the hive mind Warum das Ende der Ideologie der monogamen Paarbeziehung
die kommunistische Revolution begünstigt. Sexuelle Freiheit ist in einer unfreien Gesellschaft so wenig wie irgendeine andere zu denken. (Adorno)
Beginnen möchten wir mit der Darlegung einiger uns grundlegend erscheinender Punkte aus dem Bereich des Gender-Diskurses. Diese sind an verschiedenen Stellen bereits ausführlicher diskutiert worden und sollen daher hier nicht intensiv ausgeführt oder argumentiert werden.
Das soziale Geschlecht (gender) ist im Gegensatz zum genetischen (sex) nicht biologisch fixiert, sondern wird durch strukturelle Merkmale der Gesellschaft und psychologische Prozesse ausgelöst und reproduziert. Damit ist das soziale Geschlecht und dementsprechend auch das ungleiche (asymmetrische) Geschlechterverhältnis zwischen Menschen keineswegs natürlich, sondern historisch geworden und im heutigen gesellschaftlichen Falschen von eben diesem durchdrungen. Der Wahnsinn der aktuellen Gesellschaftsform ist zwar wesentlich jünger als das asymmetrische Geschlechterverhältnis und doch ist er eine Voraussetzung dieser Asymmetrie.
Einer radikalen Kritik am Geschlechterverhältnis geht es demnach nicht um eine simple Gleichstellung der biologischen oder sozialen Geschlechter, die im bürgerlichen Sinne doch nur einen besseren Zugang zur Verwertung unter männlichem Prinzipi bedeuten kann, sondern um deren Abschaffung. Grundsätzlich also der Auflösung einer festen Zuordnung von Menschen zu Geschlechtern. In Konsequenz bedeutet dies „das Ende von Frau und Mann, wie wir sie kennen.“
Die hier vorliegende Kritik soll ihr Augenmerk auf das im wesentlichen binarisierteii Geschlechterverhältnis richten und dabei seine religiöse und gesellschaftliche Prägung und das erzeugte individuelle Elend erhellen. Die im allgemeinen unreflektierte soziale Standardstruktur der Assoziation zwischen Menschen ist die monogame Paarbeziehung. Wie allem ist dieser unter den aktuellen gesellschaftlichen Voraussetzungen schon einmal grundsätzlich kritisch zu misstrauen. Speziell wollen wir von der üblichen gesellschaftlichen Ebene der Kritik auch auf eine eher individuelle Ebene übergehen. Dies hat den Vorteil einer plastischen, im Konkreten entfalteten Kritik am individuellen Verhalten der LeserInnen und den Nachteil eines gewissen Verlustes an gesamtgesellschaftlicher Abstraktion. Dieses Risiko gehen wir ein.
Seine Entfaltung findet das falsche Verhältnis der Menschen untereinander in seiner Verwebung mit religiöser Ideologieiii und individueller Reproduktion der die falsche Gesellschaftsform durchdringenden Herrschaft. Die Kritik der Religion als (zumindest historisch) formender Bestandteil des Geschlechterverhältnisses und der Binarisierung der Assoziation (Verknüpfung) von Individuen soll nur kurz umrissen werden. Die notwenige Denunziation vor allem der jenseitsbezogenen Religionen ist uns Voraussetzung für weitergehende Gesellschaftskritik.
Das religiöse Elend.
"Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks. Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist." (Marx)
Der vielgepriesene religiöse Trost ist nicht mehr als die Vertröstung auf das hochgelobte Jenseits. Auf dieses jedoch können und wollen wir beim besten Willen nicht warten.
Findet das „säkularisierte Judentum“ noch durchaus Anknüpfungspunkte an kommunistische Kritikiv, so muss der messianische Glaube doch weit hinter einer praktischen, von Menschen gemachten - und nicht nur erwarteten - emanzipierten Aufhebung der Verhältnisse zurückbleiben. Die materielle Nichtexistenz des „Subjektes“ Gott können wir natürlich nicht beweisen, da dies durch seine antimaterialistische Beschaffenheit logisch verunmöglicht ist.
Atheismus gewinnt allerdings gesellschaftskritische Relevanz, wenn Religion einer Befreiung des Menschen im Weg steht. Die religiöse Negation der Welt als solche, Fortschrittsverneinung und Lustverachtung stehen kommunistischer Gesellschaftskritik unversöhnlich entgegen.
Sich kritisch wähnende ChristInnen bringen ihren lieben Gott gern mit der Ablehnung seiner Kirchen, also des faktischen Christentums, aus der materialistisch geerdeten Kritik. Sie hoffen mit der bloßen Negation der Institution den Glauben und die Religion retten zu können. Die Tradition der Kreuzzüge, ein Papst mit jahrhundertealten und gefährlichen Moralvorstellungen und eine Kirche, die in ihrer Prunksucht die Lüge unerträglich werden lässt können einem(r) den Glauben schon verderben. Aber was bleibt an „Göttlichem“, wenn sich auch die Märchen der Bibel von Adam und Eva an moderner Genetik blamieren müssen und aller Wahrscheinlichkeit auch die heute in greifbare Nähe gerückte Erkenntnis über den Ursprung des Universums absehbar zu Ungunsten Gottes ausgeht ? Wenn Gott aber Ausdruck menschlicher Bedürfnisse sein soll, wozu dann Gott ?
Die psychisch unreife (Freud) und irrationale Annahme eines Subjektes „Gott“ ist uns überflüssig, weil sie nichts erklärt. Die Illusion ist der Feind der Veränderung. Gott wird daher abermals zum Feind der sinnlichen Vernunft und es wird von essentieller Bedeutung ihm den Krieg zu erklären.
Ohne Verständnis der Unwürdigkeit ihres „Glaubens“ für sie selbst und für ihre Zeit werden die Gläubigen ohne Zweifel Gottes verwesten Kadaver weiter anbeten müssen. Und so muss ihr Glaube die Liebe und die Vernunft der Ehre Gottes opfern.v
Unser menschliches und damit kommunistisches Bedürfnis ist das „sinnliche Leben“ in „Luxus, Lust und Intellekt“vi. Dieses Leben fände in Abgrenzung vom bestehenden gesellschaftlichen Konsens von religiöser Moral statt. Es kann nur in Abwesenheit Gottes und in einiger Entfernung von Arbeit realisiert werden.
Das gesellschaftliche Elend
Arbeit
Durch den besinnungslosen Hass der VerteidigerInnen von Arbeit und Kapitalvii, die selbst angesichts der unübersehbar anschwellenden Massen, der nicht mehr in die kapitalistische Verwertung zu integrierenden, aber ebenso besinnungslos Arbeitssuchenden, scheint unübersehbar die unreflektierte Ahnung davon hindurch, um wie viel schöner und sinnlicher das eigene Leben hätte sein können. Übertroffen werden jene, die ohne ihre geliebte Arbeit auch nicht essen möchten, nur von denen, die keine haben und umso rücksichtsloser nach ihr verlangen. Beiden Gruppen ist gemeinsam, dass ihnen für eine erfüllte sinnliche Assoziation zwischen Individuen kaum Zeit bleibt. Neben den vielen anderen guten Gründenviii ist auch deshalb eine Abschaffung der Arbeit anzustreben. Die kümmerlichen Reste, die von den menschlichen Beziehungen der bürgerlichen Subjekte zueinander übrig bleiben, erinnern sie nur schmerzlich daran, wie sehr sie auch in dieser Hinsicht ihre Zeit vergeuden. Ihre museumsartig eingerichteten, verstaubten Wohnungen und Häuser spiegeln trefflich die Leere ihrer Leben wieder. Sie scheinen kein Empfinden für wirkliche Freiheit zu haben. Und wenn sie jemals eines hatten, als sie angeblich jung waren, dann ist dieses schon lange verloren.
Dies ist ihr Leben und soll auch unseres werden, wenn man ihnen und dem was sie einschließt glaubt.
Dieses Angebot lehnen wir dankend ab.
Die Ideologie der monogamen Paarbeziehung
Eine Verknüpfung zwischen Individuen, die einen emanzipierten Zustand anstreben, müsste sich zwangsläufig von den Strukturen der in Herrschaft verkommenen sozialen Standardstruktur - der monogamen Paarbeziehung - entfernen. Diese Ansicht stützt zuerst auf vier Thesen bezüglich der gesellschaftlichen Relevanz einer solchen Praxis:
(1) Der gesellschaftlichen Dialektik von Produktion und Reproduktion sind eindeutig die sozialen Geschlechter Mann und Frau zugeordnet. Dieser Funktionalität des arbeitenden „Mannes“ und der, sich dem männlichen Prinzip unterordnend, heute ebenso arbeitenden und zusätzlich für die Reproduktion verantwortlichen „Frau“ ist perfekt die soziale Struktur der binarisierten und monogamen Paarbeziehung angepasst.
Die monogame Paarbeziehung und ebenso die durch Kinder angereicherte konventionelle Kleinfamilie entsprechen heute also strukturell der kapitalistischen Gesellschaft und sind für diese funktional.
Ein Bruch mit diesen Strukturen wäre eine potentielle und begrüßenswerte Störung und Infragestellung des gesellschaftlich dominierenden patriarchalen Prinzips und damit der Gesellschaft selbst.
(2) Die in der abgeschlossenen Zweisamkeit dieser Paarbeziehungen praktizierte Unterwerfung aus Liebe realisiert und reproduziert das binarisierte Geschlechterverhältnis und macht damit seine Asymmetrie erst möglich. Eine nicht-binarisierte Assoziation zwischen Menschen würde die abzulehnende geschlechtliche Rollenzuordnung, welche nicht ohne Grund ebenso binarisiert ist, mindestens erschweren.
(3) Zwar sind „wir selbst - Männer und Frauen - das Partriarchat“ (R.Scholz), doch ebenso sind die individuell falschen Strukturen historisch auch von Religion und warenproduzierendem Patriarchat geformt worden. Die falsche Struktur ist daher auf beiden Ebenen (individuell und gesellschaftlich) abzuschaffen.
(4) Den in der bürgerlichen Gesellschaft aufgewachsenen Individuen wurde zumeist eine Vorstellung von sinnlichem Glück implementiert, welche nur in der monogamen Paarbeziehung oder in deren fanatischer, aber ihr strukturell durchaus ähnlicher Ausprägung - der Ehe – zu realisieren sei. Diese Implantation überkommener Vorstellungen hält keiner kritischen (Selbst)reflexion stand.
Bezüglich dieser Verbindung von gesellschaftlich dominanter Struktur und individuell verantwortlichem Handeln bestehen Analogien in verschiedenen anderen Bereichen linker Politik. Die kapitalistische Produktionsweise zum Beispiel prägt der Gesellschaft eine i.A. unverstandene fetischisierte Struktur auf, die im Ernstfall der Krise die antisemitische Wahnvorstellung befördert und so den deutschen MörderInnen Auschwitz erst möglich machte. Die Aufteilung der Welt in Staaten, die zwangsläufig rassistisch über „die Andern“ konstituiert sind, prägt der Welt eine ebenso unschön antiemanzipatorische Struktur auf, die anzustrebendem Kosmopolitismus entgegenstehtix. Während sich heute Teile der Linken dazu durchgerungen haben diese Erkenntnisse der antinationalen, anti-antisemitischen und auf gesellschaftlicher Ebene auch der antipatriarchalen Kritik zu verinnerlichen, ist dies auf individuellerer Ebene fern von bloßer Kritik des Ehe bisher kaum versucht worden.
Im weiteren werden wir uns der Kritik der monogamen Paarbeziehung und ihrer TrägerInnen auf individueller Ebene widmen.
Das individuelle Elend
Herrschaft und Zwang
Die monogame Paarbeziehung im speziellen integriert in Zuneigung, Lust und Sinnlichkeit, also kurz in Fragmente des „sinnlichen Lebens“, Herrschaft und Zwang und kompromittiert diese damit vollständig zum „entsinnlichten Leben“.
Diese falsche Assoziation von Menschen integriert Herrschaft, weil dem Gegenüber nicht in jedem Moment die freie Entscheidung über seine Handlungen zugebilligt wird.
Sie integriert Zwang, weil Herrschaft mit Zwang und Gewaltx untrennbar verwoben ist und die Sanktionen für in diesem Geiste „falsches“, also in Wahrheit freies Handeln schon vereinbart sind. Die implizite Drohung mit dem Ende der Zweierbeziehung ist allgegenwärtig. Die vorauseilende beiderseitige Unterwerfung ist dabei eine unappetitliche Form der wechselseitigen Herrschaft zweier vom gesellschaftlichen und religiösen Konsens versklavten Geister übereinander.
Jeder Partner der offensiv die Unterwerfung des Anderen einfordert, übt damit Herrschaft aus, die es aufzuheben gilt.
Beide verlieren mit der Nichtanerkennung des Anderen als frei entscheidendes Individuum die Möglichkeit, sich und den Partner als freien Menschen zu lieben. Beide werden stets nur einen Schatten lieben können und sie selbst werden nur ein Schatten der Liebe sein.
[Auch] in diesem Sinne ist die Kritik [daher] keine Leidenschaft des Kopfes, sondern sie ist der Kopf der Leidenschaft. (Marx)
Bereits an diesem Punkt wird deutlich, wieso uns diese Form der unfreien Assoziation in kommunistische Zeiten kaum hinüberzuretten scheint.
So sehr, wie gelebte Monogamie auch Hinweis auf überwindenswerte Affirmation eines mindestens christlichen Wertekonsenses ist, so sehr ist sie auch Ausdruck des bürgerlichen Wunsches, das kärgliches Leben innerhalb der warenproduzierenden Gesellschaft unter der abstrakten Herrschaft des Kapitals zu zementieren und es damit genauso übersichtlich, verwaltbar und kalt einzurichten, wie den (mindestens herbeigesehnten) täglichen Ausflug in die Produktionssphäre.
Angesichts der allgegenwärtigen Empirie verkommener und entsinnlichter monogamer Paarbeziehungen erscheint uns deren unreflektierte Praktizierung reichlich merkwürdig.
Mit dem Fortschreiten der monogamen Partnerschaft muss sich die aufkommende Langeweile immer öfter als Vertrautheit verkaufen, die sich an wirklicher Vertrautheit in sinnlicher Assoziation blamieren muss und den im Laufe der Zeit immer deutlicher werdenden Durchschein des Falschen nur noch mühsam überdecken kann. Längst lächerlich gewordene Liebesbeweise und immer neue Bücher mit Anleitungen zur Verewigung dieser „Liebe“ lassen die Ausweglosigkeit der Situation der Herrschaft über das eigene Selbst und das Gegenüber immer verzweifelter werden. Das hier und jetzt reicht den Gefangenen nicht. Sie müssen sich alles versprechen und alles erwarten, weil die Möglichkeit der Freiheit des Anderen unerträglich werden muss.
Auch wenn alle Beteiligten scheinbar freiwillig den Regeln der Beziehung zustimmen, muss diese vorauseilende Unterwerfung fern jeder freien Assoziation bleiben und offenbart gewöhnlich nur den Sklavengeist der Beteiligten. Die Akzeptanz dieser Unterwerfung dokumentiert den erkalteten Willen zur Freiheit. Ewige Treue schwört Mensch in Deutschland bekanntlich außer dem oder der „Geliebten“ nur noch der Wehrmacht.
Besitz und Sicherheit
Das monogame Subjekt will geliebt werden. Vor allem aber will es diese Liebe sichern. Seine unerfreuliche Entfaltung findet dieser unbedingte Wille zu unerreichbarer und uns auch nicht wünschenswerter Sicherheit im immer wieder aufs neue um die paranoide Kontrolle des Gegenübers kämpfenden Subjekt. Die Freiheit des Anderen wird zur dunklen Bedrohung, die unauslöschlich und immer wiederkehrend den falschen Frieden in Gefahr bringt. Was bleibt sind Verhaltensregeln.
Die Drohung mit dem Ende der Beziehung oder - noch ekelhafter – mit dem eigenen Leiden bei Regelübertritt - wird zur Grundlage des Miteinanders.
Die eifersüchtelnde Kontrolle wird zur Normalität. Die Selbstbeschränkung der vom christlichen Werte- oder besser Schuldkonsens und ihrer dementsprechend elendigen Vergangenheit Durchherrschten ist ein bemitleidens- und aufhebenswerter Zustand. Nicht umsonst gleicht das Bedürfnis nach monogamer Sicherheit in der Partnerschaft dem Bedürfnis des Bürgers nach Sicherheit auf den Straßen, der sich die totale Polizeipräsenz herbeisehnt. Beide eint die Illusion.
Ähnlich wie die IsraelhasserInnen der abgestorbenen friedensbewegten Form der deutschen Zivilgesellschaftxi uns mit ihren antisemitischen Wahnvorstellungen relativ egal wären, wenn sie nur das Maul hielten und zu Hause blieben, ist leider auch das strukturell aufgeherrschte, entsinnlichte und enterotisierte Leben nicht nur ein Problem des unkritischen Individuums, sondern impliziert in seiner Praktizierung auch immer die Unterwerfung eines Gegenübers und nervt damit potentiell uns. Während für sein eigenes Unglück immer noch jede[r] selbst verantwortlich ist, sich den ganzen Stress mit Eifersucht, Verlustangst und partnerschaftlichem Sicherheitswahn unnötigerweise anzutun, so muss die Herrschaft über den Anderen einer verschärften Kritik unterzogen werden. Wir dagegen können niemanden verlieren, weil uns auch niemand gehört.
Das Ende des Elends?
Sexualisierung als Abdruck des Bestehenden
Um Missverständnissen vorzubeugen: Die reine Intensivierung von potentiell warenförmiger Sexualität - also mehr ficken mit mehr Menschen - ist keineswegs ein Vorschein von Emanzipation. Ist der quantitative Aspekt auch in gewisser Hinsicht verbunden mit der von uns angestrebten Praxis eines „sinnlichen Lebens“, so wäre dies allerdings völlig unzureichend und weder frei noch wirklich assoziativ. Ein sinnliches Leben wäre immer ein erotisiertes und lustvolles, aber keineswegs ein sexualisiertes.
Der warenförmige Aspekt dieser Art sexuellen Konsums, der sich hauptsächlich über den Austausch von „Akten“ konstruiert, ist vollständig unemanzipatorisch, weil er nichts mehr als den Wiederhall der Verhältnisse darstellen kann. Was eine solche Sexualisierung und auch Pornographie versprechen, können sie nicht halten, wie alles, was in der Warenwelt zirkuliert. Die entsinnlichte und enterotisierte Form der Sexualität als bloßer „Konsum der Leiber“ kann gefährlich werden.
Die Fülle des wahllos Konsumierten wird unheilvoll. Sie macht es unmöglich, sich zurechtzufinden, und wie man im monströsen Warenhaus nach einem Führer sucht, wartet die zwischen Angeboten eingekeilte Bevölkerung auf den ihren. (T.W.Adorno)
Sinnliches Leben als Fragment besserer Zeiten
Denkbar wäre ein „sinnliches Leben“ als auch nicht-monogame Assoziation von Individuen, also als radikales Ende der monogamen Paarbeziehung. Dies soll keineswegs als „Zwang“ zur Polygamie verstanden werden, sondern als notwendige Integration ihrer Möglichkeit und als notwendige Ablehnung ihrer Unmöglichkeit.
Da das Ende des Kapitalismus nicht nur mit einer Umstellung der Produktionsweise einher gehen dürfte, sondern mit einer Transformation des Geistes hin zur Ablehnung von Herrschaft verbunden sein wird, so ist die private, durchherrschte Beziehungspraxis auch immer politisch – und zwar antikommunistisch. Ihre Existenz muss dementsprechend bekämpft werden – zuförderst auch im eigenen Bewusstsein.
Unsere Kritik an den Verhältnissen wird damit auch immer zur Kritik an den die Verhältnisse reproduzierenden Menschen. Das revolutionäre Individuum müsste auch innerhalb der gesellschaftlichen Totalität den Prägungen und Abdrücken dieser Zustände entgegentreten, um sie letztlich beenden zu können.
Wer kommunistische, also intellektuelle und lustvolle, und vor allem (herrschafts)freie Assoziation zwischen Individuen, ihrer Umsetzung näher bringen möchte, der/die kann auf der monogamen Paarbeziehung nicht beharren.
Jegliche Beziehungen mit zwei oder mehreren Partnern, vor allem die klassische binäre monogame Paarbeziehung, die das Gegenüber als frei handelndes Individuum einschränkt und sich dabei auf eine überkommene religiöse Moral oder deren Nachhall berufen muss, begünstigt auf gesellschaftlicher Ebene die geschlechtliche Rollenzuordnung und ermöglicht die ungestörte Operation des Patriarchats. Auf individueller Ebene wird – tatkräftig unterstützt durch den Einfluss des gesellschaftlichen Falschen - durch die zwangsläufige Implantation von Herrschaft, Zwang und Besitzanspruch in diese Art Beziehung ein „sinnliches Leben“ beider PartnerInnen verunmöglicht.
Erst die sich gegen die herrschenden Verhältnisse sträubende „sinnliche Beziehung“ zwischen zwei und mehr Menschen, für die Sicherheit immer nur die abstoßende Sicherheit der Unterwerfung sein kann, akzeptiert die beteiligten Individuen als solche und bietet einen leisen Vorschein emanzipierter Verhältnisse und kann so die nötige gesellschaftliche Umwälzung begünstigen.
Nun erwarten wir von der vorgeschlagenen sinnlichen Praxis keineswegs die Auflösung der warenförmigen patriarchalen Gesellschaft und doch könnte eine Aufweichung der aus gutem Grund sich so geformten Strukturen einen Bruch mit dem Falschen zumindest erleichtern. Sinnlichkeit und Zuneigung selbst sind nicht wertförmig organisiert, aber in wertförmige Strukturen eingezwängt. Die perfekt zur abzuschaffenden Dialektik von Produktion und Reproduktion passende monogame Paarbeziehung allerdings, muss nicht eingezwängt werden – sie ist selbst Zwang.
Innerhalb einer Gesellschaft von binarisierten und monogamen Paarbeziehungen dürfte es weitaus schwieriger sein das asymmetrische Geschlechterverhältnis in ein freies und symmetrisches Verhältnis zwischen Menschen – eben in den Verein freier Menschenxii - zu transformieren. Die Desertation des Individuums aus den Gefängnissen monogame Paarbeziehung, Familie und Volk ist dafür Grundvoraussetzung.
Mögen uns die ApologetInnen des Bestehenden, die ihre Einmaligkeit in anderen Menschen suchen und ihr hierarchisierendes Leistungsdenken im Anspruch reproduzieren, der/die „Erste“ in ihren Beziehung sein zu müssen, ihr Tun auch noch so vehement mit ihrem Gefühl erklären, so sei folgendes noch erwähnt: Vor allem in Deutschland sind uns „Argumentationen“, die dem „abstrakten und unpersönlichen Charakter des reflektierten Gedankens, der sich das Recht herausnimmt, ohne Ansehen der eigenen wie der anderen Person einen gesellschaftlichen Zustand zu analysieren, dessen Teil alle Diskutant[Innen] selber sind“xiii, die Zumutung der bloßen Meinung oder des Bauchgefühles entgegensetzen, unerträglich.
Unseres Erachtens muss schmerzhaft und gewaltsam mit der eigenen entsinnlichten Ideologie und der von religiöser Überlieferung und den Verhältnissen aufgeprägten Vorstellungen von Assoziation zwischen Individuen gebrochen werden, denn genauso gewaltsam sind diese in uns integriert worden.
Die Gewalt dieser Befreiung muss sich jede(r) selbst antun. Es zu tun oder es nur zu wollen ist ein Unterschied ums Ganze.
So „muss die zukünftige revolutionäre Bewegung [weiter] in sich selbst alles abschaffen, was die entfremdeten Produkte des Warensystems zu reproduzieren droht“. „Die Kritik der Ideologie [muss] in letzter Konsequenz das zentrale Problem der revolutionären Organisation sein“xiv. Kompromisse sind in diesem Zusammenhang nicht duldbar, da sie nichts als Kompromittierungen wären.
Wenn das eigene ideologische Ich nicht zur Auflösung bereit ist, dann scheint jede Revolution verloren.
Fußnoten
i Siehe dazu den Text von Martin D. „Sexismus und Sexualität“ im CEE IEH 74
ii Binarisierung wird im Kontext dieser Veröffentlichung als „immer genau zwei Menschen betreffend“ verwendet. Wir verwenden binarisiert (an Stelle von binär), weil unseren Thesen nach diese „Zweisamkeit“ strukturell von verschiedenen Faktoren erzwungen ist.
iii An dieser Stelle sei bemerkt, dass unsere Ausführungen einen eher westlichen Blickwinkel einnehmen. Die Verhältnisse in anderen Regionen der Welt sind uns unvergleichlich weniger detailliert und teilweise nur aus fragwürdigen Quellen bekannt. Es ist anzunehmen, dass diese zumindest in religiöser und gesellschaftlicher Hinsicht ähnlich scheiße sind.
iv Nachzulesen beispielsweise in „Die Möglichkeit der Revolution“, BgR Leipzig, in Phase2 Ausgabe 6 (www.phase-zwei.org)
v Frei nach Ludwig Feuerbach, in: K-H. Weger: Religionskritik von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Freiburg 1979, S. 78-93
vi Entnommen aus „Solidarität mit Israel“ (Antifa X Recklinghausen) www.re.antifa.net
vii Ein(e) „VerteidigerIn des Kapitals“ ist keineswegs eine(r), den VulgärmarxistInnen als KapitalistIn bezeichnen würden. Wir meinen jede(n) der/die am bestehenden Produktions- und Reproduktionsverhältnis nichts auszusetzen hat und damit Staat, Arbeit und Geld nicht abschaffen möchte. Das Kapital bzw. Kapitalismus ist grundsätzlich ein apersonales abstraktes Prinzip und Verhältnis, welches alle Menschen beherrscht. Nie sind also Einzelpersonen gemeint.
viii Nachzulesen beispielsweise im „Manifest gegen die Arbeit“ der Gruppe Krisis (www.krisis.org)
ix Bekanntlich ist Israel der einzige Staat, für den es, solange die falsche Gesellschaft existiert, einen Grund gibt.
x Dabei sind keineswegs nur die physischen Formen von Gewalt gemeint. Die psychische Gewalt, welche beispielsweise die Aussicht auf das Leiden des Anderen bei „Verletzung der Spielregeln“ der Zweierbeziehung enthält, ist im Allgemeinen weit ausgeprägter.
xi Siehe Jochen Faun (BgR) in “Die Mobilmachung der Zivilgesellschaft” in Phase2 Ausgabe 7 (www.phase-zwei.org)
xii „Verein freier Menschen“ von Marx in Kapital I, MEW 23, 92-93 als Synonym und Voraussetzung für Kommunismus verwendet.
xiii Bahamas 32, www.redaktion-bahamas.org
xiv Situationalistische Internationale – Straßburg 1966, Übersetzt von Pierre Gallissaires == AKA == [Nummer:08/2003 ] |