Stecker raus statt Gegenstrom Vor die Aufgabe gestellt sich zur Linken und deren Verhältnis zur sozialen Frage zu positionieren, sollte eingangs die Begriff-lichkeit als solche geklärt werden, damit man auch das Selbe meint, wenn man meint, vom Selben zu sprechen.
Die Problematik dabei erschließt sich schon bei der Betrachtung, wer sich zur sozialen Frage äußert und welche Ziele dabei verfolgt werden. Sofort fällt ins Auge, dass sich sowohl Gewerkschaften wie Regierung, Nazis und Antifas, Globalisierungs-kritikerInnen und deren KritikerInnen in irgendeiner Form die Verwendung der Begrifflichkeit ?soziale Frage? zueigen ge-macht haben. Lässt sich also feststellen, dass es dem Thema ähnlich geht wie z.B. der Globalisierung.
Soziale Frage?
Die radikale Linke hat sich die Überwindung der kapitalistischen hin zu einer emanzipatorischen Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben. Die soziale Frage ? so man denn an diesem Punkt aus Gründen der Verständlichkeit noch an dieser Begrifflich-keit festhält ? kann also nur in derart gestellt werden, dass man darunter die Analyse versteht, welche gesellschaftlichen Prin-zipien und Prozesse ursächlich ausgemacht werden, dass es eine soziale Gleichheit nicht gibt und es diese im Kapitalismus - ohne ein Geheimnis zu verraten - nicht geben wird.
Idealisiert betrachtet, ist es durchaus vorstellbar, dass sich etwa eine Chancengleichheit jenseits von Kriterien wie Geschlecht, Hautfarbe, Religion etc. etablieren könnte. Kapitalverwertung hat den Zweck der Mehrwerterzeugung und ist dafür auf die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft angewiesen. Da die kapitalistische Gesellschaft in ihrem Grundprinzip aber auf Kon-kurrenz beruht und dadurch notwendigerweise die Konkurrenz der Einzelnen am Markt, um am Verwertungsprozess teilzu-nehmen zu können, erfordert, schließt dies in jedem Fall gleichzeitig andere MitkonkurrentInnen aus. Im Zeitalter umfassender Technisierung nimmt der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft gegenwärtig ab. Das ist grundsätzlich eine feine Sache, doch zieht dies gleichzeitig eine verschärfte Konkurrenz um Teilhabe am Verwertungsprozess nach sich. Eine linke Position kann deshalb nur sein, diesen Zwang, sich um den Preis des Überlebens verwerten zu müssen, zu diskreditieren .
Es wäre schön, wenn an dieser Stelle der Erklärungsbedarf gedeckt wäre und man sich der Organisierung des Überwindungs-prozesses (Kommunismus) zuwenden könnte.
Die Debatte
Da dem nicht so ist, müssen wir notwendigerweise das Comeback der sozialen Fragen in der Linken hinterfragen. Festzustellen ist, dass die eingangs aufgeworfene Betrachtungsweise, also eine generelle Infragestellung kapitalistischer Prinzipien bei kei-ner der an der Aushandlung des sozialen Friedens beteiligten Parteien wiederzufinden ist. Das allgemeine Verständnis von sozialer Frage beinhaltet eine Verhandlung wie viel Verteilungsgerechtigkeit gesellschaftlich als tragbar erachtet wird. Diese wird weniger aus humanitären Motiven gewollt, als vielmehr als Einsicht aus der Erfahrung gewonnen, dass sich darüber eine gesellschaftliche Anerkennung der Institution Staat als Regulator im verrechtlichten (deswegen ja z.B. auch Tarifvertrag) und damit für alle bindenden Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern herstellen lässt. Wenn Regierung und BDI die sozia-le Frage aufwerfen, meinen sie in der Regel den Abbau des Sozialstaates zugunsten der Senkung der Lohnnebenkosten durch Erhöhung der Sozialabgaben für Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung. Die verfolgten Ziele heißen u.a. Sicherung des Standortes Deutschland und konstante Profitraten. Die nach wie vor anerkannten, wenn auch allseits in Verruf geratenen Verhandlungspartnerinnen sind die Gewerkschaften. Diese und das ist keineswegs neu in der Entwicklung, haben bis dto. jede Schweinerei mitgetragen: Nullrunden also Reallohnsenkungen, unbezahlte Mehrarbeit legitimiert, Feiertage gestrichen, Zwangsarbeit für SozialhilfeempfängerInnen durchgesetzt, Hetzkampagnen gegen Schwarzarbeit und Illegale in letzter Zeit vermehrt gegen Schmarotzer und die Drangsalierung von Arbeitslosen mitgetragen. Die Reihe ließe sich beliebig erweitern. Standortsicherung aus dem Lehrbuch ? geht es Deutschland gut geht es den Deutschen gut. Das darüber definierte Gemein-wohl wird auch in Stellung gebracht, um die nur noch auf Haltung des momentanen Standards angelegten Tarifauseinanderset-zungen zu rechtfertigen. Kein Wort mehr von Verbesserung und realen Erhöhungen. Das würde zwar an den Grundfesten der Gesellschaft auch nicht rütteln, könnte aber zumindest Ausdruck davon sein, das ausnahmsweise nicht der Staat oder die Ge-meinschaft im Vordergrund steht, sondern eventuell das eigene Befinden, das sich nicht um die Stabilität des Ganzen schert.
Da es unfair wäre, alle GewerkschafterInnen über einen Kamm zu scheren, sei an dieser Stelle in so fern differenziert, dass es durchaus ehrlich gemeinte Engagements gibt, die sich gegen die nationalistische oftmals rassistische Aufladung der Diskussio-nen um Kürzungen im sozialen Bereich artikulieren. Aber muss denen auch die Portion Naivität vorgehalten werden, die sie an den Tag legen müssen, wenn sie die reale Entwicklung der Diskussionen ins Verhältnis zu ihrer eigenen Wirkungsmächtigkeit setzen. Faktisch geht es, wenn über soziale Leistungen gesprochen wird immer um die für Deutsche.
Eine Zwischenbilanz offenbart genügend Gründe für eine radikale Linke zu intervenieren, nur keinen positiven Anknüpfungs-punkt. Der einzige und auch durchaus plausible Grund für Linke, sich Sozialabbau zu widmen ? und etwas anderes beinhaltet auch die aktuelle linken Bezugnahme auf die Debatte um soziale Frage nicht ? ist allerorten die Angst um die eigene Existenz. Es heißt Pfründe zu sichern, denn die augenblicklichen Veränderungen deuten doch auf die Ernsthaftigkeit hin, mit der dieses Unterfangen durchexerziert wird. Heißt es nun Hartz XY oder Rürup 007.
Durchaus der Tatsache bewusst, dass man bei der Forderung an staatlich garantierte Sicherungssysteme einen gewaltigen Spa-gat zur eigenen Staatskritik hinlegen muß, wird diese Tatsache sehr leicht als unumgänglich akzeptiert oder aber auf das Darü-berhinausweisen der eigenen radikaleren Forderungen verwiesen. Sozusagen ein Konzept: Erhalt des Sozialstaats als Etappen-ziel zum Kommunismus. Klingt irgendwie logisch, ist aber in Anbetracht der gesellschaftlichen Marginalität der radikalen Linken und vor allem auch der völligen Inakzeptanz dieser Positionen innerhalb von Gewerkschaftskreisen schlichtweg Un-sinn.
"Sozialhilfe unter Palmen wird es künftig nicht mehr geben."
An niemanden dürfte vorbeigegangen sein, dass nicht nur die Forderungen bezüglich der Intensität des Sozialabbaus, sondern auch der Ton der Debatte schärfer und ungezwungener geworden ist. Landesweit wird zur Hetzjagd auf Sozialbetrüger, die man angeblich ohne historische Assoziationen zum Umgang mit selbigen, als Schmarotzer und Parasiten bezeichnet, geblasen. Kein Tag, an dem nicht medial reißerisch aufbereitet Zahlen präsentiert werden, wie viel der unberechtigte Bezug von Sozial-leistungen die Ehrlichen unter uns wieder gekostet hat. Kein Tag, an dem nicht die unbedingte Notwendigkeit der Sanktionie-rung solchen Betruges an der Gemeinschaft gefordert wird.
Die Antwort darauf - und das ist mehr als haarsträubend - ist nicht etwa eine Zurückweisung des Duktus und den sehr wohl damit verbundenen Appellen an Ressentiments, deren Vorhandensein in deutschen Köpfen keine Seltenheit darstellt. Vielmehr wird als Antwort auf den Vorwurf des Schmarotzens der unbedingte Arbeitswille versichert. Die vorhandene Bereitschaft unzumutbarste Bedingungen in Kauf zu nehmen, nur um sich durch Teilnahme am Arbeitsalltag der Teilhabe an der und Aner-kennung durch die Gesellschaft gewiss zu sein. Es gilt festzustellen, dass die beliebte Formel ?Wir haben über unsere Verhält-nisse gelebt? genauso breite Zustimmung erfährt, wie Einsicht, die Agenda 2010 ist unabdingbar für die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands also für das halluzinierte Gemeinwohl der Deutschen. Dieses Denken ist, wie Holger Schatz im Bezug auf die Bereitschaft, beim Krisenmanagement 2010 im Stile eines Fahrradfahrers ? nach oben buckeln, nach unten treten ?mitzutun, feststellte , eher ein Fall für die Couch als für aufklärerische Intervention.
Allein diese Unterwürfigkeit und die Überidentifikation über Arbeit mit dem deutschen Kollektiv und gleichzeitig die Angst und der Hass auf die Herausgefallenen, zu denen man um nichts in der Welt zugerechnet werden will, sollten bei aller linken Sozialromantik die Alarmglocken schrillen lassen!
Dass das zwar noch in Teilen der radikalen Restlinken und in Theoriegruppen geschieht, soll hier keineswegs verschwiegen werden. Ebenso wenig aber auch die durchgängig positive Bezugnahme auf Arbeit und die damit einhergehende Affirmation deren Zwangscharakters durch den überwiegenden Teil der GlobalisierungskritikerInnen. Über Gewerkschaften und Parteien braucht man an dieser Stelle kein Wort mehr zu verlieren.
Angesichts einer eingestandenen Sockelarbeitslosigkeit von ca. 4 Millionen (in D.), wäre doch das mindeste an linker Forde-rung, eine Arbeitsfreistellung für diejenigen einzufordern, für die ein Leben mit einem halbwegs akzeptablen Einkommen auch ohne Arbeit - im herkömmlichen Sinne - die geringere Zumutung gegenüber dem Arbeitsleben darstellt.
Dass mit der positiven Bezugnahme auf des Identifikationsmoment Arbeit Ausschlüsse produziert werden, nämlich genau jener, die nicht arbeiten können oder auch wirklich nicht wollen, ist schlimm genug. Hinzu kommt im öffentlichen Diskurs eine verstärkte Kritik an Abfindungsleistungen für Manager, an Steuerflüchtlingen, Entlohnung sogenannter Fußballmillionäre, also Personen, die überdimensional viel Geld für angeblich verhältnismäßig wenig Leistung in Anspruch nehmen. Die gesell-schaftliche Wirkung von tatsächlich stattfindenden Sanktionierungen gegen Schmarotzer besteht darin, dass in gewissem Mas-se auch tatsächlich eine Reinigung in Sinne von Läuterung stattfindet und bei den Betrügern an den Gemeinschaftsgeist appel-liert wird, während über die Wahrnehmung solcher Akte in der Bevölkerung ein Gefühl von Gerechtigkeit und Zusammenge-hörigkeit bestärkt wird. Ehrlichkeit und Tugendhaftigkeit als eherne Garanten der deutschen Volksgemeinschaft. Dass Neid und Hass sich dabei aus Ideologie speisen, dafür spricht die Tatsache, dass in der Regel die Neider und Hasser, die nicht selten einer weiteren beliebten deutschen Betätigung - der Denunziation nachgehen- in keiner Weise materielle Vorteile davontra-gen. Einzig und allein die Gewissheit und Schadenfreude, das andere nicht haben, was man selbst nicht bekommt ist für die Intension ausschlaggebend. (anstatt zum Arzt von Florida-Rolf zu gehen und dessen Attest ?ein Aufenthalt in Deutschland sei für den Therapieverlauf nicht zumutbar? zu adaptieren)
Kapitalismus verstehen
Der augenblicklich stattfindende Hype der Thematisierung soziale Frage in der Linken muß insofern verwundern, da es sich tatsächlich um ein Zurückfallen hinter Diskussionen handelt, die sich um vermeintlich klassenkämpferische Antwort auf die Bezugnahme auf die soziale Frage durch die Nazis Ende der 90er drehte. Als Beleg ein Exkurs ins Jahr 98 zum 1.Mai-Aufruf des BgR:
?Gegen die Verräter und Feinde wird die Gemeinschaft, das Volk, die Klasse, die Masse mobilisiert, der Kampf beschworen; es wird rhetorisch ?Dampf gemacht? und ?Gas gegeben?, was darauf hinausläuft, den beim deutschen Publikum abrufbaren latenten oder manifesten gemeinsamen Vernichtungswunsch gegen Volksschädlinge für die eigene Mobilisierungszwecke zu nutzen.
Gleiches gilt allgemein für alle Linken, die ihre Politik in Deutschland auf die ?soziale Frage?, auf den angeblichen Grundwi-derspruch zwischen herrschender Klasse und unterdrückter arbeitender Bevölkerung hin ausrichten, und in irgendeinerweise an das verbreitete Ressentiment gegen ?die da oben, die das Volk verraten?, appellieren. Der Kapitalbegriff dieser Klassen-kämpferInnen und sozial Bewegten besteht in der Regel aus wenig mehr als der Überzeugung, daß Geld die Welt regiert und die Bevölkerung von Bonzen, Banken und Konzernen ausgebeutet und unterdrückt und ? was vielen am allerschlimmsten er-scheint ? individualisiert und ?entwurzelt? wird. Der ?Neoliberalismus? und vor allem die ?Globalisierung? gelten dabei als besonders gefährliche Bedrohung ? vorgeblich, weil sie zur wachsenden Verarmung führen. In Wirklichkeit dürfte jedoch die Vorstellung einer alle nationalen und sonstigen Identitäten auflösenden Globalisierung für bodenständige deutsche Linke die Horrorvision sein, die sie weit mehr als den reinen materiellen Verlust fürchten.
Dieser linke romantische Antikapitalismus, der als Kiezgemeinschaft und als regionales Bündnis ?von Unten? gegen ?die Herrschenden? antritt und mit selbstbestimmten Projekten und ökologisch vorbildlichen alternativen Lebensformen gegen Profit und Kommerzialisierung kämpft, richtet wie der rechte völkische Antikapitalismus gegen die RepräsentantInnen der kapitalistischen Zirkulationsspäre, gegen die Anhäufung von Reichtum ohne gesellschaftliche Verantwortung, gegen unpro-duktiven Konsum auf Kosten der Gemeinschaft. Deshalb war es kein Zufall, daß die Kapitalismuskritik verschiedenster linken Gruppen und Parteien immer vom völkischen Ressentiment gegen ?abgehobene Intellektuelle? sowie von Antiamerikanismus und Antisemitismus (offen oder verdeckt als ?Antizionismus?) begleitet wurde. Nicht der Wille zu einer umfassenden Kritik von Kapital und Arbeit, sondern das Bedürfnis nach Volksnähe und Gemeinschaft im Land von Hitlers willigen Vollstreckern war hier das eigentliche Motiv für die Übernahme solcher antikapitalistischen Positionen. (..) Angesichts der (..) beschriebe-nen Zusammenhänge ist allen von deutschen Linken unternommenen Versuchen, sich am Maifeiertag der Nazis durch einen eigenen klassenkämpferischen Beitrag zu beteiligen, ein möglichst klägliches Scheitern zu wünschen. Wenn es überhaupt eine ?soziale Frage? gibt, die am 1. Mai zu thematisieren wäre, dann betrifft sie die Lebensbedingungen jener Menschen, die im deutschen Alltag durch das Handeln der Nazis und anderer Bündnisse für deutsche Arbeit existenziell bedroht sind. Aber das ist natürlich so gut wie nie gemeint, wenn über Sozialabbau oder wachsende soziale Verelendung gejammert wird?
Rassismus als Nebenwiderspruch?
Nun nehmen wir einmal an, die Linke ist sich ja auch sonst für nichts zu blöde, man agitiert mit den richtigen Argumenten, um die ganze Chose in eine halbwegs erträgliche Richtung zu drängen.
Da stellte sich doch zuallererst die Frage, an wen sich in diesem Falle gewendet werden sollte?
In Deutschland gibt es nach wie vor einen rassistischen Konsens, an der Basis in viel offenerer, antiquierterer Form als in Re-gierungskreisen und Wirtschaftseliten. Die unter Rot-Grün forcierte Modernisierung des Standortes Deutschland gesteht Nichtdeutschen per Gesetz bei entsprechender Eignung die Teilhabe am deutschen Wohlstand zu. Wohlgemerkt stehen dabei Nützlichkeitserwägungen und eine Kompensierung der demographischen Entwicklung im Vordergrund. Deren Rassismus tritt dann wieder hervor, wenn es darum geht, nicht verwertbare Menschen an der europäischen Außengrenze abzuweisen, weil diese potentiell nur unser Sozialsystem ausnutzen würden.
Die Linke war auch diesbezüglich in ihren Diskussionen schon mal weiter und könnte sich heute im klaren sein, was die Be-zugnahme auf (revolutionäre) Subjekte angeht, würde sie nicht immer wieder von vorn beginnen. Vornehmlich antinationale Linke haben angesichts des brandschatzenden Mobs von Rostock und Hoyerswerda gegen die Thesen von ?Modernisierungs-verlieren? argumentiert und auf Standards insistiert, die bei der Betrachtung gesellschaftlicher Zustände nach wie vor ihre Gültigkeit haben. ?Die objektive Notwendigkeit, die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse zu revolutionieren, findet gerade auf nationaler Ebene kaum subjektive Entsprechung. Wer also Notwendigkeit und Subjektsuche gleichermaßen aus der sozia-len Frage ableitet, steht unweigerlich vor der Tatsache, daß er es mit rassistischen und nationalistischen sozialen Subjekten zu tun hat. Keine nur soziale Klassenorientierung wird dieses Problem überwinden können. Eher ist zu befürchten, daß sie natio-nale oder gar nationalrevolutionäre Tendenzen in der Linken hervorbringen wird. Antinationale, antideutsche revolutionäre Politik muß daher im Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus die Abgrenzung von Nationalismus und Rassismus in den Mittelpunkt stellen.? Konsequenterweise müsste die eigene Argumentation grundlegend antinational und antirassistisch aus-gerichtet sein und sich diese Kriterien bei Bündnissen als kleinster gemeinsamer Nenner etablieren. In der gegenwärtige Praxis hingegen finden sich die eigenen Prämissen nur noch als Bereicherung im pluralistischen Gemenge wieder.
Das Gespenst Globalisierung
Spätestens die Polarisierungen während des Irak-Krieges haben wieder einmal offenbart, wie abrufbar Ressentiments gegen-über Kosmopolitismus, Globalisierung und insbesondere die USA in allen Bevölkerungsteilen sind. Was beim Irak-Krieg klappte, gelingt beim Thema Sozialabbau allemal. Wer kennt nicht die ExpertInnen, die detailliert über das miese Sozialsystem der Amis Bescheid wissen. Dieses Halbwissen gepaart mit Ressentiments gegen Individualisierung und Entwurzelung, das seit jeher als Gegenmodell zum solidarischen, gemeinschaftsorientierten Rheinischen (Sozialstaats)Kapitalismus sozusagen als Abschreckung präsentiert wird. Die zur Disposition stehenden Konzepte gelten weithin als Indiz für Amerikanisierung. Sei es die Stärkung der Eigenverantwortung in Bezug auf Lebensunterhalt, Kürzung der Alimentierung von Unproduktiven, die teil-weise Übertragung staatlicher Bereiche an Private Versicherungen (Rente) ? sprich die stattfindende Liberalisierung der Vor-sorge und die Zurücknahme staatlicher Regulierung.
Da es sich dort, wo alle gegen Antiamerikanismus sind, nicht ziemt offen gegen die USA zu wettern, wird dafür synonym von Globalisierung gesprochen.
Das Gegenmodell der Stunde heißt Europa. Der gemeinsame Bezug darauf wird verstärkt durch die Analyse einer als von außen, drohend über einen kommende Globalisierung, die bisweilen auch als unnatürlich beschrieben wird. Die dadurch in die Zwickmühle geratenen Nationen und Nationenverbände (EU) werden infolgedessen als natürlich gewachsene und in ihrer kulturellen Vielfalt erhaltenswerte politische Gemeinschaften wahrgenommen. Da sich dabei von linker Seite mitunter die regressivsten bisweilen völkischen Argumentationen vernehmen lassen, ist es wenig verwunderlich, dass es bisher wenig Kri-tik an Europa als modernem Nationenmodell und an der Rolle Deutschlands dabei gibt.
Auch wenn der Zeitpunkt eher Zufall als Konzept ist, schließt die Agenda 2010-Diskussion an die antiamerikanische Stim-mung der Manifestationen der Friedensbewegung an, die einen nationalen Schulterschluss allererster Güte fabrizierte. Diese nationale Geschlossenheit trägt ihren Teil dazu bei, dass Deutschland es den USA jetzt erst Recht beweisen wird und die Deut-schen gewillt sind, im internationalen Konkurrenzkampf durch Leistung aber auch Verzicht zu bestehen.
Es gibt wohl kaum ein anderes gesellschaftliches Feld, auf dem so offenbar wird, wie nah sich alternativ-kapitalistische Kon-zepte und zivilgesellschaftliches Engagement sind. Wenn man sich im Unterton auch differenziert artikuliert, wenn man Bezug zu Nationen, Rassismus, Sexismus etc. nimmt, so bleibt doch festzustellen, dass es nur in wenigen Ausnahmefällen um die Überwindung des Kapitalismus geht. Die allerorten entstehenden Sozialforen, geldfreien Tauschbörsen und Initiativen zur aktiven lokalpolitischen Mitgestaltung wie bspw. gegen Cross-Border-Leasing-Abkommen oder gegen GATS verstehen sich bewusst parteiübergreifend und gipfeln in europäischen Events. Wenn sich im Herbst hunderttausende in Paris zum ?Europäi-schen Sozialforum? einfinden werden, werden sie dem Aufruf gefolgt sein, sich ?gegen einen kapitalistischen, von den größten multinationalen Konzernen und den Regierungen und internationalen Institutionen, die deren Interessen dienen, befohlenen Globalisierungsprozess (zu) wehren ?. Globalisierungskritische Friedensfreunde und Amerikahasser werden sich an die Kon-zeption von ?Alternativen zum heutigen Zustand der Welt? ebenso machen, wie sie die ?Angriffe, unter denen das palästinen-sische, tschetschenische und kurdische Volk leiden, verurteilen? werden . Der Appell ?an alle progressiven und sozialen Kräf-te...der ganzen Welt, ihre Solidarität mit den Völkern Palästinas, Venezuelas, Boliviens und all denen, die zur Zeit gegen die Hegemonie kämpfen, zu entfalten? ist von einer Linken nicht als Ausrutscher, sondern als manifeste Kampfansage an Israel und die USA zu verstehen. Diese wird nicht nur von ATTAC und Antiglobalisierungsbewegung geteilt, sondern ebenso von der Gewerkschaft verdi als Mitglied bei ATTAC toleriert und wohl in weiten Teilen auf ebenso große Zustimmung stossen, wie in der deutschen Bevölkerung. Die Kritik an den NoGlobals ist von Bahamas über konkret bis Phase 2 in den letzten Jah-ren in allen Schattierungen und Sprecharten bis zum Erbrechen ausgeführt worden, dass man getrost davon ausgehen kann, dass bei all jenen, die sich nach wie vor positv darauf beziehen, von einer Resistenz gegen Argumente ausgegangen werden muß.
Radikale Linke
Es sollte 45 Jahre dauern, bis mittels Sammelklage vor einem amerikanischen Gericht die deutsche Wirtschaft und der deut-sche Staat so in die Nähe eines Imageschadens gebracht wurden, dass sie sich gezwungen sahen eine Stiftung zur Entschädi-gung osteuropäischer ZwangsarbeiterInnen zu gründen. Diese wurden unter unmenschlichsten Bedingungen gezwungen, wäh-rend des Nationalsozialismus den Volkswohlstand der Reichsdeutschen aufrechtzuerhalten und für deren Träume vom Tau-sendjährigen Reich Sklavenarbeit zu verrichten. Diese Situation und weil wir beim Thema sind deren soziale Situation, hat über all die Jahre niemanden wirklich interessiert. Am schäbigsten ist das zweifelsohne für eine sich als radikale Linke verste-hende politische Strömung. Für den Rest der Deutschen ist es zwar nicht weniger schäbig, aber auch nicht anders zu erwarten gewesen. Die jährlichen Proteste gegen die Aktionärsversammlung der IG Farben, der Herstellerfirma von Zyklon B, waren bestenfalls Beiwerk im sich radikal gerierenden Linkssein. Eigentlich, sollte man meinen, hätte in Deutschland die soziale Frage zumindest für eine Linke die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wirtschaftswunder und Nichtentschädigung (z.B. der ZwangsarbeiterInnen), Volkswohlstand und Arisierung, zwischen dem gescheuten Blick ins Grundbuch und dem (materiellen) Erbe der Nazi-Verwandschaft sein sollen. Sein sollen?
Im Text wurde schon die momentane Bedeutungslosigkeit linksradikaler Positionen benannt und auf die Gefahr hingewiesen, die eine - wie auch immer geartete - soziale Klassenorientierung mit sich bringt. Wenigstens diese Fakten sprechen dafür, die eigenen Positionen nicht durch Anbiederung an gesellschaftliche Mitgestaltung preiszugegeben, sondern diese zumindest als Orientierungshilfe und Grundlage für eine Reorganisierung der Radikalen Linken parat zu haben.
Die bewegungsorientierte Zeitschrift Phase 2 gestand sich in ihrer Schwerpunktausgabe (Juni 2003) zum Thema ein, dass sie die Linke eher vor der sozialen Frage stehend verortet als bei einer sinnigen Auseinandersetzung damit. Die Beiträge bebilder-ten dann auch eher verschiedene Ideen, als dass sich Ansätze tatsächlich aufeinander bezogen. Als Begründung diente da schon mal, sich zum Thema äußern zu wollen, weil ?Kapitalismuskritik wieder en Vogue? sei, wie die Berliner Gruppe f.e.l.s. in ihrem Klassenkampfplädoyer ausführte .
Leider stellt f.e.l.s. damit eher die Regel als die Ausnahme dar, die jungle-world-disko im Juni steht dafür so exemplarisch wie der Aufruf von Kritik und Praxis Berlin zur Demo am 3.Oktober. Der Markt der Möglichkeiten bietet einiges: Aufrufe zum Generalstreik, zu Klassenkampf, zur Besetzung von Zeitarbeitsfirmen, zum Sozialkonvent, den Forderungungen ?Raus aus dem Standortwettbewerb? oder ?Reden wir mit den KollegInnen am Arbeitsplatz? bis hin zur Wiederbelebung der Rätebewe-gung... Außer acht blieben dabei der Zustand der Aktionsfelder und der potentiellen MitstreiterInnen, über die Thomas E-bermann in konkret resümierte: ?Die vernünftelnde, gegenkonzeptelnde, Reformbedarf-akzeptierende-aber-die-Reform-anders-gestaltenwollende Welt des schlaubergerischen Keynesianismus und der Gegenkonzepte ist von uns getrennt, sie will uns nicht mehr, weil sie weiß, dass es dort, wo man einige der Argumente plausibel machen könnte, eine Rebellion gegen die vorgege-bene institutionelle Linie geben müsste.(...) Wir könnten also, selbst wenn wir das wollten, im Moment keinen Anschluß an gesellschaftliche Kräfte finden, die sich mit einiger Vehemenz in nicht konstruktiver sondern egoistischer, besitzstandwahren-der Absicht gegen Verschlechterungen wehren. Denn diese Kräfte gibt es nicht mehr.?
1 Siehe dazu die dokumentierte Veranstaltungsreihe ?Arbeiten lassen? www.nadir.org/bgr
2 Jungle World, 18.6.2003
3 der vollständige Aufruf steht auf www.nadir.org/bgr
4 Heiner Möller: Die Linke und die ?soziale Frage? in Bahamas 12/93
5 ausführlicher: Aufruf des BgR ?Kein Frieden mit Deutschland? zum 1.9.2003 www.nadir.org/bgr
6 Aus der Erklärung des französischen Initiativausschusses om 19.3.03 www.fse-esf.org
7 aus dem Aufruf der sozialen Bewegungen, Porto Alegre Januar 2003
8 ebda.
9 Phase 2.08 S. 23ff.
10 alle Bsp. Aus jungle world-Disko 18.6.-9.7.2003
11 Konkret 7/2003, S. 39
== Bündnis gegen Rechts Leipzig (BgR) == [Nummer:09/2003 ] |