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Nichts ist unmöglich - Feierabend!

Wie die Leipziger Zeitschrift Adolf Eichmann entnazifizierte und sich dann selbst einen Persilschein ausstellte


Der "Feierabend!" ist ein "libertäres Monatsheft aus Leipzig"[ 1 ], welches seit September 2002 erscheint. In der ersten Selbstverständniserklärung der Redaktion erklärt diese, dass sie die Trennung von privater und öffentlicher Sphäre aufheben und gegen die allgemeine Meinung die "Wirksamkeit der konkreten setzen" will sowie sich für die "Widersprüche des 'kleinen menschen'" interessiert. Die LeserInnenschaft wird aufgefordert, aktiv in den Diskussionsprozess einzugreifen und "Leserbriefe, Kommentare, Ideen, Artikel, Kritik und sonstige Dinge" einzuschicken.[ 2 ]

In Folge erschienen Artikel zu Themen, die sich auch in anderen linken Zeitschriften finden lassen. Schwerpunkte waren allerdings - auch aufgrund der inhaltlichen Nähe zur anarchistischen Freien ArbeiterInnen Union (FAU)[ 3 ] - Arbeitskämpfe, soziale Bewegungen sowie anarchistische Theorie und Praxis. Im Vergleich zur sonstigen linken Presselandschaft zeichnet sich der Feierabend! durch eine ausführliche lokale sowie internationale Berichterstattung aus. Während der Lokalkolorit immer etwas miefig daherkommt - wer interessiert sich schon für die Sorgen der "kleinen Menschen" aus Leipzig, z.B. MonatskartenbesitzerInnen, die von der LVB schikaniert werden[ 4 ] -, soll der Blick vor allem nach Osteuropa hier positiv hervorgehoben werden. Des weiteren unterscheidet sich der Feierabend! von Zeitschriftenprojekten wie CEE IEH Newsflyer und Incipito durch seine kurzen, leicht verständlichen und dadurch manchmal ziemlich platten oder unkritischen Texte[ 5 ] und seine hohe Verbreitung im Stadtgebiet[ 6 ] - was sich beides aus dem Anspruch ableitet, nicht nur über die konkreten Sorgen und Nöte der kleinen Menschen zu berichten, sondern diese auch zu erreichen. Einige AutorInnen des Feierabends träumen übrigens nicht nur von der anarchistischen Revolution, die dank Studi-Streik und Montagsdemo gerade in Leipzig in greifbare Nähe gerückt sei, sondern harren als verkannte KünstlerInnen ihrer Entdeckung. So veröffentlichen sie "Lyrik & Prosa", aber auch Rätsel und Schachaufgaben im Feierabend! und hoffen, wenigstens damit die "kleinen Menschen" zu ködern. Obwohl der Feierabend! sich inhaltlich kaum gegenüber anderen linken Zeitschriften heraushebt oder ihnen gegenüber abfällt, ist der Redaktion das krampfhafte Bemühen anzumerken, eben nicht im Szene-Sumpf zu versinken, sondern für die "konkreten Menschen" da zu sein. Dies ist bislang allerdings nicht gelungen - wie soll es auch? Der Feierabend! teilt mit den Antideutschen, die sich auch aus der Linken verabschieden wollen, das gleiche Schicksal: Für den Scheiß, den "wir" so treiben, interessiert sich da "draußen" niemand... - und deswegen sind alle VerachterInnen der Linken doch immer wieder auf sie angewiesen.

Das Corpus delicti

In der vorletzten Ausgabe des Feierabends! setzte sich der Autor v.sc.d folgerichtig mit den Antideutschen auseinander. Die Art und Weise, in der sein unsägliches Pamphlet "Zum antideutschen Kommunismus"[ 7 ] verfasst ist, belegt meine These von der Verfangenheit in den linken Verhältnissen. Während es v.sc.d und die anderen AutorInnen vermögen, sehr sachlich oder ironisch über die eigentlich "üblen Themen", wie Nazis, Wahlen, Sozialabbau zu schreiben, rastet v.sc.d hier förmlich aus. Wenn es gegen "die Antideutschen" geht, sehen weite Teile der Linken rot, obwohl es "die Antideutschen" erstens als monolithischen Block nicht gibt, zweitens die Antideutschen die größten Verdienste für die linke Theoriebildung in den letzten 20 Jahren erbracht haben und drittens die Antideutschen innerhalb der schon marginalen Linken eine völlig unbedeutende Position haben.[ 8 ] Es fällt schwer, in dem Text von v.sc.d eine wahre Aussage zu finden - er strotzt nur so von Lügen, falschen Verallgemeinerungen, unzulässigen Schlussfolgerungen und Wahnvorstellungen. Nun war es schon immer so, dass die Verschwörungstheorien, die über die Antideutschen kursieren, mehr über diejenigen aussagen, die diese artikulieren, als über die, gegen die sie sich richten. Das kann tagtäglich bei Indymedia[ 9 ] verfolgt werden.

Warum diesen Text kritisieren?

Warum ich mich im folgenden mit diesem Text - und nicht mit einem der Millionen anderen - auseinandersetze, hat mehrere Gründe. Zuerst seien die persönlichen Gründe genannt: Bei aller Detailkritik stand ich dem Projekt Feierabend! von Anfang an aufgeschlossen gegenüber. Ich freute mich über einen neuen linken Ort und eine weitere Szene-Zeitschrift in Leipzig, über viele junge Menschen, die ich mit meinem politischen Umfeld nicht erreiche. Demzufolge unterstützte ich sowohl den Feierabend! als auch die Libelle auf unterschiedliche Art und Weise. Genannt sei hier nur, dass ich mich für den Verkauf des Feierabends im Infoladen im Conne Island bemühte - eine Sache, die nicht gegen das Conne Island, sondern gegen die Vorurteile der Feierabend!-Redaktion mühselig durchgesetzt werden musste. Ich half bei der Erstellung der Homepage von Feierabend! und Libelle und verfasste in Absprache mit der Redaktion einen Artikel für den Feierabend![ 10 ]

Wenn auf Indymedia irgendwelche anonymen Spinner sich um Kopf und Kragen schreiben sowie ihren Vernichtungsphantasien freien Lauf lassen, ist das zwar jedes mal erschreckend, sollte wohl aber besser mit Ignoranz bedacht werden. Wie soll mensch auch mit wahnsinnigen "Analphabeten" kommunizieren? Bei dem vorliegenden Feierabend!-Text handelt es sich aber um ein namentlich unterzeichnetes Papier in einer Zeitschrift mit einer gewissen Bedeutung in Leipzig - gerade auch für jüngere und bislang nur anpolitisierte Menschen -, von einem Autor, den ich persönlich aufgrund jahrelanger Zusammenarbeit in einer politischen Gruppe gut kenne.

Der dritte Grund ist, dass ich schon lange kein so hasserfülltes und ressentimentgeladenes Papier gegen die Antideutschen gelesen habe - und ich bin einiges gewöhnt! Es ist mir nicht möglich, gegen jede Unwahrheit aufzuschreien, wenn aber mit Adolf Eichmann behauptet wird, die einzige relevante jüdische Widerstandsorganisation in Ungarn habe im Dritten Reich aus zionistischen Motiven ihr "Volk" verraten und an die Nazis verkauft,[ 11 ] dann ist ein Punkt erreicht, wo die Ignoranz gegenüber antisemitischen und revisionistischen Tendenzen innerhalb der Linken ein definitives Ende haben muss. Ebenso verhält sich, wenn behauptet wird, Philosemitismus sei schlimmer oder gleich schlimm wie Antisemitismus[ 12 ] und wenn die Schuld für einen anti-antideutschen Angriff auf das Conne Island den Angegriffenen (und dem Incipito) in die Schuhe geschoben wird.[ 13 ]

Damit komme ich zum letzten Grund: Ich arbeite seit Jahren im Conne Island und in der CEE IEH[ 14 ]-Redaktion mit. Nun wird im besagten Artikel behauptet, alle MitarbeiterInnen von Conne Island und CEE IEH seien für einzelne Äußerungen im CEE IEH haftbar zu machen und deswegen seien Angriffe auf das Conne Island gerechtfertigt.[ 15 ] Nun bin ich allerdings jemand, der sich mit anderen immer gegen antideutsche Überspitzungen, die ich falsch finde, gewehrt habe - und zwar im CEE IEH. Wenn v.sc.d nun behauptet, wir seien Teil des Problems und nicht der Lösung, weil wir uns im CEE IEH gegen antideutsche Kurzschlüsse artikulieren, dann gilt es klar und deutlich festzuhalten, dass eine antideutsche Position auch dem Feierabend! zur Ehre gereichen würde, viele meine Einwände gegen bestimmte antideutsche Positionen in der CEE IEH-Debatte meiner eigenen Dummheit und meinen Vorurteilen entsprangen und ich heute teilweise peinlich berührt bin, welchen Mist ich veröffentlichen durfte. Deswegen ist es ein Skandal, dass der Feierabend!, der meinen Text aus unerfindlichen Gründen zensiert hat, einem Autor, der die unvergleichbare Pluralität[ 16 ] des Conne Island nicht anerkennen will und per Sippenhaft ein Pauschalverdikt gegen alle MitarbeiterInnen ausspricht, den so kostbaren Platz im eigenen Heft einräumt.

Making of a scandal

Nun ist das Problem, dass ich - leider - ein zutiefst versöhnlicher, unpolemischer und unkonfrontativer Pazifisten-Hippie bin, der an das Gute im Menschen und die Kraft der Worte glaubt. Eine angemessene Reaktion auf den Feierabend!-Artikel wäre nämlich gewesen, mit den gleichen Mitteln zurück zu schlagen. Ich hätte eigentlich zu Angriffen auf die Libelle übergehen müssen. Schließlich wäre nach der Logik von v.sc.d. ein Projekt wie die Libelle für einen Artikel im Feierabend! genauso haftbar zu machen, wie das Conne Island für einzelne Artikel im CEE-IEH, die v.sc.d. übel aufgestoßen sein mögen. Außerdem hätte getreu der Parole "Antifa heißt Angriff" dem Autor eine mächtige Tracht Prügel verpasst werden müssen - schließlich getrauen sich selbst die meisten Nazis bis heute nicht, so ungeniert auf Adolf Eichmann bezug zu nehmen. Allerdings steckte ich in einem Dilemma: ich persönlich als auch das gesamte Conne Island, wo der Feierabend! teilweise layoutet wird, unterstützten ja die anzugreifende Zeitschrift. Sollte ich mich selbst schlagen? Sollte ich meine Mitarbeit im Conne Island wegen der indirekten Unterstützung der Anti-Conne Island-Hetze aufkündigen? Nein, das ging mir dann doch zu weit!

Ganz unheroisch setzte ich mich an meinen Computer und verfasste einen ganz lieben Brief an die Feierabend!-Redaktion, in dem ich meinen Unmut kund tat, erklärte, wie die Verschwörungstheorie gegen das Conne Island klänge, wenn ich sie gegen den Feierabend! wende, und bat darum, aus meinem sadomasochistischen Dilemma befreit zu werden. Ausführlich wies ich auf die schlimmsten Stellen im Text hin, bot weitere Interpretationshilfe an und forderte von der Redaktion, sich von Angriffen auf linke Projekte und den all zu offensichtlich antisemitischen Passagen zu distanzieren - mehr schien mir nicht drin zu sein. D.h. eine Distanzierung vom gesamten Text und von den versteckten antisemitischen Passagen erhoffte ich mir nicht - da glaubte ich, das Projekt Feierabend! gut genug zu kennen...

Ich kannte es nicht gut genug. Nachdem sich die Redaktion über drei Wochen Zeit gelassen hatte, schickte sie eine öffentliche Stellungnahme an das Conne Island. Damit machte der Feierabend! aus dem kleinen Skandal ein riesengroßen.

Bislang ging es nur um den Text eines einzelnen Redakteurs, der seine Emotionen nicht mehr in den Griff bekam und dessen aufgestauter antisemitischer Hass sich wie bei einem Vulkanausbruch sein Weg ins Freie bahnte. Es mag für den Autor, der seinen Antizionismus spätestens als DDR-Berufssoldat erwarb und der sich später zumindest nie mit dieser Erblast auseinandersetzen wollte - mir sind diesbezüglich keine Artikel von ihm bekannt und ich habe in allen Zeitschriften recherchiert, an denen er meines Wissens seit 1996 beteiligt war -, aus psychologischen Gesichtspunkten ein befreiendes Gefühl gewesen sein. Allerdings hätte diese Eruption auf die Couch oder an den Stammtisch und nicht in eine linke Zeitschrift gehört. Sei's drum, ich bin seit 14 Jahren im linken Zeitungs-Geschäft als Autor, Redakteur, Lektor und Layouter tätig, um zu wissen, dass einem mal was durch die Lappen gehen kann. Da kommt ein Text zu spät und wird nicht mehr gelesen; da hat mensch kein Bock auf ätzende Diskussionen und winkt einen Text, der einem "Bauchschmerzen" bereitet, durch. Ob das eine Entschuldigung für diesen Text von v.sc.d sein kann, sei dahin gestellt. Ich würde diese Frage eher verneinen, denn ich hatte ja schon betont, dass ich einen so schlimmen Text schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen habe.

Wenn aber eine Redaktion auf einen Text mit antisemitischen Passagen und absurden Diffamierungen gegenüber anderen linken Projekten, die mensch angeblich so gut und wichtig findet, wie immer beteuert wird, hingewiesen wird, wenn der Redaktion unter die Nase gerieben wird, warum solche Eichmann-Zitate tabu sind, wenn betont wird, dass die Position von v.sc.d nicht mal in der CDU mehrheitsfähig ist, wie der Fall Martin Hohmann gezeigt habe[ 17 ], wenn Nachhilfeunterricht in Sachen "Funktionsweise des Conne Island - AnfängerInnenkurs" erteilt wird, wenn weitere Erklärungen angeboten werden, dann sollte jede Redaktion kurz innehalten, den kritisierten Text erneut lesen und sich dann so seine Gedanken dazu machen.

Ich weiß nicht, ob die Redaktion dies getan hat - ich kenne nur das Resultat und überlege nun, ob die Annahme, sie haben den Text nicht noch mal gelesen und sich nicht damit auseinandergesetzt, mich mehr beruhigt, als die Annahme, sie haben ihn gelesen und stehen wirklich hinter dem Inhalt. Anders gesagt: was ist erschreckender, skandalöser und für die Redaktion beschämender: Dass sie nicht begreifen, worum es geht - oder dass sie es genau begreifen und trotzdem an der Position festhalten?

Perlen vor die Säue?

Da sowohl der Text von v.sc.d als auch die Stellungnahmen der Redaktion zu meiner Kritik [ 18 ] eine "Unzahl an Lügen, falschen Behauptungen, Fehlinterpretationen, Verdrehungen und Wahnvorstellungen" strotzt, wie ich schon im ersten Brief an die Redaktion schrieb, kann ich nicht auf alle eingehen, denn das würde Bücher füllen, wollte mensch sich ernsthaft darauf einlassen. Ich weiß, dass sich Ressentiments nicht mit Argumenten bekämpfen lassen, genauso wie Woody Allens Baseballschläger nur deren öffentliche Verbreitung begrenzen kann. Deswegen richten sich der folgende Exkurs an diejenigen, die sich auch über den Feierabend!-Artikel aufgeregt haben und besser verstehen wollen, wie er funktioniert.

V.sc.d schreibt: "Der Zionismus ist aber weder der 'bessere' Nationalismus, noch ist er von größerem Übel" - sondern genauso schlimm, wie der deutsche, britische oder US-amerikanische, wie in den Sätzen davor ausdrücklich betont wird. "Die Behauptung, Israel sei für den Schutz der Juden aller Welt notwendig, ist Unsinn und haltlos. Der Staat Israel ist den rechten Nationalisten reaktionärer Selbstzweck, sie opfern ihm gern ein paar 'ihres Volkes' und paktieren zu diesem Zweck mit anderen Rechten, ja sogar mit den Nazis." Und kurz darauf, als "Beleg": "Als die Nazis im März 1944 Ungarn okkupierten, verriet der Führer der Arbeiter-Zionisten, Reszo Kasztner die Mehrheit der Juden in Ungarn, um einen Zug mit handverlesenen Juden samt Hab und Gut unter Duldung der Nazis nach Israel zu evakuieren."

Schon hier entscheidet sich, wer Antisemit ist und wer nicht und wer sich in der Grauzone dazwischen bewegt. Wer das glaubt und einfach weiterliest, oder wer gar wissend mit dem Kopf nickt, "Ja, so sind die Juden, ich habe es schon immer gewusst, verkaufen ihr eigenes Volk, Krämerseelen, Vaterlandsverräter...", ist Antisemit bis ins Mark - unheilbar. Wer kurz stutzt und sich wundert, aber dann doch den ach so seriösen Quellen und der Autorität eines anarchistischen Autors glaubt, ist Antisemit - vielleicht heilbar, aber nur unter größten Anstrengungen. Wer sich sagt: Eigenartig, wieso soll gerade ein Arbeiter-Zionist, also ein linker Zionist, mit den Nazis paktieren; wieso ist das der Beleg für die Zusammenarbeit der rechten Zionisten mit den Nazis? Wer sich dann im folgenden sagt: Naja, Opportunisten gibt es halt überall und im Dritten Reich gab es auch viel Anpassung, die Juden wurden "wie Kühe zur Schlachtbank" geführt, Widerstand leisteten nur wenige, schwierige Zeit damals, vielleicht hätte ich mich nicht anders verhalten, wenigstens einen Teil zu retten, so wie Oskar Schindler, ja, wer sich all das sagt, ist auch Antisemit, denn der Geschichte wird ja dann im großen und ganzen geglaubt. (So ging es übrigens mir, wie ich zu meiner Schande gestehen muss). Diese Antisemiten dürften allerdings durch meine Recherchen zumindest in diesem einen Punkt belehrbar sein. (Bei mir hat es geklappt!). Wer sich allerdings gleich sagt, so ein antisemitischer Scheiß, das ist von vorn bis hinten erlogen, der darf ehrlich von sich behaupten, nicht antisemitisch zu sein - wenigstens bei diesem Thema.

Im unmittelbaren Anschluss an die soeben zitierte Passage begeht v.sc.d jedoch seinen größten Fehler. Er zitiert Eichmann. Und damit fliegt der ganze Betrug auf. Zumindest für die Softcore-Antisemiten. Die Hardcore-Antisemiten, zu denen scheinbar auch die Feierabend!-Redaktion gehört, lesen genüßlich weiter: "Adolf Eichmann über Kasztner: 'Dieser Dr. Kastner war ein junger Mann, etwa in meinem Alter, ein eiskalter Anwalt und ein fanatischer Zionist. Er war einverstanden, dabei zu helfen, die Juden davon abzuhalten, Widerstand gegen die Deportationen zu leisten - und auch die Ordnung in den Sammellagern aufrechtzuerhalten - wenn ich meine Augen verschließen würde und wenige hundert oder wenige tausend junge Juden illegal nach Palästina emigrieren lassen würde ... Wir verhandelten als völlig Gleichgestellte. ... Ich glaube, daß Kastner tausend oder hunderttausend seines Blutes geopfert haben würde, um sein politisches Ziel zu erreichen. Er war nicht an alten Juden interessiert oder an in die ungarische Gesellschaft assimilierten. Doch er war unglaublich beharrlich bei dem Versuch biologisch wertvolles Blut zu retten - also Menschenmaterial, daß zur Reproduktion und harten Arbeit fähig war. 'Sie können die andren haben' würde er sagen, 'doch lassen sie mich diese Gruppe hier haben.' Und weil uns Kastner einen großen Dienst leistete, in dem er half, die Deportationslager friedlich zu halten, habe ich seine Gruppe entkommen lassen.'"[ 19 ]

Nur dem deutschen Tabu, Mein Kampf von Adolf Hitler zu verlegen, dem Tabu, allzu zustimmend aus Nazi-Publikationen zu zitieren, der Verurteilung von Revisionisten etc., ist es zu verdanken, dass deutsche Antisemiten, die gleichzeitig Gutmenschen sein wollen, spätestens bei diesem Eichmann-Zitat von v.sc.d ins Grübeln kommen. Wenn v.sc.d schlauer gewesen wäre, hätte er "Alibi-Juden zitiert" - und die gibt es, wie ich bei meiner Recherche erfahren habe, zuhauf: Angefangen von Hannah Arendt über jüdische Widerstandskämpfer im Dritten Reich, über den israelischen Gerichtshof und die neuen israelischen, postzionistischen Historiker bis hin zur israelischen Rechten. Alle jene sind sich nämlich einig: Kasztner ist ein Kollaborateur, hat mit den Nazis verhandelt, nur seine Angehörigen und politischen Weggefährten gerettet, Spendengelder veruntreut, den Widerstand sabotiert, widerständige Juden bei den Nazis denunziert, die ungarischen Juden der Vernichtung preis gegeben und nach 1945 sich vor Gericht für Nazis eingesetzt.[ 20 ]

Hätte v.sc.d Hannah Arendt zitiert, der Deutschen liebste Totalitarismustheoretikerin, oder Rudolf Vrba, der beliebteste Jude des Deutschlandfunks - Auschwitzhäftling, Widerstandskämpfer und Kasztner-Hasser - ich hätte es doch glatt geglaubt. Ich hätte zwar nicht die selben Schlussfolgerungen wie v.sc.d gezogen - v.sc.d suggeriert: weil es einen bösen Zionisten gibt, muss der Zionismus als solcher abgrundtief schlecht sein -, aber ich hätte wohl der nächsten Israel-Apologetik aus dem Hause Bahamas[ 21 ] ein Hannah Arendt-Zitat über die Verstricktheit der jüdischen und zionistischen Organisationen in den Holocaust entgegengehalten.

Dank Adolf Eichmann sieht es nun ganz anders aus - und ich halte v.sc.d entgegen, dass es sehr wohl "schlechte Juden" geben mag, dass nie jemand das Gegenteil behauptet hat, dass er antisemitisch argumentiert, wenn er von einem vermeintlich schwarzen Schaf unter den Zionisten auf das Projekt des Zionismus schließen will, dass all dies dem fortschrittlichen und unterstützenswerten Projekt des Zionismus keinerlei Abbruch tut - und dass all jene (wenn überhaupt) "schlechte Juden" wären, die noch heute mit den Deutschen kollaborieren, in dem sie Kasztner und den Zionismus diffamieren und sich zu "Alibi-Juden" degradieren lassen, oder jene, die Kasztner angeklagt und umgebracht haben. Ich betone ausdrücklich, dass ich den letzten Satz im Konjunktiv formuliert habe. Es steht mir als Deutscher nicht an, zwischen "guten" und "schlechten" Juden zu unterscheiden; Hannah Arendt dafür zu kritisieren, dass ihre (in meinen Augen oft falsch) Kritik an der Politik der Judenräte im Dritten Reich, die einer "philosophischen Selbstvergewisserung" diente, nämlich der quälenden Frage, ob ein anderes Verhalten mehr Menschenleben hätte retten können, in Deutschland dazu instrumentalisiert wird, den Juden eine Mitschuld an der Shoa zuzuweisen und sich selbst damit zu entlasten. Es geht nicht darum, sich über den heldenhaften Kampf von Rudolf Vrba zu erheben, der am 7. April 1944 aus Auschwitz flüchtete. Seine Erfahrungen dienten als Grundlage für den ersten authentischen und detaillierten Bericht aus dem Vernichtungslager, der weltbekannt wurde: Die "Auschwitz-Protokolle".[ 22 ] Er hatte nun die Hoffnung, diese Prokolle würden in der Lage sein, die weitere Vernichtung zu stoppen. Da dies nicht geschah, verzweifelte er ob seiner todesmutigen Bemühungen, die Auschwitz-Prokolle bekannt zu machen und erhob später schwere Vorwürfe gegen jüdische Organisationen in Ungarn, denen er Vertuschung vorwarf.[ 23 ] Dieser Vorwurf ist so falsch wie verständlich - erst die historische Forschung hat ergeben, dass die jüdischen Organisationen - im Gegensatz zur Weltöffentlichkeit - genug Kenntnis über Auschwitz hatten. Deshalb beförderten sie die Publikation der "Auschwitz-Protokolle" (Kasztner war z.B. derjenige, der sie ins Ungarische übersetzte[ 24 ]), hatten aber ansonsten ein taktisches Verhältnis zu ihnen. Warum, das werde ich weiter unten gleich noch erklären. Interessant daran ist nun nicht die Auseinandersetzung zwischen Kasztner und Vrba, die aus einer nicht-deutschen Perspektive ihre Berechtigung hat, sondern die Tatsache, wie dieser Streit in Deutschland einseitig und genüßlich rezipiert wird. Zu Wort kommen nämlich fast ausschließlich diejenigen Juden, die den anderen vorwerfen, mit den Nazis zusammengearbeitet zu haben. Da leckt sich jeder Deutscher die Lippen: Juden streiten sich - und zwar darüber, dass die einen mit Hitler gemeinsame Sache gemacht haben, etwas, was die Deutschen, die alle kollektiv im Widerstand waren, nie taten, weswegen die Deutschen auch heute noch wie Pech und Schwefel zusammenhalten. Hier in Deutschland beschuldigt niemand einen anderen irgendwelcher Verbrechen während der Nazizeit, niemand muss sich Sorgen machen, wegen dem eigenen Verhalten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Um so mehr Spaß macht es den gemeinen Deutschen mit anzusehen, wie sich die Opfer gegenseitig quälen: Kasztner wird in Israel angeklagt und von rechten Extremisten erschossen. Diejenigen aber, die in Ungarn die Deportationslisten schon lange vor dem Einmarsch der Deutschen fertig hatten, die Ungarndeutschen, erhielten dann nach 1945 Renten, hohe Ämter in Vertriebenenorganisationen und diejenigen, die die meisten Juden auf den Gewissen hatten, sogar das Bundesverdienstkreuz.[ 25 ]

Da nun aber v.sc.d sich selbst mit Eichmann widerlegt hatte - was Eichmann sagt, kann nicht stimmen; der Antisemitismus in Deutschland funktioniert ja nur so gut, weil es sich von Auschwitz gereinigt hat, damit nichts mehr zu tun haben will, er funktioniert nur gegen Mein Kampf und nicht mit diesem Machwerk, aber selbst das hat v.sc.d im Gegensatz zu allen anderen Deutschen bis hin zu den Nazis nicht begriffen! - begab ich mich auf die Suche nach Informationen über Kasztner. Das erwies als recht einfach. Im geschmähten Conne Island gibt es nämlich den Infoladen[ 26 ] mit ca. 1.000 Büchern über das Dritte Reich. Dass v.sc.d sich selbst ein Hausverbot für das Conne Island erteilt hat, deswegen immer nur in der Libelle abhängt und in der dortigen Bibliothek über die Heldentaten der deutschen Arbeiterklasse samt ihrer anarchistischen Strömung lesen kann[ 27 ], aber nichts über die Schandtaten derselben, ist gewiss nicht meine Schuld.

Fangen wir mal mit dem Standardwerk, der Enzyklopädie des Holocaust, an und ziehen noch zwei weitere Bücher über den Holocaust an den ungarischen Juden zu Rate. Der Enzyklopädie ist zu entnehmen, dass das Waad[ 28 ], die zionistische Hilfsorganisation, deren wichtigster Vertreter Rezo Kasztner[ 29 ] war, sich 1941, also drei Jahre vor der deutschen Besatzung Ungarns zur Unterstützung von jüdischen Flüchtlingen aus Osteuropa gründete. "Ziel des Waad war, Juden aus Polen nach Ungarn zu bringen, den Flüchtlingen innerhalb des Landes zu helfen und die ungarischen Juden auf Maßnahmen zur Selbstverteidigung vorzubereiten."[ 30 ] Die Fluchthilfe-Abteilung wurde von einem im Untergrund geschulten KPD-Mitglied geleitet, Joel Brand, der schon in Deutschland vor 1933 gegen die Nazis gekämpft hatte und von ihnen lebensgefährlich verletzt wurde.[ 31 ] Das Waad verhalf so vor der Besatzung Ungarns durch die Deutschen im Jahre 1944 1.100 polnischen Juden zu Flucht und versorgte 13.000 jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa und Deutschland in Ungarn. Gleichzeitig war die Organisation das entscheidende Verbindungsglied zwischen "der freien Welt und den unterdrückten Gemeinden Polens und der Slowakei".[ 32 ] "Das Komitee war über den Mord an den Juden in Polen im Bilde und versuchte, Informationen darüber zu verbreiten; diesen wurde jedoch nicht geglaubt, trotz der Berichte polnisch-jüdischer Flüchtlinge, die nach 1942 in Ungarn eintrafen. ... Trotz interner Meinungsverschiedenheiten versuchte das Komitee, Vorbereitungen für eine mögliche deutsche Besatzung zu treffen und beschäftigte sich sogar mit der Frage des bewaffneten Widerstands."[ 33 ] Sie waren damit die einzigen, die sich vor 1944 mit dem Widerstand beschäftigten und ihn nach 1944 selbst praktizierten bzw. tatkräftig und finanziell unterstützten. Weiter im Text: "Ein Widerstand in Ungarn erwies sich jedoch als illusorisch wegen des Antisemitismus in der Bevölkerung, des Fehlens jeglichen antideutschen Widerstands und der Tatsache, daß die meisten jungen Juden zum Arbeitsdienst unter der Kontrolle der ungarischen Armee gezwungen worden waren."[ 34 ] Hinzuzufügen wäre, dass ein effektiver bewaffneter Widerstand auch aufgrund der Bedingungen innerhalb der jüdischen Gemeinde unmöglich war, so sehr auch das zionistische Waad darauf hin arbeitete und ihn sich herbeisehnte. Die ungarischen Juden waren assimiliert, oft katholischen Glaubens, patriotisch bis zum Umfallen und hatten ein unerschütterliches Vertrauen in die ungarische Regierung und das ungarische Volk. Das ging so weit, dass Juden, die über den Holocaust aufklären wollten, von jüdischen Zwangsarbeitern in Ungarn als Verräter und Schufte bezeichnet wurden, die bei der Polizei angezeigt werden müssten. Kasztner war schier verzweifelt ob dieser Gutgläubigkeit: "Die Warnungen, die unser Komitee ... in viele Provinzghettos sandte, das Zureden zur Flucht und der Aufruf zum Verweigern des Einsteigens in die Waggons blieben folgenlos."[ 35 ] Selbst in seinem Heimatort gelang es ihm zusammen mit dem "Rettungskomitee aus angesehenen einheimischen Bürgern nur einige wenige Juden davon zu überzeugen, daß sie sich in das 20 Kilometer entfernte Rumänien retten müßten."[ 36 ] Die jüdischen Organisationen Ungarns verwahrten sich gegen die ausländische Kritik am Antisemitismus der ungarischen Regierung[ 37 ] und der Judenrat beschwerte sich nach der Besatzung mit einer Eingabe bei Eichmann über die unhygienischen und beengten Verhältnisse im Budapester Ghetto - wenige Wochen vor den Deportationen nach Auschwitz.[ 38 ] Als die Deportationen schon im Gang waren und täglich ca. 15.000 ungarische Juden in Auschwitz vergast wurden, appellierte der Budapester Judenrat in einem illegalem Flugblatt an die ungarischen Christen, sich zumindest dafür einzusetzen, dass die Juden in Ungarn umgebracht werden, "damit wir wenigstens in unserer Heimat begraben werden"[ 39 ] Dies war allerdings nicht Ausdruck des bis dahin vorherrschenden Opportunismus, sondern tiefster Verzweiflung - mehr glaubte man zurecht von den antisemitischen Ungarn, die die Deutschen hassten und lediglich das deutsche Exportprodukt "Endlösung" freudig begrüßten, nicht fordern zu können. Die Zionisten Ungarns waren also die einzige Kraft, die sich keinen Illusionen hingaben, sondern mit aller Kraft versuchten, den Widerstand zu organisieren - und das nicht aus nationalistischen Motiven, sondern weil sie die 725.000 Juden Ungarns vor der Vernichtung bewahren wollten! Dass dieser Widerstand scheiterte und viele Zionisten ihr Leben dafür gaben ist nun allerdings weder den Zionisten noch den assimilierten Juden anzurechnen. In einer besseren Welt hätten letztere ja Recht behalten: Wozu einen eigenen Staat gründen, wenn es uns hier so gut geht? Dass die bessere Welt aber weder da noch möglich war, erkannten lediglich die Zionisten. Historisch behielten sie recht. Schuld am Scheitern des jüdischen Widerstands waren allerdings die Deutschen und der mit den Deutschen verbündeten Antisemiten. Denn erstmals in der Geschichte, die geprägt war vom Jahrtausende alten Antisemitismus, gab es kein Entkommen. Bis zu den Nazis konnten die Juden sich taufen lassen, in freie Berufe ausweichen, sich anpassen, durch Unterordnung und patriotischen Übereifer sich Verdienste erwerben, die Antisemiten bestechen, überreden, ihnen dienen und sich ihnen unterwerfen. Diese Strategien waren auch in den faschistischen und antisemitischen Diktaturen, die mit dem Dritten Reich die Achsenmächte bildeten (z.B. in Italien und Ungarn), bis zum Einmarsch der Nazis erfolgreich. Die Nazis drängten auf die Vernichtung der gesamten "jüdischen Rasse" - um jeden Preis. Die assimilierten Juden setzten eine Strategie fort, die historisch fast immer erfolgreich war; die Zionisten jedoch erkannten, dass mit dem Rassen-Antisemitismus eine neue historische Epoche der antisemitischen Bedrohung angebrochen war, die nur mit einem eigenen, wehrhaften Staat abzuwenden sei.

Von den anderen jüdischen Organisationen gedrängt und selbst sehr skeptisch[ 40 ], weil: mit dem Feind wird nicht verhandelt, nahm das Waad Verhandlungen mit ungarischen und deutschen Stellen zur Rettung der Juden auf. "Derartige Kontakte hatten in der Slowakei zu Freikauf-Verhandlungen geführt"[ 41 ] und auch in Ungarn hatten jüdische Organisationen, nicht jedoch das Waad, vor 1944 vereinzelt gute Erfahrungen mit der Bestechung von ungarischen und deutschen Beamten und Soldaten gemacht.[ 42 ]

Das Waad ließ sich nach langen Zögern auf solche Verhandlungen mit den Deutschen ein, denn erstens schien der Krieg bald zu Ende zu sein, zweitens waren bewaffnete Widerstandskonzepte gescheitert, drittens gab es die Erfahrungen, an die angeknüpft werden konnte, viertens durfte nichts unversucht gelassen werden, hunderttausende Menschen vor dem Tod zu bewahren und fünftens signalisierten bestimmte Fraktionen der Gegenseite die ernstgemeinte Bereitschaft zu Verhandlungen. So sei Himmler "zu lebensrettenden Gesten vor dem Hintergrund der drohenden deutschen Niederlage" bereit gewesen. "Die jüdischen Unterhändler machten sich die deutsche Illusion von der Möglichkeit eines Separatfriedens mit dem Westen zunutze."[ 43 ] Es gab - gewiß wenige - Nazis, die sich ein Alibi für die Nachkriegszeit schaffen wollten, Nazis mit schlechtem Gewissen und Nazis, denen der Krieg an der Ostfront temporär wichtiger war als die Vernichtung der Juden. Zum Ende des Dritten Reiches gab es allerdings in den Führungskreisen des Regimes deutliche Absetzbewegungen von Hitler und erbitterte Machtkämpfe um das bessere und erfolgreichere Dritte Reich[ 44 ]; das deutsche Volk hingegen, das sei hier noch vermerkt, hielt um so krampfhafter zum Führer, je mehr er und Deutschland in Bedrängnis gerieten.

Über die Legitimität der Verhandlungen gab es im weiteren Verlauf innerhalb der Waad eine klare Einschätzung: "wir sind es, die diese Menschen freikaufen und sicherlich nicht zu Sklaven. Wenn also dieser Handel den Verkäufer nicht geniert, uns dient er gewiß zur Ehre."[ 45 ] Sie machten sich keine Illusionen über ihren Einfluss: "unsere Gegenpartei ist unbedingt die stärkere und unterliegt ständig einem Komplex, der sie ... zu unmäßigen, ständig neuen Wünschen und Forderungen treibt, obwohl sie dabei doch stets die Betrogene zu sein glaubt."[ 46 ] Gerade angesichts diese Situation ist es bewundernswert, mit wieviel Geschick das Waad den Irrglauben der Nazis über die jüdische Allmacht auszunutzen wusste - und Geld sowie Kontakte zu den Alliierten versprach, obwohl sie weder über das eine noch das andere verfügte. Wie in dem Film "Zug des Lebens" gaben sich Waad-Mitglieder gegenüber den ungarischen Beamten, die des Deutschen unkundig waren, als Nazis aus, um sich gegenseitig zu befreien. Jüdische Widerstandskämpfer wurden als vermeintlich wichtige Kuriere geschützt. Von negativen Artikeln in der westlichen Presse, die verkündeten, kein Interesse an Verhandlungen mit den Nazis zu haben, wurde seitens des Waad dreist behauptet, sie hätten diese lanciert, um die geheimen Verhandlungen auch wirklich geheim zu halten. Bewaffneter Widerstand wurde nie denunziert, allerdings auch nicht forciert, wenn er als nicht aussichtsreich erschien. Schon aufgrund der engen organisatorischen (nämlich zionistischen) und persönlichen Verbindungen unterstützte das Waad den bewaffneten jüdischen Widerstand allerdings immer logistisch und finanziell.[ 47 ] In diesem Kontext wird auch verständlich, warum das Waad es nicht als seine Hauptaufgabe betrachtete, die "Auschwitz-Protokolle" zu offensiv verbreiten: Der Inhalt war den ungarischen Juden allgemein bekannt, hatte nichts bewirkt und eine erneute Propaganda-Tätigkeit hätte die Verhandlungen gefährdet.

Das Resümee der Enzyklopädie lautet dann auch "Tatsächlich waren bei den zu jener Zeit in Ungarn herrschenden Bedingungen Verhandlungen mit den Deutschen der einzige Weg, Juden zu retten. ... Im Winter 1944/45, als er selbst bereits sicher in der Schweiz war, kehrte Kastzner freiwillig nach Deutschland zurück und fuhr mit Becher [seinem Verhandlungspartner auf der deutschen Seite, der im Auftrag von Himmler agierte] nach Berlin, um zu versuchen, die noch lebenden Juden in den Konzentrationslagern zu retten. Möglicherweise trug seine Intervention entscheidend dazu bei, daß die Verwaltung das Lagers Bergen-Belsen sich den Briten ergab, ohne ein Blutbad anzurichten."[ 48 ] Ähnliches geschah in Neuengamme und Mauthausen, was allein im letzten KZ 110.000 Menschen vor dem Tod bewahrte.[ 49 ] Da vieles noch nicht abschließend erforscht ist, ist auch nicht genau anzugeben, wie viele Juden das Waad und vor allem Kasztner vor dem unvermeidlichen Tod bewahrten. Zu den 1684 ungarischen Juden, die im Sommer 1944 mit dem "Kasztner-Zug" in die Schweiz gebracht wurden, kommen 18.000-21.000 Juden, die u.a. aufgrund der Verhandlungen und auf Anweisung Himmlers im Juni 1944 in das KZ Straßhof (und nicht in das Vernichtungslager Auschwitz) gebracht wurden, um weitere Zahlungen von jüdischer Seite abzuwarten. Diese wurden 1945 befreit.[ 50 ] Das Waad half unzähligen Juden bei der Flucht und dem Untertauchen, befreite Juden aus dem Gefängnis. "Die jungen zionistischen Pioniere [des Waad] retteten zu dieser Zeit viele Menschen, in dem sie Dokumente fälschten und das Ghetto mit Nahrungsmitteln versorgten."[ 51 ] Auf die Verhandlungen des Waad geht auch der von Himmler am 25.8.1944 verhängte Deportationsstopp für die ungarischen Juden zurück, aufgrund dessen ca. 160.000 Juden (vor allem aus der Hauptstadt) vor der sicheren und für die folgenden Monate geplante Vernichtung bewahrt wurden. Zu Kriegsende agierte Kasztner europaweit, "half den im Untergrund versteckten Juden in Preßburg, organisierte einen Transport [mit Juden] aus der Slowakei in die Schweiz"[ 52 ] usw.; das Waad versuchte auch die Vernichtung der slowakischen Juden zu stoppen.[ 53 ]

Sehen wir uns jetzt nochmal die Feierabend!-Passage Satz für Satz an.

"Der Zionismus ist aber weder der 'bessere' Nationalismus, noch ist er von größerem Übel." Die zionistischen Organisationen waren in Ungarn die einzigen, die gegen den deutschen Nationalismus und Vernichtungsantisemitismus Widerstand geleistet haben. Sie waren nicht nationalistisch, sondern realistisch. Der Zionismus war der einzige Ausweg aus dem Antisemitismus, er war praktischer Antifaschismus; ein Antifaschismus, den selbst die meisten deutschen AntifaschistInnen von damals bis heute nicht begriffen und anerkannt haben. Die deutschen AntifaschistInnen waren nämlich zum größten Teil selbst abgrundtief nationalistisch, sie kämpften für das bessere Deutschland und verleugneten den Antisemitismus bzw. setzten ihn als taktische Waffe im "antifaschistischen Kampf" ein.[ 54 ]

"Die Behauptung, Israel sei für den Schutz der Juden aller Welt notwendig, ist Unsinn und haltlos." Diese Behauptung von v.sc.d ist Unsinn und haltlos - mehr lässt sich wohl dazu nicht sagen. Oder doch: Der Antisemitismus beschränkt sich ja nicht auf die Deutschen oder das Dritte Reich. Sie haben zwar den Vernichtungsantisemitismus quasi erfunden, popularisiert und in die Tat umgesetzt, der "normale" Antisemitismus war und ist weltweit verbreitet. Besonders augenscheinlich wird die Bedrohung, wenn mensch bedenkt, wie die ganz wenigen nach Osteuropa heimkehrenden Juden nach 1945 von der einheimischen Bevölkerung begrüßt wurden: Mit Verachtung und Pogromen.[ 55 ] Wie die amerikanischen Soldaten die soeben aus den KZs befreiten Juden behandelten: Ebenfalls mit Verachtung und schlechter als die deutschen Kriegsgefangenen.[ 56 ] Wie der arabische Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz erst so richtig in Fahrt kam.[ 57 ] Wer will es den vom Antisemitismus seit Jahrtausenden und weltweit Bedrohten verdenken, wenn sie sich einen sicheren Platz schaffen wollen? Und am allerwenigsten sollte dies eine Linke tun, die mit wehenden Fahnen und glühenden Augen bislang für jede revolutionäre und nicht so revolutionäre nationale Befreiungsbewegung auf die Straße gegangen ist; Antisemitismus und das Schicksal der Juden hingegen nie so richtig spannend und erbauend fand.

"Der Staat Israel ist den rechten Nationalisten reaktionärer Selbstzweck, sie opfern ihm gern ein paar 'ihres Volkes' und paktieren zu diesem Zweck mit anderen Rechten, ja sogar mit den Nazis." Rechte Nationalisten gibt es sicherlich auch in Israel - die muss niemand gut finden, genauso wenig, wie jemand linke Israelis gut finden muss. "Solidarität mit Israel", wovor sich v.sc.d so ekelt, heißt ja nicht, alle Juden oder Israelis zu lieben, sondern nur die historische und ethische Tatsache anzuerkennen, dass die vom Antisemitismus Verfolgten eine Heimstatt verdient haben und benötigen, egal wie diese organisiert ist und egal, wie sie diese verteidigen. Die rechten Zionisten hatten allerdings z.B. in Ungarn die am meisten unerbitterliche Haltung gegenüber den Nazis. Kasztner wurde nicht ohne Grund von rechten Nationalisten erschossen. Die "jüdischen Nationalisten", sprich die Zionisten waren eben jene, die gerade nicht mit der jeweiligen Rechten paktierten, während die assimilierten, antizionistischen Juden in ihren Heimatgesellschaften aufgingen und dort auch linke, liberale oder rechte Positionen vertraten - allerdings ohne natürlich irgend jemand zu opfern. Der Staat Israel, der Staat, der weltweit am wenigsten Selbstzweck ist, sondern den Schutz der vom Antisemitismus Bedrohten bezweckt, hat natürlich zum Teil auch unangenehme Auswirkungen auf seine StaatsbürgerInnen: Nicht jeder will zum Armeedienst; es gibt unterschiedliche politische Vorstellungen über den Friedensprozess (während die politischen Organisationen der Palästinenser sich in ihrer Mehrheit darüber zu streiten scheinen, wie Israel von der Karte zu streichen ist, streitet mensch sich in Israel über Wege zur Zweistaatlichkeit). Die jeweils unterlegene politische Partei muss dabei natürlich "Opfer" bringen, sprich Kompromisse eingehen - keine Menschenleben opfern. Zur Zeit "opfert" Sharon z.B. gerade die rechte Siedlerbewegung, was kein, auch kein linker israelischer Politiker je zuvor getan hat.

"Als die Nazis im März 1944 Ungarn okkupierten, verriet der Führer der Arbeiter-Zionisten, Reszo Kasztner die Mehrheit der Juden in Ungarn, um einen Zug mit handverlesenen Juden samt Hab und Gut unter Duldung der Nazis nach Israel zu evakuieren." An diesem Satz ist alles falsch, nur das Datum der Okkupation stimmt. Reszo war nicht der "Führer" der Arbeiter-Zionisten (sind das eigentlich die rechten Nationalisten?), sondern stellvertretender Vorsitzender einer jüdischen Wohlfahrtsorganisation, die viele zionistische Mitglieder hatte und keineswegs links oder proletarisch war, sondern eher im bürgerlichen Milieu anzusiedeln ist. Er selbst war darüber hinaus auch ein völlig unbedeutender zionistischer Gewerkschaftsfunktionär in seiner Heimatstadt Cluj.[ 58 ] Er verriet nicht die Mehrheit der Juden in Ungarn, sondern versuchte europaweit alle Juden zu retten - durch Propagandaarbeit, Unterstützung des bewaffneten Widerstandes, karitative Arbeit und Verhandlungen mit den Nazis. Der Forderungskatalog der Waad gegenüber den Nazis beinhaltete von Anfang zwei grundlegende Verhandlungsbedingungen: Stop aller Deportationen und Stop der Vernichtung in Auschwitz.[ 59 ] In Anbetracht der damaligen Verhältnisse war das Waad sehr erfolgreich und es wird wenige Widerstandskämpfer wie Kasztner gegeben haben, die so mutig, so geschickt und so schlau so viele Menschen retteten. Die Juden waren nicht handverlesen, sondern bildeten einen Querschnitt durch alle sozialen, politischen und gesellschaftlichen Schichten.[ 60 ] "Der Zug hätte ebenso nach Auschwitz gehen können, und vielleicht brachte Kasztner dadurch, daß er seine eigenen Verwandten in den Zug setzte, viele der anderen überhaupt erst dazu, ebenfalls einzusteigen"; trotzdem weigerten sich gerade junge Zionisten, deren Rettung angeblich der Zug galt, einzusteigen.[ 61 ] Das Waad bestand gegenüber den Nazis immer darauf, bei weiteren Rettungszügen zuerst nur die Greise, Kranken, Mütter und Kinder in Sicherheit zu bringen.[ 62 ] Die Juden reisten nicht mit Hab und Gut, denn das hatten ihnen die deutschen und ungarischen Nazis schon längst abgenommen. Ca. 300 noch halbwegs vermögende Juden zahlten allerdings das Lösegeld für die restlichen 1.400 Juden, die über nur noch über ihr Leben verfügten. Kasztner beschrieb die Juden, bevor sie in den Zug einstiegen, als "verschmutzt, zerfetzt, zum Teil halbtot geschlagen."[ 63 ] Unter der Duldung der Nazis ist insofern falsch, dass dieser Transport von Himmler gegen den Willen von Eichmann, der davon besessen war, die Ermordung aller ungarischen Juden um jeden Preis zu Ende zu führen, durchgesetzt werden musste. Der Transport wurde übrigens nicht nur von den Nazis geduldet, sondern weltweit begrüßt und diente als Vorbild für Verhandlungen anderer jüdischer Organisationen mit den Nazis. Erst dieser Transport ermöglichte die Einschaltung amerikanischer Behörden und weitere Verhandlungen, die dann zum Deportationsstop, zur Anweisung Himmlers, die Vernichtung einzustellen und die KZs kampflos zu übergeben, und damit zur Rettung von Zehntausenden wenn nicht sogar Hunderttausenden Menschen führte. Nach Israel evakuiert wurden die Juden aus dem Zug übrigens nicht, sondern ursprünglich war die Ausreise über Portugal in die USA geplant, im weiteren Verlauf ergab sich die Ausreise in die Schweiz. Die britische Mandatsmacht für Palästina hatte beschränkte Einwanderungsquoten verhängt, so daß die ursprünglich geplante Ausreise von Millionen Juden gar nicht möglich gewesen wäre. Entscheidender war allerdings, dass die Nazis dem befreundeten Mufti von Jerusalem al-Husseini, dem ideologischen Ziehvater der Intifada, versprochen hatten, keine Juden nach Palästina ausreisen zu lassen.[ 64 ] Somit war von Anfang an klar, dass es um eine Ausreise in alliierte oder neutrale Länder ging - und selbst das sollte sich aufgrund der restriktiven und vielmals infolge der nationalsozialistischen Vertreibungspolitik nach 1933 verschärften Einwanderungspolitik als schwierig erweisen. So unterstützte die britische Regierung die Verhandlungen mit den Nazis u.a. deswegen nicht, weil sie Angst hatten, dann zu viele Juden aufnehmen zu müssen.[ 65 ]

Quellenkritik

Auch ich wurde nicht als "Kasztner-Experte" geboren, sondern erst nach der Lektüre der drei genannten Bücher zu einem. Doch wie reagiert die Feierabend!-Redaktion auf meinen banalen Hinweis, dass sich mit Eichmann nicht die "Böshaftigkeit des Zionismus" belegen lässt, genauso wenig wie die Protokolle der Weisen von Zion Auskunft über die "jüdische Weltverschwörung" geben können. Trotzig antworten sie: "die von Eichmann zitierten Passagen, deren Quelle im Artikel angegeben ist und mit Hilfe des Internets leicht überprüft werden kann, dienten nicht dazu, 'den Juden' oder auch nur Kasztner die Schuld für den Holocaust zuzuweisen; sondern sollten im Gegenteil aufzeigen, dass auch innerhalb der jüdischen Gesellschaft verschiedene Positionen vertreten werden, von ultrarechts bis ganz links."

Fangen wir mal mit der lächerlichsten Ausflucht, dem Verweis auf die Quelle, an. (Als ob ein Eichmann-Zitat eine Frage der richtigen Quelle sei.) Verwiesen wird für drei Beispiele pauschal auf den Text "Zionism in the Age of the Dictators" von Lenni Brenner unter marxists.de. Eine so ungenaue Quellenangabe habe ich schon lange nicht mehr gesehen, schließlich verteilt sich besagter Text auf knapp 30 verschiedene Dateien, die natürlich nicht auf der Startseite direkt verlinkt sind. Der von der Redaktion vorgeschlagene Versuch, mit Hilfe des Internets (sprich: Google) nun die richtige Adresse ausfindig zu machen, schlug ebenfalls fehl, weil v.sc.d die Zitate aus dem Englischen selbst übersetzt, ohne dies anzugeben. Die richtige Quelle für das Eichmann-Zitat sei hiermit nachgereicht: www.marxists.de. Marxists.de ist eine trotzkistische und Linksruck nahestehende Seite - dass eine libertäre Zeitung jetzt schon mit ihrem ärgsten Gegenspieler paktiert, um die "zionistische Gefahr" zu bekämpfen, lässt tief blicken. Allerdings zeichnet selbst dieser Artikel vom Israel-Hasser Brenner ein realistischeres Bild von Kasztner und der Aktionen des Waad, als es v.sc.d mit seinem Eichmann-Zitat andeutet.

Auf den Vorwurf, dass Eichmann-Zitate nicht für bare Münze genommen werden können, antwortet die Redaktion mit der Ausflucht, dass das Zitat gar nicht anstrebt, den Juden die Schuld am Holocaust zuzuweisen - natürlich nicht, so weit sind wir noch nicht, aber eine sehr bedeutende Mitschuld des Zionismus darf es schon sein. Nein, v.sc.d wollte "im Gegenteil" - wieso eigentlich im Gegenteil? - aufzeigen, dass es verschiedene Positionen innerhalb der jüdischen Gesellschaft gibt. Wer hätte das gedacht! Hat, außer notorischen Antisemiten, jemals jemand etwas anderes behauptet? Die Antideutschen sicherlich nicht, und das weiß v.sc.d auch genau, weil er den Antideutschen vorwirft, linke Israelis nicht zu mögen, dafür rechte Israels abzufeiern.[ 66 ] Dass es rechte Positionen in Israel gibt, ändert aber nichts an der Notwendigkeit des Zionismus und Israels. Dass es linke Deutsche gibt, ändert nichts an der Notwendigkeit einer antideutschen Haltung und dem Kampf für eine Grenze zwischen Frankreich und Polen. Dass das Zitat von v.sc.d eben nicht bezweckte aufzuzeigen, dass es "innerhalb der jüdischen Gesellschaft verschiedene Positionen" gibt, springt ins Auge: Erstens wird nur eine Position geschildert, nämlich eine zionistische, und keine antizionistische. Und zweitens ist die Frage von Zionismus und Anti-Zionismus keine, die sich anhand des Rechts-Links-Schemas einordnen lässt. Es gab linke Zionisten und rechte Antizionisten und andersherum. Die von v.sc.d angeführten Beispiele, Kasztner und Ben-Gurion, repräsentieren allerdings eine Position, die hierzulande als sozialdemokratische bezeichnet wird, sie ist also weder rechts noch links, sondern irgendwie Mitte und liberal.

Wie kam nun das Eichmann-Zitat zustande? Das hat sehr wohl etwas mit den politischen Auseinandersetzungen innerhalb Israels zu tun. Kasztner kandidierte 1954 für die Arbeiterpartei Mapai für die Wahlen zur Knesset und war israelischer Staatsbeamter. Die rechten Orthodoxen fanden in der Vergangenheit Kasztners ein vermeintlich gutes Argument gegen die Mapai. In einem Gerichtsverfahren wird Kastzner im Jahr 1955 stark belastet, der Richter versteigt sich zu der Behauptung, Kasztner habe "seine Seele dem Teufel verkauft".[ 67 ] Eichmann, der nach 1945 in Argentinien abgetaucht war, erfährt von dem Prozess gegen Kasztner und gibt daraufhin Willem Sassen, einem niederländischen Naziaktivisten, der sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte, ein Interview, mit dem er versucht, durch diskreditierende Behauptungen - Kasztner hätte einen guten Gestapo-Offizier abgegeben usw. - Einfluss auf den Prozessverlauf zu nehmen.[ 68 ] Denn nicht nur Eichmann, sondern auch etliche der in Nürnberg angeklagten Nazis wurmte es mächtig, dass sie von der Waad überlistet wurden, und sie brüsteten sich öffentlich damit, dass sie versuchten, die Rettungsversuche zu verhindern.[ 69 ]

Inwieweit Eichmanns Intervention Kasztner zum Verhängnis wurde, ließ sich den mir vorliegenden Quellen nicht entnehmen, Fakt jedoch ist, dass er am 15.3.1957 von rechten Extremisten erschossen wurde und im Juni 1958 der höchste israelische Gerichtshof das Urteil gegen Kasztner revidierte und Kasztner rehabilitiert wurde.[ 70 ]

Fazit

Die Libelle übrigens fühlt sich - völlig ungefragt - auch dazu genötigt, sich hinter v.sc.d zu stellen: "Einig sind wir uns jedoch darin, dass dieser Artikel nicht antisemitisch und euer diesbezüglicher Vorwurf ... zurückzuweisen ist."[ 71 ]

Das freut die Feierabend!-Redaktion, die darauf Bescheid gibt, dass sie "voll vor und hinter unserem Autor v.sc.d" steht und "jeden Vorwurf des Antisemitismus bzw. die Behauptung einer wie auch immer gearteten 'rechten' Denkweise entschieden" zurückweisen muss. Was die Feierabend!-Redaktion aber genau weiß, ist, dass die "antideutsche Position, wie sie z.B. die Bahamas vertritt, eine rechte ist, und dass diese Position zu unkritisch behandelt, toleriert, geduldet und akzeptiert wurde und wird."

Die Redaktion kündigt also an, weitere Schritte gegen die rechte antideutsche Seuche zu unternehmen. Gesagt, getan. In der aktuellen Ausgabe macht sie sich über meinen Brief lustig, behauptet, er wäre nicht zur Veröffentlichung freigegeben[ 72 ] - als ob ich zu entscheiden habe, was der Feierabend! veröffentlicht, schön wär's - und greift eine der Wahnvorstellung aus v.sc.d's Artikel auf: Niemand traue sich, gegen antideutsche Positionen den Mund aufzumachen, nun wolle endlich der Feierabend "das unerträglich gewordene Schweigen über dieses Thema ... durchbrechen".[ 73 ] Das klingt ja ganz nach Martin Walser. Da wird auf allen linken Kanälen gegen die Antideutschen geschossen, dumm und dümmer, da werden Antideutsche angegriffen und verletzt, da gibt es kein anderes Thema, bei dem die zerstrittene deutsche Linke sich zusammenfindet, der Anarchist mit dem Trotzkisten, die Antifaschistin mit der Wertkritikerin, und das alles nur, weil das Schweigen unerträglich geworden sei? Nach der Martin Walser-Nummer imitiert die Redaktion noch mal en passant Martin Hohmann: "in dem Sinne sind wir genauso antizionistisch wie antideutsch" - also antisemitisch und anti-antisemitisch. Und als ob die Antideutschenfresser nicht schon gefräßig genug seien, wird dann ein Text dokumentiert, der "Appetit machen soll auf eine neuerschienene Publikation des Unrast-Verlages". Dieses Buch[ 74 ], ich habe es gelesen, wird lediglich von der Wahnvorstellung zusammengehalten, dass die Bahamas die größte Gefahr für die Linke sei, d.h. die Zeitschrift, die auf den grassierenden Antisemitismus hinweist (manchmal überspitzt und zu polemisch, mag sein), und nicht etwa der antisemitische Mainstream auch innerhalb der Linken. In dem Buch finden sich nämlich antideutsche, antiimperialistische und andere AutorInnen zusammen, die sich eigentlich spinnefeind sind. Die Analyse der Antideutschen geschieht auf folgenden Niveau: Anfang der 90er Jahre gab es die Antifa. "Sie stand ... mit ihrer Meinung, daß den Glatzen eine aufs Maul gehörte, nicht alleine." Eine Mehrheit der Deutschen hätte auf Seiten der Antifas gestanden, dadurch habe sie "ein gewisses Imageproblem gehabt" und wurde antideutsch, um sich "von dieser Art Umarmung zu schützen". Die Antifa-Szene stellte "den gesamten Rest der Gesellschaft, der nicht zur Szene gehört, unter den Generalverdacht des Rassismus".[ 75 ] Das Schöne daran ist: Ich bin alt genug, um zu wissen, dass dies nicht stimmt. Mit perfide inszenierten antisemitischen Geschichten über das Dritte Reich bin ich gelegentlich hinters Licht geführt worden - allerdings von Leuten, die etwas schlauer als v.sc.d sind -, solche Märchen allerdings widerlege ich auch ohne Bücher mit Verweis auf meine eigene politische Sozialisation und die Verhältnisse in Leipzig Anfang der 90er Jahre. Aber das ist eine andere Geschichte...[ 76 ]


Weitere Literatur:

www.kasztnermemorial.com

Ulrike Schläger: Und wann wir? Die Vernichtung der ungarischen Juden und der Budapester Judenrat 1944. - Sehr lesenswerte Studie über das Verhalten von Judenrat und Waad gegenüber den Nazis und der Wandlung der Bewertung nach 1945: Während direkt danach bewaffneter Widerstand glorifiziert und die Arbeit der Judenräte und des Waad verteufelt wurden, ohne zu fragen, wer mehr Leben retten konnte, werden inzwischen beide Formen des Widerstands gleichermaßen anerkannt und gewürdigt. Denn: "Erfolge, mit dem Geist errungen, waren und bleiben immer ehrenvoller und bedeutsamer als jene, die der Mensch mit Blut besiegelt. Sie erfordern nichtsdestoweniger zumindest ebensoviel Mut."[ 77 ]

Andreas Biss: Wir hielten die Vernichtung an. Kampf gegen die "Endlösung" 1944 - Dieses Buch ist von einem Mitglied der Waad und wichtigstem Vertrauten von Kasztner verfasst worden. Wer wirklich wissen will, unter welchen wahnwitzigen Bedingungen das Waad die erfolgreichste Befreiungsaktion des Dritten Reich in die Wege geleitet hat, warum sie von Hilfsorganisationen im Ausland so lange allein gelassen wurden und weshalb nach dem Krieg ihre Arbeit in Verruf geriet, kommt an diesem Buch nicht vorbei.


Alle zitierten und erwähnten Quellen (Bücher und Zeitschriftenaufsätze) können im Infoladen Leipzig (http://www.nadir.org/infoladen_leipzig) ausgeliehen bzw. kopiert werden.
Der Briefwechsel zwischen mir und dem Feierabend! sowie der Libelle kann gern bei der Incipito-Redaktion oder dem Conne Island angefordert werden.


[ 1 ] So die Unterzeile auf dem Titel, ab der 3. Ausgabe geändert in "1½monatsheft". Im Internet unter: www.feierabend.net.tc
[ 2 ] Editorial, in: Nr. 1/2002, S. 2
[ 3 ] www.fau.org
[ 4 ] Albrecht Pallutke - Folge 1, in: 12/2004, S. 10 (siehe auch: www.paluttke.de.vu)
[ 5 ] Wie kann z.B. eine Zeitung, die detailliert und fundiert über Nazi-Aktivitäten berichtet, dann, wenn eben jene Nazis bei den Leipziger Montagsdemonstrationen auftauchen, das alles plötzlich nicht mehr so schlimm finden? Vgl: Ausgang offen..., in: 14/2004, S. 1 und 3
[ 6 ] Dies betrifft sowohl den Versuch, möglichst viele Stadtteile abzudecken als auch in normalen Läden präsent zu sein, z.B. "Heidis Dienstleistungscenter" in Schleußig - dieses Center ist wirklich eine Reise wert!
[ 7 ] In: 14/2004, S. 20-25 (www.free.de/feierabend
[ 8 ] Leipzig ist in dieser Hinsicht eine gewisse und sehr begrüßenswerte Ausnahme.
[ 9 ] de.indymedia.org
[ 10 ] Diese Auftragsarbeit wurde allerdings nicht veröffentlicht. Ich kann über die Gründe nur Mutmaßungen anstellen, denn den Mut, die Ablehnung inhaltlich zu begründen, hatte die Redaktion trotz mehrmaliger Nachfrage meinerseits nie.
[ 11 ] 14/2004, S. 21
[ 12 ] Ebd., S. 24
[ 13 ] Ebd., S. 23
[ 14 ] Das CEE IEH ist eine Zeitschrift, die monatlich vom Conne Island herausgegeben wird, jedoch über eine eigenständige und unabhängige Redaktion verfügt. www.conne-island.de
[ 15 ] 14/2004, S. 23
[ 16 ] So wird z.B. im aktuellen CEE IEH das politische Umfeld des Feierabends für seine Beteiligung an den Montagsdemonstrationen ausdrücklich gelobt, obwohl dies mit der Redaktionsmeinung überhaupt nicht konform geht. Vgl.: www.conne-island.de
[ 17 ] Die Rede Hohmanns findet sich unter: www.hagalil.com. Auch Hohmann sagt nicht, dass die Deutschen keine Verbrechen begangen hätten und die Juden keine Opfer seien, allerdings habe es gute und schlechte Menschen, Opfer und Täter, Hass und Leid auf beiden Seiten gegeben. Der einzige mir ins Auge springende Unterschied bei einer vergleichenden Lektüre von Hohmann und v.sc.d ist, dass ersterer als Ursache für alles Übel die Religionslosigkeit anprangert, während letzterer dem rechten Nationalismus, der Verschwörung der Nazis gegen die einfachen Menschen, die Schuld gibt.
[ 18 ] Die Redaktion nimmt in einem weiteren, genauso blamablen, dummen und verlogenem Schreiben im Heft 15/2004 Stellung, S. 23.
[ 19 ] Rechtschreibfehler im Original
[ 20 ] Um genau zu sein: Nicht alle genannten Personen teilen alle Vorwürfe, aber zumindest die Mehrzahl der Anschuldigungen.
[ 21 ] www.redaktion-bahamas.org
[ 22 ] Siehe auch: Israel Gutmann (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Piper: 1998, S. 127 f.
[ 23 ] www.shoa.de
[ 24 ] Ulrike Schläger: Und wann wir? Die Vernichtung der ungarischen Juden und der Budapester Judenrat 1944, PapyRossa: 1996, S. 129
[ 25 ] ebd., S. 62 und 125
[ 26 ] www.nadir.org, Online-Recherche: ildb.nadir.org
[ 27 ] ildb.nadir.org
[ 28 ] Waad Haezra Wehazala Bebudapest (Waadat Ezra Vö-Hazzalah Bö-Budapest) = Jüdisches Rettungskomitee von Budapest, kurz: Waad oder Waadah
[ 29 ] in der Literatur gibt es unterschiedliche Schreibweisen: Rezo, Rezsö, Rudolf; Kastner, Kasztner
[ 30 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 1506
[ 31 ] Andreas Biss: Wir hielten die Vernichtung an. Kampf gegen die "Endlösung" 1944, März: 1985, S. 26 und 42
[ 32 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 1506
[ 33 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 741 f.
[ 34 ] Ebd.
[ 35 ] Zit. nach: Und wann wir?, S. 131
[ 36 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 744
[ 37 ] Und wann wir?, S. 32
[ 38 ] Wir hielten die Vernichtung an, S. 79
[ 39 ] Und wann wir?, S. 87
[ 40 ] Kasztner selbst wurde zwei Mal von den Deutschen verhaftet, weil er sich gegen Verhandlungen aussprach und sich die Nazis die erwarteten guten Geschäfte nicht verderben lassen wollten. Siehe: Wir hielten die Vernichtung an, S. 53
[ 41 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 742
[ 42 ] Wir hielten die Vernichtung an, S. 33 ff.
[ 43 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 742
[ 44 ] Das bekannteste Beispiel ist das Attentat vom 22.7.1944.
[ 45 ] Wir hielten die Vernichtung an, S. 162
[ 46 ] ebd.
[ 47 ] Ebd., S. 143, 182 und 259
[ 48 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 743-744
[ 49 ] ebd., S. 1508, Wir hielten die Vernichtung an, S. 352
[ 50 ] ebd., S. 1467 und 1508
[ 51 ] ebd., S. 1468. Über Widerstandhandlungen anderer Gruppen wird übrigens nicht berichtet, d.h. die Waad war die einzige Widerstandsorganisation.
[ 52 ] ebd., S. 1508
[ 53 ] Wir hielten die Vernichtung an, S. 170-172
[ 54 ] Siehe z.B.: Der Linken liebste Verschwörungstheorie, Phase 2 14/2004, S. 8-12
[ 55 ] Siehe z.B.: Karol Sauerland: Polen und Juden. Jedwabne und die Folgen, Philo: 2004
[ 56 ] Robert L. Hilliard: Von den Befreiern vergessen. Der Überlebenskampf jüdischer KZ-Häftlinge unter amerikanischer Besatzung, Campus: 2000
[ 57 ] Matthias Küntzel: Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg, ca ira: 2002
[ 58 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 741
[ 59 ] Wir hielten die Vernichtung an, S. 116
[ 60 ] Und wann wir?, S. 84
[ 61 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 743 und 1507
[ 62 ] Wir hielten die Vernichtung an, S. 136
[ 63 ] Und wann wir?, S. 84
[ 64 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 237 f.
[ 65 ] Wir hielten die Vernichtung an, S. 238
[ 66 ] 14/2004, S. 22
[ 67 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 1508
[ 68 ] Wir hielten die Vernichtung an, S. 387 f.
[ 69 ] ebd., S. 314 ff.
[ 70 ] Enzyklopädie des Holocaust, S. 1508
[ 71 ] Email an das Conne Island vom 1.10.2004
[ 72 ] Ich hatte in meinem Brief nur angemerkt, dass mir eine Auseinandersetzung der Redaktion mit dem Text und eine anschließende Distanzierung wichtiger sei als der pseudo-pluralistische Abdruck des Briefes. Einen weiteren Leserbrief zum v.sc.d-Artikel, der von einer anderen Person verfasst wurde, hat die Redaktion entgegen ihrer Behauptung, sich über LeserInnen-Reaktionen zu freuen, nicht veröffentlicht. Diese Form der Zensur versucht sie abzumildern, indem sie behauptet, der Leserbrief wäre im Internet veröffentlicht. Dies geschah allerdings erst eine Woche nach Erscheinen der aktuellen Ausgabe (www.free.de/feierabend)
[ 73 ] 15/2004, S. 23
[ 74 ] Gerhard Hanloser (Hrsg.): "Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken". Zu Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik, Unrast: 2004 (Nicht mal diese Quelle vermag die Redaktion richtig anzugeben, was in diesem Fall aber ausdrücklich lobend hervorgehoben werden soll!)
[ 75 ] Ebd., S. 91
[ 76 ] Nachzulesen u.a. in: Die Antideutschen und die Radikale Linke. Warum Linke in den 90er Jahren antideutsch wurden und warum sie es heute bleiben, in: incipito 11/2004, S. 52-57 (left-action.de/incipito/)
[ 77 ] Wir hielten die Vernichtung an, S. 16

== Falko==
[Nummer:15/2005]
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Datei wurde angelegt am: 02.01.2005