Hier und heute wollen Sie ein Zeichen gegen Gewalt setzen. Auch wir sind heute hier, um ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen. Soweit so gut. Doch wir haben auch noch ein anderes Anliegen. Wir möchten auch ein Zeichen gegen Gewaltfreiheit setzen. Gegen die Propaganda von der friedlichen "bürgerlichen Mitte" oder, wie es jetzt so schön heißt, von der "Zivilgesellschaft"; gegen Ihre geheuchelte und verlogene persönliche Gewaltfreiheit und gegen den demokratischen Rechtsstaat und dessen Lüge von Gewaltfreiheit. Denn all diese Formen von Gewaltfreiheit lassen sich nur mit (staatlicher) Gewalt aufrechterhalten. Dies wird dann auch ganz offen, ehrlich und direkt als das bezeichnet, was es ist. Das staatliche Gewaltmonopol, welches sich permanent gegen "Extremisten" behaupten und verteidigen muß. Die staatliche Gewalt befindet sich in einem immerwährenden Kampf zwischen Ordnung und Chaos. Sie muß immer wieder zeigen und durchsetzen, wer dazu gehört und wer draußen zu bleiben hat, wer Rechte in Anspruch nehmen kann und wer nicht. Dieser Kampf findet tagtäglich statt, so auch heute. Wo Sie und Ihr Staat gemeinsam gegen diejenigen vorgehen, die Sie als extremistisch, gewalttätig und chaotisch bezeichnen. Seien es die Nazis auf der einen oder die Linken auf der anderen Seite. Und indem Sie sich gegen diese Ränder der Gesellschaft abgrenzen - gewaltfrei natürlich - können Sie sich Ihrer Zugehörigkeit zu den "besseren Deutschen" gewiß sein. Einen Orden bekommen Sie dafür zwar leider noch nicht, aber geben Sie die Hoffnung nie auf! Wenn es Sie tröstet, möchten wir Ihnen statt dessen bestätigen, daß Sie allemal noch intelligenter als die Stiefelfaschisten sind. Also als diejenigen, die immer noch nicht kapiert haben, daß die "Zivilgesellschaft" die deutschen Interessen viel besser vertritt und durchsetzt und sie mit ihren altbackenen Parolen nur im Wege rumstehen. Von uns vaterlandslosen Gesellen, die Deutschland doch glatt einmal den Krieg erklären wollen, ganz zu schweigen.
Für dieses bessere, schönere Deutschland stehen Sie nun aufrichtig: hier und heute. An dem Platz, wo vor knapp 12 Jahren mit den Montagsdemonstrationen die endgültige Überwindung der deutschen Niederlage im II. Weltkrieg eingeleitet wurde. Nach der "Wiedervereinigung" war dann auch der Weg für eine militärische deutsche Außenpolitik wieder frei. Eine Außenpolitik, die Krieg wieder als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln betrachtet. Gerichtet gegen diejenigen, die der neuen weltkapitalisistischen Ordnung scheinbar oder tatsächlich im Wege stehen. Die militärischen Interventionen - wie im Kosovokrieg oder jetzt in Mazedonien - dienen als Negativbeispiel und sind Drohung an diejenigen, welche möglicherweise dem Kapitalismus abtrünnig werden wollen. An dem ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien wurde und wird gezeigt, wer in der neuen Welt das Sagen hat. Weil Jugoslawien 1989 nicht sofort das kapitalistische Gesellschaftsmodell übernommen hat, wird es ihm jetzt mit Bomben eingetrichtert. Begründet werden diese Einsätze mit den universalistischen bürgerlichen Menschenrechten. Und dabei hat Deutschland - nicht trotz, sondern wegen Auschwitz - eine besondere Rolle. Hitlers willige Vollstrecker haben aus ihrer Vergangenheit gelernt und können heute dem Rest der Welt zeigen, wie man ein neues Auschwitz (im Kosovo) und einen neuen Hitler (Slobodan Milosevic) verhindert. Sie geben sich "geläutert", "humanistisch", "friedlich" und "gewaltfrei" und können dafür an anderer Stelle innerhalb von drei Monaten ein Land in die Steinzeit zurückbomben. Aber lassen Sie sich nicht beirren. Diese Halunken und Schufte hätten ohne die Hilfe der NATO nie solch schöne Sachen wie "Demokratie" und "westliches Wertemodell" kennengelernt. Diesen Barbaren konnte man halt nur mit Gewalt zeigen, wie schön Kapitalismus sein kann. Und das es nun doch nicht so richtig geklappt hat und das Land wirtschaftlich ruiniert ist, muß Sie auch nicht weiter stören. Hätten sie mal gleich gehört, dann wär das alles gar nicht erst passiert. Deutschland und die NATO haben lediglich ihre Pflicht getan.
Doch kommen wir zu Ihnen zurück. Wie friedlich Sie sind, sehen wir ja heute. Phantasievoll stellen Sie sich gegen die Nazis. Flugblätter lesen gegen Rechts. Ach wie schön doch die Welt sein kann. Doch Ihr Gewaltverzicht richtet sich nur gegen die staatlich sanktionierte Form von Gewalt. Gegen die "sinnlose Gewalt" randalierender Jugendlicher und politisch motivierter Extremisten. Gegen andere Formen von Gewalt - ach Entschuldigung, das dürfen wir so ja gar nicht sagen - also gegen gesellschaftliche Normierungen und Zwänge haben Sie hingegen nichts einzuwenden. Im Gegenteil, diese wird erst täglich durch Ihre aktive Mithilfe, Ihr Engagement, Ihre Courage und Ihre Legitimation ermöglicht und praktiziert. Die (staatliche) Gewalt erscheint dabei durch die breite Zustimmung der Bevölkerung als "gesellschaftlicher Zwang". Und sie läßt all denjenigen keine Ruhe, die sich diesen Normen - aus welchen Gründen auch immer - nicht unterordnen können oder wollen. Seien es Menschen die einfach keine Lust auf tagtägliche Plackerei haben, die zufällig auf einem anderen Flecken der Welt geboren wurden oder die aufgrund ihrer "Unnormalität" lebenslang in die Psychiatrie gesteckt werden.
Ihre schöne Gesellschaft beruht auf den Prinzipien von Herrschaft und Unterdrückung. Und diejenigen, die sich den gesellschaftlichen Normen nicht freiwillig unterordnen, werden halt mit Gewalt dazu gezwungen. Wer z.B. nicht arbeiten will, soll auch nicht mehr essen dürfen. Nur wer sich nützlich macht, soll auch Leben können. Der Rest sei "lebensunwerter Humanmüll". Und Menschen, die nicht deutscher Abstammung sind, müssen sich gleich doppelt und dreifach beweisen und nützlich machen, damit sie überhaupt erst in das Ihrige Land einreisen dürfen. Von ihnen wird nicht nur Leistung verlangt, sondern permanente Spitzenleistung. Und wenn sie diese nicht mehr erbringen können werden sie - ganz gewaltfrei natürlich - abgeschoben.
Doch wollen wir Ihre Zeit nicht weiter stehlen, kommen wir nach all der Kritik zu einem versöhnlichen Abschluß. Lassen Sie uns doch gemeinsam Courage zeigen: nicht nur gegen die Nazis, sondern auch gegen Deutschland. In diesem Sinne:
Deutschland den Krieg erklären! Kapitalismus abschaffen!
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