|
Berlin - NOlympic-city
Am 23. September 1993 war es soweit: wir hatten gesiegt! Das IOC
hatte sich für Sydney entschieden. Ein schönes Gefühl, endlich
mal nicht von Niederlage zu Niederlage zu hoppeln, sondern mit einer stimmigen
Aufwand-Ertrag-Verhältnis politisch agiert zu haben. Aber: hatten wir
nicht einfach nur Glück, zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort das
Richtige getan zu haben?
Die damalige Situation
Die Mauer war gefallen. Die linksradikale und autonome Szene befand sich
zum Teil in einer Art Schockzustand. Der Angriff von rechts begann stärker
zu werden und mündete u.a. in das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen.In
Berlin schienen sich die schon seit ca.1987 von uns thematisierten
Entwicklungen in der Stadtpolitik zu beschleunigen: Mit Hauptstadt-Umzug und
Olympiabewerbung würden unsere Unkenrufe über Umstrukturierung,
Vertreibung und Gentrifikation endgültig Wirklichkeit werden. Auf der
anderen Seite waren in Ostberlin Freiräume entstanden, die sich mit der
neuen Häuserbewegung und einer vielfältigen Sub-und Undergroundkultur
füllten. In diesem Klima trafen sich ein paar Menschen, zum Teil
Alt-Autonome, zum Teil aus den besetzten Häusern, die im Thema Olympia ein
sinniges Betätigungsfeld sahen und gründeten das AOK
(Anti-Olympia-Komitee). Eine wichtige Motivation war das Wissen: dieses mal
können wir gewinnen. Und, Olympia könnte wie zu IWF-Zeiten 1988 in
Berlin als Kristallisationspunkt für die sich zersplitternde Linke sein.
Doch daraus wurde bis Anfang 1993 nichts. Wir waren bis dahin mehr oder weniger
auf uns alleine gestellt, denn die Szene war einerseits zu sehr mit ihrer
Wieder-Selbstfindung und mit dem Abwehrkampf gegen rechts beschäftigt.
Die drei Phasen
Erste Phase: 1991 probierten wir in klassischer Art und Weise den
Protest zu organisieren: Wir setzten auf Aufklärung und klassische linke
Kritik am Thema Olympia, auf Massenmobilisierung und Bündelung der
Kräfte. Beim Besuch des Exekutivkomitees des IOC fanden Demonstrationen
statt, wir klärten auf, schlossen ein Personenbündnisse mit Teilen
von Bündnis 90/Grünen und PDS uvm. Aber: Der Funke sprang nicht
über.
Zweite Phase: wir wendeten das Konzept der Imagebeschmutzung an, das die
Amsterdamer schon einmal erfolgreich einsetzten. Da das IOC letztendlich die
Entscheidung trifft und sie bei der großen Auswahl geneigt sind, die
Städte zu favorisieren, in denen die Mehrheit der Bevölkerung die
Spiele willkommen heißt und Ruhe und Ordnung herrscht, war es klar, der
Hauptfokus unseres folgenden Engagements wird das IOC sein. Wir
überhäuften die IOC-Mitglieder persönlich mit Schreiben,
legten als Bestechungsgelder auch mal einen Dollar bei, schickten ihnen eine
Hochglanzbroschüre, in dem sehr ausführlich auf die Tradition von
militantem Widerstand in der Stadt Bezug genommen wurde und dem sie auch
ausgesetzt sein würden. Diese Art des Vorgehens war jedoch nur
möglich, weil es seit 1987 auch tatsächlich einige Riots in Berlin
gab (1. Mai 1987, IWF-Tagung 1988, Räumung der Mainzerstraße 1990)
und es einige Grüppchen in der Stadt gab, die ihre militanten
Aktivitäten ab 1992 rund um das Thema Olympia ausweiteten. Das
heißt, wir konnten mit einem Mythos arbeiten, der zu der damaligen Zeit
tatsächlich noch ein kleines bisschen real unterfüttert war. Trotzdem
war diese Zeit eine gewisse Durststrecke für uns. Wenn das AOK nicht auch
ein soziales Gebilde für uns gewesen wäre, mit dem wir viel
Spaß hatten und mit dem wir uns auch in anderen Politikfeldern politisch
eingemischt hatten, hätten wir vielleicht schon eher aufgegeben.
Dritte Phase: Sie bestand im Bedrohungsszenario, das mit einzelnen
gezielten Aktionen hergestellt wurde. Das begann damit, dass wir nach Lausanne
fuhren und die offizielle Abgabe der Bewerbung begleiteten. Wir waren in der
Öffentlichkeit mit 50 Leuten präsent, gaben ein Videoband voller
Drohgebärden ab, und einige Beherzte markierten das IOC-Hauptgebäude
mit roten Farbbeuteln.
Die Entscheidung über die Vergabe der Olympiade rückte immer
näher, die militanten Aktionen wurden massenhafter. Es brach ein gewisses
Wettkampffieber in der Stadt aus. Olympiafahnenklau wurde zum
Volxsport, Graffitis an allen Orten. Als die Polizei dann vor dem Besuch
der IOC-Prüfungskommission ein besetztes Haus stürmte um ein
Anti-Olympiatransparent zu entfernen, kam es zum zwei-ten legendären
Lappenkrieg. Anti-Olympia-Transparente hingen allerorts aus vielen
Häusern.
Die Prüfungskommission wurde mit einer Demonstration von 15.000
Protestierenden empfangen. Eine Rauchbombe vor dem Olympiabüro mit
anschließendem Knüppeleinsatz der Polizei reichte aus, um aus dieser
Demonstration in der internationalen Presse eine Randaledemo werden zu lassen.
Ein zweiter Besuch in Lausanne, bei dem Samaranch nur knapp seinem
persönlichen roten Farbei entging, weitere sowohl militante wie auch
phantasievolle Aktionen und kurz vor der Entscheidung nochmals eine Demo mit
über 18.000 Teilnehmenden, sowie eine weitere Fahrt zum endgültigen
Entscheidungsort Monaco rundeten diese durchaus lustbetonte dritte Phase ab.
Was uns dabei geholfen hatte
Es gab einige wichtige Momente, die nicht so ohne Weiteres auf andere
Städte übertragbar sind: Der damalige CDU-Senat war geprägt
durch 40 Jahre Frontstadtdenken. Verfilzt, höchst provinziell und
ausgehend von einem Westberliner Wir-Denken, welches so nicht mehr
galt. Die berliner Olympia-Organisatoren stellten sich unglaublich
dilettantisch an. So wurde die Erstellung von Dossiers über einzelne
IOC-Mitglieder (z.B. über ihre Bett- und Trinkgewohnheiten) bekannt und
auch die Verschwendung von öffentlichen Geldern wurde zum
öffentlichen Skandal. Der nächste wunde Punkt war die Nazi-Olympiade
1936 in Berlin. Der Berliner Senat hatte das IOC-Exekutivkomitee, wie damals
der Nazi-Innenminister Frick, zum Festmahl in das Pergamonmuseum eingeladen.
Das war selbst in der
Presse zuviel und führte zu lautstarkem Unmut. Der damalige IOC-Chef
Samaranch war durch seine Nazi-Vergangenheit aus der Zeit des Franco-Faschismus
immer wieder unser Ziel. Zudem gab es zu der damaligen Zeit eine große
öffentliche Debatte über die Kommerzialisierung beim Sport, über
Doping und Elitenbildung v.a. bei solchen Ereignissen wie der Olympiade. Nicht
zu vergessen ist schliesslich, dass ein erheblicher Teil der Berliner
Bevölkerung von Anfang an eher gegen Olympia war, aus den verschiedensten
Gründen.
Ein klares Ziel vor Augen, klare Gegner, klares Konzept, nämlich die
subjektive Beeinflussung der IOC-Mitglieder durch Imagebeschmutzung der Stadt
Berlin, die Angriffe auf die vielen Olympiasponsoren all das lässt sich
in einer gewissen Eindimensionalität gut umsetzen. Nur hat dies mit einer
vielschichtigen und emanzipatorischen Politik wenig zu tun. Weder in der
Analysen von verschiedenen Machtverhältnissen noch in der Umsetzung von
Alternativen. Dementsprechend war auch der Umgang mit der Öffentlichkeit
und den Medien. Wir konnten ohne Rücksicht auf die Mehrheit der
Bevölkerung, auf Bündnispartner oder gar die Medien selbst agieren.
Denn, selbst negative Reaktionen waren gut für uns. So gab es z.B. zwei
spektakuläre Aktionen vor dem Besuch der IOC-Prüfungskomission. In
zwei Kaufhäusern wurden mit Brandsätzen die Sprinkleranlagen
ausgelöst. Doch in der BILD-Zeitung hieß es: Olympiafeinde
Terror gegen uns alle. Trotz der Hetze kamen 15.000 auf die Demo.
Wir gingen mit den Medien für die damaligen Verhältnisse ( es gab
eigentlich kaum eine Zusammenarbeit mit den Medien) so um, wie es heute
für viele sehr normal ausschaut. Mit PressevertreterInnen
wurde direkt zusammengearbeitet, es gab eine Pressesprecherin,
Pressekonferenzen wurden gegeben. Alles in allem versuchten wir permanent
öffentlich präsent zu sein. Für uns war immer klar, dass wir an
die Öffentlichkeit gehen. Mit im Bündnis arbeitete die die damalige
sportpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Grüne, Judit Demba. Sie war
somit unsere Sprecherin. Das Gute war, dass sie uns näher
stand als ihrer Partei, so dass es nie zu einer Distanzierung gegenüber
den militanten Aktionen kam. Im Gegenteil, es wurde selbst auf
Pressekonferenzen klar geäußert, dass militante Aktionen integraler
Bestandteil des Protestes seien. Andererseits kam auch von unserer Seite aus
nie eine politische Distanzierung z.B: gegenüber dem Anliegen von
Kleingärtnern, die von der Vertreibung von ihrem Gelände bedroht
waren. Es gab in der beschriebenen zweite Phase einen sog. Maulkorberlass von
seiten des Senats, an dem sich außer den sogenannten linken
Medien alle hielten, in der dritten Phase war dies für unsere Gegenseite
allerdings nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Was war schlecht
Unsere eigenen Inhalte blieben auf der Strecke. Dass wir überhaupt gegen
Olympia waren, gegen die Entsorgung der Geschichte, gegen die Verknüpfung
von Olympia und Nationalismus. Auch die Thematisierung von Leistungsterror,
Hochleistungssport, Kommerz und den Körperkult, die Frauenfeindlichkeitent
und der Sexismus beim Fitnesskult- nicht nur in der Gesellschaft allgemein,
sondern ebenso in der linken Szene - all dies blieb marginal. Wo wir hingegen
flach und pragmatisch waren, fanden wir offene Ohren. Dies ist leider heute bei
anderen Themen auch nicht anders. Die inhaltliche Vermittlung von unserer Seite
beschränkte sich letztendlich zu sehr auf unsere eigenen Medien. Die einen
schrieben Broschüren, andere äußerten sich in Form von
Bekennerschreiben. Es gab kein Internet und somit keine eigene Webseite, kein
Indymedia, keine Links. Ob damit tatsächlich mehr transportiert worden
wäre, sei mal dahingestellt. Die Möglichkeit, dies zu probieren zu
können, ist tatsächlich ein Fortschritt.
Wir vergaßen die Paralympics zu kritisieren, das ist uns später von
Behinderten zurecht vorgeworfen worden. Möglich, dass sich in
dieserHinsicht in der Sensibilisierung und in der differenzierteren Analyse in
den letzten 10 Jahren einiges getan hat, so dass so ein Fehler heute
vielleicht?!- nicht mehr passieren könnte.
Wichtig ist auch: es gab damals kaum internationale Zusammenarbeit. Wir hatten
ein wenig Kontakt zu Sydney, aber das war es dann schon. Auch in diesem Punkt
leben wir dank der globalisierungskritischen Bewegung in anderen Zeiten, die
ein übergreifendes an einem Strang ziehen bezüglich der
Olympiabewerbung ermöglicht.
Fazit
Die Kampagne gegen die Olympiabewerbung war eine sehr eindimensionale
Angelegenheit. Sie war zielgerichtet mit klarem Gegner und klarer
Zeitbegrenzung. Ein direkter Angriff gegen das IOC. Nur so kann
Erfolg auch nur bemessen werden. Aber es ist ein Erfolgskriterium
im bürgerlichen Sinn: ein Projekt wurde verhindert. Was an sich nichts
Schlechtes ist, aber es ist auch nicht mehr.
Die Kampagne ist auf jeden Fall nicht so ohne Weiteres 1:1 auf andere
Städte übertragbar. Die Imagebeschmutzung funktioniert zum einen,
wenn wie im Fall Berlin auf einen kämpferischen Mythos aufgebaut werden
kann und dieser durch tatsächliche Ereignisse auch noch bestätigt
wird (im Zeitraum 1991-93 gab es über 70 mehr oder weniger militante
Aktionen mit Olympia-Bezug). Oder es wird wie 1986 in Amsterdam der Fokus auf
das IOC und seine Mitglieder gerichtet und sie gezielt verärgert. Das kann
als kleine Gruppe geschehen, benötigt aber viel Phantasie und ist
abhängig von guten Informationen. Die Kampagne in Berlin war streckenweise
mit sehr viel Lust an Widerständigkeit, mit kollektivem Ausleben von
Kreativität und Lust am Konflikt gefüllt. Das waren die durchaus
emanzipatorischen Momente. Aber solch eine Kampagne ist kein
Kristallisationspunkt, kein Moment von Bündelung, sondern höchstens
einer der vielen Krückstöcke, die uns auf dem Weg, den wir fragend
voranschreiten, begleiten.
TOP
|
|
|