucht, dafür einige Städte, die von den ehemaligen Alliierten nach 1945 angegriffen wurden.
[ 27 ] http://dresden-1945.de
[ 28 ] Susanne Vees-Gulani: Bombenkrieg und Literatur, 2003, http://www.bombenkrieg.historicum.net/themen/literatur.html
[ 29 ] Willi Winkler: Nun singen sie wieder, in: Süddeutsche Zeitung, 27.11.2002)
[ 30 ] Eine lesenswerte Detailkritik an dem einem der Bücher findet sich in: Literatur und Lüge
[ 31 ] Sönke Neitzel: "Wer Wind sät, wird Sturm ernten." Der Luftkrieg in westdeutschen Fernsehdokumentationen, 2003, http://www.bombenkrieg.historicum.net/themen/fernsehen.html
[ 32 ] Martin Blumentritt: Last Night of the Bombs, in: Jungle World 19.2.2003, S. 23
[ 33 ] ebd.
[ 34 ] http://www.h-ref.de
[ 35 ] Klarofix 3/1995, S. 55 ff.
[ 36 ] Ein Volk von Opfern?, S. 166 ff.
[ 37 ] "Der Angriff stoppte die Deportationen". Interview mit Nora Goldenbogen, in: Jungle World, 12.2.2003, S. 3
[ 38 ] Luftkriegslegenden in Dresden
[ 39 ] Wenn das der Führer hätte erleben dürfen, S. 19 und 23
[ 40 ] Keine Träne für "Dresden"! Aufruf zu einer antinationalen und antideutschen Veranstaltung in Dresden am 12.2.1995, in: Klarofix 2/1995, S. 7 ff.
[ 41 ] Klarofix 2/1995, 3/1995
[ 42 ] Altlast, in: CEE IEH 83/2001 (http://www.conne-island.de/nf/83/19.html)
[ 43 ] Interview mit der anti-deutschen Vorbereitungsgruppe, in: CEE IEH 8/1995 (http://www.conne-island.de/nf/8/13.html)

== Mark Schneider (BgR; Phase 2)==
[Nummer:16/2005]
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Datei wurde angelegt am: 25.02.2005